Antwort auf: Thelonious Monk

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gypsy-tail-wind
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Thelonious Monk – Live in Rotterdam 1967
Bin immer noch beim Stöbern … und bisher war ich dieser elegant (geschleckt?) ausschauenden Reihe gegenüber ja eher skeptisch eingestellt (Peterson, Brubeck, Ella, Sassy … wobei Brucken 1967 durchaus interessant ist und Ella, Sassy und OP schon auch, aber mit den grössten Namen anfangen ist nicht grad appetitanregend), aber das hier dürfte ein wahres Fest sein: eine anständige Ausgabe eines Mitschnittes des tollen Tentetts, mit dem Monk 1967 durch Europa tourte.

Neben dem Quartett-Line-Up (Charlie Rouse, Monk, Larry Gales, Ben Riley) sind mit dabei: Ray Copeland, Clark Terry, Jimmy Cleveland, Phil Woods und Johnny Griffin.

Die Aufnahme zirkuliert gewiss schon, es gab auch üble Bootleg-Ausgaben davon – daher gibt es auf beim französischen Eintrag auf Amazon auch nur einen motzenden Kommentar. Trackliste und Produktbeschrieb vom deutschen Eintrag (dort erst Pre-Order):

Disk: 1
1. Ruby, My Dear
2. Hackensack
3. We See
4. Epistrophy

Disk: 2
1. Evidence/Epistrophy
2. Don’t Blame Me
3. Oska T./Epistrophy
4. Blue Monk

Als er am 28. Oktober 1967 in Rotterdam die Bühne des Club Doelen betrat, war Thelonious Monk gerade 50 Jahre alt geworden. 15 Jahre später verschwand er aus der Musikszene und verbrachte seine letzten 6 Jahre in der Villa von Baroness de Koenigswarter in New York und berührte nie wieder ein Klavier. Dieses Konzert zeugt von seinem Genie. Er eröffnete und endete mit zwei ‚Klassikern‘,’Ruby, My Dear‘ und ‚Blue Monk‘ und führte über 80 Minuten lang das Quartett und seine Mitstreiter Charlie Rouse, Larry Gales, Ben Riley und Gäste an.

Larry Gales‘ Bass scheint am Ende von ‚Hackensack‘ wie ein Jack-in-the-Box zu springen, die Blechblasinstrumente werden in die Mitte von ‚We see‘ getragen und blähen sich in der atemberaubenden ‚Oska‘ auf und ab. Und das führt zu einer Solo-Session bei ‚Don‘ t Blame Me‘: seine Finger müssen weit auseinander liegen, wenn er die Tasten so drückt, wie man Karten schlägt und mischt. Und dann ist es Zeit, mit einem seiner Klassiker ‚Blue Monk‘ abzuschliessen. Der Architekt kann seine Werkzeuge niederlegen, was bleibt, ist reine Kunst.

Die Doppel-CD lag heute in der Post … der Werbetext oben kam wohl von Amazon, sorry für die vergessene Quellenangabe, ich hab den jedenfalls nicht verbrochen. Also: 82 Minuten und ein paar Sekunden, hätte man auch auf eine CD pressen können, aber egal. Das Doppel-Label Fondamenta/Devialet gebiert sich als Supermeister des Hi-Fi und der Restauration rarer Aufnahmen – und in der Tat klingt das Produkt sehr gut.

Los geht es im Quartett, „Ruby, My Dear“ und „Hackensack“, on letzterem wird über elf Minuten schon mal die Quartettroutine ausgelebt, das Bass-Solo springt aber tatsächlich nur in einer knapp Faustgrossen Schachtel hin und her und Riley macht sein Stepptänzer-Ding mit Besen auf der Snare und den Toms, einzelne Beckenschläge und Bombs auf der Basstrommel dazwischen eingestreut – some hip shit, natürlich, aber es ist dann schon auch erleichternd, wenn Rouse wieder einsteigt, trocken aber doch sehr engagiert. Überhaupt sind wir hier ja an dem Punkt, an dem Monk seine Musik quasi dichtgemacht hat gegen aussen, wie Stéphane Ollivier in seinen Liner Notes (französisch und englisch) richtig festhält. Da ist es eigentlich schon überraschend, dass gerade da noch eine erweiterte Band mit auf Tournee ging – auch überraschend aber, weil die Ergebnisse, wie wir sie ja vom Konzert aus Paris einige Tage später kennen, herausragend sind! Es ist vielleicht aber gerade die Geschlossenheit des „inner circle“, der Quartett-Stammformation, die die grössere Band zum Erfolg macht, denn nie wirkt hier etwas wie ein lockerer Jam, die minimalistischen Arrangements bieten nicht gerade viel, aber die zusätzlichen Stimmen, die sich alle längst als Monk-Versteher bewiesen haben, bringen halt doch einigen frischen Wind.

Für „We See“ wächst die Gruppe zum Quintett – doch Ray Copeland, der Trompeter (der ideale Monk-Trompeter wohl) – tut sich schwer, wird ausgepfiffen: er spielt in Monks Solo rein, dieser bricht ab, dann bricht Copeland ab, dann Pfiffe, wieder Monk, Stop. Und nach dreieinhalb Minuten beginnt man halt einfach nochmal von vorn, als wäre nichts passiert. Copeland kriegt das Thema super hin, Riley ist toll, aber das Tempo wackelt dennoch ein klein wenig, dünkt mich, es setzt sich dann im Verlauf von Rouse, der auch beim zweiten Anlauf das erste Solo spielt. Monk steigt danach mit einer Paraphrase von „It’s Only a Paper Moon“ ein, bevor er sein eigenes Thema seziert, wie er es in dieser Zeit ja fast nur noch tat – Telegraphenstil, faszinierend durchaus, aber man kennt es halt doch schon ziemlich genug: die zickigen Kürzel, die absteigenden Ganztonläufe, dann greift er plötzlich in den Diskant aus … und bevor wir es uns versehen, wurde daraus doch noch ein tolles, richtiges Solo. Copeland steigt dann etwas zögerlich ein, Monk wechselt in den Begleitmodus, hält sich etwas zurück, fast beginnt das irgendwie zu shuffeln und zugleich ein wenig nach Fats Waller zu klingen, doch dann wird Copeland allmählich warm und etwas wagemutiger, während Riley etwas aufdreht. Dass die Trompete nicht ganz laut genug ist, konnten die Hi-Fi-Freaks dann wohl auch nicht ändern, aber die Rhythmusgruppe klingt tatsächlich toll hier, sehr frisch, knusprig und knackig. Copeland scheint dann aufzuhören, Gales walkt so solomässig (potentiell gähn), doch plötzlich, jetzt ganz ohne Monk, steigt Copeland wieder ein (von Monk animiert?), spielt noch ein paar Takte und findet doch noch einen tollen Abschluss seines etwas fahrigen Solos – man verzeihe es ihm bei dem Start. Gales und Riley treten dann gleich in ein Zwiegespräch, was eine ganz schöne Abwechslung ist zu den überlangen aufeinander folgenden Bass- und Schlagzeug-Soli; und wenn Gales danach allein soliert, wacht er auch vollends auf und spielt ein feines Solo, in dem er munter ein paar alte Klassiker zitiert – darunter auch „Honeysuckle Rose“ von Fats Waller, der ja bei Monk eh gleich um die Ecke liegt. Danach hören wir nochmal kurz von Rouse und Copeland – wieder ohne Monk, der dann für das abschliessende Thema wieder dazustösst. Das Tempo ist inzwischen deutlich schneller als zu Beginn, dünkt mich. Die erste CD (das erste Set?) endet mit einer kompletten Version von „Epistrophy“, in der erstmal Johnny Griffin mit einem rasanten Solo glänzt, geschmeidiger und runder sein Ton, aber nicht weniger gross als der von Rouse. Die Rhythmusgruppe kommt richtig in Fahrt und legt streckenweise Vierteltriolen und sich verschiebende Akzente unter ihn, hier findet alles sofort zusammen, ausser dass er auch immer wieder etwas zu leise ist. Dann hören wir Clark Terry mit einem Solo, das sich sehr zurücknimmt aber umso toller ist – sein schöner Ton ist da, aber er macht keine Mätzchen, spielt einfach nur … und wie! Den Abschluss macht dann Monk – spielt er jetzt eigentlich „Salt Peanuts“ oder „Epistrophy“? Auch das ist noch keine rundum gelungene Performance, dafür ist sie an den Rändern zu fasrig und manchmal zu ungeschliffen und holprig, aber Spass macht das, grossen sogar!

Die zweite CD beginnt mit Monks Intro zu „Evidence“, dann steigen die Bläser ein – ich vermute jetzt sind sie alle dabei – und spielen unisono das Thema. Monk spielt dann weiter seine Begleitung, während Rouse darüber einen etwas glatten Einstieg in den Soloreigen findet. Man kennt das halt inzwischen schon, und so toll ineinander verschränkt wie bei den Quartett-Tracks zu Beginn ist die Rhythmusgruppe hier zunächst nicht, doch das ändert sich mit der Zeit. Wir hören dann wieder von Ray Copeland, der sich inzwischen gefangen hat (keine Ahnung, ob die Aufnahmen wirklich der Reihe nach auf der CD sind, ich vermute wir kriegen nicht das komplette Konzert), dann folgt Monk, und nach ihm Phil Woods, der an Monks Seite ja immer über sich hinauszuwachsen scheint. Hinter ihm fangen dann sogar die anderen Bläser zu riffen an und Riley rollt ordentlich dahin, immer mit seiner Leichtigkeit und Eleganz, aber das ist schon toll. Dann kommt Monk wieder mit „Salt Peanuts“ und das Stück endet mit einem kurzen „Epistrophy“-Tag, in den die Bläser am Ende einstimmen, während Riley noch voll aufdreht. Dann folgt Monk ganz alleine mit „Don’t Blame Me“, die Linke spielt Stride, die rechte wieselt flink und zuckt kantig – und die Monk’sche Reharmonisierung macht bereitet beim x-ten Mal hören noch Freude.

Danach folgt das potentielle Highlight aller Monk-Sessions, bei denen es gespielt, „Oska T“ nämlich. Das Thema gehört zunächst der Rhythmusgruppe, vor allem Larry Gales‘ Bass, die Bläser geben nur kurz Antwort, dann übernehmen sie, während Riley rollt und rockt und zickt und swingt. Clark Terry gehört das erste Solo, sein Ton zunächst so zart, dass man Angst hat, er zerbreche gleich. Weiche aber schnelle Linien folgen, die sich in die Höhe schrauben, verdichten – etwas Konkurrenz tat wohl im wie auch Copeland ganz gut, die Klischees werden jedenfalls auch hier nicht ausgerollt. Es folgt Griffin, wieder elegant und zupackend zugleich, doch den Höhepunkt setzt dann Jimmy Cleveland, ein phänomenaler Instrumentalist, der leider etwas selten in Settings zu hören ist, in denen er richtig loslegen kann. Monk setzt längst aus, Riley verzahnt sich, ja verbeisst sich fast schon in die Linien des Posaunisten, der sich noch so gerne auf den Dialog einlässt. Die Bläser riffen dann und künden den Wechsel zu Monk an, der zunächst eng am Thema bleibt, das ja auch bloss ein Kürzel aus wenigen Tönen ist. Dann kommen wieder seine Läufe, ein paar angedeutete Zitate, Monk-Klischees, alles altbekannt und eigentlich ziemlich abgedroschen – und doch wickelt uns der Meister wieder um den Finger. Larry Gales folgt am Bass, scheint das Stück schon abzuschliessen, doch er nutzt das Themen-Motiv nur als Ausgangspunkt für ein ganz ordentliches Solo. Nach dem Themen-Riff geht erklingt zum dritten Mal das Thema von „Epistrophy“ und dieses Mal scheinen sich auch alle ordentlich anzustrengen und das Chaos gegen Ende wirkt kraftvoll und kommt gut rüber.

Als Schlusspunkt folgt dann noch „Blue Monk“, etwas zu schnell gespielt von Monk, der den ersten Durchgang allein macht. Dann steigt die Band ein und spielt das Thema noch zweimal. Doch dann folgt Clark Terry, hier growlt er ein wenig, wie man es so gut kennt, die Klischees kommen also doch noch, aber sie passen und in Kombination mit dem Ton, der an an diesem Abend wirklich grossartig ist, kommt das wunderbar. Monk setzt bald aus, Riley dann auch noch und für einige Takte spielt Terry (Flügelhorn, vermute ich) nur mit Gales, kurz streift man einen Gospel, dann kommt Riley wieder dazu und gibt Terry die Möglichkeit, die Töne – und die Zeit – zu dehnen. Auch Monk stösst dann wieder dazu, spielt ein einfaches Riff, während Terry und Riley immer mehr in Fahrt kommen. Monk spielt dann selber noch ein kurzes Solo – und dreht auch selber zum Schluss noch ein wenig auf.

Keine Offenbarungen hier, aber doch ein sehr schönes Dokument dieses Nonetts von 1967, das man bei Columbia ja leider einfach ignoriert hat. Damals schrie halt kein Hahn mehr nach Monk, Jazz war tot, wenigstens in kommerzieller Hinsicht – aber das stört zum Glück weder diesen selbst noch die Kollegen die er mit auf die Tour nahm.

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