Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

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  • #12476975  | PERMALINK

    herr-rossi
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    Beiträge: 87,232

    zissouHauptsache Publikum

    Wie sich Hallervorden selbst zerlegt, das ist traurig. Hab ähnliches auch schon (völlig unabhängig von dieser eigentlich abgestandenen Debatte) bei verdienten Forscherkollegen beobachten, die mit zunehmenden Alter auf so einen ganz seltsamen Ego-Trip gerieten, sich mit allen anlegten und irgendwann völlig freidrehten. Weiß nicht, ob das ein psychologisch bekanntes und erklärbares Phänomen ist.

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    #12476977  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
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    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 87,232

    lathoDass die Begriffe „Zigeuner“ oder „Neger“ schon immer rassistisch benutzt worden wären, ist anscheinend von irgendwelchen PISA-Studierenden auf social media ausgekocht worden, heißt, ohne größeres Hintergrund-Wissen. (…) Das amerikanische „Nigger“ (seit der vorletzten Jahrhundertwende Schimpfwort) ist das deutsche „Nigger“, das gab und gibt es durchaus. Das deutsche „Neger“ kommt von „negro“ (das wiederum aus dem Spanischen kommt) und das ist in den USA nicht mehr gebräuchlich, aber auch nicht verpönt (und man müsste die Werke bekannter schwarzer Bürgerrechtler zensieren). Und bevor es heißt, „Neger“ wäre abwertend benutzt worden (bzw wird): genauso wie „Jude“ und da gab es bis jetzt keine Anstrengungen, das zu ändern…

    Konnte an der Diskussion nicht „live“ teilnehmen und das meiste ist auch schon x-fach hin und her gewendet worden. Aber hier muss ich aus Sicht des Historikers deutlich widersprechen: Die Bezeichnungen „Neger“ und „Jude“ sind vollkommen unterschiedlicher Natur. „Jude“ ist die Selbstbezeichnung einer ethnischen und religiösen Gruppe, die natürlich alles andere als homogen ist, aber sich selbst als solche definiert und identifiziert, und das ungewöhnlich konsistent schon seit mehr als 2000 Jahren.

    „Neger“ ist dagegen eine dieser Fremdzuschreibungen, die sich um das Selbstverständnis der so bezeichneten Menschen nicht im Geringsten schert. Ehe die Europäer begannen, Afrika zu „entdecken“ und hunderttausende Bewohner [EDIT: „Millionen“ waren es nicht] des Kontinents aus unterschiedlichsten Ethnien und Kulturen nach Amerika zu deportieren, gab es kein Selbstverständnis der betroffenen Völker, „Afrikaner“ oder gar „Neger“ zu sein. Die vermeintliche Wertneutralität des Begriffs ist in der historischen Forschung daher auch schon in den 2000ern kritisch diskutiert worden, lange vor aufgeregten „Wokeness“-Diskursen. Der Begriff und das Konstrukt „Neger“ kam erst ab dem 17. Jahrhundert auf und ist, wie Rassismus als Konzept insgesamt, nicht zu trennen vom europäischen Kolonialismus. Das ist, soweit ich sehe, in der Geschichtswissenschaft seitdem allgemein akzeptiert und keine Schrulle übersensibler PISA-Studenten.

    Es ist richtig, dass der Begriff auch in Nachkriegsdeutschland noch als Pendant zum englischen „negro“ als vermeintlich wertneutral verwendet wurde, aber auch zunehmend als unangemessen empfunden wurde, und das nicht erst seit „Black Lives Matter“. Es war faktisch schon in den 80ern ein Wort der älteren Generation. Im Duden-Band Kaputte Wörter, den ich für einen lebensnahen und differenzierenden Wegweiser halte, hat Matthias Heine (ganz sicher kein „Wokie“) auch darauf hingewiesen, dass es im Deutschen kein Pendant zu „Nigger“ gegeben hat, weswegen „Neger“ dessen Schmähfunktion miterfüllte. PS: Dass „Nigger“ auch ein im Deutschen über vereinzelte Verwendung hinaus ein gebräuchliches Wort war, sehe ich absolut nicht.

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    #12477157  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,711

    herr-rossi
    Konnte an der Diskussion nicht „live“ teilnehmen und das meiste ist auch schon x-fach hin und her gewendet worden. Aber hier muss ich aus Sicht des Historikers deutlich widersprechen: Die Bezeichnungen „Neger“ und „Jude“ sind vollkommen unterschiedlicher Natur. „Jude“ ist die Selbstbezeichnung einer ethnischen und religiösen Gruppe, die natürlich alles andere als homogen ist, aber sich selbst als solche definiert und identifiziert, und das ungewöhnlich konsistent schon seit mehr als 2000 Jahren.
    „Neger“ ist dagegen eine dieser Fremdzuschreibungen, die sich um das Selbstverständnis der so bezeichneten Menschen nicht im Geringsten schert.

    Dagegen könnte man einwenden, dass Schwarze in der Zeit auch simpel keine Kontrolle über Selbst- und Fremdbezeichnungen hatten, weil es sie in Deutschland nicht gab. Die Kontrolle von Juden über „offizielles“ Deutsch (das es nicht gab, ich weiß) war auch beschränkt, aber es gab zumindest für sie, als größte Minderheit in deutschsprachigen Bereichen, die Möglichkeit einer Einflussnahme.

    Ehe die Europäer begannen, Afrika zu „entdecken“ und hunderttausende Bewohner [EDIT: „Millionen“ waren es nicht] des Kontinents aus unterschiedlichsten Ethnien und Kulturen nach Amerika zu deportieren, gab es kein Selbstverständnis der betroffenen Völker, „Afrikaner“ oder gar „Neger“ zu sein.

    Ja, ich denke immer, dass der weitaus größte Teil der Sklaven in der Geschichte weiß gewesen sein müsste, so gerne wie man das Geschäft in Europa und dem vorderen Orient betrieb.
    Eine Selbstsicht wird es gegeben haben, aber eben auf die eigene Gruppe, Religion, den eigenen Staat (die in Afrika bis zum „Auftauchen“ der Europäer ja im Vergleich fluid war). Und natürlich gab es da keine Worte für, erst recht in Deutsch.

    Die vermeintliche Wertneutralität des Begriffs ist in der historischen Forschung daher auch schon in den 2000ern kritisch diskutiert worden, lange vor aufgeregten „Wokeness“-Diskursen. Der Begriff und das Konstrukt „Neger“ kam erst ab dem 17. Jahrhundert auf und ist, wie Rassismus als Konzept insgesamt, nicht zu trennen vom europäischen Kolonialismus. Das ist, soweit ich sehe, in der Geschichtswissenschaft seitdem allgemein akzeptiert und keine Schrulle übersensibler PISA-Studenten.

    Dass sich Begrifflichkeiten und Wortbedeutungen verschieben, streite ich nicht ab, wie auch. Und dass sich Ansichten (auch Wortbedeutungen) anlässlich veränderter Ansichten und Situationen verschieben natürlich auch nicht.

    Es ist richtig, dass der Begriff auch in Nachkriegsdeutschland noch als Pendant zum englischen „negro“ als vermeintlich wertneutral verwendet wurde, aber auch zunehmend als unangemessen empfunden wurde, und das nicht erst seit „Black Lives Matter“. Es war faktisch schon in den 80ern ein Wort der älteren Generation. Im Duden-Band Kaputte Wörter, den ich für einen lebensnahen und differenzierenden Wegweiser halte, hat Matthias Heine (ganz sicher kein „Wokie“) auch darauf hingewiesen, dass es im Deutschen kein Pendant zu „Nigger“ gegeben hat, weswegen „Neger“ dessen Schmähfunktion miterfüllte.

    Das sei nicht angezweifelt. Der Begriff „Neger“ war meines Wissens seit den 60ern on his way out. Nichtsdestotrotz wurde er noch verwendet und eben nicht mit dem rassistischen Unterton. Und warum auch nicht, der Begriff konnte sich ja, so wie er sich im Kolonialismus ins Negative verschoben hat, im Postkolonialismus wieder verschieben. Es hängt eben davon ab, was der Sprechende für Bildung (und Bilder) im Kopf hat.

    PS: Dass „Nigger“ auch ein im Deutschen über vereinzelte Verwendung hinaus ein gebräuchliches Wort war, sehe ich absolut nicht.

    Ich wusste das lange Zeit auch nicht. Und natürlich wurde das nicht häufig verwendet und wenn dann im „modernen“ US-Sinn, als absolut abfälliges Schimpfwort. Aber ich habe das jetzt einige Male gelesen, unter anderem natürlich von den Nazis (denen vor ’45). Ich bleibe dabei, vorhanden war es, eingesetzt wurde es wie im Englischen, aber ja, gebräuchlich war es nicht.
    In den 80ern und frühen 90ern war „Neger“ eher ein Begriff, der zB von der Neuen Frankfurter Schule als Satire eingesetzt wurde. Ich bleibe also dabei, (alten) Leuten, die „Neger“ benutzen, „Rassismus“ vorzuwerfen, ist , um mal Sascha-Lobo-mäßig ein neues Adjektiv zu erfinden, „twitter“.

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