Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Zürich, Tonhalle-Maag – 20.09.2018
 
Tonhalle-Orchester Zürich
Bernard Haitink
Leitung
Till Fellner Klavier
 
Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 22 Es-Dur KV 482

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 7 E-Dur
 
Doch noch ein paar Sätze nachgereicht zu einem sehr feinen Konzert. Zwei ähnliche Doppelprogramme leitete Haitink vor etwas weniter als zwei Jahren bzw. Ende letzten Jahres schon. Noch in der alten Tonhalle spielte András Schiff das Krönugnskonzert von Beethoven und nach der Pause erklang Bruckner Neunte (ich schrieb darüber ein paar ungelenke Sätze), letzten Dezember gab Maria João Pires anscheinend ihr europäisches Abschiedskonzert mit Mozarts wunderbarem Konzert B-Dur KV 595 und danach folgte Bruckners Vierte (auch darüber habe ich berichtet).

Ganz so prominent war die heurige Besetzung mit Till Fellner natürlich nicht, aber im Publikum sassen viele junge Leute, die wohl in erster Linie seinetwegen gekommen waren – er ist schon seit einigen Jahren Dozent an der hiesigen Musikhochschule. KV 482 also, eines der schönsten von Mozarts Klavierkonzerten, letzte Saison etwas unglücklich durch Kit Armstrong mit der Camerata Bern aufgeführt (klick). Strukturelle Probleme – dass vor lauter Detailliebe der Blick auf das Ganze getrübt wird – gibt es mit Haitink natürlich nicht. Fellner spielte sehr schön, mit einer manchmal fast stupenden Leichtigkeit, sehr unaufgeregt, relativ flach, aber mit zartem Ton und glasklarem Anschlag. Da und dort fächerte er die Rhythmen etwas auf, es gab im Zusammenspiel mit dem Orchester die eine oder andere Unsauberkeit, aber alle waren bei der Sache und am Ende schien Fellner geradezu gelöst aufzuspielen. Ich würde nicht sagen, dass das eine grosse Aufführung war, es war wohl eher eine darstellende, zurückhaltend, die Musik für sich sprechen lassend – was bei Mozart aber oft, finde ich, sehr gut kommt. Und so war es auch mit Fellner und Haitink.

Nach der Pause wuchs das Orchester stark, und nun sassen sie alle auf den Stuhlkanten, reagierten wie üblich exakt auf Haitinks minimales Dirigat – ein eingespieltes Team bzw. ein Orchester, das diesen Dirigenten, die Zusammenarbeit mit ihm, ganz offensichtlich schätzt. Was ja auf Gegenseitigkeit beruht. Und das zeigt wiederum auch, wie gut das Tonhalle-Orchester nach wie vor sein kann, wenn denn alles passt. Und ja, an dem Abend, dem zweiten und letzten mit diesem Programm, passte auch wirklich alles. Mich jedoch überforderte die Symphonie ein wenig, die schon im zweiten Satz ihren Höhepunkt findet und dann noch so lange dauert. Ich bin wohl gerade nicht in der richtigen Laune für solche riesigen Trümmer (habe auch zuhause seit Monaten keinen Bruckner mehr gehört, überhaupt fast nichts Symphonisches). Will sagen, die vermutlich nahezu perfekte Aufführung, die in Sachen Tempo, Dynamik, Freilegen von Strukturen und Durchblick durch das Ganze, ohne Details zu verwischen, nichts zu wünschen übrig liess, vermochte mich eher wegzupusten als zu packen.

Ich kenne das ja längst von Werken dieses Kalibers, das war immerhin die vierte Bruckner-Konzerterfahrung (Welser-Möst dirigierte letzten November eine sehr tolle Aufführung der Achten, d.h. es „fehlen“ im Konzert noch Nr. 5 und Nr. 6, auf Aufführungen von Nr. 1-3 bin ich nicht gerade erpicht, ich finde auch Nr. 4 weiterhin, Konzerterlebnis mit Haitink hin oder her, nicht wahnsinnig toll) – und etwas Wagner gab es letzte Saison ja auch (einen Besuch der Wiederaufnahme des „Tannhäuser“ in der gerade beginnenden Saison habe ich nicht vor). Aber egal, es war ein eindrücklicher Abend, der stärker als Pires/Bruckner 4, ähnlich wie Schiff/Bruckner 9, auch an der Grenze zur Überforderung der Aufnahmekapazität vorbeischrammte – aber so scheint Haitink es zu mögen und andere Konzerte sind mir manchmal auch etwas zu kurz, ich will also nicht klagen (in dem Fall war es aber sinnvoll, wie Welser-Möst es mit Bruckner 8 tat, nur ein einziges Werk zu spielen – was überdies Zinman mit Mahler 6 und Rattle mit Mahler 9 auch so hielten).

Ein Eindruck noch zum Schluss, auch wenn er vielleicht dämlich ist: mir kam die Musik Bruckners in ihrer Schroffheit und zugleich Reinheit recht deutlich wie Alpenmusik, Musik der Berge vor – es drängten sich Bilder auf von schroffen Klippen und Wasserfällen, von Auen und kleinen Seen mit diesem unglaublich klaren Wasser … klar ist das keine Programmusik, aber eben: die Bilder waren irgendwann einfach da, gerade auch in den Kontrasten zwischen den fast schon lüpfigen melodischen Momenten und dann diesen brutalen Einbrüchen, die mit gewaltiger Kraft über die sanfteren Passagen hineinbrechen, sie (und mich) überrollen.

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