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WerbungSchöne Berichte @yaiza, danke! Besonders der Pergamenschikow-Abend klingt sehr toll!
Ich habe auch noch nicht viele Cello-Rezitale gehört … eins mit den Kanneh-Masons (Sheku und Isata), eins mit Gabetta/Bezuidenhout (mit einem alten Blüthner-Flügel), einmal mit Altstaedt/Lonquich alle fünf Beethoven-Sonaten … und dann mal Kopatchinskaja/Gabetta inkl. Kodály. Ich glaube, da vergesse ich wirklich nichts, und für fast 10 Jahre ist das keine so super Ausbeute. Violinrezitale hörte ich in derselben Zeit bestimmt drei- oder viermal so viele (z.B. mehrmals Janine Jansen, Vilde Frang oder Julia Fischer). Für Sheku Kanneh-Mason habe ich im Sommer wieder eine Karte, dann spielt er mit dem Gitarristen Plínio Fernandes:
https://www.lucernefestival.ch/de/programm/sheku-kanneh-mason-plinio-fernandes/2065Bei mir gab’s letzte Woche ein Orchesterkonzert mit Cello: Sol Gabetta spielte die irre Symphonie für Cello und Orchester von Britten, die ich noch überhaupt nicht kannte. Muss ich dann mal zuhause anhören, aber momentan läuft da fast nur Jazz … abends bin ich gerade mitten in Wagner „Ring“, der seit Freitag als Zyklus aufgeführt wird. Das ist ein völlig unfassbares Erlebnis. Morgen und Donnerstag geht es weiter…
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaLucerne Festival: Sommer-Festival 2024 – Neugierde, orphisch
(Teil 1)Nach dem, was mir eineinhalb Monate vor Beginn des Festivals widerfahren ist, war es umso schöner, dass ich alle geplanten Besuche ohne nennenswerte Probleme machen konnte. Zweimal bin ich hin und am selben Tag wieder nach Hause, zweimal eine Nacht geblieben, einmal zwei Nächte – das ist von der Distanz her zwar nicht nötig, aber wesentlich weniger stressig, zumal ich auch Konzerte um 11 Uhr und einmal eins um 21:30 besucht habe), was unter den Umständen (also: meinem Zustand) erst recht angenehmer war. Geplant hatte ich das alles vor dem Vorverkaufsstart im März. Und es war toll, quasi mein Leben wieder zu haben. Abgesehen davon, dass mein Schwerpunkt auf der Neuen Musik lag (von Schönberg bis zu Werken junger Komponist*innen aus dem jährlichen „Composer Seminar“) und ich eine Menge Entdeckungen machte (nicht zuletzt von den beiden diesjährigen „composers in residence“, Beat Furrer und Lisa Streich), hörte ich im Gegensatz zum Vorjahr auch das Festivalorchester ein paar Male, zudem an reisenden Orchestern das Rotterdam Philharmonic Orchestra, das Orchestre de Paris, die Münchner Philharmoniker sowie die auf hohem Niveau enttäuschenden Wiener Philharmoniker. Kammermusik gab es mit dem einen diesjährigen Artist „artiste étoile“, Sheku Kanneh-Mason, Mitgliedern des Festivalorchesters (LFO) und des Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO). Klavierrezitale hörte ich von Anna Vinnitskaya und Isata Kanneh-Mason. Für Glanzlichter mit Orchester sorgten die andere „artiste étoile“, Lisa Batiashvili, aber auch Beatrice Rana, Renaud Capuçon, Simon Höfele und Jörgen van Rijen. Am Pult standen Ruth Reinhardt, Yannick Nézet-Séguin, Lavah Shani, Klaus Mäkelä, Christian Thielemann, Beat Furrer und George Benjamin. Neue Musik gab’s zudem mit dem Ensemble Helix/Studio für zeitgenössische Musik der Hochschule Luzern, dem Klangforum Wien sowie diversen Teilnehmenden der Lucerne Festival Academy (inkl. welchen, die 2025 dabei sein werden), des Composer Seminar und des Contemporary Conducting Programme. Weil Wolfgang Rihm in der Vorbereitungszeit verstorben ist, sind sein Sidekick Dieter Ammann sowie die bereits letztes Jahr anwesende und aushelfende Unsuk Chin eingesprungen.
„Neugierde“ lautete das Festivalmotto – warum dann Bruckner und Mahler zu Hauptkomponisten wurden (und manche erst 2022 und 2023 schon zu hörenden Werke wieder im Programm standen), habe ich nicht verstanden, aber das spielt auch keine Rolle, denn ich liess mich wirklich von der Neugierde leiten und das war eine sehr gute Idee und habe sehr vieles entdecken können. Nachdem die Ausgabe letztes Jahr in der Hinsicht etwas weniger gelungen war, knüpfte 2024 für meine Ohren an die Ausgabe von 2022 an, die unter dem von konservativer Warte gescholtenen Motto „Diversity“ lief.
Verpasst habe ich u.a. fast alle grossen Bruckner- und alle Mahler-Symphonien, die Gastspiele der Berliner Philharmoniker, die Auftritte des Festivalorchester mit einem Leiter Riccardo Chailly, den zweiten Teil von Kent Naganos „Ring“ mit dem Concerto Köln (scheint phänomenal gewesen zu sein) und noch vieles mehr. Dass ich Francesco Piemontesi (beim Konzert des Luzerner Sinfonieorchesters) nicht hören konnte, hätte ich verschmerzen können – dass er beim Saisonauftakt des Kammerorchester Basel, das auf einen Vortag eines Luzern-Besuches fiel, für die erkrankte Hélène Grimaud einsprang, ebenso … doch von vorne.
Es war viel und ich will mich kurz fassen (ha ha).
18.8., 11:00 – Lucerne Festival Orchestra 3
Solist*innen des Lucerne Festival Orchestra
u.a. Johannes Berger (Orgel), Reinhold Friedrich (Trompete), Jörgen van Rijen (Posaune), Lucas Macias Navarro (Oboe), Korbinian Altenberger (Violine), Béatrice Muthelet (Viola), Thomas Ruge (Violoncello)Enjott Schneider (*1950): Hoketus aus Jubilus für zwei Trompeten, zwei Posaunen, Pauke und Orgel
Julien-François Zbinden (1917–2021): Dialogue für Piccolotrompete und Orgel op. 50
Alfred Schnittke (1934–1998): Schall und Hall für Posaune und Orgel
James MacMillan (*1959): A New Song, arrangiert für zwei Trompeten, zwei Posaunen und Orgel von Jörgen van Rijen
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Ricercar a 6 aus dem Musikalischen Opfer BWV 1079, arragiert für Trompete, Posaune und Orgel
Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791): Oboenquartett F-Dur KV 370 (368b)
Louis Vierne (1870–1937): Marche Triomphale pour le centenaire de Napoléon 1er op. 46 für drei Trompeten, drei Posaunen, drei Pauken und Orgel18.8., 15:30: Lucerne Festival Academy 1
Solist*innen des Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)
Raimonda Žiūkaitė (Stimme), Johnna Wu (Violine), Jack Adler-McKean (Tuba), Edward Kass (Kontrabass), Helga Karen (Klavier), Aya Masui (Schlagzeug), João Carlos Pacheco (Schlagzeug), Noah Rosen (Schlagzeug)Im Gedenken an Wolfgang Rihm: Begrüssung durch Intendant Michael Haefliger, Worte von Unsuk Chin, Dieter Ammann und Helga Karen, Ausschnitt aus „Inheriting the Future of Music: Pierre Boulez und die Lucerne Festival Academy“ (Günter Attlen/Angelika Stiehler, DE 2010)
Wolfgang Rihm (*1952): Stück für drei Schlagzeuger
Pierre Boulez (1925–2016): une page d’éphéméride für Klavier
Lisa Streich (*1985): Safran für motorisiertes Klavier und Violine
Beat Furrer (*1954): kaleidoscopic memories für Kontrabass und Live Elektronik
Raimonda Žiūkaitė (*1991): Neues Werk für Tuba und StimmeMein erster Besuch war kurz: Sonntags in die Matinée um 11 und ins Nachmittagskonzert, das der eigentliche Auftakt der Jubiläums-Academy (vor 20 Jahren von Pierre Boulez ins Leben gerufen, ein Labor für zeitgenössische Musik) war, nachdem Lisa Streich und das LFCO schon beim Eröffnungskonzert am 16. präsent gewesen waren (wo hauptsächlicher Chailly mit dem LOF die Siebte von Mahler aufführte). Festlich war das Konzert um 11 Uhr, denn es gab in erster Linie Orgel und Blechbläser, ein bunter Mix aus Virtuosem und Pompösem, ein Bläser tauchte auch mal in einer der geöffneten „Nischen“ neben der Orgel auf (oben im Bild zu sehen, dieser Bereich im Innern des „Schiffsrumpfs“, der der Konzertsaal ist, ist rot ausgekleidet … die „salle blanche“ hätte ja dunkel gestaltet sein sollen, wenn Claudio Abbado, der damalige Chefdirigent, sich nicht kategorisch geweigert hätte … schade, hat man ihm nachgegeben, noch bedauerlicher, hat man bei der neulichen Sanierung nicht umgestrichen!) Ein Gegenpol – klanglich und charakterlich – bot das Oboenquartett von Mozart, das aber auch ein Fremdkörper in diesem recht disparaten Programm blieb. Immerhin hatte man den Ablauf etwas umgestellt und den Pomp von Vierné für den Kaiser (Napoleon, who else?) anstelle von Mozart ans Ende geschoben. Und bei Mozart wurde vielleicht auch zum ersten Mal gesungen – von der Oboe. Das in Begzug auf mein dem Fetivalmotto hinzugefügtes Prädikat.
Nach dem Konzert sass ich im Selbstbedienungscafé unter dem auskragenden Vordach des KKL – bis es heftig zu regnen und zu widen begann und sich alle, die draussen ausharrten, nach hinten verschieben mussten, um nicht durchnässt zu werden. Der Himmel weinte für Wolfgang Rihm. In der Eröffnung der Academy sprachen Intendant Michael Haefliger, Unsuk Chin, Dieter Ammann und Helga Karen über Rihm, von dem auch ein rituelles Schlagzeugtrio zu hören war. Dazu gab es ein Klavierstück von Boulez (von Karen gespielt), erste Begegnungen mit den beiden Composers in Residence und am Ende ein Stück von Raimonda Ziukaite (2022 beim Composer Serminar), dass diese auch gleich selbst (mit-)aufführte. Das Bass-Solo mit Zuspielung von Furrer und das motorisierte Klavier bei Streich (dem ich nochmal begegnen sollte) überzeugten mit nur mässig, Furrers Stück hätte auch aus den Siebzigern sein können, war mein Eindruck, und für Jazz und Avantgarde-Hörer waren die Spieltechniken, die zum Einsatz kamen, eh allesamt total vertraut. Es waren und sind Dieter Ammanns sehr persönliche Worte über Rihm, Kollege, Freund, partner in crime, die berührten und nachhallen (Foto oben).
24.8., 11:00: Lucerne Festival Academy 2
Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)
Ruth Reinhardt DirigentinArnold Schönberg (1874–1951): Fünf Orchesterstücke op. 16 (Fassung von 1949)
Lisa Streich (*1985): Ishjärta für Orchester (Schweizer Erstaufführung)
Wolfgang Rihm (1952–2024): In-Schrift für Orchester
Pierre Boulez (1925–2016): Rituel in memoriam Bruno Maderna für Orchester in acht GruppenNachdem der erste Konzertbesuch problemlos verlaufen war (mir war nicht klar, ob ich ein oder zwei Stunden am Stück ruhig – und beschwerdefrei – sitzen konnte, zum Glück hatte ich fast immer Randplätze, aber raus musste ich am Ende nie) freute ich mich auf die zwei folgenden Wochenenden, an denen ich jeweils von Samstagmorgen bis Sonntagabend bzw. -nachmittag dort sein würde. Das dritte Konzert war dann ein grosses Highlight: das LFCO unter Ruth Reinhardt (*1988, Saarbrücken, 2018 und 2019 Assistenzdirektorin beim Lucerne Festival, wo ich sie auch schon einmal in Aktion erlebt hatte). Vom Schönberg zum Auftakt war ich wieder einmal total begeistert: Was ist das für irre schöne Musik? Warum füllt sie nicht ständig überall die Konzertsäle? Ich werde das nie verstehen. Danach Orchesterwerke von Streich und Rihm – und Anlass für die eine oder andere seltsame Bemerkung über die Langweiligkeit oder Schrecklichkeit von solchen Frauenwerken. Niemand soll denken, sich für progressiv haltenden Männer seien weniger misogyn als der Rest – ich hab jedenfalls beim Herausgehen ein paar Satzfetzen aufgeschnappt, die in der Hinsicht mal wieder sehr aussagekräftig waren. Selber fand ich beide Stücke ansprechend, aber das Glanzlicht – eins der ganz grossen in all den Konzerten – setzte dann Boulez‘ Stück am Ende. Die Tribüne im kleineren Luzerner Saal war eingefahren, der Raum flach, damit die acht Orchestergruppen rund um das Publikum herum Platz nehmen konnten. Für Reinhardt war in der Mitte ein zweites Podium aufgebaut worden, von dem aus sie die Orchestergruppen „angeknipst“ wurden. fast eine halbe Stunde lang wird minimales Material ständig neu auf- und umgeschichtet, ein hypnotisierender Effekt. Danach wandelte ich leicht benommen durch die tolle Ausstellung von Ugo Rondinone im Kunstmuseum Luzern.
Noch einmal zurück: Im Stück von Streich wurden zum ersten Mal beim Festival die Akkorde hörbar, die sie „angeschimmelt“ nennt: sie sammelt Aufnahmen von Laienchören, die unrein singen, überträgt solche durch mikrotonale Verschiebungen geprägte Akkorde aufs Orchester, wo rein und unrein intonierte Stimmen in stetiger Bewegung aufeinandertreffen. Dazu kommt eine prägende, nicht immer prägnant an der Oberfläche zu hörende, aber in den Tiefen der Musik zu fühlende Rhythmik, die in „Ishjärta“ (uraufgeführt von den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko im Juni 2023) bis zu pulsierenden Beats geht. Harsche Kälte trifft auf warme, Streicherakkorde, Ätherisches, Schönes auf Spitzes, Dumpfes. Akkorde werden gebrochen und neu zusammengefügt – dabei kommen beim Schlagwerk auch Dinge wie ein Waschbrett oder ein Eierschneider zum Einsatz.
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24.8., 18:30: Lucerne Festival Orchestra 5
Lucerne Festival Orchestra
Yannick Nézet-Séguin Dirigent
Beatrice Rana KlavierClara Schumann (1819–1896): Klavierkonzert Nr. 1 a-Moll op. 7
Anton Bruckner (1824–1896): Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (Edition von Leopold Nowak)Das Abendkonzert begann eine Stunde früher als üblich, da es danach noch eines gab – ich vermute aber, dass die Schnittmenge des Publikums recht klein war. Beatrice Rana erwies sich als phantastische Advokatin für das Klavierkonzert von Clara Schumann, das erstmals beim Festival zu hören war – im Gegensatz zur Siebten von Bruckner, die ich letztes Jahr in einer phänomenalen Aufführung durch das Gewandhausorchester unter Herbert Blomstedt gehört hatte. So viel zur „Neugierde“. Der Kontrast war gross: das flirrende, virtuose Klavierkonzert mit seinem solistisch beginnenden Mittelsatz, der in eine Duo mit dem Solo-Cello mündet (ein gewisser Brahms liess sich inspirieren), das Orchester dafür in deutlich kleinerer Besetzung als dann für Bruckner. Ich sass ganz oben und ganz hinten im vierten Balkon – akustisch super, klimatisch nah an einem Saunabesuch … muss ich mir merken (hatte ich von letztem Jahr, als ich einmal dort sass, schon wieder vergessen). Bruckners Siebte ist natürlich jedes Mal ein Erlebnis, ein Ereignis, und die Aufführung gefiel mir auch gut – doch die letzten gehörten Aufführungen (vor Leipzig/Blomstedt schon 2019 Haitink bei einem seiner letzten Auftritte mit den Wiener Philharmonikern) haben sich ganz anders eingebrannt.
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24.8., 21:30: Sheku Kanneh-Mason & Plínio Fernandes
Sheku Kanneh-Mason Violoncello
Plínio Fernandes GitarreHeitor Villa-Lobos (1887–1959): Aria (Cantilena) aus Bachianas brasileiras Nr. 5
Radamés Gnattali (1906–1988): Sonate für Violoncello und Gitarre
Leo Brouwer (*1939): Sonate für Violoncello und Gitarre The Magic Space
Rafael Marino Arcaro (*1990): Élégie à une mémoire oubliée
Astor Piazzolla (1921–1992): Café 1930 und Nightclub 1960 aus Histoire du TangoDas späte Konzert – wie viele der heuer gehörten ca. 75 Minuten ohne Pause – fand im Luzerner Theater statt und präsentierte den „artiste étoile“ Sheku Kanneh-Mason im ersten von zwei Duos, mit dem kubanischen Gitarristen Plínio Fernandes. Das war sehr kurzweilig, mein Highlight war die Sonate von Leo Brouwer, von diesem Duo in Auftrag gegeben und 2020 komponiert. In Gnattalis Sonate von 1969 gibt es unter anderem auch jazzige Anklänge. Arcaros Stück ist ebenfalls dem Duo gewidmet. Der Komponist aus Brasilien betrachtet João Gilberto als Vorbild, spürt originärer brasilianischer Musik nach (Suyá, Xavante), verbindet diese Traditionen mit der europäischen Musiktradition vergangener Jahrhunderte – und Kanneh-Mason lässt sein Cello singen, wie er es schon in der öffnenden Aria von Villa-Lobos getan hatte. Das Publikum war begeistert – klatschte leider auch bei den Sonaten stets nach dem ersten Satz … egal, wie sehr die Musiker sich drum bemühten, die Spannung zu halten. Die zwei traten allerdings auch sehr entspannt auf und sagten die Stücke abwechselnd an. Und ohne Zugabe liess man sie nicht gehen (da gab’s nochmal ein bekanntes Stück von Piazzolla).
25.8., 11:00: Lucerne Festival Orchestra 6
Lucerne Festival Orchestra
Gregory Ahss Violine und Leitung (Frühling, Herbst)
Raphael Christ Violine und Leitung (Sommer, Winter)Antonio Vivaldi (1678–1741): Die vier Jahreszeiten op. 8
Kurzentschlossen hatte ich – wo ich ja eh in Luzern übernachtete – auch noch eine Karte für die Sonntagsmatinée gekauft, und bin mit gegen Null tendierenden Erwartungen hin. Die Aufführung der Vier Jahreszeiten erwies sich allerdings als schöne Überraschung. das LFO trat natürlich in sehr kleiner Besetzung auf (neben den zwei Konzertmeistern gab es an Streichern nochmal 4-4-3-2-1, dazu ein Cembalo und eine Theorbe) und dass sich die zwei Konzertmeister (Ahss hauptberuflich beim Luzerner Sinfonierochester, Christ bei den Bochumer Symphonikern und dem Kölner Kammerorchester) im Wechsel die Solo-Partie teilten, war eine echt gute Idee. Christ spielte kontrollierter, mit schönerer Tongestaltung, Ahss deutlich lebendiger, bewegter, freier, rauh, manchmal fast ruppig im Klang. Nach dem Konzert führten sie als eine Art Rattenfänger das Publikum nach draussen (unter das erwähnte, weit auskragende Dach) und spielten nochmal ein paar Sätze aus den Jahreszeiten.
25.8., 14:30: Composer Seminar: Abschlusskonzert 1 — LFCO
Lucerne Festival Contemporary OrchestraTeilnehmer*innen des Contemporary-Conducting Program:
Daniel Huertas, Joséphine Korda, Yannik Mayaud, Raimonda SkabeikatieDieter Ammann stellt die Komponist*innen und ihre Werke im Konzert vor.
Werkschau des Composer Seminars für Orchester:
Yixuan Hu (*1998): Icarus für grosses Orchester
Eden Lonsdale (*1996): Tellurian für Orchester
Kenta Onoda (*1996): Bogossitude II für Orchester
Jose Luis Valdivia Arias (*1994): Cyberpunk für grosses Orchester
(Uraufführungen)Das wäre nun der Einsatz von Wolfgang Rihm gewesen, nehme ich an – in Aktion erlebt habe ich ihn nie, aber schon Werke von ihm in Luzern gehört, und vermutlich das eine oder andere ihm zu verdankende musikalische Erlebnis. Dieter Ammann führte durch das Konzert, in dem die Stücke teils zweimal gespielt wurden, teils in Auszügen auseinander geschichtet und dabei ihre Konstruktionsprinzipien erläutert wurden. Ein phantastisches Format fand ich, zumal das alles dichte Werke waren, die man so oder so mehrfach müsste hören können, um sie einigermassen zu erfassen. Konzipiert war das ganze als eine Art Symphonie in vier Sätzen, mit Lonsdale wahnsinnig schönem Stück als Adagio und dem auf einer ganz einfachen Melodie aus drei Tönen basierenden Stück von Onoda als Scherzo. Die Kommentare von Ammann waren hilfreich, er übte auch da und dort etwas Kritik, und betonte mehrfach, dass auch für solche Musik kein Vorwissen nötig sei, dass die teils vorliegenden „Programme“ der Stücke auch einfach ignoriert werden, die Musik frei von Vorwissen ihre Wirkung entfalten lassen könne – dass das alles auch gar nicht „schwierig“ sei, dass es schliesslich kein Richtig und kein Falsch gebe bei dem, was im Publikum ankommt. Geleitet wurden die vier Stücke von vier Teilnehmer*innen beim diesjährigen Contemporary-Conducting Program – natürlich auch Teil der Academy.
25.8., 18:30: Rotterdam Philharmonic Orchestra
Rotterdam Philharmonic Orchestra
Lahav Shani Dirigent
Lisa Batiashvili ViolineFelix Mendelssohn (1809–1847): Meeresstille und glückliche Fahrt. Konzertouvertüre op. 27
Ludwig van Beethoven (1770-1827): Violinkonzert D-Dur Op. 61 (Kadenz: Kreisler)
Claude Debussy (1862–1918): La Mer
Maurice Ravel (1875–1937): La Valse. Poème chorégraphiqueDas war aber noch nicht alles, ich blieb an diesem ersten Wochenende noch zum Abendkonzert, bei dem Lisa Batiashvili ihren Einstand als „artiste étoile“ gab (beim Festival trat sie erstmals 2018 auf). Angekündigt war Mozarts A-Dur Konzert KV 219 (mit eigenen Kadenzen), doch kurzfristig scheint die Solistin es sich anders überlegt zu haben. Zum Glück, bin ich zu sagen geneigt, auch wenn das Konzert durch die Programmänderung ziemlich lange wurde: die über zehnminütige Mendelssohn-Ouvertüre wäre gewiss nicht dem Beethoven-Konzert vorangestellt worden. Aber egal, das war von vorne bis hinten gut, das Orchester und Lahav Shani, den ich später nochmal hören sollte, überzeugten mich sehr, die Solistin spielte ihren Part phänomenal – und mal die Kreisler-Kadenz im Konzert zu hören, war auch sehr toll.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba30.08.2024 – Basel, Stadtcasino – Kammerorchester Basel: Femmes exceptionnelles
Kammerorchester Basel (Julia Schröder)
Francesco Piemontesi KlavierFanny Hensel (1805–1847): Ouvertüre in C-Dur
Ludwig van Beethoven (1770–1827): Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 in G-Dur
Emilie Mayer (1812–1883): Sinfonie Nr. 5 in f-MollDie Woche drauf ging es am Freitagabend an die Saisoneröffnung des Kammerorchester Basel, das eine Tour mit Hélène Grimaud geplant hatte, die allerdings nach den Proben und dem ersten Konzert (Gstaad, 18.8.) krankheitshalber ausschied und von Francesco Piemontesi ersetzt wurde („femmes et homme exceptionnelles“). Das war dann für meine Ohren das Problem bei diesem Konzert, das aber auch so sehr gut war. Das Kammerorchester spielte ohne Dirigentin, vor allem in der Symphonie von Emilie Mayer nach der Pause übernahm Konzertmeisterin Julia Schröder vom ersten Pult aus die Leitung. Das gelang alles sehr gut, auch in der Ouvertüre von Hensel und auch beim wunderbaren Konzert von Beethoven, dem ein kammermusikalischer Ansatz, ein lebendiges und agiles Musizieren sehr gut steht. Ich hatte von Grimaud einen relativ trockenen Ansatz erwartet, der da auch super reingepasst hätte. Piemontesi spielte das Konzert für meine Ohren gar zu romantisch, wirkte in den Gesten oft etwas zu gross für den Rahmen, zu üppig in der Klanggestaltung. Das scheint aber in erster Linie mein Problem gewesen zu sein, denn der Applaus war riesig. Mein Highlight war es dann, einmal eine der sehr hörenswerten Symphonien von Mayer im Konzert erleben zu können – ein Stück, in dem es auch immer wieder eingängige, ja liedhafte Melodien zu hören gibt (orphisch eben, steht ja oben).
Davor hatte ich in der Kunsthalle Basel die Ausstellung von Toyin Ojih Odutola gerade noch erwischt und die neu eröffnete von Sandra Mujinga auch noch angeschaut. Von Odutola stammen die Bilder hier.
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(Teil 2)31.8., 11:00: Composer Seminar: Abschlusskonzert 2 — IEMA-Ensemble
Internationale Ensemble Modern Akademie (IEMA-Ensemble 2023/24)Teilnehmer*innen des Contemporary-Conducting Program:
Daniel Huertas, Joséphine Korda, Yannik Mayaud, Raimonda SkabeikatieDieter Ammann stellt die Komponist*innen und ihre Werke im Konzert vor.
Werkschau des Composer Seminars für Ensemble:
Che Buford (*2000): Beauty Is Brief and Violent für Sinfonietta
Ingrid Saldaña (*2003): Transmisión für Ensemble
Coral Douglas (*1999): etwas unter den Teppich kehren für Ensemble
Sebastian Black (*1996): To Shimmer, to Quiver, to Quake für ein Ensemble aus 12 Musiker*innen
Christoph Baumgarten (*2000): Choral für Ensemble
Tianyu Zou (*1996): Étude für acht Solist*innen
Hyeokjae Kim (*1998): How Terrible Is This Place für grosses Ensemble (13 Spieler*innen)
Noh SeungJu (*1997): Hwik[mik] für Ensemble
(Uraufführungen)In Luzern ging es wieder um 11 Uhr los, mit Teil 2 des Composer Seminars, wieder von Dieter Ammann moderiert, aber angesichts des langen Programmes ohne Wiederholungen und Klangbeispiele. Zum Einsatz kamen die Akademie des Ensemble Modern sowie die vier schon bekannten Dirigent*innen vom Contemporary-Conducting Program, die jeweils zwei Stücke leiteten. Was hier vielleicht am frappantesten war, aber auch schon beim Orchesterprogramm deutlich geworden ist: die jungen Komponist*innen bewegen sich mit grosser Selbstverständlichkeit in einem polystilistischen Umfeld, setzten Altbewährtes neben Neues, traditionelle Spielweisen neben erweiterte Techniken, bereichern die Klangplaette mit Mikrotonalem, Geräuschhaftem usw.
Das Ensemble bestand in Maximalbesetzung aus Flöte/Piccolo/Altflöte, Oboe, Klarinette/Bassklarinette, Fagott/Kontrafagott, Horn, Trompete, Posaune, Klavier, Schlagzeug, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass – wobei die Oboistin im Stück von Zou ihre Stimme einsetzte (durch ein Megaphon) und diverse kleine Perkussionsinstrumente spielte, während die Pianistin an den Synthesizer wechselte. Es gab Collagen (Douglas), Orchestermaschinen (Saldaña), jazzige Klänge (bei Buford musste ich neben Ravels „Boléro“ auch an Gil Evans denken, auch bei Kim klang es manchmal jazzig), eine Art orchestraler Synthesizer (Zou), Groteskes (Kim), Improvisiertes (Douglas, Zou). Am besten fand ich vermutlich die Stücke von Black (ohne Oboe) – die Solo-Violine tritt mit der Flöte (Piccolo und Altflöte) in einen Dialog, das Ensemble entwickelt orchestralen Charakter – sowie das Stück von Baumgarten. Letzteres eine Art Klavierkonzert mit Resonanzen des Ensembles, ein sehr differenziertes und nuancenreiches Stück, das auch ganz stille Momente kennt.
Das Konzert war am Ende vielleicht etwas zu viel, sechs Stücke hätten es auch getan – aus Sicht dieses Hörers zumal, natürlich nicht aus Sicht der jungen Komponist*innen (auf dem Foto in dunklen Kleidern sowie in Orange oder Ocker ganz links – die anderen Farbtupfer, 2. bis 5. v.l., kommen von den vier Dirigent*innen).
31.8., 16:00: Rezital Sheku Kanneh-Mason
Sheku Kanneh-Mason Violoncello
Harry Baker Klavier«Bach & Beyond»
Lianne La Havas (*1989): Sour Flower, arrangiert von Sheku Kanneh-Mason und Harry Baker
Leoš Janáček (1854–1928): Nr. 3, 4, 10 und 15 aus 15 Mährische Volkslieder, arrangiert von Harry Baker
Leoš Janáček (1854–1928): Pohádka («Märchen») für Violoncello und Klavier
Bill Evans (1929–1980): Waltz for Debby
Pat Metheny (*1954): James
Sheku Kanneh-Mason (*1999): Prelude & Harry Baker (*1997): Fugue
Laura Mvula (*1987): Green Garden, arrangiert von Harry Baker
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Prélude aus der Suite für Violoncello solo Nr. 1 G-Dur BWV 1007
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Choralvorspiel Ich ruf zu dir BWV 639
Harry Baker (*1997): I call to you (nach Bachs Ich ruf zu dir)
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Courante un Sarabande aus der Suite für Violoncello solo Nr. 1 G-Dur BWV 1007
Heitor Villa-Lobos (1887–1959): Dansa und Toccata aus der Bachiana brasileira Nr. 2
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Gigue aus der Suite für Violoncello solo Nr. 1 G-Dur BWV 1007
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Präludium und Fuge D-Dur BWV 850 aus dem Wohltemperierten Klavier, Band 1
Zugabe: Astor Piazzolla (1921–1992): Libertango, arrangiert von Harry BakerMein zweites Konzert (seine beiden Auftritte mit Orchester verpasste ich) mit Sheku Kanneh-Mason bot ein weiteres buntes Programm von Bach bis zum Jazz. Ob der Ablauf oben wirklich stimmt, ist mir nicht in allen Details klar, v.a. ob wirklich fünf Stücke von Janácek erklangen (Nr. 3 aus den Volksliedern war vor Villa-Lobo abgedruckt, aber dort gab’s keinen Janácek mehr). Dass es in der Lukaskirche fast unerträglich heiss war, kann man erahnen beim Blick auf Baker oben im Foto. Das Programm fand ich alles in allem gelungen, die Pop-Songs und Jazz-Tunes in der ersten Hälfte sowie die eigenen klassischen Stücke in der zweiten, von Bach umklammerten Konzerthälfte, fügten sich gut zum Ganzen. Wenn ich gewisse Vorbehalte habe, betreffen sie Kanneh-Masons Cellospiel. Dieses ist innig, intensiv, laut – und überaus packend. Aber für meine Ohren fehlen dabei manchmal ein wenig die Nuancen – er betätigt sich als Sänger, als Melomane (Villa-Lobos!), fast alles fängt beinah zu brennen an unter seinen Händen. Das ist oft toll, aber gerade bei den vier Sätzen aus der ersten Cellosuite von Bach funktioniert diese Herangehensweise für mich nicht so richtig. Für einmal habe ich hier die Zugabe ins Programm gekritzelt: „Libertango“ von Piazzolla, im Arrangement von Harry Baker.
31.8., 19:30: Lucerne Festival Academy 3
Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)
Beat Furrer Dirigent
Simon Höfele TrompeteBeat Furrer (*1954): Lichtung für Orchester (Uraufführung «Roche Commissions»)
Lisa Streich (*1985): Meduse «Elle est belle et elle rit.» für Trompete und Orchester (Schweizer Erstaufführung; Auftragswerk des Konserthuset Stockholm/Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, des WDR Sinfonieorchesters, von Lucerne Festival und L’Auditori/Orquestra Simfonica de Barcelona i Nacional de Catalunya)
Morton Feldman (1926–1987): Coptic Light für OrchesterEin grossartiges Konzert am Abend riss den Tag dann heraus: Beat Furrer leitete das LFCO, es gab eine Auftragsarbeit von ihm selbst, ein Trompetenkonzert von Lisa Streich sowie ein mir noch nicht vertraute Orchesterwerk von Morton Feldman. Furrers Kunst ist eine der stillen Töne, der kleinen Nuancen – sie erfordert Aufmerksamkeit und wohl auch ein Faible für Stille. Zwei „Bilder“ hat er in „Lichtung“ umgesetzt: eine Lichtung inmitten eines Waldes, „Lichtbrechung oder ein Flimmern der Luft waren Assoziationen zum ersten Klang des Orchesterstücks“ (Furrer im Programmheft). Gehauchte Liegetöne der Streicher, ein Lichttreifen der Flöte, langsam aufsteigende mikrotonale Bewegungen – überhaupt viel Bewegung, aber oft in winzigen Dimensionen, in leisester Lautstärke, immer wieder neu ansetzend, zum Ausgangsunkt zurückkehrend. Neue Motive tauchen auf, ähnlichen Bewegungen unterworfen, und so entsteht eine Art Kaleidoskop. Dann ein zweites „Bild“, ein zweiter Prozess, dieses Mal abwärts verlaufend: ein Fluss, der sich auf eine Stromschnelle zubewegt. Fäden reissen ab, das Orchester gleitet in die Tiefe – während einzelne Töne in der Höhe hängen bleiben.
Die Gegenüberstellung mit dem Stück von Morton Feldman fand ich sehr gelungen – und aufschlussreich. Eher statisch wirkt seine Musik, die Zeit domestizierend, eine Art Stillstand herstellend, wie man ihn aus den Werken Mark Rothkos kennt. Alles ist von Beginn weg da, eine sehr grosse Besetzung im dreifachen Piano, chromatisch, flirrend, eine Art Rätsel: Die Frage, was Menschen in 2000 Jahren denken würden, wenn sie auf eine Orchesterfragment unserer Zeit stossen würden. Ausgelöst hatte diese Frage die Begegnung mit Fragmenten koptischer Stoffe im Louvre: „Feldman spürte, wie sich selbst in den Farben und unregelmässigen Mustern der wenigen erhaltenen Reste ‚das Wesentliche der Atmosphäre ihrer Zivilisation‘ bewahrt hatte“ (Martina Seeber im Programmheft). Einen solchen „Rest“ schafft Feldman mit seinem Stück. Textur, Tempo, Tonhöhen und Farben sind in stetiger Bewegung – eine Art orchestrales Chiaroscuro, in dem alles ist schon immer da ist, eine permanente Veränderung ohne Brüche, ein stetiges Fliessen ohne echte Bewegung, eine Aufhebung der messbaren Zeit.
Auch das Werk dazwischen, das Trompetenkonzert von Lisa Streich, war eine Offenbarung – meine grösste, schönste Entdeckung beim Festival möchte ich sagen, auch oder gerade weil sie völlig unerwartet kam. In der Konzerteinführung hatte Streich mit Mark Sattler, dem für die neue Musik zuständigen Dramaturgen, einiges über die Entstehung und ihren Blick auf das Stück erzählt, mit dem sie eine Art Rehabilitation der Medusa versucht, wobei sie sich auf Hélène Cixous bezieht, den Blick auf alternative Erzählungen wirft, in denen Medusa nicht als Monster zur Welt kommt sondern eine schöne junge Frau war, die zum Opfer männlicher Lust und Gewalt wurde – so erzählt auch Ovid die Geschichte. Dass dies ausgerechnet in einem Trompetenkonzert geschieht, entbehrt natürlich nicht der Ironie. Doch Streich schrieb ihr Stück auch mit Simon Höfele im Kopf: dieser beherrscht die Kunst der leisen Töne, kann die Trompete ganz zart und fein klingen lassen. „Leere Gesten, billige Floskeln und schier endlose Repetitionen bereiten den Auftritt des Solisten vor“ (Seeber). Bei seinem ersten Einsatz sieht man ihn zunächst spielen – aber hört ihn nicht. Erst allmählich befreit sich seine Stimme aus dem Ganzen – und hörbar wird ein ganz kleines Quartmotiv, zwei Tönen, zwischen denen die Trompete pendelt. Später spielt er einen Gartenschlauch mit einem Trompetenmundstück, schwingt ihn über vor sich und lässt den Ton sich im Raum bewegen. Groteske Elemente hat auch das Orchester, in dem sich immer wieder Fenster auf ferne Töne zu öffnen scheinen. Wie bei Ives klingt – aber sehr leise – Jahrmarktsmusik herein, ein Marsch. Feines und Zartes prallen auch hier wieder auf Hartes, Grobes, ja Brutales, Überirdisches auf allzu Irdisches. Darin ist Streich Mahler nahe – und mit Programmmusik hat das alles überhaupt nichts zu tun, das funktioniert ganz für sich – und hat mich wirklich komplett in den Bann gezogen. Auch das ein Werk, das mir wie ein Gesang vorgekommen ist – nicht nur in der Trompete, sondern auch im Orchester, in dem natürlich wieder die gebrochenen, mikrotonal verfremdeten Akkorde eine Rolle spielten, die ich oben schon erläutert habe.
Ein halbwegs schlaues Foto konnte ich aus der ersten Reihe nicht machen (bei solchen Konzerten ist nur das Parkett offen und die günstigen Plätze umso rarer – ganz hinten oder ganz vorn).
1.9., 11:00: Rezital Anna Vinnitskaya
Anna Vinnitskaya KlavierRobert Schumann (1810–1856): Carnaval. Scènes mignonnes sur quatre notes op. 9
Felix Mendelssohn (1809–1847): Lied ohne Worte fis-Moll op. 67 Nr. 2, Lied ohne Worte h-Moll op. 30 Nr. 4, Lied ohne Worte As-Dur op. 38 Nr. 6 „Duetto“, Lied ohne Worte fis-Moll op. 30 Nr. 6 „Venetianisches Gondellied“, Lied ohne Worte C-Dur op. 67 Nr. 4 „Spinnerlied“
Jörg Widmann (*1973): Zirkustänze. Suite für KlavierSonntagmorgen ging es dann mit dem ersten Klavierrezital weiter – und das überzeugte mich gleich wieder völlig. Die CD (alpha) mit demselben Tanz-und-Lied-Programm kenne ich noch nicht, aber sie muss auf jeden Fall her. Vinnitskaya spielte den Schumann mit Verve aber auch mit einer gewissen Distanz (und der Vergleich mit Piemontesi drängte sich auf, der mir hier auch nicht gefallen hätte, da bin ich mir ziemlich sicher – mit Rachmaninoff oder Debussy fand ich ihn letztes Jahr ja toll, mit Schubert nicht). Die Balance schien jedenfalls geglückt, das alles war wahnsinnig gut und dabei total unaufgeregt dargeboten, ganz ohne grosse Gesten, weder in noch zu der Musik. Der vergleichbare Ruhepol mit Mendelssohn in der Mitte, bevor es mit Widmann wieder zum Tanz – vom Boogie Woogie bis zum „bayerisch-babylonischen“ Marsch, dazwischen auch „Kinderreim“, „Karussell-Walzer“ oder „Hebräische Melodie“. Die grotesken Elemente von Widmanns Suite fügten sich in meinem Kopf mit den ives’schen „Fenstern“ von Streich zusammen, auch hier treffen Zartes und Brutales zusammen, über den letzten Teil, den erwähnten „Bayerisch-babylonischen Marsch“, schreibt Wolfgang Stähr im Programmheft, hier werde „ein bajuarisches Heiligtum“ der Bayerische Defiliermarsch nämlich, „in einer Mischung aus Sprachverwirrung und Klavierzertrümmerung demontiert“. Toll!
Danach besuchte die Sammlung Rosengart, ein im Stillstand versunkenes Privatmuseum mit ein paar Dutzend Picassos als Hauptattraktion (ein Maler, den ich immer abstossender finde, durchaus auch in der Vermischung von Biographie und Werk), aber mit einem wunderbaren Keller mit über 120 Zeichnungen und Gemälden Paul Klees – in den Tresorräumen des ehemaligen Bankgebäudes, in dem das Museum untergebracht ist. Da ging der Tanz noch etwas weiter, aber auch wieder ohne grosse Gesten.
1.9., 16:00: Klangforum Wien
Klangforum Wien
Cantando Admont Chor
Beat Furrer Dirigent
Sarah Aristidou Sopran (SIE)
Christoph Brunner Sprecher (ER)
Markus Wallner KlangregieBeat Furrer (*1954): Begehren (1999/2001). Musiktheater nach Texten von Cesare Pavese, Günter Eich, Ovid und Vergil (Schweizer Erstaufführung)
Im Luzerner Theater ging es bei immer noch bei unerträglicher Hitze am Nachmittag in die letzte Runde des Wochenendes. Und da gab es ein ganz wundersames Werk zu hören, von dem ich mir das Prädikat „orphisch“ geliehen habe, nachdem es mir aber schon nach Streichs „Méduse“ im Kopf herumgeisterte. Als Musiktheater wird das Stück bezeichnet, aber theatralisch war da eigentlich nichts. Seeber beschreibt es im Programmheft als eine Art gegenläufigen Doppelmonolog, ein „doppeltes Monodram“, und das leuchtet mir unmittelbar ein. Eurydike („SIE“), von der fabelhaften Sarah Aristidou verkörpert, verliert im Lauf des Stückes allmählich ihren Gesang, ihre Stimme, die immer fragmentarischer, bruchstückhafter wird. Orpheus hingegen („ER“) findet aus dem Sprechen ganz zum Ende hin zu Fragmenten mit melodischem Charakter, kleine Fetzen nur. Ein nicht-singender Orpheus also in einem einmal mehr unendlich nuancierten, feingliedrigen Werk, in dem ständige Bewegung herrscht, oft am Rand der Stille. Ein Stocken, ein Flüstern, während ER durch Kälte und Dunkelheit irrt, SIE sucht, aber als Schatten ganz ohne magische Kräfte in einer leeren Düsternis zu enden scheint. SIE singt dem Geliebten hinterher, doch der Verlust ist nicht aufzuhalten. Der Mythos wird bei Furrer nicht linear erzählt, eine Art Kreisen wird zum Muster, das ich mir durchaus auch in der Musik zu hören eingebildet habe. Seeber: „Das Kreisen ist das Grundmuster des Verlangens oder eben ‚Begehrens‘, zu dem auch die unschöne und viel sündhafter klingenden Abkürzung ‚Gier‘ gehört.“ Und diese „Gier“, klar, ist auch in der „Neugier“ enthalten, die ja wiederum als Titelmotto des Festivals herhalten musste. Das Programmheft mit dem guten Text von Seeber war hier für mich sehr wichtig, denn verstanden werden kann von alledem ohne Vorwissen über die gegenläufige Grundbewegung und das Kreisen hinaus nicht viel. Ich hätte mir vielleicht projozierte Texte oder noch lieber gleich eine Partitur zum Mitlesen gewünscht. Das Stück ist schon etwas älter und ich sollte mir wohl die Aufnahme auf Kairos besorgen und mich bei der Gelegenheit sowieso mit Furrer etwas tiefer auseinandersetzen.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaLucerne Festival: Sommer-Festival 2024 – Neugierde, orphisch
(Teil 3)5.9., 12:15: Debut Isata Kanneh-Mason
Isata Kanneh-Mason KlavierJoseph Haydn (1732–1809): Klaviersonate C-Dur Hob. XVI:50
Clara Schumann (1819–1896): Notturno F-Dur op. 6 Nr. 2
? : ?
Franz Liszt (1811–1886): Consolation No. 3
Felix Mendelssohn (1809–1847): Scherzo aus der Bühnenmusik zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum op. 61, für Klavier bearbeitet von Sergej Rachmaninow
Sofia Gubaidulina (*1931): Chaconne für Klavier
E: George Gershwin (1897–1937): The Man I Love, arrangiert von Earl WildDas Debut von Isata Kanneh-Mason fiel letztes Jahr wegen eines Streiks auf dem Flughafen von London aus und wurde heuer nachgeholt – mit ein paar kurzfristigen Programmänderungen, die leider nur mündlich beim Konzert kommuniziert wurden. Von den zwei Stücken, die statt der Chaconne von Nielsen an zweitletzter Stelle Clara Schumann und Mendelssohn eingeschoben wurden, verstand ich nur die Infos zum zweiten von Liszt. Das andere war wohl auch etwas aus der Romantik, aber eben: keine Ahnung, was. Das Rezital funktionierte für meine Ohren nicht so richtig, es zerfiel in drei Teile mit Haydn (gradlinig, schön), der Romantik (etwas gar blumig fand ich, aber gut gespielt) und dem Höhepunkt am Schluss (Gubaidulina). Bei der Zugabe bin ich mir ziemlich sicher, dass Kanneh-Mason das Arrangement von Earl Wild gespielt hat, das ich kurz davor auf der neuen CD von Claire Huangci angehört hatte. Eine überaus begabte Pianist, wie nicht zuletzt ihre Clara Schumann gewidmete CD von vor ein paar Jahren schon bewies – und für mich auch ein Konzert mit ihrem Bruder Sheku in der Tonhalle-Maag 2018 oder 2019, als die beiden nicht zuletzt die Sonate von Poulenc und die zweite von Brahms spielten – und da fand ich dann auch das Power-Spiel von Sheku völlig stimmig und passend.
5.9., 19:30: Orchestre de Paris-Philharmonie
Orchestre de Paris-Philharmonie
Klaus Mäkelä Dirigent
Lisa Batiashvili ViolinePjotr Iljitsch Tschaikowsky (1840–1893): Violinkonzert D-Dur op. 35
Hector Berlioz (1803–1869): Symphonie fantastique op. 14Dieser vierte und längste Besuch mit zwei Übernachtungen brachte fünf Konzerte, ich hatte am Freitag viel freie Zeit, aber davor gab es am Donnerstagabend nochmal eine richtig schöne – halb erhoffte – Überraschung. Ein Fan des Tschaikowsky-Konzertes bin ich nicht gerade, und Berlioz hat bisher auch nur selten geklickt … aber wie Batiashvili das Violinkonzert interpretierte, gefiel mir ausserordentlich gut. Folklore und Virtuosität fanden aufs Schönste zusammen, das war gradlinig aber keineswegs unterkühlt. Und das Zusammenspiel mit dem Orchester war wenigstens so gut wie das mit dem Rotterdam Philharmonic. Eine kurze Zugabe gab es auch: und da noch eine Überraschung, denn Mäkelä lieh sich ein Cello und spielte – stehend – mit Batiashvili ein kurzes, sehr charmantes Stück im Pizzicato. Die zweite Konzerthälfte war dann die richtig grosse Überraschung: wie frei Orchester und Dirigent hier aufspielten, wie lustvoll da musiziert wurde – das ergab eine irre dynamische, mitreissende Sicht auf die „Symphonie fantastique“, die mich förmlich vom Stuhl riss. Phantastisch in der Tat!
6.9., 19:30: Wiener Philharmoniker 1
Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann DirigentFelix Mendelssohn (1809–1847): Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 Schottische
Richard Strauss (1864–1949): Ein Heldenleben. Sinfonische Dichtung für grosses Orchester op. 40Wenn die Pariser frei agierten – und darob die Klangschönheit manchmal etwas litt – so bot sich am nächsten Abend das pure Gegenteil: routinierte Langeweile auf höchstem Niveau, ein überaus kontrollierter, sehr gemütlicher Zugang zu zwei Werken, die dem Festivalmotto eher zuwiderliefen, stand doch die „Schottische“ 2022 mit dem LFO unter Chailly (da war ich nicht) und „Ein Heldenleben“ gar 2023 im Programm. Letzteres hatte ich gehört, mit den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko, und das erinnere ich als schlanker, zielstrebiger. Das wirkte jedenfalls geradezu wie Altgier. Mit der Klangkultur – bei Strauss wirklich beeindruckend zu hören – der Wiener kann vielleicht sonst niemand mithalten, aber das Konzert schien mir wie aus der Vitrine: kostbar, aber auch gut abgeschirmt von allem Leben. Da war kein Funke, da war kein Feuer, das wirkte lieblos und routiniert. Dass dann auch der mit Abstand niedrigste Frauenanteil zu sehen war, passte halt schon auch ins Bild (15% vielleicht, bei den anderen Orchestern, die ich dieses Jahr hörte, waren es jeweils mindestens doppelt so viele).
Da es am Freitag sonst kein anderes Konzert gab, nutzte ich den Tag, um etwas Zeit in der eindrücklichen Piuskirche in Meggen zu verbringen, eine kleine Plattenladentour zu machen und am Nachmittag auch die aktuelle Ausstellung im Museum im Bellpark in Kriens (wie Meggen in wenigen Minuten mit dem Bus zu erreichen) anzuschauen. Dort werden Fotos aus einem Archiv gezeigt, das von den Dreissigern bis in die Sechziger mehrere populäre Zeitschriften/Magazine des Landes versorgte. Ein Teil des Bestandes gelangte in der Zwischenzeit auf verschlungenen Pfaden nach Kriens und wird dort erstmals präsentiert.
7.9., 11:00: Portrait Beat Furrer & Lisa Streich
Ensemble Helix/Studio für zeitgenössische Musik der Hochschule Luzern – Musik
Beat Furrer DirigentBeat Furrer (*1954): … cold and calm and moving für Flöte, Harfe, Violine, Viola und Violoncello (1992)
Lisa Streich (*1985): Francesca für Ensemble (2016–19)
Beat Furrer (*1954): linea dell’orizzonte für Ensemble (2012)Am Samstagmorgen ging es nochmal mit dem Buch nach Kriens, Haltestelle Südpol, wo in einem grösseren Areal das Probehaus des Luzerner Sinfonieorchesters und Gebäude der Musikhochschule Luzern liegen. In letzteren findet sich ein sehr schöner Saal, in dem ich 2023 bei einem Konzert des ensemble recherche im Rahmen des Festivals auch bereits ein Werk von Streich gehört hatte (neben welchen von Rihm, Lachenmann und Ammann). Dieses Mal leitete Beat Furrer das Ensemble für Neue Musik der HSLU, das zwei seiner Stücke und dazwischen eins von Streich spielte. Leider gab es zu diesem Konzert (wie auch zu denen des Composer Seminars) nur einen Flyer ohne Informationen zu den Werken, die meinem Gedächtnis etwas auf die Sprünge helfen könnten – und zum ersten Stück habe ich keine greifbare Erinnerung mehr. Beim dritten allerdings, so notierte ich auf den Flyer, liess Furrer sich von Dino Campanis „Canti Orfici“ anregen. Es handelt sich um eine Art von Klavierkonzert, in dem Federico Pulina glänzte.
Dazwischen gab es Streich: ein Stück, für das sie sich von einem Fresko in Rom inspirieren liess, das die heilige Franziska auf dem Sterbebett zeigt. Streich imaginiert die Musik, die diese in ihren letzten Augenblicken und danach im Jenseits gehört haben könnte. Engelschöre unter anderem, also wie schon bei Furrer ausgenommen leise, zarte Klänge, die aber auch von harten Tönen – u.a. Peitschenschlägen von der Schlagzeugerin – unterbrochen oder untermalt werden. Wie schon im ersten Konzert mit Musik von Streich (18.8., siehe oben), gab es auch hier ein „motorisiertes“ Klavier. Eine Musikerin sass neben dem Flügel und bediente diese Motoren, die irgendwelche kleinen Objekte im Innern antrieben (ich glaubte, Papierfetzen gesehen zu haben, die dann wohl durch Kreisbewegungen die Saiten berührten), während die Pianistin das Instrument zusätzlich einigermassen konventionell spielte.
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7.9., 14:30: Lucerne Festival Academy 4
Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)
Sir George Benjamin Dirigent
Jörgen van Rijen PosauneGeorge Benjamin (*1960): Concerto for Orchestra (2019–21) (Schweizer Erstaufführung)
Luciano Berio (1925–2003): Solo für Posaune und Orchester (1999/2000)
Hans Abrahamsen (*1952): Vers le Silence für Orchester (2020/21) (Schweizer Erstaufführung)Mit dem letzten grossen Orchester-Konzert des LFCO (am 8.9. trat nochmal ein Ensemble auf, ein Konzert u.a. mit Werkern von Saariaho und Seyedi, das ich gerne auch noch gehört hätte) ging der vierte Besuch dann am Samstagnachmittag zu Ende – und das war gleich nochmal ein Programm mit neuer Musik und einmal mehr super. George Benjamin präsentierte sein eigenes Concerto for Orchestra, mit dem er sich in eine Linie mit Bartók, Lutoslawski oder Bernstein stellt. Geschrieben bzw. massgeschneidert hat er es für das Mahler Chamber Orchestra und es bietet allen Stimmen ihren Moment im Rampenlicht – ist aber zugleich auch eine Hommage an den verstorbenen Freund Oliver Knussen – nicht als Requiem sondern als „Vergegenwärtigung von Knussens geist- und humorvoller Persönlichkeit“ (Programmheft). Ein schneller Parforce-Ritt, zugleich wild und sehr detailreich. Danach hätte die Uraufführung eines Posaunenkonzerts folgen sollen – den Namen des Komponisten, der nicht fertig wurde, habe ich leider nicht verstanden. Berios „SOLO“ wurde stattdessen programmiert, Solist war Jörgen von Rijen, den ich schon bei meinem ersten Konzert dieses Jahr gehört hatte. Ein Stück, in dem der Solist die klanglichen Möglichkeiten seines Instruments auslotet, fast keinen Moment der Pause hat – da ist alles drin von Doppelzunge bis zu Multiphonics, Geräusche, Triller, Entrücktes ebenso wie überbordend Wildes. Dabei spielt das Orchester nebenher eine Art eigenes Solo. Die zwei Teile finden nicht wirklich im herkömmlichen Sinn zusammen sondern verlaufen einfach zeitlich parallel. Leicht überrascht entnahm ich dem Programmheft, dass der Widmungsträger, Christian Lindberg, der eng mit Berio zusammengearbeitet hatte, das Stück Ende 1999 in Zürich mit dem Tonhalle-Orchester unter David Zinman uraufgeführt hat.
Am Schluss stand dann „Vers le silence“, ein neues Orchesterwerk von Hans Abrahamsen, Benjamin gewidmet und von Abrahamsen dieser selbst kurz vorgestellt. In diesem – wie bei Benjamin schon – ersten reinen Orchesterstück seit längerer Zeit skizziert Abrahamsen im ersten von vier Teilen fünf Elemente: Feuer, Erde, Wasser und Luft sowie ein nicht näher bestimmte fünftes. In den drei folgenden Teilen entfaltet sich die Musik. Im zweiten Teil steht das Element Erde im Zentrum, in dritten turbulente Luft mit einem rhythmisch komplexen Höhepunkt. Abrahamsens Musik scheint – wie die von Benjamin – ungewöhnliche Schwierigkeit zu beinhalten, steht doch gemäss dem Programmheft (Susanne Schmerda) in der Partitur auch eine Entschuldigung: „sorry for this awkward polyrhythm notation – please forgive“. Im letzten Satz steht dann das Wasser im Zentrum: „Sehr langsam, dunkel fliessende“. Die Entwicklung geht zur Stille hin, wie der Titel schon verrät, ein sanftes Ausklingen mit Klavier und Celesta.
Auch das alles Werke, die ein wiederholtes Hören bedingen würden.
12.9., 18:20: 40min 8 „Preisgekrönt!“
Gewinner*innen des Fritz-Gerber-Award:
Santiago Villar Martín (Schlagzeug), Phoebe Bognár (Flöte), Francisco Morais Fernandes (Klavier)Enno Poppe (*1969): Fell für Drumset solo
Christian Kubisch (*1948): Private Piece und It’s so touchy aus Emergency Solos für Flöte und Objekte
Marcos Balter (*1974): Death of Pan aus Pan für Flöte und Elektronik
Luciano Berio (1925–2003): Sequenza IV für KlavierBeim letzten Besuch schaffte ich es zum einzigen Mal dieses Jahr an eines der 40min-Gratiskonzerte, die jeweils um 18:20 Uhr im Luzerner Saal (dem kleineren zweiten Saal im KKL, wo auch das Composer’s Seminar und das LCFO-Konzert mit Ruth Reinhardt stattgefunden haben) zu hören sind. Die Konzerte finden eher unter der Woche statt und ziehen zum Teil auch ein anderes Publikum an, was ja begrüssenswert ist. Die Fritz-Gerber-Stiftung fördert jährlich drei junge Musiker*innen im Bereich der zeitgenössischen klassischen Musik (es gibt einen Geldpreis und die Teilnahme bei der Lucerne Festival Academy im Folgejahr), die Jury besteht gemäss Website derzeit aus Michael Haefliger, dem Intendanten des Lucerne Festivals (noch bis 2025), und Heinz Holliger. Zwischen den Saiten- bzw. Schlagzeug-Soli gab es eine Art Performance mit Flöte, bei der auch metallene Fingerhüte und die Stimme zum Einsatz kamen – etwas altmodische Neue Musik halt. Mein Höhepunkt hier war das Stück von Berio.
12.9., 19:30: «räsonanz» – Stifterkonzert
Münchner Philharmoniker
Lahav Shani Dirigent
Renaud Capuçon ViolineUnsuk Chin (*1961): subito con forza für Orchester (2020)
Henri Dutilleux (1916–2013): L’arbre des songes. Konzert für Violine und Orchester (1983–85)
Michael Seltenreich (*1988): The Prisoner’s Dilemma für Orchester (2024) (Schweizer Erstaufführung – Auftragswerk des Israel Philharmonic Orchestra, der Münchner Philharmoniker und von Lucerne Festival, finanziert von der Ernst von Siemens Musikstiftung)
Paul Ben-Haim (1897–1984): Sinfonie Nr. 1 (1939/40) (Schweizer Erstaufführung)Das Hauptereignis des Abends war auch ein Stifterkonzert, eine jährliche Institution, bei der vor leider stets recht kleinem Publikum (wie beim Roche-Konzert, siehe 31.8. oben) ein Programm mit Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert geboten wird. Mit Chins kurzem Stück und Ben-Haims toller Symphonie – eine Herzensangelegenheit von Shani, der sie 2020 bei seinem Antritt beim Israel Philharmonic Orchestra aufs Programm setzte und in Luzern auswendig dirigierte – standen am Anfang und am Ende durchaus zugänglicher, gewissermassen handgreifliche Werke. Chin erhielt im Mai den Ernst von Siemens Musikpreis – zehn Jahre nachdem hier im Rahmen der „Roche Commissions“ 2014 ihr Orchesterwerk „Le Silence des Sirènes“ uraufgeführt wurde. Seit 2023 ist sie Teil des Composer Seminar und wird diese Rolle soweit bekannt auch fortsetzen. (Die gerade vergebene jüngste „Roche Commission“, die für 2026, geht an Liza Lim – da freue ich mich jetzt schon auf das Konzert.)
Im ersten Teil war das Violinkonzert von Dutilleux ein weiterer grosser Festivalhöhepunkt. Renaud Capuçon spielt das Stück schon länger und erweist sich darin als Geiger von schier endlosen Fähigkeiten. Die Sätze werden durch Intermezzi verknüpft: das erste pointillistisch (Bassklarinette und Schlagwerk-Effekte), das zweite mit Oboe d’amore, die danach im dritten, dem langsamen Satz des Konzerts, zum Dialogpartner der Violine wird. Bis dahin ist in diesem Werk schon so viel zu hören, dass Dutilleux befürchtete, keine Ideen mehr zu haben. Er behalf sich mit einem Gag: als drittes Zwischenspiel gibt die Oboe ein A vor, die Solo-Geige stimmt die offenen Saiten, die anderen Streicher spielen Akkorde, die Bläser werfen wie beim Einspielen kurze Floskeln dazu. Der Finalsatz geht in viele Richtungen und endet eher überraschend mit einem Fortissimo.
Michael Seltenreich versteht seine Musik gemäss Kerstin Schüssler-Bach (Programmheft) „als Kommunikation zwischen Komponist, Ausführenden und Publikum: ‚Ich finde es immer sehr nützlich, wenn man denjenigen im Kopf hat, der das Stück spielen wird.'“ – Da trifft es sich ja gut, dass Seltenreich und Shani sich schon seit vielen Jahren kennen. „Shani habe, sagt Seltenreich, eine ‚einzigartige Fähigkeit‘, Temperamente un Farben ’sehr wirkungsvoll auszudrücken‘. Dies habe ihn bei seinem neuen, dreisätzigen Stück inspiriert, in dem er die Möglichkeiten eines grossen Orchesterapparat ‚wirklich bis zum Äussersten ausnutzen‘ wollte.“ Das Stück war schon in Arbeit, als Seltenreich unter dem Eindruck der Ereignisse – und Reaktionen auf diese – vom 7. Oktober 2023 alles verwarf und neu ansetzte. Wie das „prisoner’s dilemma“ da reinspielt, erklärt er selbst (in Schüssler-Bachs Text): „Das klare Wissen darüber, was passieren sollte, um eine Tragödie zu vermeiden, gepaart mit der fast sicheren Gewissheit, dass dieses Wissen ignoriert wird und alle Beteiligten am Ende schlechter dastehen werden.“ – Ernüchternd, aber ich fürchte allzu wahr. Dass danach Ben-Haims Symphonie noch einmal einen anderen Ton setzte – sie entstand ein paar Jahre nach der Flucht des in München als Paul Frankenburger geborenen Komponisten, der 1933 nach Palästina ging, als er für das 1936 gegründete Palestine Orchestra, das später in Israel Philharmonic Orchestra umbenannt wurde, eine neue Symphonie schrieben sollte. Die Klangwelt eines Gustav Mahler trifft hier auf orientalische Einflüsse und die Kultur der Einwanderer aus Osteuropa mit Tänzen wie der Hora (im Finale) – und verkörpert damit bereits 1940 – noch unter dem Eindruck der ersten Siege Hitlers – die künftige multikulturelle Gesellschaft seines neuen Landes Israel.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaGrosse Lücke hier zwischen April und dem Lucerne Festival im August – da gab es nebst dem, dass ich im Juli fast gestorben wäre, noch einiges an Konzerten, zu denen zeitnah zu schreiben ich versäumt habe.
Nicht zuletzt die Aufführung des „Ring des Nibelungen“ als Zyklus im Mai – ein irres, in vielerlei Hinsicht auch überwältigendes Erlebnis. Ich hatte über die vier Teile einzeln geschrieben – v.a. „Die Walküre“ war dieses Mal echt umwerfend … da war ich beim ersten Anlauf zunächst wegen Corona-Erkrankung verhindert und wich – mit noch nicht wirklich wachem Kopf – auf eine spätere Aufführung aus: Rheingold | Die Walküre | Siegfried | Götterdämmerung.
In Sachen Fortsetzung hoffe ich, dass der gerade an der Scala gestartete Zyklus zu Ende kommt (nicht selbstverständlich an dem Haus) und die geplanten Aufführungen als Zyklus im März 2026 zustande kommen – dann möchte ich das wiederholen.Doch es gab auch zweimal Monteverdi: zuerst in Basel die „Poppea“ in einer neuen Inszenierung von Christoph Marthaler, der das Geschehen in den italienischen Faschismus verlegte. Funktionierte für mich sehr gut, war recht schnörkellos, stark gespielt (im Graben war eigentlich eine grosse Continuo-Gruppe, dazu ganz wenige weitere Streicher und Bläser – kein Streichersatz jedenfalls) und natürlich war Anne Sofie von Otter super. Aber auch Jake Arditti (der Vater kommt dann im nächsten Post vor) war stark. Und dass Cummings eine kleine Rolle (singend) übernahm und dazu den sowieso meistens weit hoch gefahrenen Graben verliess, war auch eine witzige Idee (das Foto unten zeigt den hochgefahrenen Graben mit den Treppen, die direkt auf die Bühne führen).
Der „Orfeo“ von Titov in Zürich hatte gemischte Kritiken, aber ich fand ihn fabelhaft – nicht zuletzt dank Krystian Adam in der Titelrolle, die in diesem Fall ja besonders zentral ist. Das Orchester war erwartungsgemäss klasse und die insgesamt sehr dunkle, ja düstere Produktion passte nicht nur in unsere Zeit sondern war insgesamt sehr schlüssig, fand ich.
In Basel gab es noch zwei Abo-Konzerte vom Kammerorchester. Da war das Konzert mit Heinz Holliger und Sol Gabetta, mit der Hebriden-Ouvertüre, dem Cellokonzert von Britten und Schumanns „Rheinischer“. Das Cellokonzert fand ich anspruchsvoll aber grossartig … und Schumann mit KOB unter Holliger umwerfend – und wie er selbst anmerkte (bei der Konzerteinführung wohl), eine völlig andere Erfahrung als seine Arbeit mit dem WDR Sinfonieorchester Köln, mit dem er die konzertante Musik Schumanns für audite in grosser Besetzung eingespielt hat.
Den Abschluss der Saison im Stadtcasino machte dann Giovanni Antonini, der durch das „Haydn 2032“-Mammutprojekt in Basel längst regelmässiger Gast ist. „Tolomeo“ von Händel gab es, mit minimaler Inszenierung (Gruppierung und Bewegung der Sänger*innen rund um das Orchester, in dem Kolleg*innen von Il Giardino Armonico viele Schlüsselrollen inne hatten) und einem wahnsinnig starken Ensemble: Fagioli und Dumaux, Semenzato und Bridelli – da blieben echt keine Wünsche unerfüllt.
In der Tonhalle gab es auch noch ein phänomenales Konzert mit Sängerin: Julia Lehzneva mit Concerto Köln (ohne Dirigent*in) und einem Arienprogramm mit Musik von Händel, Vivaldi, Porpora und den beiden Grauns. Die Leichtigkeit, mit der Lezhneva singt, ist nach wie vor beeindruckend – und dabei hat sie seit dem letzten (oder vorletzten?) Konzert noch in der Tonhalle-Maag (ca. 2018, 2019?) enorm an Textverständlichkeit gewonnen. Sie selbst schien den Abend ebenfalls zu geniessen und wollte fast nicht aufhören – ganze sechs Zugaben bot sie. (Auf dem Foto oben, das ich von der Website des Veranstalters borge, ist mein Hinterkopf in der ersten Reihe links zu sehen – keiner der zwei mit vollendeter sondern der mit entstehenden Glatze
)
Dreimal hörte ich auch noch das Tonhalle-Orchester Zürich, direkt vor meinen Ferien unter Järvi. Es gab eine Ouvertüre von Rimsky-Korsakov und nach der Pause dessen “ Scheherazade“ – und letztere war in ihrer Farbenpracht ein echter Ohröffner für mich. Das grosse Highlight fiel aber zwischen die zwei russischen Werke: Janine Jansen bot eine perfekte Interpretation des Violinkonzertes von Jean Sibelius – atemberaubend. Jansen ist die Tage wirklich eine meiner allerliebsten Interpretinnen, und mit Järvi zusammen sowieso toll, weil da alle ständig auf der Stuhlkante musizieren, in Erwartung des Unerwarteten.
Eine knappe Woche später folgte noch ein Konzert mit Herbert Blomstedt, leider schlecht ausgelastet, was ein Vorrücken auf einen potentiellen (aber finanziell keinesfalls stemmbaren) Lieblingsplatz ganz hinten auf der Galerie ermöglichte (an der Ecke, wo sie zum Balkon übergeht, das ist sie nur noch ein- bzw. zweireihig, Blick und Akustik super) – das wiederholte sich nach meinen Ferien, daher ausnahmsweise unten auch mal zwei Fotos von Tonhalle-Konzerten, wo ich sonst immer eher „Hörplätze“ kaufe … bin ja gross und mag es nicht ungern, bei Konzerten zu stehen, und auf dem Weg sehe ich zwischen Köpfen hindurch Dirigent*in, Hände am Klavier oder andere Solist*innen einigermassen und das reicht mir bei guter Akustik durchaus). Mit Blomstedt gab es warmen, kompakten und ziemlich schnörkellosen Mozart – aber ich muss gestehen, dass das kein Lieblingskonzert mit diesem verehrten Dirigenten war.
Auch das letzte, direkt nach meiner Rückkehr und am letzten Tag, bevor der Spass los ging, der mich fast aus dem Spiel geworfen hätte, war etwas zwiespältig. Joana Mallwitz dirigierte Mahlers erste Symphonie straff und kontrolliert, durchaus nicht kalt allerdings. Das war schon ziemlich gut, fand ich. Davor gab es das Violinkonzert vom Bryce Dessner, dem „creative chair“ der letzten Saison, gespielt von Pekka Kuusisto, der es auch uraufgeführt hatte. Das gefiel mir zumindest sehr viel besser als das Klavierkonzert, mit dem ich weniger anfangen konnte. Die Begegnungen mit Dessner (seinen eigenen Auftritt an der elektrischen Gitarre habe ich leider verpasst) hinterlassen einen eher gemischten Eindruck – aber das Violinkonzert vielleicht noch den besten.
Dazwischen ging es eher kurzentschlossen noch zu einem Konzert in Winterthur, das sich im Nachhinein als besser denn erhofft entpuppte. Ilya Gringolts spielte beim Musikkollegium das neue Violinkonzert von Chaya Czernowin – ein schwieriges, ziemlich düsteres und oft geräuschhaftes Konzert, das wenig Eingängiges bietet … eine Tour-de-Force von Gringolts (ohne Noten) und den Streichern des Musikkollegiums, das an diesem Abend unter der Leitung von Matthias Pintscher stand. Ich fand das super, der Applaus blieb aber eher höflich – Czernowin war da und wurde auf die Bühne gebeten, da können Schweizer*innen doch nicht unhöflich werden. Davor gab’s eine wie ich finde etwas doofe Wagnerei (ein Jahr davor in Lugano mit dem Orchestra Mozart unter Daniele Gatti schon gehört), danach für mich überraschend recht verblüffende Mozarterei: die Bläserserenade KV 361 „Gran Partita“ – auch mit Pintscher, obwohl ich da den Eindruck hatte, dass das ohne ihn gerade so gut hätte gehen können (vielleicht ein Trugschluss, siehe Emilie Mayer im folgenden Post).
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28.04.2024 – Basel, Theater – L’incoronazione di Poppea
L’incoronazione di Poppea: Opera musicale in drei Akten von Claudio Monteverdi
Libretto: Francesco BusenelloMusikalische Leitung Laurence Cummings
Inszenierung Christoph Marthaler
Bühne und Kostüme Anna Viebrock
Kostümmitarbeit Lasha Iashvili
Lichtdesign Cornelius Hunziker
Regiemitarbeit Joachim Rathke
Dramaturgie Malte Ubenauf, Roman ReegerPoppea Kerstin Avemo
Nerone Jake Arditti
Ottavia Anne Sofie von Otter
Ottone Owen Willetts
Drusilla Álfheiður Erla Guðmundsdóttir
Arnalta Stuart Jackson
Seneca Andrew Murphy
Valetto Rosemary Hardy
Nutrice Graham F. Valentine
Edda Liliana Benini
Liberto Karl-Heinz Brandt
Littore Jasin Rammal-Rykała
Lucano Lulama TaifasiLa Cetra Barockorchester Basel
Statisterie Theater Basel—
02.05.2024 – Basel, Stadtcasino – Gipfeltreffen
Kammerorchester Basel
Heinz Holliger Leitung
Sol Gabetta VioloncelloFELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: «Die Hebriden» Ouvertüre
BENJAMIN BRITTEN: Sinfonie für Cello und Orchester
ROBERT SCHUMANN: Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur «Rheinische»—
03./05./07./09.05.2024 – Zürich, Opernhaus – Der Ring des Nibelungen
RICHARD WAGNER: Der Ring des Nibelungen
Nach der „Götterdämmerung“ durfte auch das Orchester mit auf die Bühne – wohlverdient!
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25.05.2024 – Zürich, Opernhaus – L’Orfeo
L’Orfeo: Favola in Musica in einem Prolog und fünf Akten von Claudio Monteverdi (1567–1643)
Libretto von Alessandro StriggioMusikalische Leitung Ottavio Dantone
Inszenierung Evgeny Titov
Bühnenbild Chloe Lamford, Noemi Daboczi
Kostüme Annemarie Woods
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Choreinstudierung Marco Amherd
Video Tieni Burkhalter
Dramaturgie Claus SpahnOrfeo Krystian Adam
Caronte/Plutone Mirco Palazzi
Apollon Mark Milhofer
1. Pastore Massimo Altieri
2. Pastore Luca Cervoni
3. Pastore Tobias Knaus
4. Pastore Yves Brühwiler
La Musica/Messagera/Eco Josè Maria Lo Monaco
Euridice Miriam Kutrowatz
La Speranza/Proserpina Simone McIntosh
Ninfa Isabel PfefferkornOrchestra La Scintilla
Zürcher Sing-Akademie—
27.05.2024 – Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe Zürich
Concerto Köln
Julia Lezhneva SopranJOHANN GOTTLIEB GRAUN: Sinfonie B-Dur für Streicher und B.c.
NICOLA ANTONIO PORPORA: «In caelo stelle clare fulgescant» Motette für Sopran, Streicher und B.c.
ANTONIO VIVALDI: Concerto c-Moll für Streicher und B.c. RV 120
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: «Parto, si, ma non so poi» Arie aus «Flavio, Re de‘ Longobardi»
«Brilla nell’alma». Arie aus «Alessandro»
ANTONIO VIVALDI: Ouvertüre aus der Oper «L’Olimpiade»
«Zeffiretti, che sussurrate». Arie aus «Ercole su’l Termodonte»
HÄNDEL: «Un pensiero nemico di pace». Arie aus «Il Trionfo del Tempo e del Disinganno»
VIVALDI: Concerto F-Dur «La tempesta di mare» für Flöte, Streicher und B.c.
CARL HEINRICH GRAUN: «Senza di te, mio bene». Arie aus «Coriolano»
VIVALDI: «Agitata da due venti» aus «La Griselda»E:
C.H. GRAUN: «Mi paventi il figlio indegno», Arie der Agrippina aus Britannico
HÄNDEL: «Lascia la spina, cogli la rosa», Arie der Piacere
«Tu del Ciel ministro eletto», Arie der Bellezza aus Il Trionfo del Tempo e del Disinganno, HWV 46a
VIVALDI: «Sposa son disprezzata», Arie aus der Oper Bajazet, RV 703
HÄNDEL: «Rejoice greatly, o daughter of Zion», Arie für Sopran aus dem Messiah, HWV 56 (Nr. 16)
PORPORA: «Alleluia!» aus der Motette In caelo stelle clare fulgescantFoto ganz oben: Quim Vilar (https://hochuli-konzert.ch/), Foto oben: meins (wie alle, wo nichts weiter steht).
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30.05.2024 – Winterthur, Stadthaus – Matthias Pintscher dirigiert Wagner, Czernowin & Mozart
Musikkollegium Winterthur
Matthias Pintscher Leitung
Ilya Gringolts ViolineRICHARD WAGNER: «Siegfried-Idyll» E-Dur, WWV 103 (1870) 18′
CHAYA CZERNOWIN:«Moths of Hunger and Awe» für Violine und Streichorchester
(2023)*
WOLFGANG AMADEUS MOZART: Serenade Nr. 10 B-Dur, KV 361 «Gran Partita» (1781)*) Auftragskomposition des Münchener Kammerorchesters, des Musikkollegium Winterthur und der Hong Kong Sinfonietta, Schweizer Erstaufführung
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04.06.2024 – Basel, Stadtcasino – Pharaonischer Grössenwahn
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: «Tolomeo, Re di Egitto»
Oper in drei Akten. Konzertante AufführungKammerorchester Basel
Il Giardino Armonico
Giovanni Antonini LeitungTolomeo Franco Fagioli
Seleuce Giulia Semenzato
Elisa Giuseppina Bridelli
Alessandro Christophe Dumaux
Araspe Riccardo Novaro—
13.06.2024 – Zürich, Tonhalle – Janine Jansen spielt Sibelius
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Janine Jansen ViolineNIKOLAJ RIMSKIJ-KORSAKOW «Capriccio espagnol» op. 34
JEAN SIBELIUS Violinkonzert d-Moll op. 47
NIKOLAJ RIMSKIJ-KORSAKOW «Scheherazade» op. 35—
19.06.2024 – Zürich, Tonhalle – Herbert Blomstedt mit Mozart
Tonhalle-Orchester Zürich
Herbert Blomstedt LeitungWOLFGANG AMADEUS MOZART Sinfonie C-Dur KV 425 «Linzer»
Sinfonie C-Dur KV 551 «Jupiter»—
05.07.2024 – Zürich, Tonhalle – Joana Mallwitz mit Mahler
Tonhalle-Orchester Zürich
Joana Mallwitz Leitung
Pekka Kuusisto ViolineBRYCE DESSNER: Violinkonzert – Schweizer Erstaufführung
GUSTAV MAHLER: Sinfonie Nr. 1 D-Dur—
Verpasst:
10.7.: Zürich, Opernhaus; Verdi: I vespri siciliani (Repusic; Bieito)
11.7.: Zürich, Opernhaus; Giordano: Andrea Chénier (konzertant) (Armiliato)
12.7.: Zürich, Opernhaus; Puccini: Turandot (Trevino; Baumgarten)Da lag ich dann stattdessen eine Woche im Krankenhaus (und danach nochmal ein paar Wochen zuhause) … ging ja zum guten Glück alles gut aus … aber ein wenig Leid tat es mir schon, die drei Abende zu verpassen, die als Ausklang vor der Sommerpause gedacht waren, die sich dadurch allerdings nur um eine Woche verlängerte, denn zu den Konzerten beim Lucerne Festival (siehe oben) war ich ja zum Glück wieder fit genug, um sie alle zu hören (und sogar noch eins kurzfristig zu ergänzen, „Die vier Jahreszeiten“).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba01.07.2024 – Bologna, Archiginnasio – Isidore String Quartet
Isidore String Quartet: Adrian Steele (v), Phoenix Avalon (v), Devin Moore (vla), Joshua McClendon (vc)
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY: Quartetto in mi bemolle maggiore op. 44 n. 3
DINUK WIJERATNE: The Disappearance of Lisa Gherardini (2022)
BENJAMIN BRITTEN: Quartetto n. 2 in do maggiore op. 36Da ging noch was vergessen … ich hängte ans Cinema ritrovato Festival noch ein paar Tage an, kam am 1. Juli in den Genuss dreier Dietrich/Sternberg-Filme, die ich beim Festival weggelassen hatte und bin am Abend noch zum Konzert des Isidore String Quartet (das ich schon 2023 beim seinem Debut am Lucerne Festival gehört hatte). Statt wie geplant im Hof des Archiginnasio wurde das Konzert wegen aufkommenden schlechten Wetters in einen sehr schönen Saal dort verschoben, der akustisch in Ordnung war. Das zeitgenössische Stück war mir etwas zu klamaukig – er erzählt die Geschichte eines Raubs der „gioconda“ inklusive lautmalerischer Passagen – aber das Quartett von Benjamin Britten warf mich um. Anders als beim Cellokonzert war ich hier von Beginn an vollkommen gefesselt und am Ende komplett begeistert.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind … Große Lücke hier zwischen April und dem Lucerne Festival im August – da gab es nebst dem, dass ich im Juli fast gestorben wäre, noch einiges an Konzerten, zu denen zeitnah zu schreiben ich versäumt habe. …
So schlimm? Ich hoffe es geht Dir jetzt besser. Alles Gute.
Es war wirklich heftig, ja – und danke, ich sag eigentlich seit 2 Monaten, ich sei wieder bei 95% … es bessert weiter, aber am Ende geht’s halt am langsamsten mit dem Fortschritt.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba20.09.2024 – Zürich, Tonhalle – Saisoneröffnung mit Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Víkingur Ólafsson KlavierJOHANNES BRAHMS: Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15
ANNA THORVALADSDOTTIR: «Archora» für Orchester
IGOR STRAWINSKY :«L’oiseau de feu», Konzert-Suite (1919)Nachdem die Saison in Basel wie üblich schon während der Sommer-Festival-Zeit startete, begann sie im September dann auch in der Tonhalle. Mit etwas gemischtem Ergebnis, fand ich: Ólafsson hatte etwas Mühe, gegen das Orchester anzukommen, der Klavierpart im ersten Brahms-Konzert blieb etwas undefiniert, aber das war alles sehr schwungvoll, gradlinig auf den Punkt, und machte schon Spass. Die erste Kostprobe der diesjährigen „creative chair“ Anna Thorvaldsdottir gefiel mir dann ziemlich gut – ein flächiges, brummelndes, grummelndes Stück ohne deutliche Anhaltspunkte (darin dem im Temperament sehr anderen Violinkonzert von Czernowin ähnlich), das am Ende ins Nichts verschwindet. Die Komponistin war da, um den Applaus entgegenzunehmen. Das Grummeln, das schon bei Brahms stellenweise wuchtig war, hatte auch damit zu tun, dass die Kontrabässe für einmal ganz hinten unter der Orgel aufgereiht waren, die sich sonst Schlagzeug und/oder Blechbläser teilen. Das führte auch im Abschluss mit Stravinsky zu einem wuchtigen, klar definierten, basslastigen Klang, der mir sehr gefiel – aber mit Stravinsky werde ich bisher nur selten richtig warm, an dem Abend leider auch eher nicht.
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27.09.2024 – Basel, Stadtcasino – Basler Freuden
Kammerorchester Basel
Delyana Lazarova Leitung
Anastasia Kobekina VioloncelloARTHUR HONEGGER: Pastorale d’été
PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKI: Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und Orchester
HELENA WINKELMAN: «Summer Heat» (Kompositionsauftrag, UA)
HONEGGER: Sinfonie Nr. 4 «Deliciae Basilienses»Eine Woche später gab es in Basel bereits das zweite Abo-Konzert des Kammerorchesters im Stadtcasino, bei dem Antonio Meneses als Cellosolist angekündigt war – doch Meneses verstarb am 3. August im Alter von 66 Jahren, und so wurde Anastasia Kobekina als Ersatz engagiert. Dass ich mit den Rokoko-Variationen nicht wirklich warm werden sollte, war leider erwartungsgemäss der Fall, die Uraufführung fand ich etwas einfach gestrickt (den Leuten gefiel es aber sehr, so vordergründige Rhythmen wie hier gibt es nicht oft im klassischen Konzert) – blieben die Stücke von Honegger, von denen besonders die Symphonie schon sehr charmant war. Mein Abend war das allerdings nicht (obwohl ich Honegger längst mal vertiefen möchte).
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29.09.2024 – Zürich, Kleine Tonhalle – Kosmos Kammermusik
Golda Schultz Sopran
Peter McGuire Violine
Sayaka Takeuchi Violine
Sarina Zickgraf Viola
Sasha Neustroev VioloncelloCLARA SCHUMANN / ARIBERT REIMANN: Drei Lieder nach Heinrich Heine für Sopran und Streichquartett
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: Vier Sätze für Streichquartett op. 81
JOHANNES BRAHMS «Fünf Ophelia-Lieder» WoO 22 (Arr. für Singstimme und Streichquartett ARIBERT REIMANN)
ELVIS COSTELLO: aus «The Juliet Letters» für Sopran und StreichquartettUngewöhnlich spät war dann der Liederabend von Golda Schultz in der kleinen Tonhalle angesetzt – die Rad-WM ging an dem Nachmittag zu Ende, aber da auch an dem Tag noch mit Verkehrsbehinderungen bis 19 Uhr zu rechnen war, begann der Liederabend um 20 statt um 17 Uhr. Kurzweilig, auch recht kurz war das – und ich habe den Verdacht, dass die Reihenfolge umgestellt wurde, Mendelssohn ev. erst nach den Brahms-Lieder gespielt wurde, aber ich kann de Flyer, auf den ich das wohl gekritzelt habe, nicht mehr finden. Jedenfalls war Schultz ziemlich toll, die Begleitung auch ziemlich gut – aber so zu fesseln wie mit ihrer Mozart-CD vermochte die Sängerin mich nicht. Dennoch: feines Repertoire, auch die abgründig schwarzen Songs von Costello, und Schultz kann das alles mit gewinnender Leichtigkeit.
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05.10.2024 – Zürich, Opernhaus – Serse
Serse – Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Unbekannter Librettist nach einem von Silvio Stampiglia bearbeiteten Operntext von Nicolò Graf MinatosMusikalische Leitung Enrico Onofri
Inszenierung Nina Russi
Bühnenbild Julia Katharina Berndt
Kostüme Annemarie Bulla
Video Ruth Stofer
Lichtgestaltung Hans-Rudolf Kunz
Dramaturgie Kathrin BrunnerSerse Raffaele Pe
Arsamene Christophe Dumaux
Amastre Noa Beinart
Romilda Anna El-Khashem
Atalanta Miriam Kutrowatz
Ariodate Miklos Sebestyén
Elviro Gregory FeldmannOrchestra La Scintilla
Statistenverein am Opernhaus ZürichEine Woche später dann mein Start in die Saison der Oper … die Wiederaufnahme am Haupthaus der jährlichen Produktion des Internationalen Opernstudios, die im Frühling 2023 in Winterthur Premiere feierte und jetzt – mit hochkarätiger Neubesetzung – auch in Zürich gespielt wurde. Das Orchester war wie üblich toll – mit grosser Continuo-Gruppe, in der unbedingt Claudius Herrmann, Solo-Cellist auch der Philharmonia und obendrein Mitglied im Gringolts Quartett, Erwähnung verdient. Onofri hörte ich nach einem etwas lauwarmen Konzert mit dem Zürcher Kammerorchester im März 2019 erst zum zweiten Mal und dieses Mal war das Gebotene wirklich überzeugend. Das hatte aber viel mit dem Geschehen auf der Bühne zu tun, wo die Handlung von „Serse“ als Sitcom geboten wurde – eine überaus stimmige Idee, fand ich. Rollendebuts gaben alle ausser Feldmann, Pe gab auch sein Hausdebut. Dumaux sang die dankbarere Rolle des Arsamene und war gesanglich vielleicht eine Spur besser disponiert, aber wie schon beim „Tolomeo“ in Basel im Frühling war es ein Erlebnis, zwei so hervorragende Countertenöre gemeinsam in Aktion zu erleben. Die Balance stimmte die meiste Zeit, d.h. es war relativ leise, die Sängerinnen übertrumpften jedenfalls die Countertenöre freundlicherweise nicht, das kam völlig aus einem Guss daher. Das war einerseits sehr vergnüglich, wie das Foto (Toni Suter, opernhaus.ch) vielleicht nahelegt und andererseits vom Musikalischen her beeindruckend.
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06.10.2024 -Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe Zürich
La Cetra Barockorchester
Andrea Marcon Leitung
Magdalena Kožená Mezzosopran«Bewitched Love – Alcina»
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: Ouverture, Musette und Menuet aus «Alcina» HWV 34
Arien aus «Alcina»: «Dì cor mio, quanto t’amai», «Sì, son quella», «Ah, mio cor», «Ah! Ruggiero crudel», «Ombre pallide», «Ma quando tornerai», «Mi restano le lagrime»
ARCANGELO CORELLI / FRANCESCO GEMINIANI: Concerto Grosso d-Moll H 143 «La Follia»
ALESSANDRO MARCELLO: Introduzione b-Moll aus Concerto grosso «La Cetra»
FRANCESCO MARIA VERACINI: Ouvertüre Nr. 6 g-Moll
E: ANTONIO VIVALDI: «Solo quella guancia bella» aus La verità in cimento RV 739Am Abend drauf gab es mit Magdalena Kožená gleich nochmal erstklassigen Händel. Sie sang alle Solo-Arien der tragischen Titelheldin aus „Alcina“, dazwischen erklang instrumentale Musik aus derselben Zeit – im Vergleich mit den Rezitalen jüngerer Sängerinnen (Lezhneva, Schultz) war das verhaltener, aber es berührte umso mehr –gerade in den leisen Tönen, die natürlich von meinem Abo-Platz in der ersten Reihe (vgl. das Foto oben vom Lezhneva-Konzert) auch wunderbar zu hören sind. (Ein nicht zu unterschätzender Vorteil auch, die ganzen Raschler und Husterinnen im Rücken zu haben, nicht zwischen sich und der Bühne … wobei mir in Basel regelmässig und in Paris sehr deutlich klar wurde, wie gesittet das Publikum in Zürich fast immer ist.)
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15.10.2024 – Paris, Philharmonie (grande salle Pierre Boulez) – Les murmures de la forêt
Orchestre national d’Île-de-France
Case Scaglione Leitung
Steven Isserlis Violoncello
Marie Perbost Soprano (Les Cygnes)ANTONÍN DVOŘÁK: Concerto pour violoncelle
E: PAU CASALS: Song of the Birds (arr. Sally Beamish), SULKHAN TSINTSADZE: Chonguri
RITA STROHL: Les Cygnes
Symphonie de la forêtParis? Genau. Mitte Oktober ging es für knapp zwei Wochen in die Herbstferien. Der Zwischenstopp war eingeplant, weil ich dort das Arditti Quartet würde hören können, das im Rahmen seiner 50-Jahre-Jubiläums-Konzerttour im relativ kleinen Amphithéâtre der Cité de la Musique auch zwei neue Werke uraufführen sollte. Es ergab sich dann, dass ich am Abend drauf auch noch die seit über dreissig Jahren gespielte „Madama Butterfly“ von Robert Wilson sehen konnte, und spontan beschloss ich – da ich eine Wohnung gleich neben der Cité de la Musique und der Philharmonie gemietet hatte, auch am ersten Tag, den ich ganz in der Stadt verbrachte, ins Konzert zu gehen. Da führte in der zweiten Hälfte das Orchestre national d’Île-de-France unter seinem Chefdirigenten Case Scaglione zwei Stücke von Rita Strohl auf (gerade mit weiteren auch auf CD erschienen), von denen mich die lange „Symphonie de la fôret“ sehr beeinruckte: ein Werk, das mit der Wucht Wagners ebenso wie mit dem Farbenreichtum Debussys mithalten kann – eine echte Entdeckung auf jeden Fall. In der ersten Hälfte spielte Steven Isserlis eine wunderschöne Version des Cellokonzertes von Dvorák – das war intensiv, ohne laut zu werden, brannte quasi mit blauer Flamme, sehr kultiviert. Leider hustete das Publikum allerdings komplett durch, es gab kaum einen Moment im langsamen Satz, in dem Ruhe war. Der Applaus war dann allerdings gross und Isserlis spielte zwei Zugaben, die netterweise nachträglich per E-Mail mitgeteilt wurden (bei der Neuen Konzertreihe werden diese auf der Website im Archiv bekannt gegeben, auch das ein super Service).
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16.10.2024 – Paris, Opéra Bastille – Madame Butterfly
Madama Butterfly – opera in three acts by Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica & Giuseppe Giacosa.Direction musicale Speranza Scappucci
Chef des Chœurs Alessandro Di Stefano
Mise en scène, décors et lumières Robert Wilson
Co-mise en scène Giuseppe Frigeni
Collaboration à la mise en scène Marina Frigeni
Costumes Frida Parmeggiani
Lumières en collaboration Heinrich Brunke
Reprise des lumières A.J. Weissbard
Chorégraphie Holm KellerCio-Cio-San (Madama Butterfly) Elena Stikhina
Suzuki Aude Extrémo
B.F. Pinkerton Stefan Pop
Sharpless Christopher Maltman
Goro Carlo Bosi
Il Principe Yamadori Andres Cascante
Lo Zio bonzo Vartan Gabrielian
Kate Pinkerton Sofia Anisimova
Yakuside Young-Woo Kim
Il Commissario Imperiale Bernard Arrieta
L’Ufficiale del registro Hyunsik Zee
La Madre di Cio-Cio-San Marianne Chandelier
La Zia Liliana Faraon
La Cugina Stéphanie LorisOrchestre et Chœurs de l’Opéra national de Paris
Am Abend darauf dann die „Madama Butterfly“ – meine zweite Aufführung der Oper, und als ich die erste sah, hier in Zürich, gab es in einer Besprechung einen Verweis auf diese sehr, sehr schön gestaltete von Robert Wilson, die 1993 zum ersten Mal in der Opéra Bastille gezeigt wurde und das riesige Haus (über 2700 Plätze!) auch heute noch bis auf den letzten Sitz füllt. Die Grösse des Hauses führt dazu, dass die Musik relativ leise wirkt, ich brauchte ein paar Minuten, um rein zu finden. Das lag sicherlich nicht am unter Speranza Scarpucci bestens disponierten Orchester, und erst recht nicht an der Bühne, den Kostümen, der fast wie eine Choreographie wirkenden Figurenregie. Elena Stikhina sang die Titelrolle für die zweite Hälfte der Aufführungen, nachdem Eleonora Buratto die ersten paar Wochen zum Zug gekommen war. Ich fand sie hervorragend – und versuche vielleicht, sie im Februar hier in Zürich auch noch in Puccinis „Manon Lescaut“ zu sehen – und in der Wiederaufnahme der „Salomé“ von letztem Jahr. Die Poesie der Bühne schien sich jedenfalls über die ganze Aufführung zu legen, egal wie handgreiflich und zupackend da zwischendurch musiziert wurde. (Dass die ganze Arie „Un bel di, vedremo“, zugehustet wurde, überraschte mich dann nicht mehr so sehr … aber echt ey, Menschen!)
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17.10.2024 – Paris, Cité de la Musique (Amphithéâtre) – Arditti | 50
Quatuor Arditti
Irvine Arditti violon
Ashot Sarkissjan violon
Ralf Ehlers alto
Lucas Fels violoncelleDIANA SOH: And those who were seen dancing (création mondiale)*
CATHY MILLIKEN: In Speak (création)
CHAYA CZERNOWIN: Ezov (moss) (création mondiale)*
HELMUT LACHENMANN: Quatuor à cordes n° 3 „Grido“*) Commande du Quatuor Arditti, de Wien Modern et de la Philharmonie de Paris – Avec le soutien de la Ernst von Siemens Music Foundation
Der dritte Konzertabend in Folge gehörte dann dem Arditti Quartet – freie Platzwahl im steil absteigenden Saal mit 250 Plätzen, ein aufmerksames (nicht hustendes!) Publikum wie eigentlich immer, wenn es um Neue Musik geht – und ein sehr beeindruckendes Konzert, bei dem es im ersten Teil geballte Frauenpower gab: die Uraufführungen von Diana Soh und Chaya Czernowin umrahmten ein von Stück von Cathy Milliken, das Anfang März in Berlin uraufgeführt worden ist. Gab es bei Soh schon etwas Stimm-Einsatz und die eine oder andere unkonventionelle Spielweise, so verstärkte sich das bei Millikan fast bis ins Komödiantische (vereinzelte Lacher aus dem Saal). Zugleich trat darin die Materialität der Musik immer stärker in den Vordergrund: das Holz, die Bespannung der Bogen, die Luft, die mit den Bogen geschnitten wurde, die Kehlköpfe und Stimmbänder. Mit Czernowin schloss dann die erste Hälfe ernster – und ganz gemäss dem Titel, „Moos“, wieder mit weniger strukturiertem bzw. feinteilig gegliedertem Charakter – eine Hoffnungsgeste wolle ihr Werk sein, so schreibt Czernowin im Programmheft, sei greife Topoi auf, die in unterschiedlichen Kulturen mit Moos verbunden seien, dabei „Erneuerung, Resilienz, Hartnäckigkeit und Heilung verknüpfend“ (meine freie Übersetzung). Einmal mehr war besonders Chernowins Stück zu komplex, um es bei dieser ersten Begegnung wirklich zu erfassen … aber ein Erlebnis war das bis dahin auf jeden Fall schon. Nach der Pause dann ein „Klassiker“, Lachenmanns drittes Quartett mit dem Titel „Grido“ (Schrei), im November 2001 vom Arditti Quartet uraufgeführt (in Melbourne). Ich verwendete schon den Begriff der „Materialität“, der bei Lachenmann zentral ist – aber lustigerweise in diesem Stück viel weniger als üblich, denn, so Lachenmann im Programmheft: Irvine Arditti habe ihn gebeten „ein Stück mit mehr Klangvolumen als die zwei vorhergehenden Streichquartette zu schreiben“. Ein feiner Abschluss eines beeindruckenden Konzerts, nach dem es keine Zugaben geben konnte, wie Arditti dem Publikum mitteilte (in dem Soh und Czernowin sassen, das auf dem Foto ist wieder Czernowin, die ja schon aus Winterthur bekannt ist, siebe oben).
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26.10.2024 – Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe Zürich
Kammerorchester Basel
Philippe Herreweghe Leitung
Bertrand Chamayou KlavierFELIX MENDELSSOHN: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11
Klavierkonzert Nr. 2 d-Moll op. 40
E: JOSEPH HAYDN: Adagio aus der Klaviersonate Nr. 60 C-Dur Hob. XVI:50
EMILIE MAYER: Sinfonie Nr. 7 f-Moll28.10.2024 – Basel, Stadtcasino – Next
Kammerorchester Basel
Aurel Dawidiuk Leitung (Brahms)
Philippe Herreweghe Leitung (Mendelssohn)
Dmitry Smirnov Violine
Samuel Niederhauser Violoncello
Bertrand Chamayou KlavierJOHANNES BRAHMS: Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester in a-Moll
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in d-Moll
E: JOSEPH HAYDN: Adagio aus der Klaviersonate Nr. 60 C-Dur Hob. XVI:50
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY: Sinfonie Nr. 1 in c-MollIch fuhr dann (nach einer Woche in Brest mit ein paar Jazz-Konzerte mit brasilianischem Einschlag, dazu hier ein paar Zeilen) schon am Freitag heim, da ich Samstag schon wieder ein Konzert in Zürich im Kalender stehen hatte: Runde zwei der Neuen Konzertreihe, bei dem ein Hybrid aus zwei Konzerten in Basel geboten wurde: dem vom 30. August und dem von zwei Tage später. Und wie toll das werden sollte, hatte ich im Voraus überhaut nicht erwartet. Die Symphonie von Emilie Mayer wirkte im August etwas unausgegoren, es gab auch einzelne nicht so gut umgesetzte Stellen (Pizzicati der Streicher ohne Dirigent*in sind halt echt schwierig). Dieses Mal schein unter der Leitung von Philippe Herreweghe alles zu sitzen und die Aufführung der Symphonie beeindruckte mich sehr – sie wirkte gewichtiger, vielschichtiger als beim ersten Anlauf. Doch Mayer stand am Ende des Konzertes, und gerade so toll war die Fortsetzung des laufenden Mendelsson-Zyklus mit der ersten Symphonie vor der Pause. Mit welcher Beweglichkeit und welcher Direktheit es hier zur Sache ging, frisch und durchaus ruppig, nicht den ausgewogenen Klang suchend sondern das pochende Leben, die tanzenden, stolpernden und dann wieder fliessenden Rhythmen – das war phantastisch! Das stellenweise sehr virtuose zweite Klavierkonzert bleibt mit eher fremd – aber Bertrand Chamayou (den ich zum ersten Mal im Konzert erlebte) spielte es mit bescheidener Geste, schnörkellos und auf den Punkt. Ich musste auch wieder an das weniger überzeugende Beethoven-Konzert mit Piemontesi denken und ich glaube, der Unterschied war, dass Chamayou schlanker spielte, weniger dem romantischen Ton nachhörend oder diesen suchend. So genau kann ich es nicht sagen, aber für meine Ohren liegen Welten dazwischen und der Ansatz von Chamayou ist mir jedenfalls sehr viel näher.
Zwei Tage später, nach dem strengen ersten Arbeitstag müde in den Zug nach Basel, um fast das gleiche noch einmal zu hören? Nun ja, dann halt, ich hatte auch die Bahnkarte längst im Voraus gekauft und der Abo-Platz wäre sonst leer geblieben … das Doppelkonzert von Brahms hörte ich zum ersten Mal im Konzert, gespielt wurde es von zwei jungen Solisten. Die Eltern des Cellisten Samuel Niederhauser sind beide Mitglieder des Kammerorchester Basels, den Geiger Dmitry Smirnov hörte ich beim Kammerorchester schon mit einem beeindruckenden Lalo-Konzert unter Heinz Holliger (da gibt es auch eine starke CD) und später auch mal als Konzertmeister, er ist noch in der Probezeit als Orchestermitglied, aber ich hoffe, die halten ihn, sonst zieht der nämlich bestimmt rasch weiter, so gut er ist. Am Pult stand für diese erste Konzerthälfte Aurel Dawidiuk – auch er wie die anderen zwei Anfang/Mitte Zwanzig. Mir war die Aufführung dann etwas zu aufgeräumt, aber es war durchaus interessant, das seltsame Stück mal live zu hören. Dann die Frage, ob ich frühzeitig gehen sollte … aber das kam nicht in Frage, da Chamayou zuerst dran war und ich die Sinfonie auf jeden Fall noch einmal hören wollte. Sie war auch beim zweiten Anlauf grossartig – dieses Mal sass ich ganz hinten statt in der ersten Reihe, was vermutlich für den etwas besser ausgesteuerten Klang mit verantwortlich war (dass das KOB das Stadtcasino als Heimstätte viel besser kennt als die Tonhalle, und dass letztere ein ganze Stück grösser ist, mag ebenfalls mitspielen). Chamayou spielte beide Mal dasselbe „Adagio aus einer späten Haydn-Sonate“, wie er sagte – auf der Website der Neuen Konzertreihe Zürich steht inzwischen, welches es war … eine lange Zugabe, aber beide Male ein lyrischer Gegenpunkt zum virtuosen Konzert und sehr schön und nuanciert gespielt (aber für meinen Geschmack hier dann vielleicht doch eine Spur zu „romantisch“?).
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01.11.2024 – Zürich, Opernhaus – Clara
Clara: Ballett von Cathy Marston
Musik von Clara Schumann, Robert Schumann, Johannes Brahms und Philip FeeneyChoreografie und Inszenierung Cathy Marston
Musikalische Leitung Daniel Capps
Musikarrangements und Originalkomposition Philip Feeney
Szenarium Cathy Marston, Edward Kemp
Bühnenbild Hildegard Bechtler
Kostüme Bregje van Balen
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Dramaturgie Edward Kemp, Michael KüsterClara: Das Wunderkind (Giorgia Giani), Die Künstlerin (Ruka Nakagawa), Die Ehefrau (Nancy Osbaldeston), Die Mutter (Sujung Lim), Die Pflegerin (Inna Bilash), Die Managerin (McKhayla Pettingill), Die Muse (Max Richter);
Robert Schumann (Karen Azatyan); Johannes Brahms (Chandler Dalton); Friedrich Wieck (Esteban Berlanga);
Joseph Joachim (Pablo Octávio); Mariane Wieck (Shelby Williams); Adolph Bargiel (Joel Woellner); Christel (Francesca Dell’Aria)Philharmonia Zürich
Ballett Zürich
Junior Ballett
Schülerinnen und Schüler der Tanzakademie Zürich
Klavier Ragna SchirmerGestern dann seit Jahren (acht, neun?) der erste Besuch einer Ballett-Aufführung in der Oper Zürich, „Clara“ von der neuen Ballett-Direktorin Cathy Marston, wie schon öfter mit dem Komponisten Philip Feeney gemeinsam konzipiert, der für sein Partitur unzählige Stücke von Clara Schumann (v.a. im ersten Teil), ihrem Ehemann Robert (v.a. im zweiten Teil) und dem gemeinsamen Freund Johannes Brahms (v.a. im dritten und letzten Teil) verwurstete und zu einer für meinen Geschmack etwas oberflächlichen, etwas zu dichten Partitur verwob. Immer wieder kam ein Marimba und eine Harfe dazu, der Einstieg war zuweilen fast etwas poppig – manchmal führte das zu einem gegenwärtigen, pochenden Sound, andere Male fand ich es etwas ermüdend, etwas gleichförmig, auch gab es recht wenig Dynamik, wenn das Orchester im Einsatz war. Aus dem Graben waren auch immer wieder solistische Einwürfe zu hören, nicht zuletzt von Robert Pickup an der Klarinette und Claudius Herrmann am Cello. Und im Graben sass auch die grossartige Ragna Schirmer, die manche Klavierstücke auch mal unbegleitet spielte – und auch Auszüge der Klavierkonzerte von Clara und Robert, sowie zum – musikalisch überaus versöhnlichen Abschluss – den langsamen Satz von Brahms‘ erstem spielte. Das Ballett erzählt in seinen drei recht kurzen Teilen (getrennt von zwei Überlangen Pausen; 2:40 bei fast einer Stunde Pause) die Geschichte Clara Schumanns bis zum Tod von Robert – der damit zum Angelpunkt des Stückes wird, zur eigentlichen Hauptfigur. Clara wird dabei auf sieben Tänzerinnen verteilt, die unterschiedliche Aspekte verkörpern, mal solo, aber oft quasi solo mit „Chor“ (Ensemble heisst das im Ballett, aber weil das alles so sprechend war …), mit den anderen sechs im Schlepptau, mal synchron dann als Schlange hinterher, aber auch immer wieder als sich ständig neu formierende Traube. Die männlichen Hauptrollen gehörten den Darstellern des Vaters (Wieck, v.a. im ersten Teil), Roberts und Brahms (erst ab dem zweiten Teil) – alle drei tänzerisch beeindruckend, wie mir das überhaupt enorm gut gefallen hat. Zu diesen Hauptfiguren kommen weitere kleinere Rollen: Mutter Wieck (die Clara im Alter von 5 dem Vater überlassen muss, so wollten es die Gesetze in Sachsen damals), die Magd der Wiecks, mit der Robert eine Affäre gehabt haben soll (als Clara noch ein Kind bzw. eine Jugendliche war) und ein paar weitere Figuren, die mir teils nicht klar wurden (wer von denen Joseph Joachim verkörperte, verstand ich z.B. nicht, wer die zwei Ärzte, die Schumann in der Psychiatrie behandeln (im dritten Teil) hingegen schon. Die Geschichte erschloss sich sogar einigermassen Leuten im Publikum, die unvorbereitet kamen: der Streit um das Kind, die Zerrissenheit der Clara zwischen Kunst und Familie, die Liebe des Paars, Roberts Schwierigkeit, ob der Kinderschar zu komponieren, die gemeinsame Begeisterung über den neuen jungen Freund Brahms, der Selbstmordversuch im Rhein, die letzte Zeit in der Anstalt, die erzwungene Trennung, das letzte Wiedersehen nur Tage vor dem Tod Roberts … all das und noch viel mehr wurde auf einfach aber sehr effektiven Bühne vertanzt, in schönen Kostümen mit schön anzuschauenden Bewegungen, ob Solo, in kleinen Gruppen oder mit dem ganzen Ensemble (zu dem auch – die erwähnte Kinderschar – das Junior Ballett und Schülerinnen und Schüler der Tanzakademie Zürich gehörten). Volles Haus, riesiger Applaus, aufgekratzte Stimmung wie gerne am Samstagabend in der Oper. Ich bin jedenfalls sehr froh, hab ich die Aufführung nicht verpasst, auch wenn sie musikalisch nicht ganz zu überzeugen vermochte.
Foto oben und ganz oben: Carlos Quezada, opernhaus.ch
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaVielen Dank für Deine Berichte und die vielen Eindrücke,gypsy. Ich wünsche Dir ebenfalls weiterhin gute Besserung.
gypsy-tail-wind
20.09.2024 – Zürich, Tonhalle – Saisoneröffnung mit Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Víkingur Ólafsson Klavier
JOHANNES BRAHMS: Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15
ANNA THORVALDSDOTTIR: «Archora» für Orchester
IGOR STRAWINSKY :«L’oiseau de feu», Konzert-Suite (1919)Víkingur Ólafsson und Anna Thorvaldsdottir sah und hörte ich auch mal in einem Konzert des Iceland SO im Konzerthaus Berlin. „Aeriality“ von Thorvaldsdottir (ganz zarte Klangfläche) eröffnete das Programm. Sie war ebenfalls anwesend. Danach spielte Ólafsson das ihm gewidmete Klavierkonzert „Processions“ seines Freundes und Dirigenten des Abends Daníel Bjarnason. Im nächsten Jahr werde ich Víkingur Ólafsson auch mal wieder im Konzerthaus mit den letzten drei Klaviersonaten von Beethoven hören. (Es gibt wohl eine lose Reihe von Konzerten ehem. Artists in Residence.)
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Ólafsson spielte hier gerade auch ein umjubeltes Duo-Konzert mit Yuja Wang … Feuer und Eis oder so, kann ich mir aber schon vorstellen, dass das ganz gut funktioniert. Ich hab mir nur Karten für die zwei Brahms-Konzert unter Järvi besorgt, den Auftritt mit den Goldberg-Variationen habe ich auch verpasst, aber solo hörte ich ihn in Luzern mit dem Mozart/Zeitgenossen-Programm, und das fand ich sehr gut.
Gerade durchs Programm geklickt, von Thorvaldsottir höre ich noch „Catamorphosis“ und „Métacosmos“ mit dem Tonhalle-Orchester und etwas Kammermusik bei einer „Literatur & Musik“-Sonntagsmatinée mit Orchestermitgliedern. Da ist gar nicht so viel zu holen dafür, dass sie als „ceative chair“ amtet (es gibt noch mehr Kammermusik bei Lunchkonzerten und in einem Konzert in einer Kunstgalerie, aber das ist alles weniger meins … Donnerstag über Mittag passt mir nicht gut und Galerien sind weniger meine Welt).
Ólafsson ist neben Golda Schultz „Im Fokus“ diese Saison – die zweieinhalb Auftritte von Schultz sind schon vorbei (neben dem Liederabend gab’s noch dreimal die „Vier letzten Lieder“, zweimal beim regulären Orchesterkonzert, das andere Mal in der „tonhalleCrush“-Reihe, wo danach noch brasilianische Musik (ohne Schultz, zumindest gemäss Ankündigung) von Orchestermitgliedern und Gästen geboten wurde. Ólafsson spielt immerhin drei Orchesterkonzerte (neben Brahms 1 und 2 noch Adams‘ „After the Fall“), die bis zu dreimal durchgeführt werden, plus das Duo mit Wang und eine kleine DE-Tournee (zweimal Hamburg, je einmal Frankfurt und Köln – in Hamburg auch Adams, sonst Brahms 2). Das ist dann schon ein Fokus, aber bei Schultz ist das leider etwas dürftig, die hätte ich gerne nochmal anderswo gehört (mit Strauss habe ich sie verpasst).
Diese Woche ist jetzt aber Schnittke-Zeit: Donnerstag das Neue-Musik-Ensemble der Oper (mit Stille Nacht op. 130, Concerto grosso Nr. 3 op. 188 für 2 Violinen und Kammerorchester, Concerto Nr. 3 op. 128 für Violine und Kammerorchester) und dann am Freitag „Leben mit einem Idioten“, was ziemlich gut klingt und ich mir dann später noch ein zweites Mal anschauen will (versuche ich bei zeitgenössischen Opern seit einiger Zeit immer zu tun, weil die kriegt man ja nicht so schnell wieder zu sehen … da will ich mir auch heute schon mal das Programmheft holen auf dem Heimweg).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaIch habe es leider seit Anfang November wieder versäumt, nach den Konzerten ein paar Zeilen zu schreiben – und jetzt ist das fast alles schon wieder so lange her, dass ich nicht mehr detailliert berichten kann. Aber trotzdem kurz nachgeholt. Schnittke-Schwerpunkt, Geisterbahnfahrten mit Mahler und Gluck, einiges an Schumann, erste Begegnungen mit Carolyn Sampson und Antoine Tamestit, zwei Debuts bei der Tonhalle (de Ridder und Popelka), mehr Musik von Anna Thorvaldsottir … viel feine Musik!
07.11.2024 – Zürich, Opernhaus, Studiobühne – Tribute to Schnittke
Ensemble Opera Nova
Hans-Peter Achberger Musikalische Leitung
Bartlomiej Niziol, Xiaoming Wang ViolineALFRED SCHNITTKE: Stille Nacht op. 130
Concerto grosso Nr. 3 op. 188 für 2 Violinen und Kammerorchester
E: Mozart à la Haydn (für 2 Violinen)
Concerto Nr. 3 op. 128 für Violine und Kammerorchester08.11.2024 & 1.12.2024 – Zürich, Opernhaus
Leben mit einem Idioten
Oper in zwei Akten von Alfred Schnittke (1934–1998)
Libretto von Viktor JerofejewMusikalische Leitung Jonathan Stockhammer / Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme Kirill Serebrennikov / Lichtgestaltung Franck Evin / Video Ilya Shagalov / Choreografie und Regiemitarbeit Evgeny Kulagin / Bühnenbildmitarbeit Olga Pavliuk / Kostümmitarbeit Tatiana Dolmatovskaya / Masken Shalva Nikvashvili / Choreinstudierung Janko Kastelic, Johannes Knecht, Ernst Raffelsberger / Dramaturgie Beate Breidenbach, Daniil Orlov
Ich Bo Skovhus / Frau Susanne Elmark / Idiot Matthew Newlin / Wärter Magnus Piontek / Marcel Proust Birger Radde / Idiot/ Double Campbell Caspary bzw. Evgeny Kulagin (1. Dez) / Ich als Kind Mykola Pososhko bzw. Alvin Scheiwiller (1. Dez) /
Philharmonia Zürich / Chor der Oper Zürich / Statistenverein am Opernhaus ZürichSchnittkes „Leben mit einem Idioten“ wurde für Zürich neu eingerichtet, mit ins Deutsche übersetztem Libretto unter Einbezug von Viktor Jerofejew und unter der Regie von Kirill Serebrennikov, der – zum Leidwesen der Kulturjournalistin der NZZ am Sonntag, die einen verqueren (und unehrlich wirkenden) Angriff auf die Produktion und die ganze Crew vom Zaun gerissen hatte noch bevor die Premiere über die Bühne gegangen war – das Stück von sowjetischem Zeitkolorit löste und zu einer allgemeinen Parabel machte. Das wiederum machte die Wirkung umso wuchtiger – ein phantastischer Ausklang in Sachen (einigermassen) zeitgenössische Oper jedenfalls, und ein Highlight in der letzten Saison des scheidenden Intendanten Andreas Homoki. Das Foto oben entstand am Schluss der Dernière, bei der ich einen richtig schönen Platz oben in der ersten Reihe hatte – mein zweiter Besuch, ganz wie ich’s mir bei diesen Produktionen angewöhnt habe, immer davon ausgehend, dass ich die betreffenden Werke nicht noch einmal zu hören kriegen werde. Schnittkes Musik – auch im Konzert mit Niziol, der am Opernhaus als einer der Konzertmeister*innen amtiert, und Wang – gefällt mir ausserordentlich gut, auch wenn mir der Stilmix manchmal schon etwas bunt vorkommt. Alles wahnsinnig gut orchestriert, mit ungewöhnlichen, sehr reichhaltigen Klängen, die oft durch ungewöhnliche Besetzung zustande kommen: in der Oper viel tiefe Streicher und wenige Violinen, drei oder vier Tasteninstrumente (Klavier, Cembalo, Celesta … und eine kleine Orgel stand glaub ich auch noch im Graben), viel Percussion (inkl. Marimba- und Vibraphon) … auch im Violakonzert (s.u.) ist die Besetzung nicht typisch: es gibt je acht Violas, Violoncelli und Bässe – und keine Violinen.
Serebrennikovs Regie überzeugte mich völlig. Der Chor ist ständig im Hintergrund der Bühne, die ohne Umbau auskommt: die Freunde des empathielosen „Ich“ oder die Insassen der Anstalt, aus der er sich einen, seinen, Idioten aussuchen muss. Dieser singt nur eine einzige Silbe „Äch“ – und wird gespaltete in einen Sänger (als Alter Ego Serebrennikovs erkennbar) und einen Performer, der praktisch die ganze Dauer des Stückes nackt auf der Bühne herumturnt, für den Chor und die Hauptfiguren und das Publikum eine Zumutung darstellend. In der Lesart von Serebrennikov wird der Idiot zur Abspaltung des Ich, der seine Frau schon ermordet hat, wenn die Oper beginnt (es hebt sich kein Vorhang, der Chor bewegt sich schon auf der Bühne, der Einstieg ist fliessend – wie bei „Justice“, der Oper von Hector Parra, die ich Anfang des Jahres in Genf gesehen habe). Die Erzählung ist also nicht linear, der Plot setzt sich aber gut verständlich zusammen – dabei half sicherlich auch die Übersetzung ins Deutsche.
Die Sänger*innen fand ich beeindruckend. Wenn die Stimme von Susanne Elmark nach der Premiere als gelegentlich etwas schrill kritisiert wurde, mag sich das bis ich die Oper sah, etwas gemildert haben – der Part ist allerdings auch richtig krass und Elmarks Performance so oder so eine Leistung. Alle anderen Sänger absolvierten sowohl ihre Rollen- wie auch ihre Hausdebuts – v.a. im Fall von Skovhus sehr eindrücklich. Toll aber auch die Rolle des Idioten, der schon mal ein Liebesduett mit dem „Ich“ singt (erst nimmt er sich brutal die Frau, dann verdreht der dem „Ich“ den Kopf und die Misogynie zeigt ihr Gesicht im Bund gegen die nun Verstossene) – stets auf die Silbe „Äch“, aber in Linien von betörender Schönheit. Toll!
10.11.2024 – Zürich, Tonhalle – Paavo Järvi mit Mahler
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music DirectorGUSTAV MAHLER: Sinfonie Nr. 7 e-Moll
Dann Mahlers Siebte in der Tonhalle – sonntags um 17 Uhr. Und was für eine grossartige Geisterbahnfahrt das war! Ich kannte die Symphonie noch überhaupt nicht und war schwer beeindruckt von Werk wie Interpretation. Järvi mahlte nicht mit breitem Pinsel und in warmen Farben, eher schien er das Werk quasi auszubreiten, darzulegen … und das wirkte gespenstisch, intensiv, düster – und dennoch extrem reich. So erschlagen war ich dieses Jahr nach kaum einem anderen Konzert (Messiaen und Parra in Genf am ehesten … in Sachen Geisterbahnfahrt gab’s mit Gluck gleich eine Fortsetzung – und im Kino mit Pedro Costas Filmen zeitgleich ein Pendant – und davor mit dem „Orfeo“ an der Zürcher Oper schon eine Runde).
Der Mahler-Zyklus mit Järvi ist übrigens ein vollständiger (von Bruckner gab’s ja nur 7-9, da kommt leider wie es scheints nichts weiter), letzte Saison ging er mir Nr. 5 los, diese Saison folgt noch Nr. 1 (die letzte Saison am Ende schon von Mallwitz geleitet wurde, s.o.), in den vier folgenden Saisons sind dann jeweils noch zwei bzw. 2028/29 ein einzelne letzte geplant. Ich freue mich!
29.11.2024 – Zürich, Tonhalle – Sonic Matter Satellitenkonzert
Tonhalle-Orchester Zürich
André de Ridder Leitung
James McVinnie OrgelANNA THORVALDSDOTTIR «Catamorphosis» für Orchester – Schweizer Erstaufführung
NICO MUHLY «Register» Konzert für Orgel und Orchester – Schweizer Erstaufführung
DANÍEL BJARNASON «Emergence» für Orchester – Schweizer ErstaufführungDas Debut von André de Ridder am Pult des Tonhalle-Orchesters fand im Rahmen des Sonic Matter Festivals statt, das aber schon wieder geändert wurde, nun gar nicht mehr im Herbst stattfindet (gute Idee!), sondern neuerdings Ende Januar/Anfang Februar – aber wohl, weil die Tonhalle ein paar Jahre früher plant, noch so angesetzt worden ist. Man verkaufte das nun als „Satellitenkonzert“ und lud zur Prélude auch die Elektromusikerin/Komponistin Noémi Büchi ein, die einen Auftrag gekriegt hat und Bjarnasons „Emergence“ in ihrer Bearbeitung am 31. Januar aufführen wird. Bei der „Prélude“ davor (Gespräch plus Kammermusik von Studierenden) waren auch Anna Thorvaldsdottir und André de Ridder dabei, zudem gab es die Aufführung von zwei sehr schönen Solo-Werken Thorvaldsdottirs:
Scape für Klavier solo (2011) – Roy Ranen, Klavier
Transitions for Cello (2014) – Sebastian Ortega, VioloncelloDas Konzert danach war sehr toll, entwickelte sich auch hervorragend: geht es in Thorvaldsdottirs Musik um Texturen, Stimmungen, so leitete Muhly mit der manchmal tatsächlich ziemlich elektronisch klingenden Orgel zur geballten Kraft von Bjarnasons Stück über. Konzerte mit zeitgenössischer Musik auf diesem Niveau wünschte ich mir wirklich öfter. Da wurden auch Erinnerungen an die von Beat Furrer (Furrer, Streich, Feldman) bzw. George Benjamin (Benjamin, Berio, Abrahamsen) geleiteten Konzerte im Sommer beim Lucerne Festival wach. Wie schön wäre es, wenn solche Konzerte ganz alltäglich wären, alle paar Wochen in den Programmen der grossen Häuser und Orchester anzutreffen?
30.11.2024 – Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe Zürich
Il canto di Orfeo
Les Musiciens du Prince – Monaco
Gianluca Capuano Leitung
Cecilia Bartoli Mezzosopran
Mélissa Petit SopranCHRISTOPH WILLIBALD GLUCK: Orfeo et Euridice
(halbszenisch, nach der Salzburger Inszenierung)Die nächste Geisterbahnfahrt gab es dann in der Woche, in der auch das Unerhört! Festival stattfand. Und wie es so läuft bin ich nach dem unglaublichen Konzert von Bartoli direkt weiter in die Rote Fabrik, wo ich im Anschluss noch eins der drei, vier besten Jazzkonzerte des Jahres hörte (Anna Webber „Shimmer Wince“) – was für ein Abend!
Bartolis Salzburger-Aufführung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ ging auf Tour – und sie war nicht wie angekündigt konzertant sondern (mindestens) halbszenisch. Das Orchester stand relativ kompakt, seitlich und hinter ihm war viel Raum für den Chor, der sich aber auch einmal mitten durchs spielende Orchester schlängelte. Das Licht im Saal war komplett runtergedreht, die Bühne auch mal in rotes Licht getaucht (die Oper führt ja in die Unterwelt), Bartoli verschwand auch mal durch die Tür neben der Orgel, seitlich hinter dem oberen Ende der Bühne. Das war alles enorm beeindruckend – direkt und im Klang durchaus etwas ruppig, dabei äusserst lebendig und dynamisch. Petit ist in Zürich ebenfalls gern gesehen und erwies sich als hervorragende Partnerin (sie war schon vor zwei Jahren bei der hervorragenden konzertanten Aufführung von Mozarts „La clemenza di Tito“ mit dabei). Und mein Platz in der ersten Reihe bei der Neuen Konzertreihe war mal wieder Gold wert. So nah dran zu sein finde ich bei solchen Stimmen und auch beim Einsatz alter Instrumente wirklich toll. Zu hören, wie das alles direkt vor einem entsteht, ist immer wieder eindrücklich. Zweifellos – gleich nach Mahler – noch eins der besten Konzerterlebnisse dieses Jahres.
04.12.2024 – Zürich, Tonhalle – Petr Popelka & Antoine Tamestit
Tonhalle-Orchester Zürich
Petr Popelka Leitung
Antoine Tamestit ViolaALFRED SCHNITTKE: Violakonzert
ROBERT SCHHUMANN: Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61Dieses Konzert hatte ich nicht in mein Wahlabo aufgenommen, aber nachdem ich die Musik von Schnittke erstmals ausführlich im Konzert und auf der Bühne hören konnte, war die Neugierde gross. Tamestit habe ich noch nie live gehört, den Tonhalle-Debüttanten Popelka selbstredend auch noch nicht. Ein feines Konzert, auch in der zweiten Hälfte mit Robert Schumanns zweiter Symphonie. Aber leider war ich an dem Abend ziemlich geschafft und nicht gebührend aufmerksam.
Auch da gab es zuvor ein Konzert mit Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) – dieses Mal im Format „Surprise“, wo nur Musik zu hören ist. Das Trio Songado (Lina Jukneviciute – Violine, Rugile Jukneviciute – Violoncello, Joanna Goranko – Klavier) spielte das Klaviertrio Nr. 2 F-Dur, op. 80 (1847) von Robert Schumann – was auch deshalb schön war, weil ich Nr. 1 einige Tage später zu hören kriegte.
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12.12.2024 – Winterthur, Stadthaus – Yulianna Avdeeva spielt Rachmaninoff
Musikkollegium Winterthur
Roberto González-Monjas Leitung
Yulianna Avdeeva KlavierWOLFGANG AMADEUS MOZART: Adagio und Fuge c-Moll, KV 546
SERGEJ RACHMANINOFF: Rhapsodie über ein Thema von Paganini a-Moll, op. 43
EDWARD ELGAR: Variationen über ein eigenes Thema «Enigma», op. 36Ergänzt, da fast vergessen – nach dabei war das ein tolles Konzert! Schon beim Einspielen des Orchesters füllten Motive aus Mozarts irrer Fuge den seltsamen Konzertsaal im Semper-Bau („der frühere Gemeindesaal wird seit 1934 als Konzertsaal genutzt“, weiss Wikipedia). Ein phantastischer Einstieg in das Konzert. Danach ein Hochseilakt mit Rachmaninoff und der Gastsolistin – die ich die kommenden Monaten noch zweimal sehen werde, bin gespannt, denn ihren Auftritt in Winterthur fand ich in all seiner Virtuosität nicht restlos überzeugend. Als Zugabe spielte sie, wenn mich nicht alles täuscht, den Walzer As-Dur Op. 34/1 von Chopin – in einer sehr viel freieren Version als sie das 2010 auf dem Weg zum Sieg im Chopin-Wettbewerb tat. Die Überraschung war dann der zweite Teil: ich habe die Enigma-Variationen zwar bestimmt schon mal zuhause angehört – aber das bereitete mich überhaupt nicht darauf vor, wie wundervoll und bezaubernd dieses Werk an dem Abend im Konzert auf mich wirkte. Eine Entdeckung!
15.12.2024 – Zürich, Kleine Tonhalle – Kosmos Kammermusik
Trio Hoppe Poltéra Brautigam
Esther Hoppe Violine
Christian Poltéra Violoncello
Ronald Brautigam HammerklavierFRANZ SCHUBERT: Klaviertrio Nr. 1 B-Dur D 898
ROBERT SCHUMANN: Klaviertrio Nr. 1 d-Moll op. 63Das letzte Konzert im alten Jahr in der Tonhalle führte mich wieder in den kleinen Saal (in dem neben den Kammermusik-Reihen auch die Préludes und Surprises stattfinden). Das Trio Hoppe Poltéra Brautigam spielte die Klaviertrios Nr. 1 von Schubert und Schumann. Da stand aber nach allem, was ich davon verstehe, nicht wie Hammerklavier sondern vermutlich ein früher Flügel aus dem 19. Jahrhundert – jedenfalls ein recht mächtiges Ding, wie auf dem schlechten Foto zu erkennen ist. Ich hätte nach dem Konzert noch nach vorn gehen und das Instrument aus der Nähe anschauen sollen, aber ich musste mich etwas beeilen und tat das leider nicht.
Musikalisch war das erste klasse – ein Trio, dessen Spiel recht frei wirkt, in der Art, für die in der Klassik der Begriff „improvisiert“ bemüht wird, was mich auch nach all den Jahren noch immer etwas wundert (Wilhelm Kempffs Spiel wird z.B. so genannt) … jedenfalls ein Zusammenspiel, das hervorragend klappte, bei dem die Phrasen wie Bälle hin und her sprangen, das alles bei lebendigem aber dennoch sehr schönem Klang, was wiederum viel mit dem Flügel zu tun hatte, der weicher und obertonreicher klang als der am Bühnenrand stehende, zugedeckte Steinway, der sonst zum Einsatz kommt. Schön zu hören fand ich die Parallelen und wie Unterschiede der beiden doch recht dunkel schattierten Werke. Wie Schumann nochmal andere Dinge wagt, mehr aufbricht als Schubert das konnte.
16.12.2024 – Zürich, Opernhaus – 1. La Scintilla-Konzert
Orchestra La Scintilla
Riccardo Minasi Musikalische Leitung
Carolyn Sampson Sopran
Hanna Weinmeister Violine
Philipp Mahrenholz Oboe
Balázs Nemes TrompeteGEORG PHILIPP TELEMANN: Sonate in D-Dur TWV 44:1 für Trompete
JOHANN SEBASTIAN BACH: Weichet nur, betrübte Schatten BWV 202
Concerto für Violine und Oboe BWV 1060R
Jauchzet Gott in allen Landen BWV 51Das letzte Konzert war dann am Montagabend – also auch schon fast im Halbschlaf, am Anfang einer letzten einigermassen aufreibenden Woche im Büro … aber das war dann einmal mehr so lebendig, dass ich wenig Mühe hatte, aufmerksam zu bleiben. Und es war kurz – fast zu kurz mit zweimal einer halben Stunde, aufgebläht durch noch fast eine halbe Stunde Pause. Hin bin ich v.a. wegen Carolyn Sampson, die ich enorm gerne mag, aber noch nie live gesehen hatte. Sie überzeugte mich in der zweiten Kantate am Ende sehr viel mehr. In der ersten fand ich die Balance trotz des kleinen Ensembles oft etwas schwierig und ich teile den Eindruck einer online gelesenen Rezension, dass BWV 202 Sampson wohl nicht so gut liegt wie BWV 51. Los ging es davor mit Telemann, wobei Sonate nicht heisst, dass die Besetzung deutlich kleiner gewesen wäre als bei den weiteren Werken (der einzige Unterschied war glaub ich, dass die Oboe nicht immer dabei war). Im Konzert für Violine und Oboe von Bach glänzte neben dem Solo-Oboisten Phiipp Mahrenholz mit Hanna Weinmeister eine weitere Konzertmeisterin des Opernhausorchesters (es gibt wie beim Tonhalle-Orcherster in der Philharmonia auch drei erste Konzertmeister*innen – und das Personal von La Scintilla setzt sich zumindest teils – ich weiss es nicht genau – aus dem Personal der Philharmonia Zürich zusammen) – nicht Minasi, der auch als Geiger angekündigt war, aber nur dirigierte. Ihn verbindet mit La Scintilla inzwischen eine langjährige Zusammenarbeit und es ist jedes Mal eine Freunde, die Ergebnisse davon zu hören. Auch dan diesem Abend war das Orchester quicklebendig, Stuhlkanten waren höchstens für die Celli (wie immer überragend Claudius Herrmann auch am Continuo-Cello) und den Gast am Cembalo (Joan Boronat Sanz) nötig, da die anderen – wie es sich gehört – stehend musizierten (bei Bartolis Orchester ist das auch so). In der zweiten Bach-Kantate nahm dann der Trompetensolist Balázs Nemes erneut eine prominente Rolle ein – und damit wurde es auch ein klein wenig weihnachtlich für all jene, die vor den Festtagen doch lieber das Weihnachtsoratorium oder den „Messias“ gehört hätten … ich bin diesen Konzerten dieses Jahr gut aus dem Weg gegangen, aber da war auch etwas Glück im Spiel, denn an diesem 16.12. hätte ich in Basel ein Abo-Konzert mit den üblichen Auszügen (vier Kantaten glaub ich? mehr Sitzleder, Leute!) Bachs Weihnachtsoratorium gehabt, aber weil ich Sampson unbedingt hören wollte, habe ich den Platz gegen ein Haydn-Konzert mit Antonini im Frühling eingetauscht.
Jetzt ist erstmal etwas Pause – im Gegensatz zu den Vorjahren ist nämlich die kommenden Tage nichts los, was ich sehen/hören muss.W Weiter geht es am 5.1. im Jazzclub und am 7.1. in der Tonhalle, wenn Alexandra Dovgan mit dem Stuttgarter Kammerorchester unter Thomas Zehetmair ein hauptsächlich Beethoven (PC 2 und Nr. 5) gewidmetes Programm spielen wird.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaKonzertbericht Januar 2025
Das Konzertjahr begann mit einem phantastischen Steigerungslauf … Highlights waren der Schostakowitsch-Fokus die letzten Tage, die erneute Begegnung mit Gustav Mahlers ersten Symphonie – und das Klavierspiel von Arcadi Volodos.
Zürich, Tonhalle – 07.01.2025 – Neue Konzertreihe Zürich
Stuttgarter Kammerorchester
Thomas Zehetmair Leitung
Alexandra Dovgan KlavierFANNY HENSEL-MENDELSSOHN: Ouvertüre C-Dur
LUDWIG VAN BEETHOVEN: Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19
Zugabe: LUDWIG VAN BEETHOVEN: Alla Ingharese quasi un Capriccio «Die Wut über den verlorenen Groschen» G-Dur op. 129
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LUDWIG VAN BEETHOVEN: Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67Los ging es unter der Woche mit einem schönen Konzert des Stuttgarter Kammerorchesters unter der Leitung des ehemaligen „Winterthurers“ Thomas Zehetmair. Von seiner Zeit beim Musikkollegium habe ich leider nicht mehr viel mitgekriegt, weil ich das gute Programm nicht gleich zu verfolgen anfing, als ich zum regelmässigen Konzertbesucher wurde – aber ein Brahms-Programm mit Nelson Freire ist mir noch in warmer Erinnerung. Die Stuttgarter*innen kamen mit Alexandra Dovgan, die bei der Neuen Konzertreihe inzwischen etabliert ist (demnächst kommt sie auch wieder solo, aber ausserhalb meines Abos und ich werde passen). Ihr Beethoven war wunderbar gespielt, jeu perlé, schlank und auf den Punkt – und die Zugabe ein Husarenstück, eine Steigerung noch des davor gebotenen. Insgesamt ein schöner, unaufgeregter Einstieg ins neue Konzertjahr – und der Auftakt eines Steigerungslaufs, der gestern in einen Höhepunkt mündete.
Zürich, Tonhalle – 14.01.2025 – Neue Konzertreihe Zürich
Arcadi Volodos Klavier
FRANZ SCHUBERT: Sonate A-Dur D 959
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ROBERT SCHUMANN: Davidsbündlertänze op. 6
FRANZ LISZT/ARCADI VOLODOS: Ungarische Rhapsodie Nr. 13Zugaben:
FRANZ SCHUBERT: Moment musicaux op. 94/3
FEDERICO MOMPOU: Pájaro triste
BACH/VIVALDI: Sicilienne, aus Konzert d-Moll nach Vivaldi BWV 596Weiter ging es eine Woche später mit einem Rezital von Arcadi Volodos, das eigentlich nur zum grossen Abo der Neuen Konzertreihe gehört – aber weil ich beim letzten Konzert Ende Juni passen muss (Kobekina mit dem Zürcher Kammerorchester – schade!), bat ich um einen Konzerttausch, der mir glücklicherweise gewährt wurde. Die musikalische Gestaltung in der Schubert-Sonate war mir da und dort vielleicht um ein paar Nuancen zu dramatisch – aber das war ein phantastischer Einstieg in ein Konzert, das danach nur noch besser wurde: mit den „Davidsbündlertänzen“, einer eigenen Liszt-Bearbeitung und drei überirdischen Zugaben (ich kann gar nicht sagen, ob ich Mompou oder Bach/Vivaldi schöner fand – beide Stücke waren unfassbar). Bemerkenswert, welche Kontrolle Volodos in jedem Moment über das Geschehen hatte, wie unglaublich nuanciert er noch Fortissimo spielen kann, wie transpartent alles immer blieb, noch im dichtesten Tastendonner! Mit den zarten Zugaben Nr. 2 und 3 schloss er das Konzert auf geradezu sublime Weise. Ein grosser Meister.
Winterthur, Stadthaus – 16.01.2025 – Leila Josefowicz & Claire Chase
Musikkollegium Winterthur
Vimbayi Kaziboni Leitung
Leila Josefowicz Violine
Claire Chase FlötenGIACINTO SCELSI: aus «Quattro pezzi per orchestra»: Nr. 1
LUDWIG VAN BEETHOVEN: Ouvertüre zum Trauerspiel «Egmont» op. 84
DAI FUJIKURA: Doppelkonzert für Violine und Flöte – Auftragswerk, Schweizer Erstaufführung
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ANTONÍN DVORÁK: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88Nach zweimal Neue Konzertreihe ging es zweimal zum Musikkollegium Winterthur. Das erste Konzert wurde um ein Dirigenten-Debüt sowie ein Auftragswerk herum konzipiert. Fujikuras Doppelkonzert erfolgte am 11. Januar in Amsterdam mit dem Radio Filharmonisch Orkest unter Karina Kanellakis mit Claire Chase und Akiko Suwanai. Die Aufführung in Winterthur (und wohl auch die in Amsterdam?) hätte Patricia Kopatchinskaja spielen sollen, denn für Chase und sie hat Fujikura das Konzert geschrieben. Es kam anders, sie musste im Januar alle Konzerte absagen (ab Februar stehen wieder viele Termine auf ihrer Website – auch einer Anfang Mai in Turin, für den ich ein Ticket habe – ich hoffe, sie tritt wieder auf, weiss nichts um die Gründe für die Absangen, es hiess nur, es seien „persönliche“).
Das Programm war hervorragend konzipiert. Scelsi und Beethoven drehen sich um den Ton F, die Stück wurden nahtlos zusammengehängt, das ergab einen tollen Einstieg in das Konzert – ein allmähliches Aufsteigen der Musik aus dem einzelnen Ton, ein Jubilieren – und am Ende noch ein hohes F der Trompete, das es bei Beethoven nicht gibt. Dann folgte das neue Stück von Fujikura, leicht, dialogisch, manchmal vom Gestus her fast jazzig und improvisatorisch. Chase spielte drei Instrumente, neben der normalen Flöte auch das Piccolo und die Bassflöte. Der Wechsel sorgte ebenso wie das unendlich nuancierte Spiel von Leila Josefowicz und das transparent gesetzte Orchester für einen enormen Reichtum an Klängen. Für Kopatchinskaja tut es mir ja leider, aber dass Josefowicz (die mich in Winterthur letzte Saison mit Alban Bergs Violinkonzert begeisterte) einsprang war mit eine Grund, dass ich kurzentschlossen noch ein Ticket für dieses Konzert gekauft hatte. Nach der Pause gab es eine feine Version von Dvoráks achter Symphonie – Dirigent Vimbayi Kaziboni überzeugte auch da wieder völlig, aber mich übermannte leider allmählich die Müdigkeit … das Konzert kann man auf Youtube anschauen, der Timer springt direkt zu Fujikura, was ich unbedingt nochmal hören möchte.
Winterthur, Stadthaus – 22.01.2025 – Heinz Holliger & Sebastian Bohren
Musikkollegium Winterthur
Heinz Holliger Leitung
Sebastian Bohren ViolineMAURICE RAVEL: «Le tombeau de Couperin» Suite
WILLY BURKHARD: Konzert für Violine und Orchester Nr. 2, op. 69
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ROBERT SCHUMANN: Fantasie für Violine und Orchester a-Moll, op. 131
ROBERT SCHUMANN: Sinfonie Nr. 4 d-Moll, op. 120Eine Woche später, wieder müde, ging es nach der Arbeit erneut nach Winterthur, dieses Mal zu einem der sogenannten Hauskonzerte, für Mitglieder des Musikkollegiums kostenlos und mit freier Platzwahl. Ich war früh dort und nutzte das, um statt ganz vorne (siehe 16.1.) oder auf dem Balkon (wegen sehr dicker Säulen gibt es dort nur wenige Plätze mit richtig guter Sicht) zu sitzen. Heinz Holliger war in diesem Fall der Grund, weshalb ich das Konzert schon letzten Sommer eingeplant hatte – im November dirigierte – und spielte – er zwei Konzerte in Lugano, die ich dann doch nicht auch noch besuchen mochte, aber generell versuche ich, ihn zu hören, wo und wann immer das geht (leider gibt es bei ihm nichts so neumodisches wie eine Website … für die laufende Saison habe ich keine weiteren Konzerte mit ihm geplant, auch weil ich nicht weiss, ob und wo welche stattfinden).
Neben Schumann mit Kammerorchesterbesetzung (beim Kammerorchester Basel gab es 2024 die „Rheinische“ mit Holliger, da war ich begeistert) gab es erneut Ravels „Tombeau de Couperin“ (mit Holliger und dem Zürcher Kammerorchester hatte ich das Stück im Sommer 2023 endlich „geknackt“) sowie gleich zwei Werke mit dem 38jährigen Winterthurer Geiger Sebastian Bohren. Das erste von den beiden war eine echte Entdeckung: Willy Burkhards zweites Konzert für Violine und Orchester aus em Jahr 1943 (Burkhard lebte von 1900 bis 1955). Ein Werk jenseits aller Kategorien und Schulen, sehr farbenfroh und überaus zugänglich. Im Programmheft schreibt Viviane Nora Brodmann, dass es bis heute schwer falle, „die Kompositionsweise und einen Grossteil der Werke des 1900 in Biel geborenen Komponisten konkret einzuordnen. Sein besonderer Fokus auf Orgel und Gesang weist zwar in Richtung der geistlichen Musik, doch seine Werke im Rahmen der Sinfonik, Konzerte und Oper eröffnen neue Horizonte. So sorgte Burkhard in seinen Werken immer wieder für überraschende Klänge wie etwa zu Beginn seines zweiten Violinkonzerts. Dort erklingt die Violine nach einem kurzen Aufschwung des Orchesters in hohen Tonlagen allein – so solistisch, wie es früher nur in einer Kadenz üblich war. Dieser ausgestellte, fast schon einsame Klang zieht sich in gewisser Weise durch das gesamte Werk, sodass im dritten Satz ruhige, melodische Klangflächen entstehen, über denen die Violine in höchsten Tönen leise entschwebt.“ – Bohren spielte das alles souverän, vom Orchester und Holliger hervorragend eingebettet, mit der Harfe direkt hinter ihm zwischen den Pulten des Konzertmeisters und den Stimmführern der zweiten Geigen. Nach der Pause war Bohren erfreulicherweise gleich noch einmal zu hören – und Schumann mit Holliger ist eh immer super, auch wenn mir die vierte Symphonie nicht so gefallen will wie die zweite oder die „Rheinische“ (die ich Anfang März mit dem Tonhalle-Orchester unter Järvi wieder hören werde, davor spielen die Tetzlaffs Brahms‘ Doppelkonzert, das mich neulich in Basel nicht recht zu überzeugen vermochte). Ein ambitioniertes Konzert, das mir sehr gut gefiel.
Zürich, Tonhalle – 24.01.2025 – Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Víkingur Ólafsson KlavierJOHN ADAMS: «After the Fall» Klavierkonzert – Schweizer Erstaufführung
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GUSTAV MAHLER: Sinfonie Nr. 1 D-DurZweimal Neue Konzertreihe, zweimal Musikkollegium, als nächstes also zweimal Tonhalle-Orchester unter seinem Chefdirigenten Paavo Järvi. Und das war dann – zusammen mit dem Zyklus der Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch – das Highlight zum Monatsende. Das erste Konzert bot eine weitere Schweizer Erstaufführung und den zweiten Auftritt des Fokuskünstlers Víkingur Ólafsson, den ich sah (die drei Orchesterkonzerte habe ich alle in meinem Wahl-Abo, das umjubelte Duo-Konzert mit Yuja Wang habe ich verpassst). John Adams schrieb „After the Fall“ für den Isländer, nachdem ihn dieser bei gemeinsamen Aufführungen „Must the Devil Have All the Good Tunes?“ begeistert hatte. „After the Fall“ ist dabei auch eine Art Aufrappeln, nachdem Adams vom Werk „No Such Spring“ seines Sohnes Samuel Carl Adams 2023 durch Conor Hanick mit der San Francisco Symphony unter Esa-Pekka Salonen beeindruckt war. Das ging so weit, dass er dachte, er könne gar kein Klavierkonzert mehr schreiben. Der Titel spielt also auf das Stück seines Sohnes an, aber auch auf die Jahreszeit und auf den Sturz aus dem Paradies. Ich kriegte für das Konzert ein Upgrade und sass für einmal mittendrin auf den besten Plätzen (nach der Pause sass Ólafsson zwei oder drei Reihen vor mir in der Mitte der Reihe am Gang, wo man viel Beinfreiheit hat – soweit ich sehe, sind die Plätze jeweils für die Chefetage der Tonhalle und ihre Gäste reserviert – von den zwei mittleren sieht man durch den Mittelgang hindernisfrei zur Bühne).
Ich fand Adams‘ Stück sehr zugänglich, es hatte viel Drive und machte Spass mit seinen Repetitionen, dem rhythmischen Insistieren, das aber nie in Strenge mündete (wobei ich mir bei dem Punkt unsicher bin, ob das eher eine Stärke oder vielleicht doch eine Schwäche ist) und überaus ansprechend modulierten Klangfarben. Ólafsson spielte dann eine überirdisch schöne kurze Zugabe, eine Klavierbearbeitung eines Orgelstücks von Bach, in dem sein überaus feiner Anschlag, seine unfassbare Klanggestaltung überdeutlich wurden (ich hörte das alles beim Mozart & Zeitgenossen-Programm im Sommer 2023 in Luzern, beim Brahms-Konzert wie auch jetzt bei Adams ging es um anderes bzw. kam das – Brahms – etwas zu kurz). Das Fleisch am Knochen lieferte das Orchester dann nach der Pause mit Mahlers erster Symphonie. Im Juni hatte Joanna Mallwitz dieser schon zu einer tollen Version am Pult des Tonhalle-Orchester verholfen, im September führte das Orchester sie unter Järvi bei ein paar Gastspielen auf und jetzt endlich auch zuhause. Und das war ein Ereignis! Brennend intensiv war das, die Tänze wurden phasenweise abgründig, der Ländler kippte in eine Balkan-Tonlage, die Solisten und Instrumentengruppen interagieren lebendig und frei, obwohl das alles bis ins Detail ausgestaltet ist. Das war also zugleich kontrollierter als auch freier denn die ebenfalls grossartige Aufführung unter Mallwitz. Schade, dass der Mahler-Zyklus erst nächste Saison weiter geht … und schade, dass ich den Auftakt mit Nr. 5 in der letzten Saison irgendwie nicht richtig würdigen konnte und fast vergessen habe. Gut Ding will eben Weile haben.
Zürich, Kleine Tonhalle – 25.01.2025 & 26.01.2025 – Schostakowitsch-Zyklus (I)
Jerusalem Quartet
Alexander Pavlovsky, Violine; Sergei Bresler, Violine; Ori Kam, Viola; Kyril Zlotnikov, VioloncelloDMITRI SCHOSTAKOWITSCH:
Streichquartett Nr. 1 C-Dur op. 49
Streichquartett Nr. 2 A-Dur op. 68
Streichquartett Nr. 3 F-Dur op. 73Streichquartett Nr. 4 D-Dur op. 83
Streichquartett Nr. 5 B-Dur op. 92
Streichquartett Nr. 6 G-Dur op. 101Streichquartett Nr. 7 fis-Moll op. 108
Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110
Streichquartett Nr. 9 Es-Dur op. 117Nach dem Orchesterkonzert am Freitag bin ich Samstag und Sonntag dann noch dreimal in die Tonhalle. In der kleinen Tonhalle führt das Jerusalem Quartet alle fünfzehn Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch auf und die Gelegenheit, mit diesen mir noch praktisch unvertrauten Werken auf Tuchfühlung zu gehen, konnte ich mir nicht entgehen lassen. Teil 2 mit Nr. 10-15 folgt Ende November wieder an einem Samstag und einem Sonntag und die Daten sind bei mir schon reserviert. Dreimal drei Quartette gab es, nachdem das Quartett beim ersten Konzert am frühen Samstagabend nach Nr. 2 länger hinter der Bühne verweilte, beschloss man, beim zweiten und dritten Konzert jeweils nach Nr. 5 bzw. Nr. 8 eine kurze Pause einzulegen.
Von den drei Konzerten war ich einmal mehr völlig überwältigt. Die ersten drei boten einen stimmigen Auftakt, die schon grosse Meisterschaft auf dem Feld verraten. Was hier an Klangfarben und auch an Rhythmen geboten wird, fand ich total faszinierend (und es färbte noch ein wenig auf Adams ab, der ja als Meister auf dem Gebiet der Rhythmik gilt – aber fast jeder Satz der Schostakowitsch-Quartette schien mehr zu bieten als sein „After the Fall“). Nr. 4 am Sonntagmorgen war dann erwartungsgemäss ein grossartiges Highlight, während Nr. 5 und Nr. 6 etwas schwieriger waren, weniger eingängig jedenfalls, aber für meine Ohren auch überaus ansprechend. Im dritten Konzert war erwartungsgemäss Nr. 8 der Höhepunkt, aber auch Nr. 7 und Nr. 9 wussten zu überzeugen – und das Quartett auf der Bühne sowieso. Ich weiss ja echt nicht, warum es nicht landauf landab überall Konzertreihen mit Streichquartetten gibt, genügend Repertoire wäre ja vorhanden und die Musik hat nicht nur bei den alten Meistern oft eine solche Qualität, dass sie doch viel mehr Publikum finden müsste.
Zürich, Kunstraum Walcheturm – 31.01.2025 – Sonic Matter, Piano Bar
Gilles Grimaître piano
MORTON FELDMAN: «palais de mari» (1986) for piano
Das war gestern dann quasi das Warm-Up für’s zweite Tonhalle-Konzert. Das Sonic Matter-Festival hat die Tonhalle ja inzwischen gewissermassen ausgeklammert (siehe letzte Seite hier zum tollen „Satellitenkonzert“ mit André de Ridder letzten November), kommt aber noch nicht ganz ohne sie aus, sofern man Morton Feldman „klassisch“ nennen will. Gilles Grimaître hörte ich schon in unterschiedlichen Kontexten: als Mitglied des Collegium Novum Zürich, aber auch mit elektronischer Musik (was ja zum Sonic Matter passt, denn das ist der Hauptfokus des jungen Festivals). Bei der „Piano Bar“ gibt es ein Werk, einen zugeordneten Cocktail (ich habe verzichtet) und nach der Aufführung ein Gespräch mit dem Künstler (bzw. morgen der Künstlerin, Simone Keller wird dann ein Stück von Jessie Cox aufführen).
Grimaître bot am Babygrand im Kunstraum Walcheturm eine vorbildliche Lesart von Morton Feldmans oberflächlich einfachem Stück – und im Gespräch wurde nicht zuletzt klar, wie er dahin gelangte. Die Musik ist anscheinend relativ kompliziert, was die Notation angeht, ständige Taktwechsel erfordern ein entsprechendes Mitzählen, und die Töne tanzen zu lassen (Grimaîtres Formulierung) verlangt eine grosse Präzision – und verbietet sowohl romantisierendes Spiel (was sich bei der – wie auch immer reduzierten – Melodik durchaus anbieten würde) als auch ein freieres Gleiten (auch wenn das Ergebnis auf ungeübte Ohren so wirken mag). Interessant jedenfalls, und natürlich eh immer toll, etwas von Feldman hören zu können.
Zürich, Tonhalle – 31.01.2025 – Paavo Järvi & Anna Vinnitskaya
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Anna Vinnitskaya KlavierROBERT SCHUMANN: Klavierkonzert a-Moll op. 54
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DMITRI SCHOSTAKOWITSCH: Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93Danach etwas Zeit totschlagen bis zum Orchesterkonzert in der Tonhalle, bei dem erneut Schostakowitsch auf dem Programm stand – und das davor eine Wiederbegegnung mit Anna Vinnitskaya bot, die ich letzten Sommer in Luzern im Rezital gehört hatte (ich musste gerade nachschauen: sie spielte den „Carnaval“, nicht die „Davidsbündlertänze“). Ich fand gestern allerdings bei aller Brillanz keinen richtigen Zugang zum Klavierkonzert von Robert Schumann, das ich durchaus mag (aber schon länger nicht mehr angehört hatte, zumindest nicht aufmerksam). Das Zusammen von Orchester und Klavier schien dabei durchaus stimmig, ich kann gar nicht sagen, woran es lag … jedenfalls nicht an Vinnitskaya, die danach noch zwei Zugaben spielte – die erste wirkte wie ein Pop-Song, danach gab’s noch was von Chopin – beides sehr schön.
Doch auch hier folgte das Highlight nach der Pause: eine mitreissende, erschütternde Version der Zehnten von Schostakowitsch – und in diesem Fall soweit ich mich erinnern kann wirklich meine erste Begegnung mit dem Werk. die Solist*innen im gross besetzten Orchester (ausnahmsweise wie davor beim Schumann mit den Violinen nebeneinander und den Celli vorn links, was bei Järvi wirklich selten vorkommt) waren hervorragend, das feine Zusammenspiel und austarieren der Stimmen auch in der grossen Besetzung (nicht ganz 60 Streicher) kein Problem. Järvi kostete die Dynamik voll aus, das ging vom Pianississimo (die einzige Volumen-Angabe bei „Palais de Mari“ übrigens, dazu kommt im Lauf des Stückes noch zweimal ein Decrescendo) bis zum Fortissimo, bei dem sich einzelne die Ohren zuhielten … Musik, die wirklich ergreift und erschüttert, zum Staunen wie auch zum Lächeln bringt – und die Mut zum Handgreiflichen wenn nicht zum Hässlichen verlangt, den das Orchester unter Järvi aufbringt.
Nach jeder Etappe dieses Schostakowitsch-Marathons und auch nach der Ersten von Mahler war ich jeweils völlig geplättet – und unsinnig glücklich.
Weiter geht’s am Dienstag mit Sol Gabetta/Kristian Bezuidenhout (nach fünf, sechs Jahren erneut bei der Neuen Konzertreihe zu Gast) und am Donnerstag mit Regula Mühlemann beim Kammerorchester Basel. Danach lockt Bernsteins „Trouble in Tahiti “ mich ans Luzerner Theater, bevor es dann in Zürich zur neuen „Manon Lescaut“ gehen wird. Doch davor vielleicht morgen noch spontan in die Kammermusikmatinee in der Tonhalle, wo es ein Klarinettenprogramm gibt (Bowen, Brahms, Ponchielli).
Und gerade sah ich, dass auch das Programm von Sokolow (nach Zürich kommt er am 24. März) jetzt feststeht: nach Purcell ist jetzt Byrd dran, im zweiten Teil gibt es wieder Brahms – schön!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #161: David Murray - 11.3., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
Schlagwörter: Kammermusik, Klassik, klassische Musik, Konzertberichte, Lied, Oper
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