Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

#10737599  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,000

Eine musikalisch sehr ergiebige Woche neigt sich dem Ende zu – mehr als ein paar Zeilen fürs Tagebuch sind nicht drin, aber die sollen sein …

Heinz Holliger, Oliver Schnyder & Friends – Zürich, Tonhalle-Maag – 05.03.2019

Heinz Holliger Oboe, Klavier
Oliver Schnyder Klavier
Sérgio Fernandes Pires Klarinette
Andrea Cellacchi Fagott
Pascal Deuber Horn

Ludwig van Beethoven Klavierquintett Es-Dur Op. 16
György Kurtág aus „Játékok“ (Spiele) für Klavier zu vier Händen

Heinz Holliger BMC, für Marta & György, für Klavier solo (Uraufführung)
Heinz Holliger Der zwanzigfingerige ChineSenn, aus „Chinderliecht“, für Klavier zu vier Händen
Wolfgang Amadeus Mozart Klavierquintett Es-Dur KV 452

Am Montagabend traten Heinz Holliger (im Mai wird er 80) und Oliver Schnyder im Rahmen der Reihe Meisterinterpreten zusammen mit drei weiteren Musikern in der Tonhalle-Maag auf. Das Programm bot die zwei Quintette für Klavier und Bläser von Mozart und Beethoven sowie Kleinigkeiten von Holliger selbst und von seinem György Kurtág, mit dessen Musik Holliger sich schon lange immer wieder befasst. Das Klangbild – vier Bläser und Klavier – ist keines, das mich bisher sehr anspricht, aber ich wollte mir die Chance nicht entgehen lassen, Holliger auch mal an der Oboe und nicht bloss am Dirigentenpult zu erleben (das konnte ich schon ein, zwei, drei, vier Male). Mit dem Quintett von Beethoven (er hat sich die Besetzung und die Tonart bei Mozart abgeschaut) konnte ich relativ wenig anfangen bzw. war wohl noch daran, am Übergang vom Büro zum Konzert zu „arbeiten“ – leider.

Sehr schön waren dann aber die Klavierstücke, vor der Pause gab es drei aus Kurtágs „Játékok“ (Holliger sass links), nach der Pause die erst bei Konzertbeginn angekündigte Uraufführung von Holligers Widmung an die Kurtágs (benannt nach dem Budapest Music Center, in dem sie auch leben) für Klavier solo und dann noch ein Duett, das auf einem Text von Mileva Demenga (*1984 – ich vermute die Tochter von Thomas D.?) beruht – der Untertitel der des Zyklus „Chinderliecht“ („leicht“, nicht „Licht“, für diejenigen, die des Dialekts nicht mächtig) lautet „Schtückli für chliini u grossi Ching ou zum Erzeue und zum Mitsinge“ (Stücke für kleine und grosse Kinder auch zum Erzählen und Mitsingen). Beim ChineSenn spielt der eine Spieler nur die weissen, der andere nur die schwarzen Tasten – das Gegenüber von Pentatonik und C-Dur führt natürlich zu ordentlich Reibungen und Irritationen … und die Spielanlage lässt mich an Oulipo denken (die neue Reihe bei Diaphanes sei wärmstens empfohlen).

Der Ausklang war dann für mich das grosse Highlight (von der Klaviermusik hätte ich gerne mehr gehört als die paar Minuten!) – dieselbe Besetzung wie zum Auftakt bei Beethoven, aber wie Mozart eine Balance herstellt zwischen den Bläsern und dem Klavier, wie er immer wieder zu neuen Kombinationen, neuen Klangfarben findet, hat mich sehr beeindruckt. Dazu dann der Reichtum an Melodien … Mozart halt. Statt einer Zugabe (das Repertoire für diese Besetzung ist ja mager) gab es dann den letzten Satz einfach nochmal – und wie mir schien noch etwas schöner gespielt.

Konkrete Erwartungen hatte ich keine (dass Kurtág- und Holliger-Stücke mit auf dem Programm standen hatte ich auch erst ein paar Tage vorher gesehen), so gesehen eine sehr schöne Überraschung. Und hinter die Aufnahmen der beiden Quintette, die hier längst liegen, will ich mich bald mal wieder machen, jene des Wiener Oktetts (Decca, Reissue auf Australian Eloquence) liegt bereit.

1. La Scintilla-Konzert – Zürich, Opernhaus – 07.03.2019

Orchestra La Scintilla
Riccardo Minasi
Violine, Viola & Leitung

Johann Sebastian Bach: Brandenburgische Konzerte 1-6 (BWV 1046-1051)

Die Scintilla (der Funke) wurde vor 20 Jahren formell gegründet, doch die Geschichte reicht weiter zurück, zu den legendären Monteverdi- und Mozart-Aufführungen mit Harnoncourt/Ponnelle. Im Orchester der Zürcher Oper sammelte sich ein so grosses Wissen um die historische Aufführungspraxis an, dass 1998 ein eigenständige Ensemble formiert wurde. Dieses wird seit Jahren in der Regel eingesetzt, wenn Opern aus dem Barock oder der Klassik gespielt werden. Ich hörte es (keine Garantie auf Vollständigkeit) mit Händel, Charpentier, Vivaldi, Rossini und Mozart, unter der Leitung von William Christie, Giovanni Antonini, Maxim Emelyanychev, Diego Fasolis oder Ottavio Dantone. Zur Jubiläumssaison lud man den Geiger Riccardo Minasi ein, gleich die ganze Konzertreihe zu leiten – eine Folge davon war auch, dass die Saiteninstrumente einer Revision unterzogen wurden, um das Klangbild ein wenig zu vereinheitlichen, wie Minasi im Interview berichtet, das in einer Beilage zum Programmheft zu finden ist.

Den Auftakt der vier Konzerte (Nr. 2 mit Vivaldis Jahreszeiten lasse ich aus, für Nr. 3 mit Julie Fuchs und Romina basso und Musik von Händel habe ich bereits eine Karte, Nr. 4 mit Musik von Corelli, Pergolesi und Vivaldi höre ich wohl auch an) machten, festlich, die sechs Concerts pour plusieurs instruments von Johann Sebastian Bach, die später als „Brandenburgische Konzerte“ berühmt wurden. Ich habe diese Musik noch nie im Konzert gehört, und überhaupt bisher nur so halbwegs Zugang gefunden. Doch so, wie das an dem Abend in der Oper klang, war das ein gigantisches Vergnügen. Im ersten haben die zwei Naturhörner (Thomas Gallart, Andrea Siri) und die mit drei Oboen und Fagott grosse Bläserbesetzung ordentlich zu tun. Minasi spielte die Violino piccolo und die normale Geige und leitete den wilden Ritt. Im zweiten Konzert glänzte Thibaud Robinne an der Trompete – diese klang fast so flüssig wie ein Holzblasinstrument, und im Gegensatz zu den ruppigen und doch tollen Hörnern auch klangschön. Das erste ganz grosse Highlight fand ich dann in Nr. 3, dem Konzert für drei Violinen, drei Bratschen, drei Celli und Continuo (Cembalo und Bass, Fagott ist nur beim ersten Konzert dabei, bei anderen übernimmt wohl auch ein Cello mal noch Continuo-Funktion?). Wie hier die Bällen zwischen den drei Solisten-Trios hin und her gereicht wurden, war wirklich toll zu hören (und zu sehen).

Nach der Pause folgte mit Nr. 4 dasjenige, bei dem es im grossen Raum der Oper leider trotz kleiner Streicherbesetzung ein wenig akustische Probleme gab: die Soli stammen hier von zwei Blockflöten (Martina Joos, Sybille Kunz) und einer Geige, und die Blockflöten vermögen einen so hohen Raum einfach nicht zu füllen (im modernen Saal des KKL in Luzern erlebte ich das schon anders, aber dort ist weder keine Plüsch-Akustik noch ein Raum, bei dem die Verdi-Bläser schallen sollen). Da mochten Minasi und die anderen Streicher sich noch so zurückhalten, die Balance gelang nie ganz. Im fünften Konzert war das ansatzweise ähnlich. Zu hören ist dort die damals topmoderne Solistenkombination aus Traversflöte (Maria Goldschmidt), Violine (Minasi) und Cembalo (Mahan Esfahani) – und es handelt sich ja in gewisser Hinsicht um das erste Clavierkonzert überhaupt, zumal das Cembalo im zweiten Satz eine lange Solo-Kadenz spielt. Esfahani (der ja längst als Solist unterwegs ist und CDs u.a. bei der Deutschen Grammophon und deren Archiv Produktion sowie bei Hyperion herausgebracht hat) glänzte auf dem zweimanualigen Cembalo (bei ein paar der Konzerte spielte er dieses, bei anderen ein etwas kleineres einmanualiges) und kriegte zuerst mitten ins fortlaufende Stück hinein Applaus und dann nach dem Abschluss des Satzes gleich nochmal – er riss das Publikum (aus dem es nachher irritierte Stimmen über die Bläser zu hören gab, ist halt auch nach einem halben Jahrhundert noch schockierend für Schildbürgerohren, dieses Klangbild) – buchstäblich vom Hocker. Das letzte Konzert, offiziell für zwei Violen (Minasi und vermutlich Karen Forster) und zwei Gamben (Martin Zeller, Alex Jellici), eigentlich aber für zwei Bratschen mit Beigemüse (zu dem auch Claudius Hermann zählte, der hervorragende Stimmführer der Celli in der Scintilla), sorgte für einen tollen Abschluss.

Eine äusserst lebendige Sache und ein Ensemble, das sich nicht hinter den bekannteren Exponenten der historischen Aufführungspraxis zu verstecken braucht. Ich freue mich auf die Fortsetzung mit Händel im Frühling!

Janine Jansen/Alexander Gavrylyuk – Kammermusiksoirée – Zürich, Tonhalle-Maag – 10.03.2019

Janine Jansen Violine
Alexander Gavrylyuk Klavier

Robert Schumann Sonate Nr. 1 a-Moll op. 105
Clara Schumann Drei Romanzen op. 22
Johannes Brahms Sonate Nr. 2 A-Dur op. 100 „Thuner Sonate“

César Franck Sonate A-Dur
Zugabe: Lili Boulanger Nocturne

Am späten Nachmittag trotzte ich Wind und Wetter und wagte mich aus dem Haus – zum guten Glück! Zum zweitletzten Mal war die Arist in Residence der Saison 2018/19, Janine Jansen, in der Tonhalle zu hören (den Abschluss macht ein Auftritt mit Blomstedt im Sommer, dafür habe ich natürlich längst eine Karte!) – und zu hören war sie wirklich, denn sie spielte nicht wie zuvor im Rahmen von Orchesterkonzerten ein Werk von Mozart oder Eliasson) sondern ein ganzes Programm mit dem ukrainischen Pianisten Alexander Gavrylyuk, der sich als feinfühliger und zugleich zupackender Partner auf Augenhöhe entpuppte. Nach der Qualität der drei Konzerte zu schliessen, bedaure ich sehr, dass ich die Saisoneröffnung nicht anhören ging: da spielte Jansen das Violinkonzert von Alban Berg, das ich relativ kurz davor mit Patricia Kopatchinskaja in einer grossartigen Aufführung hörte … und ich ging davon aus, dass Jansen da eh nicht herankommen würde. Heute kann ich mir das jedoch durchaus vorstellen. Nunja, man lernt halt nie aus.

Los ging es mit den Schumanns – die in der ganzen ersten Konzerthälfte als verbindende Klammer dienten. Roberts erste Sonate und Claras Drei Romanzen fand ich beide supberb gespielt. Die zweite Sonate von Brahms mit ihrem ungewöhnlichen Aufbau überzeugte danach sehr wohl, aber musikalisch fand ich das davor gespielte schon etwas anregender (von Brahms ist mir am liebsten die dritte Violinsonate, vermutlich eine Mehrheitsmeinung, die es zu hinterfragen gilt?). Nach der Pause erklang die phantastische Sonate von César Franck – sie hatte ich, ebensowenig wie die Werke von Schumann, noch nie im Konzert gehört (die zweite Brahms-Sonate spielte vor fast exakt einem Jahr Julia Fischer bei einer tollen Kammermusik-Soirée mit Yulianna Avdeeva). Für eine Standing Ovation reichte es wohl nur wegen Sonntagabendmüdigkeit nicht ganz, der Applaus war riesig, schon der Empfang zu Beginn sehr warm. Als Zugabe spielten die zwei dann die „Nocturne“ von Lili Boulanger (ich sehe, dass Heifetz, Menuhin aber auch Pierre Fournier sie eingespielt haben, im Ohr hatte ich das Stück nicht).

Jansen zeigte sich ja schon beim Mozart-Konzert als Kammermusikerin und heute kam dieses Potential denn auch vollumgfänglich zum Vorschein. Mir kommt es tatsächlich so vor, als sei Jansens Spiel – oder eher ihre Spielhaltung – ein konstantes Angebot an ihre musikalischen Partner. Sie ist präsent und wirkt fast bis zur Selbstvergessenheit konzentriert, wenn sie zu spielen beginnt – aber auch, so erlebt bei den Konzerten mit Orchester, wenn sie in ihren Pausen nur lauscht. Wenn sie Leute an ihrer Seite hat, die damit umzugehen wissen, entsteht tatsächlich gemeinsam im Augenblick geschaffene und geformte Musik, die so frisch klingt, dass man selbst bei Franck fast schon vergass, dass man das Stück ja längst fast Takt für Takt kennt. Jansens Ton ist dabei nicht besonders kraft- oder glanzvoll, es geht ihr offensichtlich nicht ums Auftrumpfen, eher um das Aufspüren, das mal geduldiges Fährtenlesen sein kann, mal Geistesblitz, der sich sofort auf den ganzen Raum zu übertragen scheint. Ein nachdenkliches Publikum sass da heute, gedankenversunken und auch sehr still – diese Art zu musizieren scheint den Neurosehustern jedenfalls fast komplett den Garaus zu machen (sie standen aber alle wieder, nachdem das Konzert fertig war, wenigstens soweit ich sehen konnte …). Ein grosses Glück, so ein Abend … Kammermusik kickt Ärsche – auch wenn das Publikum das leider nicht begreift (der Saal war gut gefüllt, besser als damals bei Fischer, was wohl am „Artist in Residence“-Status lag, man kannte sie halt schon … wobei Fischer ja auch regelmässig in Zürich zu hören ist und in den letzten drei, vier Jahren stets erstklassig geliefert hat).

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba