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Der Abend im Feldstraßenbunker begann mit Irritationen. Als ich um kurz vor Neun ankam, tummelten sich gerade mal vier Personen in dem Eingang des großen Gebäudes und da alle offensichtlich noch nicht sehr häufig Konzerte dort gehört hatten, herrschte erst einmal Unklarheit, wie man überhaupt in den Konzertraum kommen könne, zumal die Außentür auch nach Neun noch hartnäckig verschlossen blieb und nirgendwo Schilder oder Plakate auf ein eventuelles Konzertereignis hinwiesen. Verwirrend auch, daß kurz vor Neun die gesammelten Sea & Cake an fünf verdutzt schauenden Konzertgästen in spe vorbei aus dem Bunker hinaus ins Hamburger Abendleben strebten. Wurde das Konzert gecancelt, vielleicht aus mangelndem Zuspruch?
Die Irritationen sollten sich zunächst fortsetzen. Die Tür zum Bunker öffnete sich schließlich um Viertel nach Neun, man strebte in die Räumlichkeiten, versorgte sich mit einem Getränk und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Um etwa kurz vor Zehn tänzelte ein schlaksiger junger Mann mit exzentrisch in der Luft herumgestikulierenden Armen, um den Hals ein buntes breites Tuch gewunden, auf die Bühne, schnappte sich eine der herumstehenden Gitarren und begann einen mehr als kauzigen Vortrag. Die Songtexte, die er mehr oder weniger motiviert auf der Gitarre schrammelnd untermalte, schien er aus einem Buch abzulesen, das er aufgeschlagen locker auf dem Hals der Gitarre zu balancieren versuchte. Freilich fiel das Buch dabei mehrmals zu Boden, was jedesmal zur Unterbrechung des Gesangsvortrags führte (wobei Gesang durchaus als ein euphemistisch gewählter Terminus zu verstehen sein sollte). Bei einem Song bestand der Refrain aus Niesen, Husten und Rotzen, was freilich kurz für müde Belustigung sorgte, dann aber doch eher zu Ratlosigkeit über den Sinn und Zweck des Vortrags führte. Waren Sea And Cake vielleicht auf nächtlicher Exkursion in Hamburgs Straßen Verschütt gegangen und ein armer unbedarfter australischer Backpacker, der vielleicht die Zeche nicht hatte zahlen können, wurde nun mit vorgehaltener Pistole zur Selbsterniedrigung auf der Bühne gezwungen, um das Publikum zu besänftigen? Der junge schlaksige und namenlos bleibende Mann verließ jedenfalls nach etwa zwanzig Minuten wieder die Bühne und man nahm es mit klammheimlicher Erleichterung zur Kenntnis.
Es dauerte noch etwa bis um kurz vor Elf, bis Prekop, Prewitt, Claridge und McEntire endlich die Bühne betraten, aber das Konzert ließ dann die anfänglichen Irritationen schnell vergessen. Wirken Sea & Cake auf den neueren Alben eher ruhig-fließend, bekommen die Songs live einen sehr viel treibenderen Anstrich, der Sound ist rauer, mehr auf den Rhythmus konzentriert. Prekop und Prewitt stehen dabei recht stoisch auf ihren Plätzen, Prewitt meist mit geschlossenen Augen und hochkonzentriert. Und das ist, was mir zuerst live wirklich auffällt: Archer Prewitt ist ein fantastischer Gitarrist, der nicht die große solistische Geste sucht, sondern sehr feine Akzente setzt, ein sehr sensibles Ohr für Nuancen hat. Zusammen mit der Gitarrenarbeit von Prekop ergibt sich so ein feines rhythmisches Gespinst, das sehr leicht und schwebend klingt. Und unter diesem Gespinst weben Eric Claridge am Bass und John McEntire an den Drums einen treibenden, sehr bewegten Rhythmusteppich. Bei aller Virtuosität wirkt die Musik ungeheuer leicht, die manchmal sehr vertrackten rhythmischen Wechsel in den Stücken wirken nie angestrengt oder aufgesetzt. Vielleicht ist es das, was den Sound dieser Band so unverwechselbar macht. Und obwohl Sam Prekops Gesang fast den ganzen Abend lang kaum zu hören ist und ein Unermüdlicher immer wieder zwischen den Stücken „Sam, we can’t hear you“ ruft, tut es dem Konzert irgendwie keinen Abbruch. Vielleicht, weil die Musik eh nicht so sehr fixiert auf Gesangsmelodien ist, sie eher ein Element unter vielen sind und noch ohne sie genug bleibt, was die Stücke interessant erhält.
Ein großes Glanzlicht des Abends ist sicherlich John McEntires Schlagzeugsolo zu Beginn von „The Argument“, was denn auch spontane laute Begeisterungsufe aus dem Publikum auslöst. Aber bemerkenswert ist, wie frisch der Sound der Band live klingt, egal ob sie Klassiker wie „Jacking the Ball“ und „Parasol“ spielt oder Stücke vom neuen Album. Quer durch die Bandgeschichte geht es, ohne das dem ganzen etwas nostalgisches anhinge. Im Gegensatz zu McEntires Tortoise sind Sea And Cake gut gealtert und wirken sehr souverän, selbstbewußt und spielfreudig. Auch wenn Archer Prewitts gestischer Minimalismus auf der Bühne manchmal etwas zu bewußt gesetzt wirkt, etwa wenn er sich zum großen Rockmoment des Abends, dem Gitarrengewitter zu Beginn von „Left On“, einem Stück vom neuen Album, demonstrativ auf einen Stuhl setzt, konnte die Band mich voll überzeugen. Und dem euphorisch mitwippenden Publikum schien es ähnlich zu gehen.
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Werbungliest sich ganz prima, g_g, danke für den einblick.
wie viele zuhörer waren es letztlich (oder habe ich es überlesen?)?Nein, ich hab das wirklich vergessen zu erwähnen. Das Uebel & Gefährlich war schließlich recht gut gefüllt (im Schätzen, wie viele Leute das gewesen sein mögen, bin ich allerdings schlecht). Die meisten hatten wohl damit gerechnet, daß Sea and Cake erst recht spät auf der Bühne sein würden und sind erst kurz vor Beginn des Konzerts eingetrudelt.
gastrisches_greinenUnd obwohl Sam Prekops Gesang fast den ganzen Abend lang kaum zu hören ist und ein Unermüdlicher immer wieder zwischen den Stücken „Sam, we can’t hear you“ ruft, tut es dem Konzert irgendwie keinen Abbruch. Vielleicht, weil die Musik eh nicht so sehr fixiert auf Gesangsmelodien ist, sie eher ein Element unter vielen sind und noch ohne sie genug bleibt, was die Stücke interessant erhält.
In Köln war es das gleiche Problem mit Prekops Stimme, allerdings hat es in meiner Wahrnehmung dem Konzert sehr wohl nicht gut getan. Zum Glück wurde es später besser (oder meine Ohren haben sich daran gewöhnt…). Hat Prewitt in Hamburg denn auch gesungen?
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You can't fool the flat man!Hat er, war aber noch weniger zu hören als Prekop. Allerdings ist er in der Band ja eher für den gelegentlichen Harmoniegesang zuständig, weswegen es nicht so sehr ins Gewicht fiel wie Sams Ausfall. Komisch, daß es bei dem eigentlich ja recht filigranen Bandsound so schwer zu sein schien, das Problem mit dem Gesang zu lösen. Prekop hat zwar dem Mann am Mischpult immer wieder zu verstehen gegeben, den Gesang lauter zu stellen, aber wirklich passiert ist erst in der zweiten Hälfte etwas. Noch seltsamer, daß dieses Problem sich bei anderen Konzerten wiederholt. Sehr schade.
War denn in Köln auch so ein seltsames Vorpogramm?In Köln gab es gar kein Vorprogramm. Der Bandsound war übrigens anfangs in Köln alles andere als filligran, sondern eher schrammelig. Daher auch meine Aussage, dass die kaum zu hörende Stimme ein Ärgernis war. Aber wie gesagt, später besserte es sich. Das Schrammelige verschwand und die Stimme wurde lauter.
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You can't fool the flat man!In Berlin gab´s zwei Vorbands. Zu Beginn ein Adrian Orange (+ Band), der zwar auch recht schräg war, jedoch wohl nicht ganz so unhörbar wie der von gg geschilderte act. Vermutlich also zwei unterschiedliche Künstler, A. Orange fand ich gar nicht mal übel. Die zweite Vorband waren The Say Highs, offenbar eine deutsch-angloamerikanische Band, die einfach nur schrecklich öde fand und wahrscheinlich morgen schon wieder vergessen habe.
Auch die Konzert-Beschreibung von gg kann man so bedenkenlos auf den Berlin-Auftritt übertragen. Es war musikalisch nahezu perfekt, ich fand Prekop war eigentlich recht gut zu hören. Sogar zwischen den einzelnen Stücken neigten die Herren zum Perfektionismus und waren recht lange damit beschäftigt die Gitarren zu stimmen bzw. mit dem Mischer zu verhandeln (allerdings nicht wegen dem Gesang…). Fand das Ganze neben der perfekten Musik fast schon einen Tick zu stoisch und introvertiert, aber so sind sie halt… Nebenbei: ich fand J. McEntire sah unheimlich jung aus, war er´s wirklich?
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to here knows when[/FONT]StulliSogar zwischen den einzelnen Stücken neigten die Herren zum Perfektionismus und waren recht lange damit beschäftigt die Gitarren zu stimmen bzw. mit dem Mischer zu verhandeln (allerdings nicht wegen dem Gesang…).
Ja, das taten sie bei uns auch. Nach fast jedem Stück wurde gestimmt, was vielleicht manchmal auch mehr Attitüde als wirklich notwendig war.
Nebenbei: ich fand J. McEntire sah unheimlich jung aus, war er´s wirklich?
Ja, erstaunlich, nicht? Das hatte mich auch zweifeln lassen. So jugendlich und körperlich gut in Form hätte ich ihn mir auch nicht vorgestellt. Aber ich hatte, verunsichert wie ich war, mal nach ein paar Fotos von ihm gegoogelt und er war’s wirklich.
Schöner Bericht. Ich habe S&C vor Jaahren mal gesehen und das war leider sterbenslangweilig, so das ich von diesem Auftritt Abstand genommen habe…
Hab‘ ich wohl etwas verpasst…Komische Geschäftsgebahren auch im Ü&G…
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Sehr treffender Bericht, g_g. Mich hat ebenso am meisten die Verbindung aus Präzision und Leichtigkeit beeindruckt, mit der sie ihre von Brüchen durchzogene Musik aufführen können. Das Konzert hat mir wirklich Lust gemacht, mich näher mit der Band zu beschäftigen.
(Und ich muss schamvoll eingestehen, dass es mir überhaupt nicht bewußt war, dass es sich bei dem Drummer um John McEntire handelte. Der war wirklich faszinierend.)Der Support-Act war tatsächlich Adrian Orange. Du hast dich bei der Beschreibung aber schon fast etwas zurückgehalten. Es war eigentlich noch viel schlimmer.
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Wake up! It`s t-shirt weather.Hehe, das beruhigt mich jetzt ja, daß irgendwie niemand John McEntire erkannt hat…
Oha, Adrian Orange hat sogar schon etwas veröffentlicht… Wobei die Songs auf seiner MySpace-Seite nicht annähernd ein Bild davon geben, wie schrecklich er live und ohne Band ist… Du hast schon recht, observer, ich hab’s mild ausgedrückt. Vielleicht der schlechteste Act, den ich je im Vorprogramm erleben mußte.
Da hat sich der Herr Orange in Berlin offenbar merklich zurückgehalten. War zwar schräg, aber gerülpst und gerotzt hat er nicht, spielte wie erwähnt mit Band incl. 3-stimmigem Bläsersatz. Habe mir sogar *räusper* seine 7″ gekauft, die ich ebenfalls gar nicht so schlecht finde. Klingt teilweise wie Arcade Fire für Lo-Fi-Fetischisten…
Und J. McEntire scheint ja in einen Jungbrunnen gefallen zu sein, ich war tatsächlich am zweifeln.
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to here knows when[/FONT] -
Schlagwörter: Adrian Orange, Archer Prewitt, Sam Prekop, The Sea And Cake
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