Re: Wiederhören im Forum…

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kritikersliebling

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Marius Müller-Westernhagen – Geiler is‘ schon
Warner 1983

„Aber geiler is‘ schon, als in der Gosse zu liegen“. Als nach einer halben Stunde dieses Fazit erklingt, ist man als Hörer durch ein Stahlbad der Schunkelreime und Belanglosigkeiten gegangen. Da erinnert man sich treffend aber ungern an den zweiten Titel „Take Four, Because Your Birne Is weich“. Eins ist sicher, die Pillen die MMW hier besingt reichen nicht aus, um das Album heute zu verstehen.

Wie immer, wenn ich eine neue LP auspackte, glich es einem fast klerikalen Akt. Der Geruch des Covers, die Papierhülle für das Vinyl, bedruckt mit Texten und Informationen, ein neuer Geruch, dann die statische Aufladung der LP, die sich an die Schutzhülle festkrallt und nur durch vorsichtiges Hineingreifen, um keine Fingerabdrücke auf dem Vinyl zu hinterlassen und selbiges dadurch jeglicher Jungfräulichkeit zu berauben, teilweise löst, dann das Tasten nach dem Mittelloch der LP, um einen Ansatz dafür zu haben, sie vom Papier zu befreien. Knisternd und widerwillig gibt das Vinyl nach und dann hat man die Platte endlich flach auf den Fingerkuppen einer Hand vor sich.

Es wollte damals schon nicht richtig passen zwischen den Wolfgangs, Klaus‘, Wolfs und Ullas. Heinz-Rudolf war noch nicht massentauglich. Der Zeitgeist beschäftigte sich mit dem Abgesang der NDW, dem kalten Krieg, einem komischen US-Präsidenten. Bands, die überall, vor allem in und um Köln herum mehr Aufsehen erregten als MMW. Aber der Herr hatte sich nach drei Alben für die Arbeiterklasse mit „Das Herz eines Boxers“ eine Auszeit genommen. Was sollte bei diesem Album schon schief gehen. Fast alles. Der Titel des Albums „Geiler is‘ schon“ machte mich neugierig und völlig blind schlug ich zu. Dabei hätte ein Blick auf Tracklist genügt, um leise zu fragen: Was kann man bei Titel wie „Lilli die Mücke“, „Der schwarze Mann“ oder beispielsweise „Gitti Kleinlich“ erwarten. Erwartense nix.

Dem Album reichen zwei geniale Momente, um im Westernhagenschen Kosmos nicht als Totalausfall zu gelten. Dabei sieht das Cover nach einem erdigen Blues-Album aus. Westernhagen mit ramponierter Telecaster. Dem Rock’n’Roll-Bild der 80er Jahre, später von Springsteen veredelt.

Inhaltlich sind die Texte peinlich. „Mutter, sing mir mein Lied, Mutter, dass Du mich liebst“. Klingt nach Rolf Zuckowski, ist aber damals beinharter Rock und vermutlich sogar ernst gemeint. Dann aber wendet sich das Blatt und es geht in Richtung Kindergartenreim. „Da kommt der Peter, Peter der Verräter… […] Da kommt die Ute, Ute die Gute… […] Da kommt Klaus Lieb, Klaus Lieb dieser Dieb…“ und so weiter und so fort. Hauke mit der Pauke, Grete mit Trompete. Es kommen sehr viele Dinge in dem Album vor. Z. B. Lilli die Mücke. Ein Lied über nächtlichen Mückenbesuch, wer macht das schon? Selbst wenn ich ein Gleichnis herstellen will, es fehlt der Aha-Effekt. Böse böse wird es bei „Der schwarze Mann“. Die Band rockt breitbeinig, bretthart, knallhart und Westernhagen schleudert einem die Warnungen um die Ohren: „Sprich nicht so laut, denn er hat seine Ohren überall. Registriert alles, er kennt sogar Dein Muttermal.“ Thematisch natürlich heute voll auf der Höhe, aber leider leider mit der Brechstange gereimt.
In „Wäre ich ein Tier“ regt sich so etwas wie Gefühl, doch es ist die letzte Strophe zuviel: „Nicht mal Gott könnte böse sein, wie schön es mit uns war. Ich hätt‘ Dich geliebt ein Leben lang, vielleicht auch nur ein Jahr.“ So wie hier Sprache bemüht wird, klingt es in meinen Ohren nach einer Zerrung. Doch es geht noch schlimmer. „Gitti Kleinlich will es mal besser ham…“ Diese kleine Straßenromantik, die das ganze Album begleitet ist eine biedere Sackgasse. Da waren die Typen (Giselher, Willi Wucher oder der Heinz von Marga) aus dem Pfefferminz-Album deutlich cooler. Gern erinnere ich mich dann an Hermann vom „Sekt oder Selters“-Album oder später an Gerti aus der DDR.

Doch diese Nostalgie hat hier nichts verloren. Ein Dichter mit Auftragsarbeit am Abgrund. Da schmerzt es schon nicht mehr, als „Neues von Hilde“ erklingt. Die Texte reichen nicht mal beim tiefsten Selbstmitleid zum Mitsingen.

Und dann kommt aus dem Nichts – die Resignation über einen Fehlkauf verdrängt die Wut über rausgeschmissenes Geld, dass man besser in einen vorzüglichen Kinoabend mit Sabine oder Kirsten investiert hätte – der Song, der bierselig auf Hochzeiten zum Ende der Feier gespielt werden wird oder wahlweise gleich zu Beginn in der Kapelle oder vorm Standesamt. „Lass uns leben“ Leben L e b e n, LEBEN. Leben wird in den 80ern groß geschrieben, bzw. der Tod überbewertet. Überall drohen Enden. Ende der SPD, Ende der Welt, Ende der Fußballvorherrschaft. Da freut man sich, wenn einer sagt, dass er leben will in einer Welt voller Gift, Abgas und saurem Regen. In einer Welt aus willkürlichen Politikern und Schauspielern.

Die Hoffnung stirbt zuletzt und mündet in dem letzten Satz des Album: „Dann trinken wir Schampus, bis wir verrecken und wer das nicht geil find, der kann uns mal…“

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Das fiel mir ein als ich ausstieg.