Antwort auf: Eure Album-Top100

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gypsy-tail-wind
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vorgarten

gypsy-tail-windDer Satz stimmte mich nachdenklich – ich weiss nämlich nicht, was ich im Jazz suche oder vor allem suche. Diese Frage habe ich mir nie gestellt bzw. es geht um dermassen existentielle Fragen, dass sie sich mir einfach nie stellte. Ohne ginge nicht. Aber alles in allem – vielleicht abgesehen von der Eleganz, da habe ich meine Fragezeichen, Eleganz ist mir nicht so wichtig oder ich würde das anders umschreiben – finde ich mich in Deiner Beschreibung durchaus wieder. Zur Verzweiflung müsste aber noch die nicht unterdrückbare positive Kraft rein, die Lebensfreude oder -bejahung, die immer wieder transportiert wird … und die natürlich ganz essentiell mit dem zu tun hat, was man „Swing“ nennt, selbstverständlich in all seinen bis heute entwickelten Varianten, frei und weniger frei, klassisch ternär oder binär oder einfach nur bekloppt wie bei manchen Europäern – und die Vielheit der Möglichkeiten, die ja nicht nur das Rhythmische betrifft, ist natürlich auch ganz zentral.

das hat mich jetzt wieder sehr nachdenklich gemacht. lebensfreude suche ich in der musik nie, jedenfalls nicht als formel (höchstens als trotz). aber natürlich ist mir auch swing sehr wichtig (und den zusammenhang gibt es). aus diesem grund z.b. höre ich immer auf billy higgins, der manchmal (für mich) den tollsten swing überhaupt hinbekommt.
und eleganz – das ist wahrscheinlich der grund, warum du mit mcfarland bisher nichts anfangen konntest

Hm, „Lebensfreude“ ist wohl ein blöder Begriff, und um die alleine geht es auch mir gewiss nie – dazu bin ich wohl auch viel zu zweifelnd und zu zerrissen. Aber genau um die Dialektik geht es, also um Freude und Schmerz und (das mag jetzt irgendwie romantisch klingen (dabei mag ich die Romantik überhaupt nicht, aber) um die Fähigkeit, aus der inneren Pein – oder aus was auch immer, Slavoj Zizek meinte kürzlich: „Glück ist etwas für Idioten.“ In Bezug auf die Südafrikanische Musik drägte sich mir mal das Gegensatzpaar „joy“ und „pain“ auf, irgendwie so kann man es wohl umreissen, was mich am Jazz und der afro-amerikanischen Musik überhaupt so fasziniert und bewegt. Oder eben der Trotz, die Kraft der Selbstbehauptung, das Beharren darauf, die Definitionshoheit über sich selbst nicht abzugeben und immer schon einen Dreh weiter zu sein als jede vereinnahmende Ideologie (so gesehen ist Wynton dann eben sowas wie der Anti-Jazz, weil er all das ins Korsett der staatlichen Unterstützung zwängt, die Kanten abschleifft, dem zum Objekt gewordenen Subjekt die Seele und das Leben austreibt und sich am Seziertisch dran zu schaffen macht, damit die Kulturbürger sich an den possierlichen Künstlern mit ihrer genau umrissenen Narrenfreiheit freuen können … aus einer solchen Denke heraus könnte man wohl auch Louis Armstrongs Bühnen-Persona ins Subversive drehen, Ellingtons suaven „we love madly“-Act sowieso … die Dinge sind oft nicht so einfach oder klar, wie sie scheinen mögen).

vorgarten
getz mit mcfarland ist schon ok (höre ich lieber als JAZZ SAMBA ENCORE), aber keinesternstunde für irgend jemanden. für mcfarland war das wohl zu festgelegt, nicht spannend und nicht gaga genug. und die gitarristen… da lehne ich mich bestimmt zu weit aus dem fenster, natürlich war almeida ein virtuose und bonfa eher komponist. aber bei gilberto ist das halt magie, vor allem die rhythmischen verschiebungen, die kommunikation mit der stimme (nicht nur der eigenen), das ergibt etwas, das bisher kein mensch kopieren konnte (veloso hat es sehr ernsthaft versucht). aber so, wie bonfa und almeida gitarre bei getz einsetzen, ist das nicht annähernd so spannend wie gilberto. und byrd, auf seine weise.

Danke für die weitere Erläuterung – das kann ich nur so stehen lassen, fürs Hören fehlt mir wohl in dieser Musik noch das ausgeprägte Sensorium.

Coltrane: Das stimmt natürlich alles – klar kann man „Crescent“ auch als etwas zahm und gepflegt hören – ist bei mir aber überhaupt nicht der Fall, ich höre da eine Art Perfektion aus dem Augenblick heraus, wie auch z.B. bei Miles Davis‘ „second quintet“. An die ganz späten Coltrane-Sessions muss ich mal wieder ran, ich merke es schon …

Mompou: Das klingt nach einem ganz heissen Tipp – an der Ernsthaftigkeit der Nominierung hatte ich natürlich nicht den geringsten Zweifel. Von Alicia de Larocha habe ich einiges da, auch Spanisches, aber aus etwas früherer Zeit (Granados, Falla und so … und auch ihre Mozartsonaten für Sony bzw. einst wohl RCA, die sind auch sehr schön, aber auch da habe ich viele Aufnahmen, die ich schätze und ganz oben höre ich ihre dann doch nicht). Die ECM-CD fiel mir übrigens neulich auf im Regal, aber wir hatten ja nicht die Zeit, all die Dinge in Ruhe zu besprechen, dazu müsste ich wohl mal zwei Wochen ohne Rahmenprogramm vorbeikommen … Mompou selbst gibt es als Vierer-Box bei Brilliant Classics – ist das die Ausgabe oder gibt es eine hübschere, nach der zu suchen sich lohnt? (Ich hab generell kein Problem mit Brilliant!)

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