Who's (Be)Bop?

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  • #19129  | PERMALINK

    dagobert

    Registriert seit: 09.07.2002

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    Sehr geehrten Damen und Herren,

    zu unserer grossen Freude nimmt die Anzahl der jazzbehandelnden Threads im Forum zu. Doch leider hilft es Jazz Novizen, die wir sind, nur marginal, sich in diesem Genre einen Überblick zu verschaffen. Aus diesem Grund haben Banana Joe, DR Nihil, wowee zowee und ich uns überlegt, uns diese Ecke einzurichten, um gemeinsam den Weg der jazzbedingten Horizonterweiterung zu beschreiten.

    Für den Einstieg in das grosse Feld des Jazz hielt ich den Jubiläums-Thread, sowie die Handpicked Treasures als sehr informativ (Was ist Jazz? im Philosophicum scheint sich auch in dieser Riege einzuordnen.), doch ist es nun an der Zeit, eigene Erfahrungen zu sammeln.

    Es wird hier in etwa so ablaufen, dass die vier oben genannten sich immer mal wieder zu einem bestimmten Album austauschen. Ohne jegliche Vorgaben, ohne Zeitdruck. Wir werden schreiben, was wir über das bestimmte Werk denken, was wir über die Entstehungsgeschichte und den Künstler wissen, ob und wie es uns gefällt. Kurzum: alles, was uns dazu einfällt.

    Nun machen vier Unwissende nicht gleich ein Lexikon. Lückenhafte Texte, holprige Formulierungen und abenteuerliche Verschwörungstheorien sind vorprogrammiert. Doch unser Ziel ist es, dieses gefährliche Halbwissen im Laufe der Zeit ein wenig beizulegen. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass jeder eingeladen ist, uns bei diesem Vorhaben zu unterstützen oder zu begleiten, der gewillt und in der Lage ist.

    Wir werden unser Projekt mit Charles Mingus‘ „The Black Saint and the Sinner Lady“ beginnen. Wir haben uns deshalb für dieses Album entschieden, da wir erstens, es alle kennen und zweitens, alle gleichermassen begeistert davon sind.
    Punkt Zwei birgt vielleicht nicht gerade viel Diskussionspotential, ist aus meiner Sicht aber trotzdem ein akzeptables Argument für den Einstieg. Man kann auch davon ausgehen, dass sich dieser Zustand mit den nächsten Platten bald ändern wird.

    Wenn wir dann irgendwann meinen, mit „The Black Saint…“ fürs Erste fertig zu sein sollten, wählen wir die nächste Platte aus. Wobei wir nicht einfach ins Blaue hineingreifen wollen, sondern ein gewisser Bezug zur Vorangegangenen ersichtlich sein sollte. Im Optimalfall zwingt sich der nächste Schritt einfach aus dem Gespräch heraus auf. Wir werden sehen.
    Im Laufe der Zeit sollte sich hoffentlich eine kleine jazzige Milchstrasse abzeichnen, die wir später stolz unseren Enkeln präsentieren können.

    Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung und uns die Ausdauer, es in etwa so verwirklichen zu können, wie wir es uns vorgestellt hatten.

    dagobert

    PS: dieses Konzept ist ziemlich frei von sämtlichen Vorschriften und Regeln. Es könnte also sein, dass Veränderungen vorgenommen werden, die wir uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausmalen konnten (oder wollten).

    [edit] Änderungen auf der Besetzungsliste

    --

    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #2429935  | PERMALINK

    dagobert

    Registriert seit: 09.07.2002

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    und nun, zum meiner „the black saint and the sinner lady“, von charles mingus:

    ich bin nicht sehr musikalisch. ich spiele kein instrument, ich kann nicht singen und bin froh, wenn ich eine trommel von einer harfe unterscheide. doch trotz dessen habe ich schon immer ein faible für bass-spieler, kontrabassisten und alles, was mit gezupften, tiefen tönen zu tun hat, gehabt. ich vermute, so an charles mingus gekommen zu sein. genau kann ich das nicht mehr sagen. doch beim ersten hören musste ich feststellen, der kontrabass spielt eine untergeordnete rolle. viel markanter sind die bläser. jeglicher art. und das piano.
    (an dieser stelle wäre es ganz angebracht, aufzulisten welche instrumente überhaupt eigesetzt werden, und von wem sie gespielt werden. das muss dann einer von euch übenehmen. meine cd ist unterwegs im auftrag ewiger jungend und glückseligkeit ;))

    doch die bläser sind es, die es mir in diesem fall angetan haben. wie sie zu beginn langsam einsetzen und den hörer, zuerst sich noch ganz harmonisch steigernd, an das heranleiten, was später auf ihn zukommt, ist fantastisch. doch das ist, allein schon per definition, erst der anfang!
    ab ca. der hälfte von „track a – solo dancer“ fangen die wege nämlich an, sich zu trennen. jedes instrument scheint seinen eigenen weg einzuschlagen. seinen eigenen text loswerden zu wollen.
    der fight beginnt. „track b – duet solo dancers“. ruhig, aber verbittert. die anfängliche harmonie ist verflogen. schlimmer noch. es bricht ein unwetter über den hörer hinein. in kakaphonischem zusammenspiel fangen die instrumente zu sprechen an, dass man das gefühl hat, sie verstehen zu können. das ist mein lieblingsteil dieser platte. wild und nicht von dieser welt streiten sich trompeten und tuba. grossartig! doch wie in der natur so üblich, flacht jeder sturm einmal ab, und so nähert sich auch track b dem ende.
    „track c – group dancers“ knüpft jedoch dort an an, wo track b aufgehört hat, nur zärtlicher, am piano. diese zärtlichkeit wird begleitet von einer temperamentvollen, spanischen gitarre. doch all die zärtlichkeit und leidenschaftliches temperament sollen sich nicht durchsetzen. das düstere gewinnt. peut a peut steigert es sich hoch zu einem massiven gebilde. man meint, „the black saint…“ ginge dem ende entgegen.
    doch in „track d – trio and group dancers“, dem 18:36 min -monster, wird alles, was man bisher erfahren, er- und durchlebt hat, noch einmal zusammengefasst. man trifft alte freunde und bekannte, die kakaphonien, die spanische gitarre und am piano gewährt sich der meister sogar selbst ein kleines solo. bis es zum schluss richtig swingend den eindruck erweckt, irgendwie wird doch alles gut, trotz fundamentaler unterschiede und gegensätze.

    dies ist knapp zusammengefasst, wie ich das album „sehe“, welche bilder sich mir beim hören erschliessen. ich kann nur raten, welche aussage charles mingus 1963 damit treffen wollte und ob.

    ich scheine jedenfalls in etwa einer meinung zu sein, wie roger willemsen, der bei zweitausendeins folgendes schreibt:

    Ich hörte sie zum ersten Mal im Keller eines Londoner Gerümpelladens und erinnere mich, dass ich mich lange nicht von der Stelle rührte, fassungslos, dass es solche Musik gibt. Nachdem mir der Verkäufer den Titel genannt hatte, ließ ich alles stehen und liegen und ging mein erstes Mingus-Album kaufen. Nichts zum Tanzen und Swingen, keine nette Platte, aber ein wunderbares, wildes Ungeheuer

    (dafür, dass roger willemsen in londoner kellern rumlungert, kann ich nichts!)

    --

    #2429937  | PERMALINK

    jan-dark

    Registriert seit: 31.07.2003

    Beiträge: 3,410

    pretty cool.. B) ..haut rein jungs..

    --

    almost happy • almost satisfied • the restless one • has found some peace tonight
    #2429939  | PERMALINK

    dougsahm
    Moderator

    Registriert seit: 26.08.2002

    Beiträge: 17,863

    Originally posted by dagobert@17 Oct 2004, 00:39
    Wir werden unser Projekt mit Charles Mingus' „The Black Saint and the Sinner Lady“ beginnen.

    Hat sich die letzten 12 Monate wohl zu DEM Konsens-Album hier entwickelt. Nicht unberechtigt – aber (für mich) nicht voraussehbar.

    Weiter so !

    --

    #2429941  | PERMALINK

    atom
    Moderator

    Registriert seit: 10.09.2003

    Beiträge: 21,720

    Ein feiner Plan Jungs und ein sehr interessant geschilderter Hörbericht, dagobert.
    Weiter so!

    --

    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
    #2429943  | PERMALINK

    flatted-fifth
    Moderator

    Registriert seit: 02.09.2003

    Beiträge: 6,027

    Originally posted by dagobert@17 Oct 2004, 00:39
    (an dieser stelle wäre es ganz angebracht, aufzulisten welche instrumente überhaupt eigesetzt werden, und von wem sie gespielt werden. das muss dann einer von euch übenehmen. meine cd ist unterwegs im auftrag ewiger jungend und glückseligkeit ;))

    Warum nur fühle ich mich hier angesprochen? :lol:

    Hier also zunächst erst mal die Besetzung:

    Charles Mingus – bass, piano
    Jay Berliner – guitar
    Don Butterfield – tuba
    Jaki Byard – piano
    Rolf Ericson – trumpet
    Dick Hafer – tenor sax & flute
    Quentin Jackson – trombone
    Charlie Mariano – alto sax
    Jerome Richardson – soprano, baritone saxs and flute
    Dannie Richmond – drums
    Richard Gene Williams – trumpet

    Nun aber zu meinen Eindrücken von dem Album.
    Im Gegensatz zu dagobert bin ich eigentlich nicht unbedingt ein vom Bass beeindruckter Hörer. Dafür spricht z.B., dass mein Lieblingsinstrument das Sopran-Saxophon ist; ich mag die Leichtigkeit in der Musik. Von daher haut mich der Bass von Mingus jetzt auch nicht gerade vom Hocker (man möge mir bitte erklären, warum gerade Mingus in dieser Disziplin der Größte ist).
    Ich kann aber im Großen und Ganzen dagoberts Beschreibungen auch in meinen Eindrücken wiederfinden. Irgendwie ist die ganze Platte ein Gegeneinander und dann wieder ein Miteinander. Wo sich die Instumente im ersten Moment noch gegeneinander anspielen, ist im nächsten Moment schon wieder Friede Freude Eierkuchen.

    Hinter dem ganzen Album steckt natürlich ein Konzept. Das erkennt man alleine schon an den Untertiteln zu den einzelnen Tracks:

    1. Track A – Solo Dancer
    Stop! Look! And listen sinner Jim Whitney!

    2. Track B – Duet Solo Dancers
    Heart's beat and shades in physical embraces

    3. Track C – Group Dancers
    (Soul Fusion) Freewoman and oh, this freedom's slave cries

    4. Dieser Track ist in 3 „Modes“ unterteilt, ähnlich einer klassischen Suite

    Mode D – Trio and Group Dancers
    Stop! Look! And sing songs of revolutions!

    Mode E – Single Solos and Group Dancers
    Saint and Sinner join in merriment on battle front

    Mode F – Group and Solo Dancers
    Of love, pain and passioned revolt, then farwell, my beloved, 'till it's freedom day

    Was genau hinter diesem Konzept steckt, konnte ich bisher noch nicht in allen Details heraushören. Ich denke, es geht hier um Verlangen, Kampf und Vereiningung. In welchem Kontext diese Begriffe zu benutzen sind (z.B. Liebe oder Klassenkampf), vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht aber ist das Konzept auch universell gedacht, so dass man es auf alle gedachten Situationen „anwenden“ kann.

    „The Black Saint And The Sinner Lady“ ist ohne Frage musikalisch ein Hochgenuß. Die Flöten, die Tuba und die Flamenco-Breaks der Gitarre sind wahre Highlights. Doch steckt halt wesentlich mehr hinter diesem Album. Ich kann es leider nur ansatzweise ergründen (wie ja gerade versucht), doch dafür haben wir ja diesen Thread eröffnet – um solche Fragen zu stellen und sie entweder von Kennern beantwortet zu bekommen, oder sie sich durch unsere „Lerngruppe“ von selbst beantworten. Ich bin also gespannt auf weitere Stimmen zu dem Album und was noch so alles dahinter steckt.

    --

    You can't fool the flat man!
    #2429945  | PERMALINK

    atom
    Moderator

    Registriert seit: 10.09.2003

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    Originally posted by Banana Joe@17 Oct 2004, 14:53
    […]Von daher haut mich der Bass von Mingus jetzt auch nicht gerade vom Hocker (man möge mir bitte erklären, warum gerade Mingus in dieser Disziplin der Größte ist).[…]

    Mingus' Fähigkeiten als Bassist sind schon ziemlich einzigartig, aber seine wahre Größe erlangte er als Bandleader, Komponist und Katalysator einer Band oder eines Ensembles.
    Mingus agiert nicht gerade offensichtlich bzw. effekthascherisch im Vordergrund, sondern webt quasi den Handlungsbogen des Werkes. Genau das ist es, was ihn von technisch perfekten oder gar besseren aber seelenlosen Bassisten unterscheidet.

    --

    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
    #2429947  | PERMALINK

    blackjack

    Registriert seit: 09.03.2003

    Beiträge: 2,352

    Hui, endlich ein Jazz-Thread, in dem auch ich mitschreiben kann. In den anderen bin ich „nur“ begeisterter Leser und ab und an Nachkäufer.

    --

    "After four hundread years, we made it!" Coleman said. "You don't think it was too soon?" Duke asked.
    #2429949  | PERMALINK

    dagobert

    Registriert seit: 09.07.2002

    Beiträge: 8,584

    Originally posted by Banana Joe@17 Oct 2004, 14:53
    Vielleicht aber ist das Konzept auch universell gedacht, so dass man es auf alle gedachten Situationen „anwenden“ kann.

    das war auch meine theorie. oder genauer, das ist das konzept, das ich dahinter sehe und wie ich es verstehe. es ist eines der alben, das in vielen verschiedenen gemütsverfassungen funktioniert. ob als blues oder beim hellsten sonnenschein.
    aus diesem grund bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich überhaupt wissen will, was sich mingus dabei gedacht hat, als er es schrieb. (obwohl es mich natürlich interssiert)

    mal eine andere frage. kann mir jemand sagen, weshalb bassisten die ihre eigenen ensembles leiten, als „selten“ gesehen werden? ich kann nicht mehr genau sagen, worauf ich diese behauptung stütze, aber ich habe es in letzter zeit häufiger lesen müssen.
    gibt es noch andere namhafte bass spieler, die als leader fungierten bzw fungieren?

    --

    #2429951  | PERMALINK

    dagobert

    Registriert seit: 09.07.2002

    Beiträge: 8,584

    Originally posted by atom@17 Oct 2004, 15:18
    . Genau das ist es, was ihn von technisch perfekten oder gar besseren … Bassisten unterscheidet.

    genau die meinte ich.

    --

    #2429953  | PERMALINK

    atom
    Moderator

    Registriert seit: 10.09.2003

    Beiträge: 21,720

    Originally posted by dagobert@18 Oct 2004, 19:56
    gibt es noch andere namhafte bass spieler, die als leader fungierten bzw fungieren?

    Ron Carter
    Charlie Haden
    Dave Holland
    Jaco Pastorius
    Steve Swallow
    Wilbur Ware

    Alles gute Bassisten und bei diversen Sessions auch als Leader aktiv.

    Bei Mingus ist die Besonderheit, daß er fast außschließlich als Bandleader aktiv war, was bei Bassisten sehr selten ist, da sie viel häufiger in wechselnden Bands und für verschiedene Sessions aktiv sind/waren.

    --

    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
    #2429955  | PERMALINK

    hat-and-beard
    dial 45-41-000

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    Originally posted by atom@18 Oct 2004, 20:08
    Wilbur Ware

    Wer hat denn bei ihm gespielt? Und wann? Gibt es empfehlenswerte Alben?

    --

    God told me to do it.
    #2429957  | PERMALINK

    atom
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    Originally posted by Hat and beard@18 Oct 2004, 20:11
    Wer hat denn bei ihm gespielt? Und wann? Gibt es empfehlenswerte Alben?

    Seine beste Einspielung ist das 1957 erschienene Album Chicago Sound. Damals eine Riverside Session mit u.a. Johnny Griffin.

    Ich glaube, daß dies auch sein einziges Album als Leader war. Ich kenne ihn sonst nur als Sideman bei Sun Ra, Blakey, Stitt und Monk.

    --

    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
    #2429959  | PERMALINK

    hat-and-beard
    dial 45-41-000

    Registriert seit: 19.03.2004

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    Originally posted by atom@18 Oct 2004, 20:19
    Ich glaube, daß dies auch sein einziges Album als Leader war. Ich kenne ihn sonst nur als Sideman bei Sun Ra, Blakey, Stitt und Monk.

    Kannte ihn auch nur von Monk- und Blakey-Alben. Er ist ziemlich jung gestorben, oder? Anfang der 60er?

    Übrigens gibt es auch ein Album unter Paul Chambers' Namen. Den Titel habe ich leider vergessen, aber soviel weiß ich noch: 1958; Blue Note; Elvin Jones und Tommy Flanagan sind dabei, zudem zwei Bläser, an die ich mich aber auch nicht mehr erinnern kann. War aber nicht so umwerfend. „Solide“.

    --

    God told me to do it.
    #2429961  | PERMALINK

    atom
    Moderator

    Registriert seit: 10.09.2003

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    Originally posted by Hat and beard+18 Oct 2004, 20:26–>

    QUOTE (Hat and beard @ 18 Oct 2004, 20:26)
    Kannte ihn auch nur von Monk- und Blakey-Alben. Er ist ziemlich jung gestorben, oder? Anfang der 60er?

    Ware starb 1979. Habe ich aber nachschlagen müssen.

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