Startseite › Foren › Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat › Replays: Neuauflagen, Deluxe- und erweiterte Editionen › Wiederhören im Forum… › Re: Wiederhören im Forum…
Jonathan Richman – Rockin‘ and Romance (1985)
Dem Sommer Auf Wiedersehen sagen zu müssen fällt wohl am leichtesten mit einem Album, das selbst in Jonathan Richmans Werk als besonders leichtherzig hervorsticht. Dass er, der als glühender Velvet-Underground-Fan mit seiner Band „The Modern Lovers“ verschrobenen Indie-Rock dargeboten hatte, im Alter von 34 Jahren eine Platte aufnahm, die in geradezu überschäumender Weise Jugendlichkeit und Lebensfreude feiert, stellt dabei natürlich vordergründig eine Versuchung dar, sich in hobbypsychologischen Betrachtungen über das Peter-Pan-Syndrom zu ergehen; aber solcher Versuchung wollen wir souverän widerstehen (zumal es erste Ansätze in diese Richtung schon acht Jahre zuvor auf „Rock ’n‘ Roll with the Modern Lovers“ gegeben hatte), indem wir das vorliegende Album als das würdigen, was es ist: nämlich ein überaus bemerkenswerter und gelungener Versuch, zeitgenössischen Pop-Appeal mit Rock’n’Roll-Nostalgie der Endfünfziger zu vermählen und dabei juvenile Albernheiten zu vermeiden.
Los geht’s mit „The Beach“, und zwar im doppelten und damit besten Sinne. Denn der Eröffnungstrack versprüht so viel Energie, dass er nicht nur unmittelbar zum Shaken auffordert, sondern zugleich einen uneingeschränkt positiven Zugang zum Album ermöglicht. Er versetzt den Hörer an einen sonnenbeschienenen Strand, an dem nicht zählt, was man trägt, sondern was nicht, und der deshalb zum Besten gehört, was es gibt. Also der Strand. Nach der anschließenden Rock’n’Roll-Eloge „My Jeans“ folgt ein ausgesprochen romantisches Loblied auf die Bermuda-Inseln sowie mit „U.F.O. Man“ ein ganz und gar bestrickender Nostalgie-Unplugged-Rocker im Geist der frühen Sechziger. Und dann wohl der Höhepunkt des ganzen Albums: „I Must Be King“, ein zum Heulen und Niederknien schönes Liebeslied, das J.R. fünf Jahre später auf „Jonathan Goes Country“ noch einmal aufnahm, allerdings nicht in solch vollendeter Erhabenheit wie hier.
Ich will nicht zu viel verraten, drum mache ich an dieser Stelle den Topf mal zu. „Rockin‘ and Romance“ ist sicherlich kein Meisterwerk, aber dafür in seiner Einfachheit von durchaus profunder Musikalität. Sowohl der frühe Rock’n’Roll als auch (vor allem in „The Baltimores“) der Doo-Wop werden hier auf mustergültige Weise mit dem Pop-Feeling der achtziger Jahre verschmolzen, und das Ergebnis kann sich in jeder Hinsicht hören lassen, nämlich als ein in sich völlig stimmiges Popalbum, das einerseits seine stilistischen Wurzeln klar erkennen lässt, andererseits sich allzu simplifizierenden Kategorisierungen souverän entzieht. Das Schlusswort sei aber Track Acht gewidmet. „Just Beginning to Live“ ist ein Lied, das jedem, dem schon einmal ein großes Begebnis sein Leben erhob, Herz und Geist belebt. Alle anderen werden nach diesem Song sich wünschen, das auch zu haben.
Tracklist
1. „The Beach“ 2:20
2. „My Jeans“ 3:17
3. „Bermuda“ 3:05
4. „U.F.O. Man“ 3:23
5. „I Must Be King“ 2:40
6. „Vincent Van Gogh“ 2:26
7. „Walter Johnson“ 2:23
8. „Just Beginning to Live“ 2:54
9. „The Fenway“ 2:31
10. „Chewing Gum Wrapper“ 3:21
11. „The Baltimores“ 3:02
12. „Up in the Sky Sometime“ 2:52
13. „Now Is Better Than Before“ 2:08
****
--
"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=