Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Opernhaus – 28.02.2019

Lucia di Lammermoor
Oper in drei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)

Libretto von Salvatore Cammarano nach «The Bride of Lammermoor» von Sir Walter Scott

Musikalische Leitung Nello Santi
Inszenierung Damiano Michieletto
Bühnenbild Paolo Fantin
Kostüme Carla Teti
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Choreinstudierung Janko Kastelic

Lord Enrico Ashton Roman Burdenko
Lucia Ashton Nina Minasyan
Sir Edgardo di Ravenswood Ismael Jordi
Lord Arturo Buklaw Omer Kobiljak
Raimondo Bidebent Wenwei Zhang
Alisa Gemma Ní Bhriain
Normanno Jamez McCorkle
Die weisse Frau Ginger Nicole Wagner

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

Statistenverein am Opernhaus Zürich

Volles Programm die letzten Tage – los ging es am Donnerstag mit einer Vorstellung aus der Wiederaufnahme von Donizettis Lucia (Premiere in der Saison 2008/09). Wenn Nello Santi in Zürich am Pult steht, zieht es viele Leute hin, die ihn wohl schon lange kennen … ich sah auch in den Neunzigern schon wenigstens eine Aufführung mit ihm, habe aber leider keine Ahnung mehr, was für (eine) Oper(n) das damals wohl war. Vor kurzem ging ich jedoch in eine Vorstellung von L’elisir d’amore unter Santis Leitung, in der übrigens Olga Kulchynska die Adina sang (siehe Kurzbericht zu Bizets „Les Pêcheur des perles“ etwas weiter oben).

Als Stück fand ich nun „Lucia“ auf der Bühne nicht ganz so toll wie „L’Elisir“, dessen unglaublichen musikalischen Reichtum sich mir erst bei dieser Aufführung mit Santi so richtig erschlossen hat. Mag sein, dass die Crew noch nicht ganz abgestimmt war, mag aber auch sein, dass es an mir lag, der nicht sofort gebündelten Aufmerksamkeit: Den Anfang empfand ich jedenfalls als etwas zäh, es dauerte wohl zwanzig Minuten, bis ich in die Oper rein fand. Dann jedoch wuchs die Faszination für die behutsame und doch bestimmte Weise, mit der Santi die Musik formte und die Sängerinnen und Sänger leitete, stetig. Von den letzteren kannte ich zwar die meisten, aber nicht die beiden Hauptdarstellerin und die Lucia. Gerade letztere fand ich allerdings superb. Eine zarte, ja fast schon schmächtige Sängerin mit einer umso beeindruckenderen Stimme, intonationssicher, warm, sehr lyrisch – überhaupt legte sich mit der Zeit ein Zauber über die Aufführung, der mich sehr faszinierte. Jordi blühte in der zweiten Hälfte richtig auf, davor beherrschte Burdenko als ruppiger Platzhirsch das Feld. Wobei ruppig gesungen an dem Abend nun von gar niemandem wurde – nicht die Spur eines Gebrülls, darum war Maestro sicherlich höchstselbst besorgt.

Die Inszenierung fand ich in Ordnung – recht konventionell, aber mit modernem, kargen Bühenbild, effektiven Kostümen und sehr schönem Licht. Das ist dann wohl auch genau die Art Aufführung, die Santi mag, der sich ja gerne dezidiert über Ansätze des Regietheaters (und der HIP-Schule) äussert (alles kompletter Nonsens, meint er).

Zürich, Tonhalle-Maag – 01.03.2019

Claire Huangci Klavier

Domenico ScarlattiKlaviersonate D-Dur K 443 L 418
Klaviersonate A-Dur K 208, L 238
Klaviersonate D-Dur K 29 L 461
Klaviersonate D-Dur K 435 L 361

Frédéric Chopin
Nocturne B-Dur op. 9 Nr. 3
Nocturne c-Moll op. 48 Nr. 1

Sergej Rachmaninow
Aus: „Morceaux de fantasie“ op. 3, Nr. 2 Prélude cis-Moll
Aus: 10 Préludes op. 23 für Klavier, Nr. 1-7

Frédéric Chopin 24 Préludes op. 28

Am Freitag hätte Seong-Chin Cho sein Debut in Zürich geben sollen – leider wurde sein Auftritt wenige Tage davor abgesagt. Und Claire Huangci als Ersatz angekündigt. Cho kenne ich nicht, habe aber inzwischen das eine oder andere Gute über ihn gehört und hatte mich gefreut, ihn entdecken zu können. Das muss jetzt noch etwas warten (oder auf dem Umweg über eine CD-Einspielung geschehen). Huangci spielte ein anderes Programm, eines der grossen Tastenlöwen-Gesten, der effektvollen Romantik. Los ging es jedoch ganz zart, mit vier erstaunlichen Scarlatti-Sonaten, in denen die Pedale zwar zum Einsatz kamen, das Spiel jedoch klar und licht blieb. Ich beschloss nach dem Konzert, ihre Doppel-CD mit Scarlatti-Sonaten zu kaufen. Dort hat sie Stücke zu Suiten gruppiert, und so tat sie es im Konzert auch, wenigstens die ersten drei, die sie spielte, sind auch auf der CD in dieser Abfolge zu finden.

Weiter ging es mit Chopin, wobei die 13. Nocturne einen nächsten Höhepunkt darstellte – unglaublich, welche wuchtigen und doch sehr klar definierten Klänge diese junge, einmal mehr schmächtige Pianistin dem Ungetüm zu entlocken vermochte, an dem sie sass. Der „build up“ im c-Moll-Nocturne ist ja gewaltig und schien bei Huangci kein Ende mehr zu nehmen – beeindruckend. Dann folgten die acht ersten von Rachmaninovs 24 Préludes – und auch hier war es beeindruckend, wie Huangci jedes Stück in seiner Eigenheit charakterisierte und dabei auch den Bogen nicht aus dem Auge verlor, immer wieder attaca fortfuhr. Nach der Pause spielte sie dann den Zyklus von Chopins 24 Préludes. Auch hier war ich beeindruckt, aber inzwischen ob all der glänzenden Pianisterei auch etwas erschöpft. Bei aller Klarheit, bei all dem Talent: mir fehlte manchmal ein wenig die charaktervolle Ausgestaltung dessen, was hier fast perfekt dargeboten wurde. Ein paar Ecken oder Kanten mehr, vielleicht einmal ein Atmen, ein kleiner Schluckauf, der das ganze wieder zurückgebunden hätte? Wobei ich Huangci absolut nicht den Gestaltungswillen absprechen will – sie hat auch diesen, nutzte die ganze Bandbreite der Dynamik sehr gekonnt. Vielleicht war es am Ende einfach nicht ganz die Art und Weise des Gestaltens, die mir am liebsten ist? Nichtsdestotrotz, es war tatsächlich atemberaubend, fast im wörtlichen Sinn. Als Zugabe folgten zwei Stücke von Friedrich Gulda (das erste kündete sie an, eine „Aria“) – auch das wieder sehr raffiniert: statt einer Bach-Bearbeitung von Busoni ein unbekanntes, sehr hübsches Stück zum herunterkommen nach den (ich bin versucht zu sagen: gemeinsam) erklommenen Gipfeln. Und dann als zweite Zugabe noch eine flashy Möchtegernjazznummer von wohl nur zwei Minuten, die das Publikum nochmal vom Hocker riss.

Die NZZ war sehr angetan (mehr als ich es im Fazit war/bin):
https://www.nzz.ch/feuilleton/die-pianistin-claire-huangci-poesie-der-gegensaetze-ld.1464170

Zürich, Opernhaus – 04.03.2019

Anja Harteros Sopran
Wolfram Rieger Klavier

Ludwig van Beethoven
An die Hoffnung Op. 32

Franz Schubert
Rastlose Liebe Op. 5 Nr. 1
Im Frühling (Nachlass) Lfg. 25
Der Jüngling an der Quelle (Nachlass) Lfg. 36
Litanei (Nachlass) Lfg. 10

Robert Schumann
Stille Tränen Op. 35 Nr. 10
Was will die einsame Träne? Op. 25 Nr. 21
Ich wandelte unter den Bäumen Op. 24 Nr. 3
Der Hidalgo Op. 30 Nr. 3

Johannes Brahms
Der Strom, der neben mir verrauschte Op. 32 Nr. 4
Liebestreu Op. 3 Nr. 1
Auf dem Kirchhof Op. 15 Nr. 4
Wie rafft‘ ich mich auf Op. 32 Nr. 1
Am Sonntag Morgen Op. 49 Nr. 1
Der Gang zum Liebchen Op. 48 Nr. 1
Meine Liebe ist grün Op. 63 Nr. 5

Hugo Wolf
Gesang Weylas
Verschwiegene Liebe
Verborgenheit
Storchenbotschaft
Er ist’s

ENCORE: Richard Strauss
Zueignung Op. 10 Nr. 1
Morgen! Op. 27 Nr. 4

Und was soll man hierzu sagen? Stehende Ovationen, zwei Zugaben, die dem ganzen nochmal ein Sahnehäubchen … was für eine jämmerliche Metapher, mit Sahne hat das nichts zu tun, eher mit Leben und Tod – letzteren würde man nach einem solchen Erlebnis jedenfalls bereitwilligst empfangen. Dass Intendant Andreas Homoki gleich selbst aus seiner Loge herabstieg, um die Blumen zu überreichen, war nichts als angemessen.

Ich hörte Harteros ja schon in der Tonhalle mit Orchesterliedern von Strauss und als Elisabetta in Verdis „Don Carlo“ – und jetzt auch noch in einem Liederabend von wohl 100 Minuten Aufführungsdauer (die Pause war dankenswerterweise kurz). Harteros ist für mein Empfinden derzeit eine der klügsten Sängerinnen, und eine der allerbesten, ja vielleicht die beste. Sie so ausführlich hören zu dürfen war ein beeindruckendes und erfüllendes Erlebnis . Der Gang von Beethoven und Schubert über Schumann und Brahms zu Wolf (und dann – zurück? – zu Strauss) war faszinierend: wie aus der perfekt abgestimmten Klavierbegleitung die eher disruptive, viel kreativere von Schumann wird, wie sich bei Brahms manchmal etwas zuviel Pomp einschlich, bei Wolf dann wieder Klarheit – trotz der Dissonanzen, die nun auch auftauchen. Beethoven war ein schöner und starker Einstieg, die Schubert-Lieder empfand ich als Steigerung, die „Litanei“ als den ersten grossen Höhepunkt des Abends – doch es folgten noch viele, Justinus Kerners „Stille Tränen“ und die zwei folgenden Lieder auf Heine-Texte etwa. Dazwischen hörte man den Wind ums offene Dach pfeifen (wenn die Decke zugemacht wird, hängt der grosse Kronleuchter wohl so tief, dass es auch mich im 1. Rang gestört hätte, der 2. Rang bleibt bei Liederabenden zu, und immerhin war das Haus heute im Gegensatz zum ersten Liederabend der Saison mit Anna Stéphany sehr gut gefüllt).

Wolfram Rieger zeigte sich als hellwacher Begleiter, der gerade bei Schumann und Wolf auch einiges zu tun hatte – und die Lieder gemeinsam mit Harteros behutsam gestaltete. Brahms‘ Liederschaffen kenne ich noch kaum, auf die Texte mochte ich da meist nicht sehr achten (Paul Heyses „Am Sonntag Morgen“ war wohl die Ausnahme), aber auch hier war die Darbeitung natürlich toll. Was mir am ganzen Abend immer wieder besonders gefiel: das tragende Piano, ja Pianissimo, mit dem Harteros den Raum scheinbar mühelos füllen konnte – und wenn sie ganz leise wurde pfiff der Wind mit ihr … noch die zartesten Töne vermag sie zu halten, ohne dass ihre Stimme je bricht, einen etwas unsauberen Übergang zwischen Registern gab es wohl insgesamt nur zweimal – und das bei einer Darbietung, die alles andere als zurückhaltend oder kühl war. Schon bei Schubert drehte sie ordentlich auf, bei Schumann und Brahms schien manches schon fast die Musical-Songs des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts vorwegzunehmen (bei Brahms durchaus auch textlich – inklusive des Problems, als Frau einen Männerpart zu singen, der an eine Frau gerichtet ist), Schumanns „Hidalgo“ und später Wolfs „Storchenbotschaft“ nutzte Harteros obendrein auch, um ihr komödiantisches Talent zu beweisen. Die gesungenen Wolf-Lieder übrigens sind ausser „Verschiegene Liebe“ (Eichendorff) allesamt Mörike-Vertonungen.

Strauss war dann der perfekte Ausklang – er hatte ja im Programm auch gefehlt, und dann eben doch nicht. „Zueignung“ mag als einzige Zugabe gedacht gewesen sein, aber „Morgen!“ wurde für mich zum wohl berührendsten Moment des Abends – ein perfekter Ausklang.

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