Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Zürich, Tonhalle-Maag – 22.6.

Tonhalle-Orchester Zürich
Manfred Honeck
Leitung
Frank Peter Zimmermann Violine

Ludwig van Beethoven Ouvertüre zu „Egmont“ f-Moll op. 84
Ludwig van Beethoven Violinkonzert D-Dur op. 61

Johannes Brahms Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

Der Reihe nach also … die zwei letzten grossen Konzerte des Tonhalle-Orchesters in der endenden Saison waren für mich beides Höhepunkte. Zweimal Geigenkonzert mit sehr geschätzten Solisten und zwei sehr überaus geschätzte Dirigenten waren angekündigt, von denen der eine, Bernard Haitink, leider absagen musste. Eingesprungen ist kurzfristig Manfred Honeck, für mich bisher nur ein Name und beim Tonhalle-Orchester war er wohl erst zum zweiten Mal zu Gast – aber hoffentlich nicht zum letzten Mal! Sein Einnspringen brachte eine Programmänderung mit sich, die ich im Vorfeld bedauerte, aber im Rücklich nicht: statt Schumanns zweiter wurde Brahms vierte Symphonie gegeben.

Los ging es mit einer knallenden Version der Egmont-Ouvertüre – sehr engagiert und zupackend gespielt machte sie sofort hellwach und rollte den Teppich für Frank Peter Zimmermann aus, indem sie die Ohren durchblies und die Sinne schärfte. Ich dachte in der ersten Konzerthälfte einige Male, dass Beethoven ein grossartiger Komponist war – nicht, dass ich daran jemals gezweifelt hätte, aber in den letzten Monaten lief nicht oft Beethoven hier im Haus (zuletzt Montagabend ein paar Klaviersonaten mit András Schiff, aber die Klaviersonaten sind soweiso in einer eigenen Liga – die Streichquartette wohl auch, aber da blicke ich noch nicht annährend so sehr durch). Frank Peter Zimmermann erwies sich einmal mehr – ich hörte ihn im Herbst 2013, in der letzten Saison von David Zinman beim Tonhalle-Orchester und mit diesem am Pult im Brahms-Konzert – als idealer Interpret, zurückgenommen und doch höchst präsent, bescheiden, aber nie seine Könnerschaft verleugnend, in seiner ruhigen Art eigentlich doch ziemlich spektakulär. Das Konzert war perfekt ausgestaltet, Zimmermann glänzte mal mit brilliantem Ton mit just der richtigen Menge Schmelz, dann wieder schrammelte er munter dahin, die Intonation perfekt und noch die schnellsten Läufe völlig klar ausgeführt. Honeck war auch hier stets bereit und wirkte mit Zimmermann – der übrigens seit einigen Monaten seine geliebte „Lady Inchiquin“ wieder hat – aufs schönste zusammen.

Die Brahms-Symphonie dann, in der zweiten Hälfte, gelang wunderbar – und versöhnte mich auch mit dem Werk, das ich vor einigen Monate in der Tonhalle hörte, mit Pablo Heras-Casado, der im Vorfeld der Entscheidung als härtester Konkurrent Paavo Järvis um die Bringuier-Nachfolge gehandelt wurde, mich aber bisher nicht immer zu überzeugen vermochte (einmal schon, mit Bartóks Suite für Orchester, als er für Christoph von Dohnányi einsprang, der seither leider nicht wieder im Spielplan auftauchte). Bei Heras-Casado wurde das Ding quasi durchgepeitscht, denkbar unsubtil aber mit grosser Wucht. Bei Honeck nun kam die Symphonie zum Leben, gespielt wurde ebenfalls mit der nötigen Wucht, was auch Honecks Dirigierstil entsprach: athletisch, klar, aber auch fliessend gerade im langsamen Satz. Sehr gut gefiel mir übrigens die alte Sitzordnung mit den Stereo-Violinen und den Celli und Bratschen in der Mitte – gerne wieder so, nicht nur in kleinen Besetzungen, gerade dem Brahms tat das sehr gut!

Die Enttäuschung über Haitinks Absage war also nach dem Konzert bestens zu verschmerzen – aber ich hoffe doch, dass er seinen geplanten Auftritt im September wird wahrnehmen können, denn die bisherigen Konzerte, die ich mit ihm und dem Tonhalle-Orchester erlebte, waren jedes für sich ein Ereignis!

Hier gibt es einen Bericht über den ersten der drei Abende – ich vermute, dass gerade bei der Overtüre noch etwas gefeilt bwz. nachgebessert werden konnte:
http://seenandheard-international.com/2018/06/honeck-steps-in-for-haitink-and-schumann-gives-way-to-brahms/

Zürich, Tonhalle-Maag – 29.6.

Tonhalle-Orchester Zürich
Herbert Blomstedt
Leitung
Julia Fischer Violine

Felix Mendelssohn Bartholdy Violinkonzert e-Moll op. 64

Gustav Mahler Sinfonie Nr. 1 D-Dur

Eine Woche später folgte das letzte Konzert der Saison des Orchesters – und um es vorwegzunehmen: auch das ein Höhepunkt! Erneut war ich in der dritten und letzten Aufführung, erneut wurde in der alten deutschen Aufstellung gespielt (wie auch beim Beethoven-Konzert mit Blomstedt in der letzten Saison), erneut begrüsste ich das ungemein, besonders in der zweiten Konzerthälfte.

Doch los ging es mit Julia Fischer, vor ein paar Jahren Artist in Residence an der Tonhalle und wie Blomstedt ein gern gesehener Gast. Sie machte beim Violinkonzert von Felix Mendelssohn umgehend klar, dass sie das Ding im Griff hat. Die Blicke gingen immer wieder zu den Stimmführern aber auch zum Dirigenten, einmal mehr klappte das Zusammenspiel ganz hervorragend, es war eine Freude zu hören, wie ihre Stimme aus den Tutti aufstieg und die schnellsten Läufe wie auch die leisesten, zartesten Momente – eine absolut überzeugende Darbietung, und das auf einem brandneuen Instrument (siehe NZZ-Kritik unten). Auf dem Weg in die Tonhalle-Maag war ich im Glauben, das Violinkonzert Mendelssohns ganz wie jenes von Beethoven in der Woche davor, zum ersten Mal im Konzert zu hören – ich vergass völlig das für meine Ohren leider ziemlich missglückte Konzert, bei dem Isabelle Faust das Violinkonzert mit dem Freiburger Barockorchester – einmal mehr unter Pablo Heras-Casado – aufführte. Mir scheint gerade, Fischer gewinne im Konzert die Klarheit und Überzeugungskraft, die sie auf den mir bekannten, recht wenigen Tonträgern nicht immer haben will – während es bei Faust möglicherweise umgekehrt ist, sie im Konzert nicht ganz einlösen kann, was die Tonträger versprechen (wobei das Trio mit Melnikov und Queyras schon ziemlich toll war und die Bach-Solo-Sache grossartig – aber mit Orchester will es nicht so ganz klappen, eindeutig am besten das zweite Mal, dass ich sie mit dem Schumann-Konzert hörte, mit dem ZKO unter Roger Norrington, als drittes neben diesem und dem Mendelssohn-Abend hörte ich sie ebenfalls mit Schumann, Tonhalle-Orchester unter Jakub Hrusa). Fischer jedenfalls hatte eine starke Präsenz, bewegte sich beim Spiel auf dem engen Raum zwischen dem Orchester und dem Dirigentenpult, hämmerte – im langen Kleid natürlich – auch mal eine besonders prägnante Phrase in breitbeiniger Mackerpose in die Bühnenbretter. Ein toller Auftritt, und ich freue mich schon auf den nächsten, im Januar 2019 unter Juanjo Mena, der im Anschluss an das Violinkonzert von Britten noch Bruckners Sechste dirigieren wird.

Grossartig war dann auch die zweite Konzerthälfte – Blomstedt, der in exakt einer Woche den 91. Geburtstag feiern wird, wirkt ordentlich steif in seinen Bewegungen. Aber er weiss, mit dem Orchester umzugehen, seine Hände setzt er sparsam ein, doch umso prägnanter scheinen seine Anweisungen umgesetzt zu werden. Die erste Symphonie von Mahler war meine dritte im Konzert und auch das dritte Mal, dass ich überhaupt eine Mahler-Symphonie angehört habe (Nr. 6 mit Zinman/Tonhalle und neulich Nr. 9 mit Rattle/LSO) – es wird Zeit, dass ich mich mal hinter all die längst bereitliegenden Aufnahmen mache! Wie das sperrige Ding buchstäblich unter den Händen von Blomstedt und da, direkt vor meiner Nase (ich sass in der ersten Reihe am Mittelgang) Form annahm, war schon sehr eindrücklich zu beobachten. Am Ende war ich zugleich niedergeschlagen und irgendwie euphorisch, eine sehr eigenartige Stimmung, die ich so nur grossartigen Erlebnissen aus dem Konzert oder dem Kino kenne (oder natürlich nach einer Lektüre, aber die ist ja selten so kompakt und so reichhaltig und man steuert das Tempo stets selbst, setzt sich mit Pausen aus).

Zwei andere Rezensionen (die NZZ zum ersten, Rhodes zum zweiten Abend):
https://www.nzz.ch/feuilleton/julia-fischer-und-herbert-blomstedt-begeistern-in-der-tonhalle-maag-ld.1399060
http://seenandheard-international.com/2018/06/fischer-and-blomstedt-phenomenal-violinist-and-phenomenal-conductor/

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