Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

#12032129  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,160

Basel, Stadtcasino – 29.03.2023 – Und immer siegt die Liebe

WOLFGANG AMADEUS MOZART: Così fan tutte KV 588 (halbszenisch)

Kammerorchester Basel
Giovanni Antonini
Leitung
Salomé Im Hof Regie

Julia Lezhneva Fiordiligi
Emőke Baráth Dorabella
Alasdair Kent Ferrando
Tommaso Barea Guglielmo
Konstantin Wolff Don Alfonso
Sandrine Piau Despina
Basler Madrigalisten

Wie offenbar generell in Basel diese Saison war auch „Così fan tutte“ schon Wochen im Voraus ausverkauft (es blieben allerdings ein paar Dutzend Plätze leer – die Covid-Geisterplätze nenne ich sie im Stillen und hoffe, die Betroffenen sind nicht alle gestorben, denn Aboplätze können weitergereicht bzw. gegen einen Platz in einem anderen Konzert getauscht werden – was mir auch noch nicht bekannt war, als ich im Herbst selbst krank war und Igor Levit verpasst habe). Ich war wahnsinnig müde und hatte bis 15 Uhr gearbeitet, danach offizieller Urlaubsbeginn, eine halbe Stunde hinlegen und dann schon bald los auf den Zug.

Was es da zu hören gab, war dann aber so wunderbar und so auf den Punkt musiziert und gesungen, dass die Lebensgeister schnell wieder aufgeweckt waren. Die Regie war simpel: es gab hinter der Bühne – wo auch die Madrigalisten für ihre wenigen Auftritte sich aufstellten – ein paar noch stärker erhöhte Podeste, als das für Pauken oder Blech sonst üblich ist. Dort und vor dem Orchester bewegten sich die sechs Solist*innen, nach dem Einstieg mit den drei Herren in der Regel in Paaren, Ferrando und Guglielmo auf der einen Fiordiligi und Dorabella auf der anderen Seite und das gleiche dann in allen Konstellationen. Bewegung brachten vor allem die Auf- und Abgänge von Don Alfonso und besonders von Despina. Sandrine Piau sang letztere so schön, wie ich das noch nie erlebt habe: Sie verzichtete auf all die masslosen Übertreibungen, das buchstäblich hässliche Singen, das auf allen mir bekannten klassischen Aufnahmen so ausgeprägt zu hören ist (Gequäke nenn ich es), liess die Rolle aber durch ihr komödiantisches Talent gerade so komisch wirken, wie es ja durchaus nötig ist. Überragend fand ich Julia Lezhneva als Fiordiligi – fast sechs Jahre sind vergangen, seitdem ich sie im Konzert gehört habe, auch bereits mit dem Kammerorchester Basel. In den wenigen Zeilen zu damals steht das zwar nicht, aber vermutlich irgendwo im Hörfaden vergraben: Ich hatte früher (am stärksten bei der CD „Alleluja“, die schon 2012 mit Il Giardino Armonico/Antonini aufgenommen wurde) vermehrt den Eindruck, dass sie nur Silben aneinanderreihe, keine Worte singe, dass sie Konsonanten zugunsten des Flusses ihrer wahnsinnig schönen Stimme und ihrer wirklich perfekten Koloraturen fast ganz weglasse. Nichts davon bei Mozart – das war umwerfend gesungen, mit einer enormen Breite an Farben und einem grossen Spektrum an Dynamik. Nicht nur sie, auch Baráth glänzten auch mit beeindruckenden Pianissimo-Passagen, die den Raum dennoch mühelos füllten.

Die mir bisher nicht näher bekannten Männer, Alasdair Kent und Tommaso Barea sowie Konstantin Wolff, den ich schon da und dort gehört habe (z.B. als Bass-Solist in der Reuss-Einspielung von Martins „Golgotha“ auf Harmonia Mundi), waren den drei Sängerinnen ebenbürtig. Drei Wochen Proben gingen den Auftritten voran (es folgten Auftritte in der Luxemburger Philharmonie, im Pariser Théâtre de Champs-Élysées und der Elbphilharmonie), Antonini und das KOB sind ein inzwischen wirklich bestens eingespieltes Team – und das war alles wunderbar musiziert, kam für meine Ohren ohne die extremen Zuspitzungen aus, mit denen Antonini sonst gerne mal operiert (aber nicht bei Mozart, soweit ich das bisher kenne – z.B. 2018 „Idomeneo“ am Opernhaus Zürich). Im Gegenteil: da wurde wirklich für die Kammer – eine grosse halt, aber das Stadtcasino Basel ist wirklich recht intim – gespielt und das war die grosse Stärke dieser wunderbaren Aufführung: die enge Verzahntheit nicht nur der Stimmen in den zahlreichen Duetten, Terzetten usw. sonder eben auch die Verzahntheit mit der Musik kam aufs Schönste zum Tragen – viel besser, als das bei einer klassischen Aufführung mit Graben und Bühnenbild möglich gewesen wäre, dünkt mich (ganz wie der „Tito“ neulich in der Tonhalle). Wahnsinnig schön und ein grandioser Auftakt in die Ferien. Dass es nach Mitternacht wurde, bis ich zuhause war, spielte da auch keine Rolle mehr.

Zürich, Tonhalle – 30.03.2023 – Lunchkonzert

Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi
Leitung

SERGEJ RACHMANINOW: Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 44

Am nächsten Tag bin ich recht kurzentschlossen um 12:15 ins Lunchkonzert in die Tonhalle – die Kurzfassung des zweiten von vier Konzertes des Rachmaninov-Zyklus, den Tonhalle und Opernhaus gemeinsam durchführen (Teil 1 fand in der Oper statt). Zum Abendkonzert konnte ich wegen der anderen Veranstaltungen, für die ich Karten hatte (siehe oben und unten) – es gab auch nur zwei, nicht wie meist bei den Orchesterkonzerten des Tonhalle-Orchesters drei Aufführungen (Mi/Do statt Mi-Fr oder Do-Sa) und auch die Konzerte waren schon über Wochen ausverkauft. Am Abend erklang in der ersten Konzerthälfte Hosokawas „Meditation to the victims of Tsunami (3.11.)“ gefolgt von Yuja Wang mit dem Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18. Im Lunchkonzert (das Orchester für einmal nicht in Schwarz bzw. im Frack) gab es die dritte Symphonie, die am Abend nach der Pause auf dem Programm stand.

Das ist nun kein Werk, zu dem ich bisher überhaupt einen Zugang hätte – ich weiss nicht einmal, ob ich es davor schon einmal gehört habe (vermutlich schon, Concertgebouw/Ashkenazy hatte ich früh in meinen Klassikerkundungen gekauft, aber d.h. dann wohl auch seit 2011 oder so nicht mehr angehört). Jedenfalls fand ich das eine feine Aufführung, eine überzeugende Aufführung des Orchesters unter seinem Chefdirigenten, den ich nach wie vor sehr schätze am Pult des Tonhalle-Orchesters. Ein massiges Werk, das lautstärkemässig manchmal hart an die Schmerzgrenze ging (nach ein paar Sekunden, als es erstmals richtig laut wurde, kreischte ein überraschtes Kind im Publikum laut auf). Sicher keine Musik, die ich allzu oft hören muss (Aufnahmen wird es vermutlich wegen der Anlage der vier Konzertprogramme – Teile 3 und 4 folgen nach der Sommerpause – auch keine geben, denn für die kommenden Konzerte werden ja noch die Orchester getauscht: Järvi leitet die Philharmonia im Opernhaus, Noseda das Tonhalle-Orchester). Aber im Konzert fand ich das schon ziemlich gut. (Ich höre beim Tippen aus der Tube die 1967er-Einspielung aus Philadelphia mit Ormandy.)

Winterthur, Stadthaus – 30.03.2023

Musikkollegium Winterthur
Roberto González-Monjas
Leitung
Joyce DiDonato Mezzosopran

RICHARD STRAUSS: Ouvertüre und Tanzszene aus der Oper „Ariadne auf Naxos“, op. 60
HECTOR BERLIOZ: „Les nuits d’été“ op. 7

JEAN SIBELIUS: Valse triste, op. 44/1
FRANCIS POULENC: Sinfonietta

Lange geplant war für Donnerstagabend dann der zweite und letzte Besuch diese Saison in Winterthur beim Musikkollegium Winterthur: da trat Joyce DiDonato auf, mit Berlioz‘ „Les Nuits d’été“, zu denen es nach Winterthur auch eine Verbindung gibt: „ein wackerer Mann, Herr Rieter-Biedermann in Winterthur“ hat nämlich, so berichtete im Mai 1856 die Niederrheinischen Musik-Zeitung, dort einen Verlag gegründet und als erste Veröffentlichung eine deutschsprachige Version der „Nuits d’été“ herausgebracht.

DiDonato hatte ich im Konzert bisher verpasst – sie ist aber auch ein sehr seltener Gast hier, soweit ich weiss. In Winterthur war sie zum ersten Mal, gab eine Masterclass, führte Mi/Do das obige Programm auf und sang – kurzfristig eingeschoben und für mich leider nicht drin am Sonntag davor noch die „Winterreise“ (da war ich ja schon in der Hosokawa/Bouvier-Matinée und mochte angesichts der um sich greifenden Erschöpfung nicht noch eine Doppelbuchung wagen.

Das Konzert ging beschwingt los mit einer Folge von Melodien aus Strauss‘ „Ariadne auf Naxos“, die 1912 in der ersten Fassung gefloppt war, worauf er eine kleine Konzertsuite zusammenstellte, um wenigstens ein paar seiner Tanzmelodien zu retten. Dann Auftritt DiDonato, stimmgewaltig, den Raum sofort füllend mit ihrem warmen, grossen Stimme aber auch mit ihrer schieren Präsenz. DiDonato wirkte dabei völlig geerdet, als tue sie bloss, was ihr am allerleichtesten falle. Die perfekte Illusion also und eine durch und durch umwerfende Aufführung der mir noch nicht allzu vertrauten Orchesterlieder.

Das war auch auch das Highlight des Abends, fand ich. Nicht dass mit dem Rest des Programmes, dem Orchester oder dem Dirigenten etwas falsch gewesen wäre. Da sprang auf mich einfach kein Funke über, selbst wenn es ein Hochgenuss war, die „Sinfonietta“ von Poulenc mal live hören zu können. Roberto González-Monjas, der aktuelle Chefdirigent des Musikkollegiums ist sehr grosser Geste unterwegs – und wohl wirklich sehr viel unterwegs, denn er ist auch Principal Guest Conductor des Belgian National Orchestra sowie Chefdirigent und künstlerischer Berater der Dalasinfoniettan und wie seit Ende März bekannt ab 2024/25 auch Chefdirigent des Mozarteums Salzburg. Dem Musikkollegium wie auch dem Orquesta Sinfónica de Galicia bleibe er treu … im Musikkollegium war er bis zur Übernahme des Chefdirigentenpostens (2021/22) acht Saisons lang Konzertmeister (zu 50%) und als solchen habe ich ihn auch schon erlebt (auch unter seinem Vorgänger Thomas Zehetmair, glaube ich – ans Pult wechselnde Geiger haben in Winterthur damit schon fast Tradition). Konzertmeister war er auch u.a. bei der Academia di Santa Cecilia, dem Philharmonie Orchestra (das ich ja vorgestern hörte, mehr dazu dann im nächsten Post), dem RSO Berlin, der Camerata Salzburg usw. – Jahrgang 1988 und schon wahnsinnig viel gemacht. Jedenfalls war das ein lohnender Konzertbesuch – wegen Poulenc und vor allem wegen DiDonato. Hier gibt es momentan (vermutlich nicht lange) ein paar Impressionen von den Proben.

In zwei Wochen höre ich das Musikkollegium wieder, bei seinem jährlichen Gastspiel im Opernhaus Zürich, dieses Mal mit Donizettis Komödie „Viva la mamma“, geleitet von Adrian Kelly.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba