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Konzertbericht Januar 2025
Das Konzertjahr begann mit einem phantastischen Steigerungslauf … Highlights waren der Schostakowitsch-Fokus die letzten Tage, die erneute Begegnung mit Gustav Mahlers ersten Symphonie – und das Klavierspiel von Arcadi Volodos.
Zürich, Tonhalle – 07.01.2025 – Neue Konzertreihe Zürich
Stuttgarter Kammerorchester
Thomas Zehetmair Leitung
Alexandra Dovgan Klavier
FANNY HENSEL-MENDELSSOHN: Ouvertüre C-Dur
LUDWIG VAN BEETHOVEN: Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19
Zugabe: LUDWIG VAN BEETHOVEN: Alla Ingharese quasi un Capriccio «Die Wut über den verlorenen Groschen» G-Dur op. 129
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LUDWIG VAN BEETHOVEN: Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
Los ging es unter der Woche mit einem schönen Konzert des Stuttgarter Kammerorchesters unter der Leitung des ehemaligen „Winterthurers“ Thomas Zehetmair. Von seiner Zeit beim Musikkollegium habe ich leider nicht mehr viel mitgekriegt, weil ich das gute Programm nicht gleich zu verfolgen anfing, als ich zum regelmässigen Konzertbesucher wurde – aber ein Brahms-Programm mit Nelson Freire ist mir noch in warmer Erinnerung. Die Stuttgarter*innen kamen mit Alexandra Dovgan, die bei der Neuen Konzertreihe inzwischen etabliert ist (demnächst kommt sie auch wieder solo, aber ausserhalb meines Abos und ich werde passen). Ihr Beethoven war wunderbar gespielt, jeu perlé, schlank und auf den Punkt – und die Zugabe ein Husarenstück, eine Steigerung noch des davor gebotenen. Insgesamt ein schöner, unaufgeregter Einstieg ins neue Konzertjahr – und der Auftakt eines Steigerungslaufs, der gestern in einen Höhepunkt mündete.
Zürich, Tonhalle – 14.01.2025 – Neue Konzertreihe Zürich
Arcadi Volodos Klavier
FRANZ SCHUBERT: Sonate A-Dur D 959
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ROBERT SCHUMANN: Davidsbündlertänze op. 6
FRANZ LISZT/ARCADI VOLODOS: Ungarische Rhapsodie Nr. 13
Zugaben:
FRANZ SCHUBERT: Moment musicaux op. 94/3
FEDERICO MOMPOU: Pájaro triste
BACH/VIVALDI: Sicilienne, aus Konzert d-Moll nach Vivaldi BWV 596
Weiter ging es eine Woche später mit einem Rezital von Arcadi Volodos, das eigentlich nur zum grossen Abo der Neuen Konzertreihe gehört – aber weil ich beim letzten Konzert Ende Juni passen muss (Kobekina mit dem Zürcher Kammerorchester – schade!), bat ich um einen Konzerttausch, der mir glücklicherweise gewährt wurde. Die musikalische Gestaltung in der Schubert-Sonate war mir da und dort vielleicht um ein paar Nuancen zu dramatisch – aber das war ein phantastischer Einstieg in ein Konzert, das danach nur noch besser wurde: mit den „Davidsbündlertänzen“, einer eigenen Liszt-Bearbeitung und drei überirdischen Zugaben (ich kann gar nicht sagen, ob ich Mompou oder Bach/Vivaldi schöner fand – beide Stücke waren unfassbar). Bemerkenswert, welche Kontrolle Volodos in jedem Moment über das Geschehen hatte, wie unglaublich nuanciert er noch Fortissimo spielen kann, wie transpartent alles immer blieb, noch im dichtesten Tastendonner! Mit den zarten Zugaben Nr. 2 und 3 schloss er das Konzert auf geradezu sublime Weise. Ein grosser Meister.
Winterthur, Stadthaus – 16.01.2025 – Leila Josefowicz & Claire Chase
Musikkollegium Winterthur
Vimbayi Kaziboni Leitung
Leila Josefowicz Violine
Claire Chase Flöten
GIACINTO SCELSI: aus «Quattro pezzi per orchestra»: Nr. 1
LUDWIG VAN BEETHOVEN: Ouvertüre zum Trauerspiel «Egmont» op. 84
DAI FUJIKURA: Doppelkonzert für Violine und Flöte – Auftragswerk, Schweizer Erstaufführung
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ANTONÍN DVORÁK: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
Nach zweimal Neue Konzertreihe ging es zweimal zum Musikkollegium Winterthur. Das erste Konzert wurde um ein Dirigenten-Debüt sowie ein Auftragswerk herum konzipiert. Fujikuras Doppelkonzert erfolgte am 11. Januar in Amsterdam mit dem Radio Filharmonisch Orkest unter Karina Kanellakis mit Claire Chase und Akiko Suwanai. Die Aufführung in Winterthur (und wohl auch die in Amsterdam?) hätte Patricia Kopatchinskaja spielen sollen, denn für Chase und sie hat Fujikura das Konzert geschrieben. Es kam anders, sie musste im Januar alle Konzerte absagen (ab Februar stehen wieder viele Termine auf ihrer Website – auch einer Anfang Mai in Turin, für den ich ein Ticket habe – ich hoffe, sie tritt wieder auf, weiss nichts um die Gründe für die Absangen, es hiess nur, es seien „persönliche“).
Das Programm war hervorragend konzipiert. Scelsi und Beethoven drehen sich um den Ton F, die Stück wurden nahtlos zusammengehängt, das ergab einen tollen Einstieg in das Konzert – ein allmähliches Aufsteigen der Musik aus dem einzelnen Ton, ein Jubilieren – und am Ende noch ein hohes F der Trompete, das es bei Beethoven nicht gibt. Dann folgte das neue Stück von Fujikura, leicht, dialogisch, manchmal vom Gestus her fast jazzig und improvisatorisch. Chase spielte drei Instrumente, neben der normalen Flöte auch das Piccolo und die Bassflöte. Der Wechsel sorgte ebenso wie das unendlich nuancierte Spiel von Leila Josefowicz und das transparent gesetzte Orchester für einen enormen Reichtum an Klängen. Für Kopatchinskaja tut es mir ja leider, aber dass Josefowicz (die mich in Winterthur letzte Saison mit Alban Bergs Violinkonzert begeisterte) einsprang war mit eine Grund, dass ich kurzentschlossen noch ein Ticket für dieses Konzert gekauft hatte. Nach der Pause gab es eine feine Version von Dvoráks achter Symphonie – Dirigent Vimbayi Kaziboni überzeugte auch da wieder völlig, aber mich übermannte leider allmählich die Müdigkeit … das Konzert kann man auf Youtube anschauen, der Timer springt direkt zu Fujikura, was ich unbedingt nochmal hören möchte.
Winterthur, Stadthaus – 22.01.2025 – Heinz Holliger & Sebastian Bohren
Musikkollegium Winterthur
Heinz Holliger Leitung
Sebastian Bohren Violine
MAURICE RAVEL: «Le tombeau de Couperin» Suite
WILLY BURKHARD: Konzert für Violine und Orchester Nr. 2, op. 69
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ROBERT SCHUMANN: Fantasie für Violine und Orchester a-Moll, op. 131
ROBERT SCHUMANN: Sinfonie Nr. 4 d-Moll, op. 120
Eine Woche später, wieder müde, ging es nach der Arbeit erneut nach Winterthur, dieses Mal zu einem der sogenannten Hauskonzerte, für Mitglieder des Musikkollegiums kostenlos und mit freier Platzwahl. Ich war früh dort und nutzte das, um statt ganz vorne (siehe 16.1.) oder auf dem Balkon (wegen sehr dicker Säulen gibt es dort nur wenige Plätze mit richtig guter Sicht) zu sitzen. Heinz Holliger war in diesem Fall der Grund, weshalb ich das Konzert schon letzten Sommer eingeplant hatte – im November dirigierte – und spielte – er zwei Konzerte in Lugano, die ich dann doch nicht auch noch besuchen mochte, aber generell versuche ich, ihn zu hören, wo und wann immer das geht (leider gibt es bei ihm nichts so neumodisches wie eine Website … für die laufende Saison habe ich keine weiteren Konzerte mit ihm geplant, auch weil ich nicht weiss, ob und wo welche stattfinden).
Neben Schumann mit Kammerorchesterbesetzung (beim Kammerorchester Basel gab es 2024 die „Rheinische“ mit Holliger, da war ich begeistert) gab es erneut Ravels „Tombeau de Couperin“ (mit Holliger und dem Zürcher Kammerorchester hatte ich das Stück im Sommer 2023 endlich „geknackt“) sowie gleich zwei Werke mit dem 38jährigen Winterthurer Geiger Sebastian Bohren. Das erste von den beiden war eine echte Entdeckung: Willy Burkhards zweites Konzert für Violine und Orchester aus em Jahr 1943 (Burkhard lebte von 1900 bis 1955). Ein Werk jenseits aller Kategorien und Schulen, sehr farbenfroh und überaus zugänglich. Im Programmheft schreibt Viviane Nora Brodmann, dass es bis heute schwer falle, „die Kompositionsweise und einen Grossteil der Werke des 1900 in Biel geborenen Komponisten konkret einzuordnen. Sein besonderer Fokus auf Orgel und Gesang weist zwar in Richtung der geistlichen Musik, doch seine Werke im Rahmen der Sinfonik, Konzerte und Oper eröffnen neue Horizonte. So sorgte Burkhard in seinen Werken immer wieder für überraschende Klänge wie etwa zu Beginn seines zweiten Violinkonzerts. Dort erklingt die Violine nach einem kurzen Aufschwung des Orchesters in hohen Tonlagen allein – so solistisch, wie es früher nur in einer Kadenz üblich war. Dieser ausgestellte, fast schon einsame Klang zieht sich in gewisser Weise durch das gesamte Werk, sodass im dritten Satz ruhige, melodische Klangflächen entstehen, über denen die Violine in höchsten Tönen leise entschwebt.“ – Bohren spielte das alles souverän, vom Orchester und Holliger hervorragend eingebettet, mit der Harfe direkt hinter ihm zwischen den Pulten des Konzertmeisters und den Stimmführern der zweiten Geigen. Nach der Pause war Bohren erfreulicherweise gleich noch einmal zu hören – und Schumann mit Holliger ist eh immer super, auch wenn mir die vierte Symphonie nicht so gefallen will wie die zweite oder die „Rheinische“ (die ich Anfang März mit dem Tonhalle-Orchester unter Järvi wieder hören werde, davor spielen die Tetzlaffs Brahms‘ Doppelkonzert, das mich neulich in Basel nicht recht zu überzeugen vermochte). Ein ambitioniertes Konzert, das mir sehr gut gefiel.
Zürich, Tonhalle – 24.01.2025 – Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Víkingur Ólafsson Klavier
JOHN ADAMS: «After the Fall» Klavierkonzert – Schweizer Erstaufführung
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GUSTAV MAHLER: Sinfonie Nr. 1 D-Dur
Zweimal Neue Konzertreihe, zweimal Musikkollegium, als nächstes also zweimal Tonhalle-Orchester unter seinem Chefdirigenten Paavo Järvi. Und das war dann – zusammen mit dem Zyklus der Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch – das Highlight zum Monatsende. Das erste Konzert bot eine weitere Schweizer Erstaufführung und den zweiten Auftritt des Fokuskünstlers Víkingur Ólafsson, den ich sah (die drei Orchesterkonzerte habe ich alle in meinem Wahl-Abo, das umjubelte Duo-Konzert mit Yuja Wang habe ich verpassst). John Adams schrieb „After the Fall“ für den Isländer, nachdem ihn dieser bei gemeinsamen Aufführungen „Must the Devil Have All the Good Tunes?“ begeistert hatte. „After the Fall“ ist dabei auch eine Art Aufrappeln, nachdem Adams vom Werk „No Such Spring“ seines Sohnes Samuel Carl Adams 2023 durch Conor Hanick mit der San Francisco Symphony unter Esa-Pekka Salonen beeindruckt war. Das ging so weit, dass er dachte, er könne gar kein Klavierkonzert mehr schreiben. Der Titel spielt also auf das Stück seines Sohnes an, aber auch auf die Jahreszeit und auf den Sturz aus dem Paradies. Ich kriegte für das Konzert ein Upgrade und sass für einmal mittendrin auf den besten Plätzen (nach der Pause sass Ólafsson zwei oder drei Reihen vor mir in der Mitte der Reihe am Gang, wo man viel Beinfreiheit hat – soweit ich sehe, sind die Plätze jeweils für die Chefetage der Tonhalle und ihre Gäste reserviert – von den zwei mittleren sieht man durch den Mittelgang hindernisfrei zur Bühne).
Ich fand Adams‘ Stück sehr zugänglich, es hatte viel Drive und machte Spass mit seinen Repetitionen, dem rhythmischen Insistieren, das aber nie in Strenge mündete (wobei ich mir bei dem Punkt unsicher bin, ob das eher eine Stärke oder vielleicht doch eine Schwäche ist) und überaus ansprechend modulierten Klangfarben. Ólafsson spielte dann eine überirdisch schöne kurze Zugabe, eine Klavierbearbeitung eines Orgelstücks von Bach, in dem sein überaus feiner Anschlag, seine unfassbare Klanggestaltung überdeutlich wurden (ich hörte das alles beim Mozart & Zeitgenossen-Programm im Sommer 2023 in Luzern, beim Brahms-Konzert wie auch jetzt bei Adams ging es um anderes bzw. kam das – Brahms – etwas zu kurz). Das Fleisch am Knochen lieferte das Orchester dann nach der Pause mit Mahlers erster Symphonie. Im Juni hatte Joanna Mallwitz dieser schon zu einer tollen Version am Pult des Tonhalle-Orchester verholfen, im September führte das Orchester sie unter Järvi bei ein paar Gastspielen auf und jetzt endlich auch zuhause. Und das war ein Ereignis! Brennend intensiv war das, die Tänze wurden phasenweise abgründig, der Ländler kippte in eine Balkan-Tonlage, die Solisten und Instrumentengruppen interagieren lebendig und frei, obwohl das alles bis ins Detail ausgestaltet ist. Das war also zugleich kontrollierter als auch freier denn die ebenfalls grossartige Aufführung unter Mallwitz. Schade, dass der Mahler-Zyklus erst nächste Saison weiter geht … und schade, dass ich den Auftakt mit Nr. 5 in der letzten Saison irgendwie nicht richtig würdigen konnte und fast vergessen habe. Gut Ding will eben Weile haben.
Zürich, Kleine Tonhalle – 25.01.2025 & 26.01.2025 – Schostakowitsch-Zyklus (I)
Jerusalem Quartet
Alexander Pavlovsky, Violine; Sergei Bresler, Violine; Ori Kam, Viola; Kyril Zlotnikov, Violoncello
DMITRI SCHOSTAKOWITSCH:
Streichquartett Nr. 1 C-Dur op. 49
Streichquartett Nr. 2 A-Dur op. 68
Streichquartett Nr. 3 F-Dur op. 73
Streichquartett Nr. 4 D-Dur op. 83
Streichquartett Nr. 5 B-Dur op. 92
Streichquartett Nr. 6 G-Dur op. 101
Streichquartett Nr. 7 fis-Moll op. 108
Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110
Streichquartett Nr. 9 Es-Dur op. 117
Nach dem Orchesterkonzert am Freitag bin ich Samstag und Sonntag dann noch dreimal in die Tonhalle. In der kleinen Tonhalle führt das Jerusalem Quartet alle fünfzehn Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch auf und die Gelegenheit, mit diesen mir noch praktisch unvertrauten Werken auf Tuchfühlung zu gehen, konnte ich mir nicht entgehen lassen. Teil 2 mit Nr. 10-15 folgt Ende November wieder an einem Samstag und einem Sonntag und die Daten sind bei mir schon reserviert. Dreimal drei Quartette gab es, nachdem das Quartett beim ersten Konzert am frühen Samstagabend nach Nr. 2 länger hinter der Bühne verweilte, beschloss man, beim zweiten und dritten Konzert jeweils nach Nr. 5 bzw. Nr. 8 eine kurze Pause einzulegen.
Von den drei Konzerten war ich einmal mehr völlig überwältigt. Die ersten drei boten einen stimmigen Auftakt, die schon grosse Meisterschaft auf dem Feld verraten. Was hier an Klangfarben und auch an Rhythmen geboten wird, fand ich total faszinierend (und es färbte noch ein wenig auf Adams ab, der ja als Meister auf dem Gebiet der Rhythmik gilt – aber fast jeder Satz der Schostakowitsch-Quartette schien mehr zu bieten als sein „After the Fall“). Nr. 4 am Sonntagmorgen war dann erwartungsgemäss ein grossartiges Highlight, während Nr. 5 und Nr. 6 etwas schwieriger waren, weniger eingängig jedenfalls, aber für meine Ohren auch überaus ansprechend. Im dritten Konzert war erwartungsgemäss Nr. 8 der Höhepunkt, aber auch Nr. 7 und Nr. 9 wussten zu überzeugen – und das Quartett auf der Bühne sowieso. Ich weiss ja echt nicht, warum es nicht landauf landab überall Konzertreihen mit Streichquartetten gibt, genügend Repertoire wäre ja vorhanden und die Musik hat nicht nur bei den alten Meistern oft eine solche Qualität, dass sie doch viel mehr Publikum finden müsste.
Zürich, Kunstraum Walcheturm – 31.01.2025 – Sonic Matter, Piano Bar
Gilles Grimaître piano
MORTON FELDMAN: «palais de mari» (1986) for piano
Das war gestern dann quasi das Warm-Up für’s zweite Tonhalle-Konzert. Das Sonic Matter-Festival hat die Tonhalle ja inzwischen gewissermassen ausgeklammert (siehe letzte Seite hier zum tollen „Satellitenkonzert“ mit André de Ridder letzten November), kommt aber noch nicht ganz ohne sie aus, sofern man Morton Feldman „klassisch“ nennen will. Gilles Grimaître hörte ich schon in unterschiedlichen Kontexten: als Mitglied des Collegium Novum Zürich, aber auch mit elektronischer Musik (was ja zum Sonic Matter passt, denn das ist der Hauptfokus des jungen Festivals). Bei der „Piano Bar“ gibt es ein Werk, einen zugeordneten Cocktail (ich habe verzichtet) und nach der Aufführung ein Gespräch mit dem Künstler (bzw. morgen der Künstlerin, Simone Keller wird dann ein Stück von Jessie Cox aufführen).
Grimaître bot am Babygrand im Kunstraum Walcheturm eine vorbildliche Lesart von Morton Feldmans oberflächlich einfachem Stück – und im Gespräch wurde nicht zuletzt klar, wie er dahin gelangte. Die Musik ist anscheinend relativ kompliziert, was die Notation angeht, ständige Taktwechsel erfordern ein entsprechendes Mitzählen, und die Töne tanzen zu lassen (Grimaîtres Formulierung) verlangt eine grosse Präzision – und verbietet sowohl romantisierendes Spiel (was sich bei der – wie auch immer reduzierten – Melodik durchaus anbieten würde) als auch ein freieres Gleiten (auch wenn das Ergebnis auf ungeübte Ohren so wirken mag). Interessant jedenfalls, und natürlich eh immer toll, etwas von Feldman hören zu können.
Zürich, Tonhalle – 31.01.2025 – Paavo Järvi & Anna Vinnitskaya
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Anna Vinnitskaya Klavier
ROBERT SCHUMANN: Klavierkonzert a-Moll op. 54
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DMITRI SCHOSTAKOWITSCH: Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93
Danach etwas Zeit totschlagen bis zum Orchesterkonzert in der Tonhalle, bei dem erneut Schostakowitsch auf dem Programm stand – und das davor eine Wiederbegegnung mit Anna Vinnitskaya bot, die ich letzten Sommer in Luzern im Rezital gehört hatte (ich musste gerade nachschauen: sie spielte den „Carnaval“, nicht die „Davidsbündlertänze“). Ich fand gestern allerdings bei aller Brillanz keinen richtigen Zugang zum Klavierkonzert von Robert Schumann, das ich durchaus mag (aber schon länger nicht mehr angehört hatte, zumindest nicht aufmerksam). Das Zusammen von Orchester und Klavier schien dabei durchaus stimmig, ich kann gar nicht sagen, woran es lag … jedenfalls nicht an Vinnitskaya, die danach noch zwei Zugaben spielte – die erste wirkte wie ein Pop-Song, danach gab’s noch was von Chopin – beides sehr schön.
Doch auch hier folgte das Highlight nach der Pause: eine mitreissende, erschütternde Version der Zehnten von Schostakowitsch – und in diesem Fall soweit ich mich erinnern kann wirklich meine erste Begegnung mit dem Werk. die Solist*innen im gross besetzten Orchester (ausnahmsweise wie davor beim Schumann mit den Violinen nebeneinander und den Celli vorn links, was bei Järvi wirklich selten vorkommt) waren hervorragend, das feine Zusammenspiel und austarieren der Stimmen auch in der grossen Besetzung (nicht ganz 60 Streicher) kein Problem. Järvi kostete die Dynamik voll aus, das ging vom Pianississimo (die einzige Volumen-Angabe bei „Palais de Mari“ übrigens, dazu kommt im Lauf des Stückes noch zweimal ein Decrescendo) bis zum Fortissimo, bei dem sich einzelne die Ohren zuhielten … Musik, die wirklich ergreift und erschüttert, zum Staunen wie auch zum Lächeln bringt – und die Mut zum Handgreiflichen wenn nicht zum Hässlichen verlangt, den das Orchester unter Järvi aufbringt.
Nach jeder Etappe dieses Schostakowitsch-Marathons und auch nach der Ersten von Mahler war ich jeweils völlig geplättet – und unsinnig glücklich.
Weiter geht’s am Dienstag mit Sol Gabetta/Kristian Bezuidenhout (nach fünf, sechs Jahren erneut bei der Neuen Konzertreihe zu Gast) und am Donnerstag mit Regula Mühlemann beim Kammerorchester Basel. Danach lockt Bernsteins „Trouble in Tahiti “ mich ans Luzerner Theater, bevor es dann in Zürich zur neuen „Manon Lescaut“ gehen wird. Doch davor vielleicht morgen noch spontan in die Kammermusikmatinee in der Tonhalle, wo es ein Klarinettenprogramm gibt (Bowen, Brahms, Ponchielli).
Und gerade sah ich, dass auch das Programm von Sokolow (nach Zürich kommt er am 24. März) jetzt feststeht: nach Purcell ist jetzt Byrd dran, im zweiten Teil gibt es wieder Brahms – schön!
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