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hal-croves
אור

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The Liverbirds – More of The Liverbirds (1966)

Sie wurden „die weiblichen Beatles“ genannt und waren doch für viele nur eine Fußnote der Popgeschichte. Nicht für mich; was die Liverpudlians Pamela Birch, Valerie Gell, Mary McGlory und Sylvia Saunders insbesondere als Liveact auf die Bühne zauberten, war eine Charmeoffensive sondergleichen und zweifelsohne eins der schönsten Geschenke, die Großbritannien der jungen Bundesrepublik machen konnte. Denn daheim waren ihre Chancen zu reüssieren denkbar schlecht; von John Lennon ist überliefert, dass er bei einer kurzen Begegnung den Liverbirds beschied, aus einer reinen Mädchenband werde bestimmt nie was. Also wagten sie den Sprung nach Hamburg und gingen als einer der beliebtesten Hausacts in die Geschichte des Star-Club ein.

Das vorliegende Album ist dabei nicht nur Zeugnis ihrer stürmisch-fröhlichen Musik, die zwischen souligem Pop und Rock’n’Roll oszillierte, sondern auch eines bemerkenswerten musikalischen Reifeprozesses, der seinen Höhepunkt in „Why Do You Hang Around Me“ hat, einer Eigenkomposition der Sängerin Pamela Birch, die bereits in Liverpool als Einkäuferin in der Plattenabteilung eines Kaufhauses musikalischen Sachverstand zu beweisen hatte. Dieses Lied, das auch als B-Seite ihrer bekanntesten Single „Peanut Butter“ veröffentlicht wurde, gehört für mich mit seiner perfekten Struktur, seiner gleichermaßen lebhaften wie melancholischen Stimmung und Valerie Gells atemberaubend schönem Gitarrenpart in der Mitte zu den großartigsten Songs, die die Beat-Ära hervorgebracht hat. Aber auch die für die Platte ausgesuchten Coversongs wie „He Hardly Ever Calls Me Honey Anymore“, „Down Home Girl“ und „He’s Something Else“ beweisen Geschmack und Gespür für die Erfordernisse eines abwechslungsreichen Pop-Albums.

Und Gosh, diese Band hat eine an aufregenden Anekdoten reiche Geschichte hinterlassen, die den Leser schnell mit Staunen und Bewunderung erfüllen – insbesondere für die achtzehnjährige Anführerin Valerie Gell, die nicht nur die eigentliche Frontfrau neben der auf der Bühne ein wenig steif wirkenden Pamela Birch war, sondern außerdem auch noch der schüchternen Mary McGlory das Baßspiel beigebracht hatte und schließlich bei einem spektakulären Auftritt im Vorprogramm von Chuck Berry in der Berliner Deutschlandhalle im April 1964 dessen Manager unter dem rasenden Gejohle des Publikums von der Bühne stieß. Wie es dazu kam, lesen die neugierig Gewordenen bitte in Brigitte Rohkohls empfehlenswerten Buch „Rock-Frauen“ nach.
Ein großes Unglück traf die Liverbirds und ihre Freunde, als Pamela Birch am 27.10.2009 im Alter von 65 Jahren im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf verstarb. Niemals soll sie vergessen werden.

Tracklist:
1. Peanut Butter 2:45
2. It’s So Exciting 1:50
3. He Hardly Ever Calls Me Honey Anymore 1:55
4. For Your Love 2:22
5. Oh No Not My Baby 2:22
6. Around And Around 2:40
7. Down Home Girl 3:10
8. He’s Something Else 2:38
9. Heatwave 2:33
10. Why Do You Hang Around Me 2:23
11. He’s About A Mover 2:38
12. Long Tall Shorty 3:25

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=