Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gruenschnabel

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gypsy-tail-wind
Stadtcasino Basel – 3.9.2022
Kammerorchester Basel
Trevor Pinnnock
Leitung
Maria João Pires Klavier
Seelenverwandt
Maurice Ravel (1875–1937)
Le Tombeau de Couperin
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur

Charles Gounod (1818–1893)
Symphonie Nr. 2 Es-Dur
Am Nachmittag in der Kunsthalle schrecklich-schöne, stark nachwirkende Malerei von Michael Armitage gesehen, eine ebenfalls nachdenklich stimmende Installation von Beatrice Olmedo, sowie im Schweizerischen Architekturmuseum (unterm gleichen Dach) eine Ausstellung eines Architekt*innenkollektivs, das sich für eine nachhaltige Baupolitik (weniger abreissen, mehr Recycling, weniger Wohnraum beanspruchen usw.) stark macht. Das quasi als Einstieg in das abendliche Konzert, den Saisonauftakt des Kammerorchester Basels, für dessen Konzerte im Stadtcasino ich 2022/23 ein Abo gekauft habe – ein billiger Platz in der dritten/letzten Reihe der Gallerie ganz hinten (dahinter folgt noch der Balkon), neben einer Säule – Beine strecken und aufstehen ohne wem die Sicht zu verdecken ist beides möglich, ein Platz ganz nach meinem Geschmack (die Sicht ist auch sitzend mehr als ok, aber für Pires bin ich dann aufgestanden).
Pinnock hat vor der zweiten Zugabe am Schluss ein paar Worte gesprochen: wie müde sie seien nach der Tour (Meran, Tannay, Warschau, Hamburg und Locarno – das Gepäck kam nur bis Hamburg mit) übermüdet aber zufrieden – und zufrieden können sie auch sein mit dem, was da geboten wurde! Das Stadtcasino war so voll, dass schon Tage im Voraus überall stand, dass es auch keine Restkarten an der Abendkasse mehr geben würde. Ein oder zwei Dutzend Plätze blieben dennoch leer, aber so ist das, wenn es einen hohen Anteil an Abonnenten gibt.
Der Einstieg mit Ravel war nicht einfach, ein seltsames neo-klassizistisches Stück (passt zum Stravinsky, den ich neulich in Luzern hörte), zudem mit einem kriegspatriotischen Anstrich, musique française mit einem Geschmäckle, und dennoch voller Charme, voller Ironie. Vom Hocker haute mich das erstmal nicht, aber da will ich dem KOB oder Pinnock keinen Vorwurf machen – und interessant war es schon, dieses Stück mal im Konzert hören zu können.
Dann der „main event“: Maria João Pires mit KV 488, einem meiner liebsten Mozart-Konzerte (ganz oben rangiert bei mir KV 491). Eins dieser so wohlklingenden, harmonischen, in sich vollkommen stimmigen Konzerte, denen dennoch diese mozart’sche Traurigkeit eingeschrieben ist. Pires spielte das alles auf den Punkt, wie bei ihr üblich irgendwie schlicht wirkend – diese Aussage (von Schnabel, oder?) dass nur Kinder oder Greise Mozart gut spielen könnten: mir kam es bei Pires immer schon so vor, als hätte sie das „wie ein Kind“ immer schon gekonnt – und längst kommt dazu die Weisheit des Alters, die tiefe Kenntnis der Musik, über die sie ganz locker zu verfügen scheint. Besonders beeindruckend fand ich das Adagio – das war buchstäblich atemberaubend: ich hielt immer wieder die Luft an, vergass beinah, zu atmen. Eine wundervolle Aufführung, in der auch der dialoghafte Charakter nie zu kurz kam, in der besonders die Bläser glänzten (u.a. Mathias Arter, einer der besten Oboisten im Land, Klarinettist Etele Dosa spielte wohl bein Bassethorn – das glaube ich sehr klar gehört zu haben, konnte es aber aus der Distanz nicht mit Sicherheit erkennen). Am ersten Pult sass übrigens Julia Schröder, die auf CDs gerne als Konzertmeisterin agiert, die ich aber bei den bisher gehörten Konzerte des KOB noch nicht oft sah. Es folgte eine Zugabe mit Orchester, die nach Bach-Arrangement klang, das gegen Ende hin etwas romantisch ausuferte – sehr hübsch, überhaupt finde ich es bei solchen Solistenauftritten ganz schön, wenn das Orchester bei der Zugabe auch mitwirken darf.
Nach der Pause folgte dann – nicht erwartet, aber so halbwegs erhofft (ich hatte ja erwähnt, dass meine Eltern beim Konzert in Locarno am 2.9. waren, sie hatten mir knapp berichtet), der zweite „main event“: Gounods zweite Symphonie. Den französischen Ton traf das Orchester ganz hervorragend – wieder: die Bläser und Bläserinnen (zwei Frauen an den beiden Flöten, eine hervorragende erste Fagottistin und – bei den Franzosen jeweils zu viert – zwei Frauen am dritten und vierten Horn) machten den grossen Unterschied. Pinnock sprach in seiner erwähnten Ansage auch vom französischen Ton, dem sie sich in harter Arbeit angenähert hätten, der Leichtigkeit, die nötig sei, weil das ja keine Beethoven-Symphonie ist. Beethoven stand aber so sehr Pate wie Schumann und Mendelssohn, so der Eindruck: ein oft elegant fliessendes Werk voller singbarer Melodien, ein schönes Larghetto an zweiter Stelle, das Scherzo dann mitreissend, viel Arbeit für den Herrn an den Pauken, bis hin ins zugespitzte Finale. Ein tolles Stück, das mir zum Glück zum späteren Nachhören auch auf CD vorliegt (zusammen mit der ersten, Plasson, in der Gounod Edition von Warner, aus der ich noch keinen Ton gehört habe – das wird nachgeholt!).
Und eben: es folgte auf die längere Ansage von Pinnock eine zweite Zugabe, Respighis Arrangement eines Stückes, das er gerne am „Clävssänn“ spiele: „La poule“ von Rameau – ein musikalischer Scherz, der für einige Erheiterung sorgte und einmal mehr mit viel Gusto und im passenden Ton dargeboten wurde.
Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Konzert am 29.9., dann mit Beethoven (Prometheus-Ouvertüre, Klavierkonzert Nr. 3) und Eberl (Symphonie Es-Dur), Giovanni Antonini und Igor Levit. Das entschädigt dann auch ein wenig für die Haydn-Konzerte an der anderen Spielstätte, die ich nicht wieder besuchen werde – passte für mich aus unterschiedlichen Gründen (pandemiebedingte, örtlichkeitsbedingte …) nicht so wirklich im Don Bosco, der umgebauten Kirche, die dem Orchester auch als Probelokal dient.

Mal wieder schöne und interessante Zeilen von dir, danke. Was du über Pires schreibst, deckt sich mit meinen CD-Eindrücken und der vagen Erinnerung an ein Konzert von anno dazumal. Insbesondere wenn ich mal zu Solosonaten greife, drängelt sich Pires sehr schnell in mein Blickfeld. Das Wort „Natürlichkeit“ ist ja nicht ganz unproblematisch, wenn man Interpretationen beschreiben möchte, aber diese „kindliche“ Unverstelltheit ihres Spiels verbindet sich in meinen Ohren auf glänzende Weise mit ihrer zu äußerst sublimen Klangergebnissen führenden Sensibilität. Eine überragende Mozart-Interpretin in meinem kleinen Musikkosmos. Na ja, und das A-Dur-Konzert… das sind so diese „Wunder“, die das eigene Leben erhellen.

zuletzt geändert von gruenschnabel

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