Startseite › Foren › Kulturgut › Für Cineasten: die Filme-Diskussion › Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)
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Gestern im Kino: Slaugherhouse Five von George Roy Hill (US, 1972) – was für ein Albtraum, was für Trip!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deNeu auf Disney+: Die Film- und Serien-Highlights im August
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Sting im Interview: „Trump spricht kein Englisch. Er redet Nonsens“
WerbungDen sah ich, bevor ich das Buch las. Vonnegut schien mit der Umsetzung ziemlich zufrieden zu sein.
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Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.pfingstluemmel
Den sah ich, bevor ich das Buch las. Vonnegut schien mit der Umsetzung ziemlich zufrieden zu sein.Ja, scheint so – hab das Buch noch nicht gelesen, aber irgendwo müsste es herumliegen …
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaGestern im Kino: Agantuk (The Stranger) (IN, 1991), der letzte Film von Satyajit Ray – und was für ein wunderbarer Ausklang eines grossen Werks!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaEntführt – 14 Tage überleben (RTL) – Ich hab gestern abend den Fernseher angemacht und statt der gewohnten App-Auswahl kam als erstes RTL. Jonas Nay in ballonigem Lederblouson läuft über den Bildschirm, ich dachte an die vermutlich 8. Staffel der Stasi-Serie, stattdessen droht ein True Crime-Drama aus der RTL-EVENTFILMREIHE. Nach zwei weiteren Minuten war ich am Haken, das war so gar nicht die Art von Film, die der Sender gezeigt hat, als ich zuletzt vor ca 10 Jahren eingeschalten habe. Gute Darsteller und die nonchalante (ich wäre sogar versucht „frech“ zu sagen) Regie die nicht jeden Schritt erklärt, machen noch keinen spannenden Film, ich wurde dennoch gut unterhalten und dass ich nochmal Fernsehwerbung schaue, hätt ich mir auch nicht träumen lassen.
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Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the blockTheater Camp (2023)
Ben Platts redemption arc startet hier. Spaßige Mockumentary, leider auf Hulu verheizt.
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Slept through the screening but I bought the DVDAuf 3sat: Der Regenmacher, USA 1997, Francis Ford Coppola
Spannender Gerichtsfilm mit feiner Besetzung. Auch beim zweiten Mal nach langer Zeit noch fesselnd.
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...but everybody wants you to be just like them Contre la guerreVerlorene Illusionen – (FRA 2021 – Xavier Gianolli) – ****1/2
Verfilmung eines meiner Lieblingsbücher von Balzac… Wie bei Meisterwerken meist der Fall, ist das Buch natürlich unverfilmbar… Mit einigen Umstellungen der Story (z.b. wurde die Nebenhandlung um Luciens Freund David Sechard einfach gekappt, Daniel D’Arthez wird auch ausgeblendet, etc…) ist der Film aber doch ziemlich gelungen und zeigt die Essenz (bzw. eine der Essenzen) des Buches exemplarisch auf, die Käuflichkeit von Journalismus und Politik…
Den halben Punkt Abzug gibt es für die Änderungen der Storyline, aber sonst hätte man das ganze wohl als Serie machen müssen… .--
i don't care about the girls, i don't wanna see the world, i don't care if i'm all alone, as long as i can listen to the Ramones (the dubrovniks)Reptile – Etwas verworren aber insgesamt hat mir das gut gefallen. Die Chemie zwischen Alicia Silverstone und Benicio del Torro (wieso spielt der eigentlich nicht mal Hercule Poirot?) war irgendwie süß.
Scream 6 – Sehr unterhaltsam, kann so weitergehen.
November – Polizisten jagen die Attentäter von Paris, das ist wenig spannend aber fiebrig und temporeich gefilmt. Vom Stil her wie Zero Dark Thirty nur flacher.
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Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the blockZ.Zt. läuft auf 3sat: Almost Famous
Zuletzt gesehen:
John Wick: Kapitel 4 (Regie: Chad Stahelski – USA, 2023) 7/10
The Witch: The Other One (Regie: Park Hoon-jung – Südkorea, 2022) 6,5/10
Matrix Resurrections (Regie: Lana Wachowski – USA, 2021) 4,5/10
Vampyros Lesbos (Regie: Jess Franco – Spanien/BRD, 1971) 7,5/10
Upstairs (Regie: Robert-Adrian Pejo – USA/Deutschland, 2009) 2/10
Giulietta degli spiriti (Regie: Federico Fellini – Italien/Frankreich, 1965) 8/10
Titanium: Strafplanet XT-59 (Regie: Dmitriy Grachev – Russland, 2014) 4,5/10
Revival69: The Concert That Rocked the World (Regie: Ron Chapman – Kanada/Frankreich, 2021) 7/10
No One Will Save You (Regie: Brian Duffield – USA, 2023) 7/10
Mixtape (Regie: Omar Acosta – USA, 2022) 5/10
The Old Way (Regie: Brett Donowho – USA, 2023) 6/10
Windtalkers (Regie: John Woo – USA, 2002) 6,5/10
Zero Dark Thirty (Regie: Kathryn Bigelow – USA, 2012) 7/10
Boxer a smrť (Regie: Peter Solan – Tschechoslowakei, 1962) 9/10Manfred Krug spielte in meinem Leben nie eine Rolle, für mich war er der unglücksseelige Telekom-Werbeonkel, der meine Eltern mit seinem Krimiquatsch am Sonntag in der ARD erfreute, bis ich seine frühen Alben, die er für Amiga aufnahm, entdeckte und ihm so gewillt war meine Aufmerksamkeit zu schenken.
Nach Boxer a smrť erkenne ich nun ebenfalls seine schauspielerischen Fähigkeiten an, denn in Peter Solans Hybrid aus KZ-Drama und Sportfilm, legt er eine astreine Performance aufs Parkett, sowohl als SS-KZ-Lagerkommandant wie auch als Boxer.
Mir fehlen ein bisschen die Vergleichsmöglichkeiten zu anderen Boxfilmen, weil mich Sport auf Leinwand und Fernsehschirm normalerweise tödlich langweilt, mir bleiben also nur Rocky und Scorseses Raging Bull. Mit beiden hat Solans Film wenig gemeinsam, wenn man mal davon absieht, dass sein Werk über eine kraftvolle Schwarzweißfotografie verfügt, die Raging Bull noch in den Schatten stellen kann.
Vielmehr weiß der Regisseur genau, dass er das KZ nicht zur bloßen Staffage, zum Weltkriegskolorit verkommen lassen darf, in dem dann die übliche Story des Aufstiegs eines Underdogs verhandelt wird. Über die gesamte gut 100-minütige Laufzeit erinnert Solan die Zuschauer mit kleinen, präzise gesetzten Nadelstichen immer wieder daran, in welchem unmenschlichen System sich seine Figuren bewegen. Und er versteht es auch, das Herrenmenschentum der Nazis vorzuführen, ohne sie als Monster zu karikieren, wie dies so oft geschieht. Selbst der errungene Sieg hinterlässt letztlich einen bitteren Beigeschmack, Solan sträubt sich gegen die Minimierung seiner Geschichte auf den üblichen Heldenkitsch, den Filme mit Kriegsbezug so gerne auftischen. Und: Wo kann man schon einen SS-Lagerkommandanten in glänzenden Shorts Seilhüpfen sehen?
Gibt es in einer hervorragenden Veröffentlichung des Kölner Labels Bildstörung auf Blu-ray und DVD.--
Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.Danke für die Rezi. Ewig nicht mehr gesehen, macht wieder neugierig.
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...but everybody wants you to be just like them Contre la guerreWinnetou II (1964, Harald Reinl)
Noch mal in voller Länge, ehe mir hier noch irgendjemand aus irgendwelchen wie auch immer gearteten idiologischen Gründen einen Teil wegzensiert.
Der ganz junge Terence Hill am Marterpfahl … köstlich. Und die auch sehr junge Karin Dor als Indianerin mit Lippenstift … herrlich.
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Das Leben als Pensionär ist einfach nur geil!Außerdem gesehen:
Tetsuo (Regie: Shin’ya Tsukamoto – Japan, 1989) 10/10Mit den Filmen Tsukamotos verhält es sich ein wenig wie mit dem Werk von David Lynch: Der erste Feature-Film war gleich der intensivste und bildgewaltigste, alles danach muss, wenn auch auf hohem Niveau, zwangsläufig ein wenig enttäuschen. Weitere Gemeinsamkeiten wären die eigenen Bildwelten in schwarz-weißem Grobkorn und ein Industrial-Setting, das sich auch auf die Tonspur ausweitet.
Im Vergleich zu späteren Filmen wie etwa den beiden Teilen von Nightmare Detective, wirkt Tetsuo wie das Produkt einer Manie, während die zuvor genannten eher die Züge einer Depression erkennen lassen. Kino nach meinem Geschmack: Dialogarm, bildzentriert, eigen und in direkter Nähe zu Horror und Surrealismus. Vom perfekten Industrial-Soundtrack gar nicht erst zu sprechen. Our love can destroy this whole fuckin‘ world!--
Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.Die drei letzten Filme von Satyajit Ray, die ich noch gesehen habe, hatte ich gar nicht mehr erwähnt:
The Coward (Kapurush) (1965)
The Home and the World (Ghare-Baire) (1984)
An Enemy of the People (Ganashatru) (1990)Der älteste der drei handelt von einem Drehbuchautoren, der aus Kalkutta aufs Land fährt, um zu recherchieren. Er bleibt mit Autopanne stecken und wird an der Tankstelle von einem jovialen Mann mitgenommen, der zusammenfasst: „You want the shelter, I want the company“. Was der Gast nicht ahnt ist, dass der Gastgeber mit seiner einstigen grossen Liebe, die er einst – weil er ein Feigling war, wie der Filmtitel uns ja verrät – nicht zu heiraten gewagt hatte. Aus der Geschichte, die von der Tankstelle zur abgelegenen Tee-Plantage führt, in der getrunken, zum Pick-Nick gefahren, nach dem ehelichen Glück und nach Schlaftabletten gefragt wird, wird mehr und mehr eine Art Spät-Noir, der in eine grossartige Schlussszene mündet. (Der Film erschien als double feature mit „Mahaparush“, siehe letzte Seite hier.)
Der Film von 1984 verhandelt im Gewand einer Dreiecksgeschichte die Zeit um 1907, also nach der „partition“ von Bengalen in einen mehrheitlich hinduistischen westlichen und einen mehrheitlich muslimischen östlichen Teil (1911 wieder rückgängig gemacht). Ein Hauptvertreter der Bewegung gegen die Teilung („Swadeshi“) kommt bei einem alten Freund unter, einem bedeutenden bengalischen Adligen, und in der Folge beginnt eine Art politische Erweckung von dessen Frau, die von ihrem Mann westlich gebildet wird (sie lernt von einer alten Engländerin Klavierspielen, Konversation etc.). Ein grossartiger Film, in dem neben der oberflächlichen Handlungsebene noch viel mehr mitläuft: auf der politischen Ebene werden Antagonismen von Tradition und sozialem Wandel verhandelt, wird aufgezeigt, wie schnell aus Patriotismus ein wütender Nationalismus wird, wie verlockend Ideologie doch sein kann, wie tödlich auch, wenn die Haltungen doktrinär werden. Auf der filmischen Ebene schlängelt sich unter anderem das Thema Feuer vom Vorspann bis zum Schluss in unterschiedlichen Formen durch den fast zweieinhalbstündigen Film. Mehr zum Film z.B. hier.
Vielleicht am verblüffendsten dann der späteste der Filme, Rays Adaption von Ibsens „Ein Volskfeind“. Ein geradezu hellsichtiger Film, muss man mit Blick auf die Corona-Pandemie sagen. Dr. Gupta – wie in den beiden Filmen davor Soumitra Chatterjee (er spielte den „Coward“ und den Ehemann in „Ghare-Baire“) – entdeckt, dass das heilige Wasser des neuen Tempels, der seiner Stadt Bekanntheit und viel Zulauf durch Pilgernde verschafft, verseucht und der Grund für zahlreiche neue Fälle von Gelbsucht ist. Wenn ich den Wiki-Eintrag zum Ibsen-Stück überfliege, scheint Rays Film in vielem sehr nah dran zu sein – aber aus dem Blick von heute ist es wie gesagt geradezu gespenstisch, wie er die Mechanismen offenbart, die in der Pandemie zum Tragen kamen und eine effektive Reaktion zunichte machten.
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Die letzten acht Tage war ich Lyon, der Geburtsstadt der Brüder Lumière und damit des Kinos. Im Vorfeld hatte ich zwar das Programm des Institut Lumière konsultiert, aber nicht wirklich wahrgenommen, wie sehr Lyon eine Kinostadt ist. Dem Institut irgendwie angeschlossen (nehme ich an, z.B. auch Teil des jährlichen Festivals, das in ein paar Tagen beginnt) sind die drei Cinémas Lumière, jedes mit drei oder vier Sälen, in denen täglich ab 10 oder halb 11 Filme gezeigt werden. Meist Premieren, aber auch vereinzelt ältere französische Filme (angekündigt war z.B. gerade „Belle de jour“). Eigentlich war ich vor allem für drei Konzerte von und mit Eve Risser gekommen, nahm noch einen Abend eines Klassik-Festivals mit, von dem ich erst in Lyon erfuhr, unternahm ausgiebige Spaziergänge und mehrere Museumsbesuche … aber weil ich so lange dort war (sieben ganze Tage sowie Anreisetag mit dem ersten und besten Risser-Konzert und Abreisetag mit einem der besten Filme) konnte ich ohne schlechtes Gewissen so oft ins Kino, wie ich mochte.
Los ging es im Institut Lumière mit Cinq jours en juin (Michel Legrand, FR, 1989), der einzigen Regiearbeit des sowohl als Jazzmusiker wie auch als Filmkomponisten – vor allem der Filme Jacques Demys – bekannten Michel Legrand, die nur ein einziges Mal im Rahmen einer Reihe mit Filmen von Annie Girardot gezeigt wurde. Wie autobiographisch die Handlung ist, habe ich noch nicht herauszukriegen versucht: der fünfzehnjährige Michel Legrand (Matthieu Rozé) ist im Juni 1944 mit seiner Mutter Marcelle (Girardot) in Paris, um an einem Klavierwettbewerb im Konservatorium teilzunehmen, die Landung der Alliierten in der Normandie macht die Heimreise nach Saint-Lô mit dem Zug unmöglich, doch gemeinsam mit einer Zufallsbekanntschaft Yvette (Sabine Azéma, ganz bezaubernd) entwenden sie drei Fahrräder und schlagen sich durch – fünf Tage dauert die Reise, inklusive Kriegshandlungen, Gefangenschaft durch Nazis, Michels erstes Mal mit Yvette, als die beiden Marcelle für tot halten), Michels erste Begegnung mit dem echten Jazz (nicht Ragtime/Dixieland sondern Blues) dank G.I.s … ein schöner, gar nicht so kleiner Film, der mir gut gefallen hat, aber damals durchgefallen ist und Legrands einziger Gehversuch als Regisseur bleiben sollte.
Es folgten die Tage darauf fünf neue Filme, zuerst Club Zero (Jessica Hausner, AT/DE, 2023), ein beklemmender rätselhafter und doch sehr klarer Film, in dem eine neue Lehrerin (eine brillante Mia Wasikowska) an einem Elite-Internat im Rahmen eines „conscious eating“-Kurses fünf Schüler*innen darauf einschwört, mit dem Essen ganz aufzuhören …
Auch L’Été dernier (Catherine Breillat, FR, 2023) lebt nicht zuletzt von der beeindruckenden Performance seiner Hauptdarstellerin, Léa Drucker, die eine Affäre mit dem neu zur Familie stossenden siebzehnjährigen Sohn aus erster Ehe ihres Mannes anfängt, dann alles abstreitet und wie eine Löwin für ihre Familie kämpft. Das Original („Dronningen“ von May el-Toukhy aus dem Jahr 2019) scheint noch besser zu sein, aber wenn Breillat irgendwo zitiert wurde, dass sie beim Dreh an diesem Film nach zehn Jahren Pause wieder Freude am Filmemachen gekriegt hat, leuchtet mir das angesichts des schönen Ergebnisses vollkommen ein. Nicht nur die Bilder (Kamera: Jeanne Lapoirie), das feine Ensemble – auch die Musik (Kim Gordon und Body/Head) trägt sehr viel bei. Samuel Kircher spielt den jungen Théo sehr überzeugend – er ist der Sohn von Jérôme Kircher, der im Film auch einen Auftritt hat, und von Irène Jacob, die nach dem Tod von Bertrand Tavernier seit 2021 Präsidentin des Institut Lumière ist. Und er ist der kleine Bruder von Paul Kircher, siehe unten, der für die Rolle zunächst vorgesehen war, wie ich irgendwo las, und dann seinen Bruder empfohlen habe? Ich finde das leider nicht mehr, vielleicht war’s auch in einer im Kino ausgedruckten Rezension.
Dann ging es mit Les Feuilles mortes (Kuolleet lehdet) (Aki Kaurismäki, FI/DE, 2023) in den Norden – wortkarg, bildstark, voller Verweise aufs Kino – eine berührende Liebesgeschichte, wieder mit einer grossen Rolle für den Soundtrack. Maustetytöt haben einen kurzen Live-Auftritt in einer Bar, der Sidekick des Hauptdarstellers einen berührenden Karaoke-Auftritt etc. Berührend, wahnsinnig schön anzuschauen, sentimental und doch auch wieder völlig unsentimental.
Dann sollte es an einem Tag auch mal regnen – das tat es zwar nicht, aber die fast drei Stunden für Cerrar los ojos (Victor Erice, ES/AR, 2023), den neuen des filmkargen Meisters aus Spanien, waren auch bei schönem Wetter bestens investiert. Auch das ein einigermassen rätselhafter Film, ein Film über das Vergessen, die Freundschaft, über Traumata, über – denkt man bzw. denken die Akteur*innen zumindest längere Zeit – Eitelkeiten rund um das Älterwerden … und auch wieder ein Film über das Kino und seine Urkraft, damit einen Faden vom ersten der bloss drei langen Spielfilme, „El espíritu de la colmena“, aufgreifend. Sehr beeindruckend.
Das nächste Highlight folgte dann gestern als Teil eins eines Doppelprogramms unter der Überschrift „écrire l’amour“, Teil einer monatlichen Reihe in Zusammenarbeit mit einer Buchhandlung, wie ich bei den Einführungen zu den Filmen erfuhr. Bright Star (Jane Campion, UK/AU, 2009) ist eine Verfilmung der Biographie von John Keats („Kitts“, wie das in charmantem Französisch heisst) wie auch seines Briefwechsels mit Fanny Brawn. Ein wahnsinnig schöner, poetischer, ja wirklich in fast jeder Hinsicht perfekter Film. Das wurde umso klarer im Kontrast mit dem zweiten Film des Abends, fand nicht nur ich – wie beim anschliessenden kurzen Publikumsgespräch klar wurde (ich hab nur zugehört, mein Französisch reicht leider mangels Übung passtiv sehr viel weiter als wenn ich selbst reden muss).
Dieser zweite Film war Entre les lignes (Mothering Sunday (Eva Husson, UK, 2019) – er lief natürlich in Originalversion wie all die Filme (mit frz. Untertiteln), aber seltsamerweise unter dem französischen Titel, über den die charmante und kluge junge Frau vom Kino (die mit dem „Kitts“) meinte, dass Husson und ihre Drehbuchautorin Alice Birch ihn wohl selbst gewählt hätten. Beim Film handelt es sich um die Adaption der Novelle von Graham Swift über eine junge Bedienstete, die zur erfolgreichen Schriftstellerin wird. Der Film scheint sich im Vergleich zur an einem Tag – dem, an dem die Protagonistin zur Schriftstellerin wird, nachdem sie ihren Liebhaber trifft und dieser direkt im Anschluss ums Leben kommt – spielenden Erzählung viele Freiheiten zu nehmen, arbeitet mit ergänzenden Zeitsprüngen, in denen die Hauptfigur an verschiedenen Stellen ihres späteren Lebens zu sehen ist. Trotz eines guten Drehbuchs und einer sehr schönen Umsetzung hat der Film am Ende ordentliche Schwächen, nicht zuletzt seine Schwatzhaftigkeit und sein übermässiger Einsatz von (banaler) Musik, die ständig alles zukleistert und der Tonspur jeden Atem nimmt (Originalmusik von Morgan Kibby, dazu kommt u.a. Richters Vivaldi-Bearbeitung und Musik von Nils Frahm). Vor der Kritik fragt sich auch, was „Entre les lignes“ als neuer Titel soll: noch ein Zeigefinger? Die Frage, ober der Dienstherr der Hauptfigur Bescheid wusste über ihre Affäre (mit dem einzigen Sohn eines Kreises von Freunden, der zu jung war, um im ersten Weltkrieg zu fallen, und der nun die einzige Tochter dieser befreundeten drei Ehepaare heiraten soll, die einem der verstorbenen Söhne versprochen war), die Frage stellt man sich sowieso (und Colin Firth ist in der Rolle ebenso hervorragend wie Olivia Coleman als seine im Schmerz um die verstorbenen Söhne fast völlig verstummte Ehefrau – auch das wird lange nur „zwischen den Zeilen“ deutlich, aber irgendwann doch noch platt ausgerollt). Schade eigentlich, weil auch Odessa Young in der Hauptrolle umwerfend ist.
Heute Morgen dann noch ein verstörender, grandioser, wieder ganz neuer Film, Kinostart in Frankreich gestern: Le Règne animal (Thomas Cailley, FR/BE, 2023). Cailley Film verhandelt beiläufig so viele Themen, dass einem schwindlig wird: Tierrechte, die Ausbeutung der Natur durch den Menschen, er ist ein berührender Coming-of-Age-Film, ein Vater-und-Sohn-(und-Hund)-Roadmovie … eine Dystopie und eine Utopie in einem – völlig unglaubwürdig in letzterem, und doch nimmt man, nehme ich, dieses Angebot noch so gerne an. Auch hier könnte Hellsichtigkeit in die Runde geworden werden, denn die Mutationen, die aus Menschen fortschreitend Mischwesen aus Mensch und Tier machen, greifen epidemisch um sich und auch der Emile (Paul Kircher, wahnsinnig gut!) mutiert allmählich. Dabei nimmt sein Vater ihn mit in den Süden Frankreichs, wo die längst in einer entsprechenden Anstalt eingesperrte Mutter untergebracht werden soll. Doch beim Transport verunglückt der Lastwagen, einige der Mutantenwesen entkommen, darunter auch die Mutter. Eine lokale Polizistin (Adèle Exarchopoulos, die dritte Hauptdarstellerin) hilft dem Vater (Romain Duris) bei der Suche nach der Mutter, ohne zu wissen, dass der Sohn auch bereits zu mutieren beginnt. Das ahnt dessen Schulfreundin (Billie Blain) allerdings schon und ist nicht überrascht, als der Vater es ihr mitteilt. Das Drehbuch (Pauline Munier) war schon vor der Covid-19-Pandemie fertig, gedreht wurde ab Mai 2022 im Südwesten Frankreichs – und die Dreharbeiten mussten verlängert werden, weil Teile des Sets durch die Waldbrände in der Gegend im Sommer 2022 zerstört wurden. Die Post-Produktion wurde im Eiltempo abgeschlossen, der Film gerade mal drei Tage vor seiner Uraufführung in Cannes (in der Reine „Un certain regard“) fertig. (Es gibt im Film ein paar Fotos der Familie von vor die Mutter mutierte – ich glaube, das waren tatsächlich Fotos von Kircher mit Irène Jacob?)
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
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