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gypsy-tail-wind
… aber ich kann über’s Angebot ja wahrlich nicht klagen…
wohl wahr ;D
Ich weiß noch nicht, wann ich Zeit habe, mal mehr über diese Woche zu schreiben, aber mind. ein kleiner Bericht folgt noch…
Ich weiß auch zu schätzen, dass es durch die Preisgestaltung möglich ist, zu mehreren Konzerten zu gehen… Das Konzerthaus wird subventioniert und hat eine gute (faire) Verteilung der Preisklassen, d.h. man kann auch für 25-30 € im 1. und 2. Rang nah am Podium sitzen. In anderen Sälen in Berlin, nicht nur Philharmonie, sitzt man für diesen Preis ganz hinten, meist noch hinter den Musikern und hat auch ein ganz anderes Hörerlebnis.
Ich hatte eigentlich nach Kritiken zum „Festival“ gesucht und dies hier gefunden… Kremerata Baltica
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WerbungDanke für den Hinweis @yaiza – und ich freu mich über ein paar Zeilen zu den Kremer-Konzerten (und gehe davon aus, dass das Konzert mit Grazinyte-Tyla super war?). Eine Fahrt ins Baselbiet liegt am 10.11. nicht drin – habe am 8./9. Lachenmann-Programm hier in Zürich und am 12. und 14. auch schon wieder Konzerte … schade, zumal es durchaus die letzte Chance sein könnte. Aber alles geht halt nicht (sonst ginge ich auch heute oder morgen wieder in die Tonhalle, statt – s.u. – gestern ins Kurzkonzert …) Diesen Sonntag habe ich ja bereits wieder ein Matinee-Konzert und nächste Woche Fr/Sa/So je ein Konzert (Sa/So jeweils schon um 17 Uhr, das erste wohl auch recht kurz, nochmal mit Emmanuel Pahud in Winterthur, Fr/So in der Tonhalle mit dem Geiger Pekka Kuusisto, zuerst ein Orchesterkonzert mit Sibelius, Tschaikowsky 5 und erstmals – für mich, that is – einem Stück von Erkki-Sven Tüür, der dieses Jahr beim Tonhalle-Orchester als „creative chair“ waltet … Sonntag dann Kammermusik, auch wieder von Tüür, von Pärt, Glass, Sibelius etc.).
Bin selbst ja auch schon wieder im Hintertreffen, aber das hole ich morgen oder am Sonntag nach. Nach dem ZKO am Dienstag hörte ich gestern im Rahmen des neuen Kurzkonzertformats „Rush Hour“ in der Tonhalle eine explosive Vierte von Tschaikowsky (überragend!) und danach eine überraschend nette jazzy/funky Jam-Session mit Musikern aus dem Orchester (sowie einem Gast-Keyboarder).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind …und gehe davon aus, dass das Konzert mit Grazinyte-Tyla super war?
ein Wort: ja!
Ich war sehr von der Kremerata Baltica angetan. Am Vortag hatte Kremer erählt, dass nur noch vier Gründungsmitglieder (seit 1997) dabei sind, aber dass die Musiker so jung sind bzw. aussehen, hätte ich nicht gedacht… evtl. gab’s da auch nochmal einen Umbruch. Ein tolles Kammerorchester. Mirga Grazynite-Tyla war auch sichtlich gerührt und hat als erstes den Musikern applaudiert. Sie bescheinigte in einer Nachricht, die Kremer auf der Bühne verlas, dem Orchester eine so hohe Qualität in einem Stück von Desyatnikov (Fragmente aus dem SF-Film „Target“) , dass sie den Moment sah, sich zurückzuziehen und den Musikern die Bühne allein zu geben. Sie spielten dann mit den beiden Solisten (Debargue und Nakariakov) ohne sie.
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Schön! Ich warte noch auf den vollständigen Bericht, denn ich will ja z.B. wissen, was Debargue und/oder Nakariakov spielten! Ersteren hörte ich vor ein paar Jahren mal in Mailand in einem Rezital (gut bis sehr gut, aber nicht herausragend), letzterer tritt Anfang Dezember mit der Cappella Gabetta hier auf, in einer Reihe, für die ich auch ein Abo habe … kenne ihn bisher noch nicht.
PS: ich war so frei, meinen Buchstabendreher im Namen von Grazinyte-Tyla mit meinen Moderatoren-Superkräften auch in Deinem Post zu korrigieren
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Zürcher Kammerorchester
Daniel Hope Violine & Music DirectorJohn Rutter Suite für Streichorchester, basierend auf britischen Volksmelodien
Wolfgang Amadeus Mozart Adagio und Fuge c-Moll KV 546
Felix Mendelssohn Violinkonzert d-Moll
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Piortr Iljitsch Tschaikowsky Streicherserenade C-Dur Op. 48Letzte Woche ging es am Dienstagabend ziemlich müde in die Tonhalle-Maag zur Saisoneröffnung des ZKO. Dieses ist in der letzten Zeit etwas ins Schlingern geraten, was aber bei den wichtigen Konzerten zum Glück in musikalischer Hinsicht nicht zu hören war (mit „wichtig“ meine ich: nicht sowas wie „Art on Ice“ oder sonstiger Quatsch, den das ZKO unter der inzwischen nun doch beendeten Intendanz von Michael Bühler – er war von 2008 bis 2018/19 tätig und hat in Sachen Positionierung des Orchesters sicher sehr vieles richtig gemacht – auch noch unternommen wurde). Zum Auftakt traten dann auch die neue Vorsteherin des Trägervereins sowie das neue Leitungsduo (kaufmänn./künstlerisch) auf – das ZKO ist jetzt fest in der Hand von Frauen und ich wünsche ihnen viel Glück dabei, den musikalischen Kurs zu halten und den wirtschaftlichen wieder zu finden (dass dabei das eine oder andere Extra auf der Strecke bleiben mag, ist mir Wurst, Konzerte mit Häppchen, die auf die Musik abgestimmt wurden oder mit Scherenschnittanfertigung, die man auf Leinwänden im Hintergrund sieht oder sowas brauche ich nicht … die Eventisierung hat uns ja allerdings leider alle in der Hand und ich verurteile solche Unternehmungen nicht – aber wenn sie mehr kosten als einbringen, werden sie halt wieder gestoppt).
Das Eröffnungskonzert bot jedenfalls Anlass für Optimismus. Das Orchester, geleitet vom ersten Pult aus von Daniel Hope, der auch die Stücke in knappen aber sehr treffenden Ansagen ein wenig erläuterte, spielte gradlinig, zupackend und klar in der ersten Konzerthälfte, erreichte nach der Pause bei Tschaikovsky aber auch die nötige Fülle, den nötigen reichen, üppigen Klang. Los ginge es mit Rutter, dessen Suite auf dem Programmzettel als letztes Stück vor der Pause angekündigt wurde – doch Hope meinte, das sei ja ein festlicher Anlass und die Musik von Rutter sei festlich … und er erzählte dann noch von einer persönlichen Begegnung – das Konzert lief unter der Überschrift „musikalische Vorbilder“ –, die er als Jugendlicher mal hatte (er sang in einem Chor mit, Rutter ist ja in England wohl der beliebteste zeitgenössische Chor-Komponist). An mir zog das ein wenig vorbei, süffig, gefällig, etwas harmlos. Das nun kann man von Mozarts KV 546 nicht sagen. Die Fuge nimmt ja bekanntlich fast schon teuflische Züge an – und sie wurde vom ZKO auch in einer fesselnden Darbietung geboten. Dann folgte das frühe Violinkonzert von Mendelssohn, das Hopes Ziehvater Yehudi Menuhin (fast buchstäblich, seine Mutter war für Menuhin als Sekretärin tätig und organisierte seine Konzertreisen, Hope war öfter mal dabei und lernte auch bei Menuhin) einst als erster spielte, nachdem es aufgetaucht war. Ein schönes, durchaus hörenswertes Stück, das von Hope überzeugend dargeboten wurde (er spielte zwischendurch immer wieder mit den ersten Violinen mit). Nach der Pause folgte dann Tschaikovsky, und es war wohl richtig, die Pause etwas spät im Programm zu machen, denn wie angedeutet musste das ZKO wohl ein paar Hebel umschalten, um nach der Pause fast wie ein anderes Orchester aufzutreten, eines, das in der klanglichen Üppigkeit der Romantik ebenso daheim ist wie in der Klarheit und Schlankheit von Barock und Klassik. Das gelang überzeugend und die süffige Musik von Tschaikovsky, der darin eine Art russisches Mozart-Update versuchte, überzeugte sehr.
Es mussten also Zugaben her, das war klar (das ZKO spielt fast immer welche, das Tonhalle-Orchester unter Järvi künftig wohl auch) – als erste gab es eine Hommage an Stéphane Grappelli, Gershwins „I Got Rhythm“, in dem die Kontrabassistin des ZKO als „Co-Solistin“ nach vorn kam … bloss, um dann einen vom Beat her ziemlich wackligen Walking Bass zu spielen, zu dem die anderen Streicher (Bläser brauchte es in diesem Programm keine) ebenso schief rifften, während Hope ein vermutlich völlig auskomponiertes, keinen Sinn ergebendes Solo aus Versatzstücken spielte, eine Reihung von Jazz-Klischees, sie man so oder anders in hunderten von Big Band-Aufnahmen in Solos hören kann, wo sich einer hochpeitschen lässt. Das wirkte aber leider – neben den rhythmischen Unzulänglichkeiten – völlig aufgesetzt und ergab, wie gesagt, schlicht keinen Sinn. Es kam mir so vor, als würde jemand quasi Wörter korrekt aussprechen können, vielleicht sogar halbe Sätze, aber hätte keine Ahnung, was sie bedeuten und wie sie zusammengehören. Dass die Rezensentin des Tagesanzeigers gerade diese Zugabe über den grünen Klee lobt, ist nochmal erschreckend, denn die ganze Klassik-Welt hat nach wie vor kaum eine Ahnung – geschweige denn ein Gespür dafür – wie Jazz, wie Swingen funktioniert – und das ist natürlich beelendend. Zum Glück gab es danach noch eine Petitesse von Worlferl, die ich nicht erkannte – Hope sagte nur „Mozart“, und ab ging die Post. So war der Ausklang zum Glück auch für mich noch versöhnlich.
(Ich müsste Hope wohl mal eine Compilation mit Stuff Smith, Ray Nance, Leroy Jenkins, Billy Bang zukommen lassen … nur so von wegen „greatest jazz violin player“ …)
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Zürich, Tonhalle-Maag – 24.10.2019
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi LeitungPjotr I. Tschaikowsky Symphonie Nr. 4 f-Moll Op. 36
Am Donnerstag ging es – kurzfristig eingeschoben – direkt nach der Arbeit um 18:30 ins „Rush Hour“-Konzert in der Tonhalle. In diesem neuen Format (Eventitis?) wird das Hauptwerk des an den Tagen (in diesem Fall Fr/Sa/So) gespielten Programmes gespielt, und danach gibt es im Foyer eine Jam-Session (Vorfreude nach dem „Jazz“ des ZKO: null!). Eine ganz nette Sache, zumal ich um 21 Uhr noch ins Kino wollte („The Learning Tree“ von Gordon Parks, der neben der Vorlage auch gleich die Musik schrieb – sehenswert!) … los ging es mit der Vierten von Tschaikovsky, die, ich erwähnte es schon, ich vor ein paar Jahren in der Tonhalle mit Dutoit am Pult gehört hatte – und wenig damit anfangen konnte. Da das Tonhalle-Orchester aber alle sechs spielt und aufnimmt, hätte ich es doch schade gefunden, nur die anderen fünf im Konzert zu hören und das „Rush Hour“-Konzert war die perfekte Lösung (Fr/Sa war ich dann ausnahmsweise tatsächlich zuhause).
Die Aufführung von Tschaikowskys vierter Symphonie hatte es in sich. Im Eingangsbereich standen Hinweisschilder, die wegen Tonaufnahmen um Ruhe baten – das Konzert wurde wohl auch schon für die geplante CD-Box mitgeschnitten, und mich dünkte, dass das Orchester quasi direkt aus der Probe ins Konzert kam, auch nicht in Abendgarderobe sondern mit Tonhalle-T-Shirt und Jackett, ganz in schwarz. Das lockere Auftreten lenkte aber nicht vom konzentrierten Musizieren ab. Höchst fokussiert ging es zur Sache und heraus kam eine unglaublich intensive Aufführung, die wirklich nur so knallte. Das Publikum – darunter übrigens viele junge Leute, auch ganze Schulklassen – war begeistert und es gab dann wie bisher glaub ich immer, wenn Järvi hier am Pult stand, eine Zugabe. Bin mir fast sicher, dass es der Walzer aus „Eugen Onegin“ war (jemand, der heute morgen beim Konzert war – s.u. – erwähnte, dass das gestern oder Freitag die Zugabe gewesen sei, vermutlich war es ja stets dieselbe).
Völlig erschlagen torkelte ich dann im trägen Pulk gen Ausgang … ins Foyer, ein Bier an der Bar geholt und gewartet, bis die Musiker sich für die angekündigte Jam-Session installiert hatten. Dabei waren von der Tonhalle der Geiger Josef Gazsi, der Cellist Mattia Zappa, der Bassist Kamil Losiewicz (am E-Bass), der Schlagzeuger Klaus Schwärzler und noch ein Percussionist, der nicht angekündigt war (wer von den beiden am Drum-Kit und wer an Percussion – Cajón, Congas etc. – zu hören war, ist mir nicht klar), am Keyboard war Tobias Forster dabei, der sich wohl in allerlei Crossover-Gefilden hervortut. Zur Auflockerung nach dem Knall im Konzertsaal war das ganz gut, es gab Stücke zwischen Jazz und Funk, „Mercy, Mercy, Mercy“, „Watermelon Man“, eine Bossa Nova, „It Don’t Mean a Thing“ und weiteres, was zwar vertraut klang aber nicht erkannt wurde … Zappa entpuppte sich als ziemlich guter Solist, Schwärzler hatte den Beat drauf, so schief wie beim ZKO klang da jedenfalls gar nichts, aber umwerfen tat mich das am Ende auch nicht … doch wie gesagt, ich wollte ja noch ins Kino und musste eine Stunde überbrücken, bevor ich mich auf den Weg machen konnte, und dafür war es dann doch perfekt.
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Zürich, Millers – So 27.10.2019 – Literatur & Musik
Mitglieder des Tonhalle-Orchesters Zürich:
Philippe Litzler Trompete
Simon Styles Tuba
Gilad Karni Viola
Paul Handschke Violoncello
+
Benjamin Engeli Klavier
Hannelore Hoger LesungSofia Gubaidulina Lamento, für Tuba und Klavier
Sofia Gubaidulina Lied ohne Worte, für Trompete und Klavier
Dobrinka Tabakova Suite in Jazz Style, für Viola und Klavier
Galina Ustwolskaja Grosses Duo, für Violoncello und KlavierSibylle Berg (Hrsg.) aus „Und ich dachte, es sei Liebe.“ Abschiedsbriefe von Frauen
Heute morgen ging es ins Millers, das ich von Zuhause zu Fuss in zehn Minuten erreiche. Die Aufführung um 11:15 war ausverkauft und wurde um 13:45 wiederholt – es laufen wohl derzeit einige Literaturveranstaltungen in der Stadt, aber das kriege ich in der Regel nicht auch noch mit. Mich zog auch die Musik an, nicht die Lesung, obwohl es sich durchaus als Vergnügen entpuppte, Bella Block in Echt zu sehen und zu lauschen – wenn sie etwa die Stimme von Marlene Dietrich imitierte oder auch mal mit französischem Akzent las. Die Briefe – u.a. von Simone de Beauvoir (an Nelson Algren), Agnes von Kurowsky (an den jungen Ernie Hemingway), Marlene (an Erich Maria Remarque), Paula Modersohn-Becker (an Otto Modersohn) und Alma Mahler-Werfel (an Klimt – sicherlich der scharfzüngigste) – waren teils ganz unterhaltsam, teils aber auch reichlich banal und in der Mischung aus Intimität, die uns ja eigentlich gar nichts angeht, innerhalb derer die Banalität aber als Mittel der Rede – Verliebtsein hat ja Ähnlichkeiten mit einer Geisteskrankheit – durchaus angemessen/angebracht/gestattet sein mag, auch manchmal ziemlich befremdend. Das Publikum war zu 90% weiblich (ich nehme an, dass es bei Literaturanlässen überwiegend mehrheitlich weiblich ist, aber so extrem wohl auch wieder nicht – und eigentlich: schade) und klebte an Hogers Lippen.
Die Musiker erhielten erstmal gar keinen Applaus sondern es ging nahtlos weiter. Engeli blieb am Flügel sitzen, die anderen kamen und gingen. Den Auftakt machte Gubaidulinas Lamento für Tuba und Klavier, ein recht hübsches aber durchaus abgründiges Stück. Das folgende Lied ohne Worte für Trompete und Klavier spielte mit einer idyllisch-schönen Melodie, die vom Klavier behutsam gebettet wird, doch das Klavier durchbrach die Idylle mehrmals mit dissonanten Akkorden – nach dem ersten Mal ging es so lange bis zur nächsten Wiederholung, dass man sich schon fast fragte, ob der Pianist nicht einfach doch daneben gegriffen hatte … An dritter Stelle – die längeren Stücke (alle ausser dem Lied) wurden jeweils durch Lesungen unterbrochen – folgte Tabakova mit der Suite in Jazz Style für Bratsche und Klavier. Das Ding hat Schwung und funktionierte recht gut, es ist ja nur „in jazz style“ und also gar kein Versuch, Jazz zu spielen. Ein zweites Tabakova-Stück, das auf dem Programmzettel stand, wurde leider nicht gespielt, „Pirin“, eine Suite für Viola Solo. Den Abschluss machte dann Ustwolskaja mit ihrem „Grossen Duo“ für Cello und Klavier. Dass Handschke beim Tonhalle-Solocellisten Thomas Grossenbacher gelernt hat, war zu spüren (keine negative Kritik, im Gegenteil!). Das Ding ist sperrig, fast schon renitent in seinem Insistieren auf kleinen Motiven und Tonfolgen, es ist dissonant, stark rhythmisiert – und leider kam darob die Akustik etwas aus dem Lot, denn Hogers Mikrofon griff einiges an Geräuschen auf und spielte diese über die Lautsprecher als Störgeräusche wieder in den Saal ein – irritierend, aber irgendwie konnte ich das dann doch halbwegs ausblenden. Beim nächsten Mal wäre es aber schön, wenn die Regie das Mikro jeweils ausschalten könnte … aber gut, es brauchte gerade dieses härtere, stärkere Stück zum Schluss unbedingt noch, denn sonst wäre das Ganze doch etwas zu gefällig herausgekommen.
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Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Leitung
Pekka Kussisto ViolineErkki-Sven Tüür „Sow the Wind…“ für Orchester
Jean Sibelius Zwei Humoresken Op. 87 für Violine und Orchester
Jean Sibelius Vier Humoresken Op. 89 für Violine und Orchester
Jean Sibelius Zwei Serenaden Op. 69 für Violine und Orchester
Erkki-Sven Tüür „Walk on the Rope“ für Violine und Klavier (Benjamin Engeli Klavier)
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Pjotr I. Tschaikowsky Symphonie Nr. 6 h-Moll Op. 74 „Pathétique“Gestern Abend ging es also trotz der Erkältung in die Tonhalle – und das war am Ende zum Glück auch kein Problem, die Hustanfälle konnte ich zurückhalten bzw. mich mal ein Fortissimo räuspern … zudem war ich auch tatsächlich fit genug, das über zweistündige Programm (ohne Pause, Konzertbeginn 19:30, Ende ca. 22:10) wirklich aufmerksam zu hören. Los ging es mit einem ca. zwanzigminütigen, hübsch anzuhörenden aber am Ende eher belanglosen Orchesterstück von Tüür, der dann auch noch rasch auf die Bühne kam. Ein allmählicher Aufbau, eine Art erzählende Musik, die immer dichter wird, bis auf dem Höhepunkt ein lauter, straffer Rock-Beat vom Schlagzeug einsetzt … das überalterte Publikum fand es super und hielt sich dann auch noch für besonders offen und neugierig (dazu sage ich ironisch: super … Trivia: Tüür und Järvi spielten wohl einst zusammen in einer Rockband, Järvi am Schlagzeug, und ja, das Ding von Tüür ist wohl sowas wie Prog-Klassik). Aber gut, deshalb war ich ja nicht gekommen, sondern wegen der selten gespielten Werke von Sibelius und der zweiten Konzerthälfte.
Kuusisto schlurfte also auf die Bühne, in total ausgelatschten Galoschen und mit dem Hemd über der Hose, schien zunächst ziemlich für sich zu sein, mal ein Blick zu Järvi zwischendurch – doch er spielte vom ersten Ton an mit einer Wärme und Präsenz, die ganz direkt wirkte, sofort ankam. Im Lauf des Blockes, der etwas mehr als eine halbe Stunde dauerte, öffnete er sich, bewegte sich mal zum Pult des Konzertmeisters, dann zu den Celli, nahm Blickkontakt auf, trat in den Dialog mit einzelnen Musikern. Die acht Stücke, allesamt recht kurz, wurden teils am Stück gespielt, aber manchmal vom Publikum durch begeisterten Applaus unterbrochen – letzteres scheint derzeit ziemlich aufgekratzt zu sein, man hört viele nördliche Sprachen, es kommen Leute, um sich Järvi anzusehen und zu -hören, die davor wohl selten in die Tonhalle fanden, aber auch das Stammpublikum tut seine Begeisterung über den Neubeginn lauthals kund. Kuusisto wäre aber auch ohne diese Umstände enorm gut angekommen, keine Frage. Er spielte die acht Stücke – das eine oder andere wirkte schon mal ein wenig wie Gelegenheitsmusik, es gibt da und dort eine Länge, eine Wiederholung zuviel, aber auch erstaunliche Effekte, ziemlich viel „Zigeunergeigerei“, wie sie der verhinderte Meistergeiger Sibelius offensichtlich mochte. Kurzgeschichte, Stories, die äusserst dynamisch und mit kammermusikalischem Gestus dargeboten wurden (die (Holz-)Bläser und das Schlagwerk werden nur sparsam eingesetzt). Kuusistos Ton glänzte und vibrierte, sein Spiel war nuanciert und nutzte die ganze Breite der Dynamik aus. Eine Art Zugabe war bei diesem Konzert eingeplant (bei den Aufführungen des ansonsten gleichen Programmes an den beiden Vorabenden fehlte es), Tüürs „Walk on the Rope“ für Violine und Klavier (gespielt von Benjamin Engeli, den ich ja schon am Sonntag davor mit TOZ-Musikern gehört hatte). Das reichte dem Publikum nicht, und so spielte Kuusisto noch zwei weitere Zugaben, zunächst ein doppeltes Menuett (wir hätten noch eine lange Symphonie vor uns, daher verbinde er doch gleich zwei Stücke), Bach und eine finnische Melodie, und als das auch noch nicht reichte, pfiff er einen finnischen Tango (Finnish tango is about two things usually: either about something you once had, and now do not have anymore, or about something you know you will never have) und begleitete sich dabei, die Geige wie eine Ukelele zupfend … natürlich war das Publikum hin und weg und auch das Orchester genoss die Darbietung – frohe Gesichter überall.
Nach der Pause ging es dann noch einmal richtig zur Sache. Wie schon bei Nr. 4 liess Järvi die Sätze mehr oder weniger direkt aufeinander folgen (nach dem Dritten konnte er gerade noch einen Zwischenapplaus verhindern – der hier nun wirklich gestört hätte), betonte die grossen Bögen, lenkte straff durch die einmal mehr schwer beeindruckende Aufführung. Das Orchester zeigt sich – von der gleichen Aufbruchstimmung mitgerissen wie das Publikum – von seiner besten Seite, reagiert schnell und gibt dem Meister, was er verlangt. Der 5/4-Walzer gelang nach dem wuchtigen Kopfsatz in einer berückenden Leichtigkeit, das Allegro moto vivace des dritten Satzes wurde zunehmend und konsequent zum unerbittlichen schnellen Marsch, das Finale war dann von einer Klarheit und am Ende von einer Kargheit, dass es einen zunächst sprachlos still sitzen liess.
In die Klagen über die Laustärke, wie sie sowohl in der NZZ wie auch bei Peter Hagmann nachzulesen sind (beides Doppelrezensionen, in denen auch das Konzert von letzter Woche berücksichtigt wird, von dem ich nur die Kurzfassung hörte), mag ich übrigens nicht einfallen – es ist, ich hatte den Gedanken schon einmal – vielleicht von Vorteil, ganz vorn zu sitzen, weil die Bläser, gerade das Blech, dann über den Kopf hinwegzieht nach hinten zu den teuern Plätzen, wo es dann möglicherweise wirklich zu sehr knallt.
https://www.nzz.ch/feuilleton/paavo-jaervi-in-zuerich-jetzt-beginnt-das-abenteuer-ld.1518966
http://www.peterhagmann.com/?p=2397PS: die Orchesterzugabe (die es bei Järvi auch immer zu geben scheint) war auch dieses Mal der Walzer aus „Eugen Onegin“.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaWinterthur, Stadthaus – 02.11.2019
Emmanuel Pahud Flöte
Pascal Druey (Mozart), Aischa Gündisch (Dvorák) Violine
Chie Tanaka (Mozart), Ivona Krapikaite (Dvorák) Viola
Franz Ortner (Mozart), Françoise Schildknecht (Dvorák) VioloncelloModeration: Patricia Moreno
Wolfgang Amadeus Mozart Quartett für Flöte, Violine, Viola und Violoncello C-Dur, KV 285b (1778)
Elliott Carter „Scrivo in Vento“ für Flöte solo (1991)
Wolfgang Amadeus Mozart Quartett für Flöte, Violine, Viola und Violoncello D-Dur, KV 285 (1777)
Antonín Dvorák Streichquartett Nr. 12 F-Dur Op. 96 „Amerikanisches“ (1893), Fassung für Flöte, Violine, Viola und VioloncelloGestern gab es in Winterthur einmal mehr Emmanuel Pahud mit Kammermusik, dieses Mal im Rahmen eines Freikonzertes. Es gab auch nummerierte Platzkarten (in diesem Fall sogar für Berliner Preise zu kriegen, ganz knapp zweistellig) und es war eine gute Idee, eine solche zu kaufen, denn Pahud zieht die Leute in Scharen an und mit diesen Karten sass ich für einmal dort, wo sonst die richtig teuren Plätze sind, die ich mir nicht leisten kann, so lange ich so oft an Konzerte gehe … Das Konzert war obendrein moderiert: Patricia Moreno, die seit über zehn Jahren im Kulturspartenradio des SRF tätig ist, sagte die Stücke und die MusikerInnen an und führte dann zwischendurch vor allem auch ein kleines Gespräch mit Pahud, über die Musikstücke des Abends, über sein Instrument, seine Karriere, sein bevorstehendes Sabbatical usw. Das war eine feine Sache, fand ich – auch weil die Frau weiss, wovon sie spricht (was bei ähnlichen Formaten im TV ja leider nicht gegeben ist, Radio ist eine andere, aussterbende Welt).
Los ging es mit dem dritten, unvollendeten Flötenquartett von Mozart, KV 285b – es gibt zwei Sätze, ein Allegro und ein Andantino. Der Zeitrahmen für die kleine Werkgruppe (KV 285) ist Mannheim, Ende 1777 bis Anfang 1778. Für 200 Gulden (ein Honorar, das man damals anscheinend sonst für eine komplette Oper erhielt) sollte Mozart für den Amateurmusiker Ferdinand de Jean „3 kleine, leichte, und kurze Concertln und ein Paar quattro auf die flötte“ liefern. Geschafft hat er ein ganzes Konzert, ein ganzes Quartett, ein halbes Konzert (eine Adaption eines Oboenkonzerts KV 314) sowie ein unfertiges Quartett, KV 285a; das dritte Quartett, KV 285b, das ja gespielt wurde, ebenfalls unvollendet, gehört wohl in einen anderen, etwas späteren Entstehungskontext, aber da steige ich auch nicht mehr durch (falls das stimmt, hätte man in Winterthur bei Programmgestaltung, Text zum Konzert und Ansagen grosszügig drüber hinweggesehen. Egal, nicht fertig wurde Mozart jedenfalls, weil er sich so richtig fest in Aloisia Weber verliebt hatte, was ihn vom Komponieren abhielt … und als ihm dann klar wurde, dass seine Ambitionen ins Leere laufen würden, hat er dann auch geschrieben, dass er die „flötte“ eh nicht möge – wer’s glaubt.
Die beiden Quartette sind jedenfalls bezaubernd, leicht, voll von Mozarts unfassbaren melodischen Einfällen – aber doch vielleicht etwas zu leicht? Ich schwanke, denn ich fand Pahud alles in allem noch besser als neulich mit Eric Le Sage, aber die Begleitung war über weite Strecken etwas zurückhaltend, verhalten, sehr stimmig, aber einfach nicht so auf die Spitze getrieben, wie das wohl auch ginge. Vielleicht aber haben die vier so auch gerade den richtigen Mozart-Ton getroffen? Ich muss da mal die Aufnahmen anhören, die ich habe (alle vier Flötenquartette – es folgte später noch KV 398, vermutlich deutlich später entstanden, als die KV-Nummer suggeriert – in Aufnahmen mit Arthur Grumiaux, die Flöte spielt William Bennett, vom ersten habe ich noch eine aus dem Juilliard-Umfeld mit Julius Baker an der Flöte; bei den Flötenkonzerten habe ich etwas mehr Auswahl, aber auch sie sind mir überhaupt nicht geläufig).
Zwischen den beiden Werken von Mozart – als zweites gab es dann KV 285, das vollendete in drei Sätzen – erklang ein Solo-Stück von Elliott Carter, mit seinen Effekten ordentlich Eindruck hinterliess beim Publikum. Pahud demonstrierte unter anderem, wie laut eine Querflöte auch in so einem grossen, hohen Raum sein kann. Ein faszinierendes, etwa fünfminütiges Stück, in dem natürlich auch ganz andere Spieltechniken gefragt sind als bei Mozart. Carter hat, so erfuhr man im Gespräch davor mit Moreno, für Pahud aus Anlass der Gesamtaufführung von Carters Werken zu seinem 100. Geburtstag in Berlin, auch noch ein Flötenkonzert komponiert … da muss ich wohl mal danach suchen.
Als letzten Block, in anderer Besetzung, gab es dann eine Adaption des „amerikanischen“ Streichquartetts von Dvorák, das ich neulich ja schon mit dem Pavel Haas Quartett gehört habe – und tatsächlich klangen die Melodien dieses auch überaus melodischen Werkes sofort wieder vertraut. Die Flötenversion klang wohl wieder etwas harmloser, ausgewogener vielleicht – aber die Idee der Adaption leuchtete fast durchgängig ein, denn dieses Quartett ist doch in vielerlei Hinsicht fast eher ein Violinkonzert mit Streichtriobegleitung als ein Streichartett. Sehr oft und über lange Passagen entfernt die erste Stimme sich vom Rest, die zweite Violine wird immer wieder zum Dialogpartner (auch in der Hinsicht fand ich diese Fassung faszinierend, denn sie machte die zweite Stimme hörbar, was etwas ist, womit ich mich bei Streichquartetten bisher recht schwer tue – da würde wohl das Lesen von Partituren helfen, müsste ich mal versuchen). Die Besetzung hier spielte wohl ein wenig zupackender, spitzer, rhythmisch war das alles sauber umgesetzt, aber ich kriegte auch den Verdacht – weil ich hier gerade einen direkten Vergleich hatte – dass ev. die Flöte auch einen Teil zur Verflachung beiträgt, weil sie einfach breiter gespielt wird als eine Violine, rein vom Physikalischen her, bis der Ton anspricht muss die Luftsäule ja schon stehen, egal wie behende (äh: behände?) und spitz die Töne danach phrasiert werden können, die gleiche dezidierte Pointiertheit wie bei einer Geige ist nicht ganz drin, vielleicht lag die etwas zurückhaltendere Wirkung der Aufführung im Vergleich mit dem Haas Quartett also in erster Linie an der Instrumentation und nicht am weniger energischen Spiel? Egal, eine runde Sache, bei der für mich aber schon das Stück von Carter das Highlight war.
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Kammermusik-SoiréePekka Kuusisto Violine
Musikerinnen und Musiker des Tonhalle-Orchesters Zürich:
Vanessa Szgeti Violine
Gilad Karni Viola
Rafael Rosenfeld VioloncelloBenjamin Engeli Klavier
Samuel Rinda-Nickola: Fünf Tänze aus dem „Nuotti-Kiria“ („Musikbuch“) für Violine solo
Jean Sibelius Streichtrio g-Moll JS 210
Eduard Tubin „Süit eesti tantsulugudest“ (Suite über estnische Tanzweisen) für Violine solo ETW 58
Erkki-Sven Tüür „Convesio“ für Violine und Klavier
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Arvo Pärt „Fratres“ für Violine und Klavier
Philip Glass Streichquartett Nr. 3 „Mishima“
Ein feines Kammermusik-Programm, und auch gleich wieder die Bestätigung, dass diese nordischen Programme neben den Habitués (aka Silberrücken) eine andere Klientel anziehen, was doch super ist. Das Programm des Abends – mit Pause dauerte das knapp zwei Stunden – war geschickt ausgedacht. Los ging es mit Kuusisto, solo, doch zuerst erzählte er rasch, was es mit diesen Stücken auf sich hat: Rinda-Nickola (1763-1818) ist nicht etwa der Komponist sondern war Schneider und Fidelspieler und einer der wenigen seiner Zeit, der die Notenschrift beherrschte und also viele Volksweisen und Tanzmelodien notierte. Kuusisto spielte das wieder mit ergreifender Schlichtheit und Direktheit, doch zeugte seine Spielweise ebenso von der hohen Kunst des Geigenspiels, die Dynamik wurde voll ausgekostet, bis zum Verschwinden des Tons im Nichts, die Musik mal ganz zart, dann eher ruppig, mal tänzerisch, mal eher stapfend. Der Faden wurde am Ende der ersten Konzerthälfte mit den Stücken von Tubin noch einmal aufgegriffen. Der estnische Komponist (1905-1982) lebte nach 1944 im schwedischen Exil und ab da wurde die Beschäftigung mit der heimischen Volksmusik zur Konstante. Die Suite stammt von 1979 und zitiert solche Volksweisen, sie nur leicht verändernd und abwandelnd – doch wirkte dieser Effekt schon ziemlich stark im direkten Vergleich mit den Stücken aus Rinda-Nickolas Heft.Dazwischen gab es das für mich wohl grosse Highlight des Programmes, nämlich das unvollendete Streichtrio von Jean Sibelius, das 1893/94 entstand und unvollendet blieb. Der erste Satz (Lento) ist möglicherweise zu Ende komponiert worden, die Sätze zwei und drei (ohne weitere Bezeichnung) schlossen nahtlos dran an (ich nehme an, es gibt da eine Aufführungsversion in der das halt so ist?). Das Ding changiert zwischen schroffen Klängen, elegischen Melodien, treibenden Rhythmen – und steht wohl in seiner gleichzeitigen Ambitioniertheit wie Unfertigkeit symptomatisch für das Genre Streichtrio, das Mozart noch als leichte Unterhaltung galt, bei Beethoven dann zwar mit ambitionierten Werken zur eigenen Gattung wurde, aber zugleich auch als Vorstufe für die wirklich bedeutenden Werke – die Streichquartette, zugunsten derer das Trioformat dann ganz aufgegeben wurde – auch gleich zurückgelassen wurde. Das ist schade, denn diese etwa zwölf Minuten von Sibelius sind wirklich faszinierend! Und das zupackende Spiel von Karni und Rosenfeld (von Kuusisto zu schweigen) machte auch den Kontrast zum quasi biedermeierlichen Musizieren von gestern in Winterthur deutlich. Ich will nicht von „anderen Kalibern“ reden, denn Pahud ist sicher oberste Güteklasse – aber das war schon eine ganz andere Ansage heute.
Den Ausklang der ersten Konzerthälfte machte dann mit „Conversio“ (1994) wieder ein Stück von Erkki-Sven Tüür, dem diesjährigen Creative Chair (Kuusisto ist einer der „In Fokus“-Künstler, neben dem dreimal aufgeführten Orchesterprogramm gab es nun eben auch noch diese Kammermusik-Soirée … ich vermute „Im Fokus“ ist quasi „artist in residence“ aber auf mehrere Leute verteilt). Wieder mit Benjamin Engeli am Klavier, der am Freitag ja auch schon für ein kurzes Tüür-Stück dabei war. Hier ergab sich aus dem Ablauf eine Klammer mit Pärt, dessen „Fratres“ in der Fassung für Violine und Klavier (1980, die erste Fassung für Kammerensemble stammt von 1977) nach der Pause folgte. Beide Stücke sind bewegt, ohne ein Ziel zu kennen, es ergibt sich so eine Spannung zwischen Hektik und Ruhe, aus der eine Kraft wächst, die natürlich etwas fast Meditatives hat. In der Hektik liegt die Ruhe, in der Ruhe dann aber auch zugleich dieses unbestimmte, ziellose Drängen. Dass das Melodiefragment, mit dem es bei Tüür losgeht, zudem an eine Volksmelodie erinnert, passt natürlich ebenfalls bestens in das Programm des Abends.
Den Ausklang nach der Klammer mit Violine/Klavier um die Pause machte dann das dritte Streichquartett von Glass (1985), komponiert für Paul Schraders Film „Mishima“, den ich bisher nicht kenne. Das Ding klang für mich erstmal ein wenig nach der Musik zu „Koyaanisqatsi“, die ja schon ein paar Jahre früher entstand – das hatte aber wohl weniger mit dem Material zu tun als mit den Verfahren der Verdichtung und Verschiebung, der Entspannung, der Schichtung und Entschichtung der verschiedenen Stimmen. Mit minimalem Material wird ein grosser Effekt erzielt, das Ganze hat, klar, auch wieder etwas Meditatives und schloss damit an Pärts Stück an – aber es wurde eben auch ordentlich dicht und bewegt, bis es dann – eher unvermittelt schien mir – vorbei war.
Das war es natürlich noch nicht ganz, Kuusisto musste noch eine Zugabe spielen (obwohl die Silberrücken – wie respektlos und immer wieder ärgerlich! – schon zum Ausgang strömten) – spielen? Am Freitag spielte er eine und pfiff eine zweite, sich die Violine zupfend begleitend. Auch heute zupfte er wieder seine komische Ukulele, aber er pfiff nicht sondern er sang, und er erklärte Szigeti, Karni und Rosenfeld, wie sie ihn begleiten sollten dabei. Im Lied, so Kuusisto, ging es um zwei Jungs, die zum Schuhmacher gehen, um ihre geflickten Schuhe abzuholen. Doch der hat sie noch nicht geflickt und ging ins Nachbardorf … ich kann mir nicht helfen, aber bei all diesen Stories, seien sie nun aus Finnland oder Estland, kommen mir immer wieder Szenen aus den lakonischen Filmen von Aki Kaurismäki in den Sinn (und gibt doch bestimmt einen Genremaler aus dem späten 18./frühen 19., der diese Geschichten in Öl festgehalten hat?). Eine kleine Zugabe, an deren Ende die verblienenen drei Viertel des Publikums dann doch noch von den Stühlen aufstanden – und die Musikerin und die drei Musiker für den letzten „Vorhang“ nicht nochmal auf die Bühne kamen sondern vor die Bühne, direkt in die erste Reihe (das hatte Kuusisto wohl schon vor der Pause vor, aber Engeli ging nach oben und so musste er halt mit – hatte mich schon gewundert, warum er neben der Bühnentreppe nach vorn marschierte statt die Treppe hoch).
Ich sollte mich wohl mal nach Kuusistos Aufnahmen umsehen und vielleicht das eine oder anderen kaufen …
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind— Zürich, Tonhalle-Maag – 03.10.2019 Tonhalle-Orchester Zürich Paavo Järvi Chefdirigent und Music Director Johanna Rusanen Sopran Ville Rusanen Bariton Estnischer Nationaler Männerchor RAM Mikk Üleoja Einstudierung Zürcher Sing-Akademie Florian Helgath Einstudierung Arvo Pärt „Wenn Bach Bienen gezüchtet hätte …“ (Uraufführung der Neufassung) für Klavier, Bläserquintett, Streichorchester und Schlagzeug Jean Sibelius „Kullervo“ op. 7 für Singstimmen, Männerchor und Orchester Die Woche drauf ging dann auch die Saison des Tonhalle-Orchesters los – der langersehnte Antritt des neuen Steuermanns Paavo Järvi, der gleich zum Auftakt einen Markstein setzte und mit der Lockerheit und Souveränität dessen auftrat, der nichts beweisen muss.
Und wie schon erwähnt, kann man das Eröffnungskonzert auch noch eine Weile (bis am 3.11.) online anschauen: https://www.tonhalle-orchester.ch/news/eroeffnungskonzert-live-auf-mezzo-tv/
Nun endete der Tag doch noch nordisch. Auf den letzten Rutsch hatte ich mir doch noch die Aufzeichnung angeschaut. Ziemlich euphorischer Vorbericht, hätte ich ja bei Schweizern gar nicht erwartet. Paavo Järvi als „Heilsbringer?“ Schade, dass das Stück von Pärt nicht aufgenommen bzw. gezeigt wurde. „Kullervo“ fand ich als Gesamtes ziemlich beeindruckend, auch sehr schön aufgenommen. Der Gesang kam ausgezeichnet rüber. (toller Männerchor!) War mit den Untertiteln natürlich schön bequem mitzulesen. … und Järv hatte sich dann sein Feierabendbierchen mehr als verdient. Vielen Dank für den Link.
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Schön, dass es geklappt hat – bei mir bisher nicht, aber ich war ja da … und hab das Ding mal für alle Fällen zwischengespeichert
Das Stück von Pärt war leider wirklich eher belanglos, eine Petitesse, die nach dem eindrücklichen Sibelius schon weit ins Vergessen gerückt war.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbafast zwei Wochen ist die Hommage nun her;es hat etwas gedauert, aber heute habe ich einen schönen sonnigen Nachmittag mit Zeit erwischt und Energie sowie ein paar Tassen guten Earl Grey getankt hier ein paar (mehr) Zeilen
HOMMAGE AN GIDON KREMER (18.-27.10.2019) im Konzerthaus Berlin
Sa, 19.10.19
„Offertorium“ (Sofia Gubaidulina); Sinfonie C-Dur D 944 „Große“ (Franz Schubert)
KH-Orchester; Dirigent: David Zinman; Violine: Gidon KremerDie Hommage, die später in den Medien auch in „Festival“ umbenannt wurde, begann am 18.u.19.10. mit dem „Offertorium“. Welch ein Auftakt! Gidon Kremer, Widmungsträger dieses Violinkonzertes von Gubaidulina, trat am Sa. im längeren weißen Hemd auf das Podium und los ging’s. Vorher wurde noch David Zinman mit riesigem Applaus begrüßt. Es war wirklich ein Genuss, das Konzert live zu hören und auch die Musiker dazu zu sehen… zwischendrin bildete sich ein schönes Dreieck Kremer – Zinman – Ferenc Gabor (Solo-Bratschist des KH-Orchesters)… irgendwann hing ich mit den Augen nur an den dreien fest. Trotz der vielen freien Plätze gab’s danach tosenden Applaus und Bravo-Rufe… und eine wunderbare Zugabe — nur von wem? Am Vortag saß auch Sofia Gubaidulina im Publikum. Nach längerem Bitten von Kremer und Zinman stand sie dann auch ganz kurz, fast unscheinbar, auf (so wurde es mir am Mi. erzählt). Mich freute, dass sie (Jg. 1931) noch die Fahrt von Hamburg nach Berlin auf sich nimmt.
Mit Schuberts Sinfonien bin ich noch gar nicht vertraut und einen Moment lang hatte ich auch überlegt, die „Große“ auszulassen, da die Woche schon recht intensiv werden wird. Aber die Neugier gewann und ich vertrat mir noch die Beine im Beethovensaal. Kremers jüngere Tochter hat künstlerische Portraits von Kremer, aber auch all seinen Gästen, angefertigt, die ich mir anschaute — bis dann die Hintertür aufging und tatsächlich Gidon Kremer herauskam und sich ohne großen Wirbel an einen Tisch setzte. Schnell formierte sich eine Reihe und da ich gerade genau in der Ecke stand, stellte ich mich auch an. Nun bin ich überhaupt gar kein Autogrammsammler, im Grunde genommen verschwindet es doch sowieso irgendwo im Regal. Aber eine Erinnerung an die Festwoche ist es allemal. Kurze Zeit später signierte mir „Don Gidon“, wie ihn der Intendant des Konzerthauses bei der Eröffnung nannte, die Festschrift (sehr stilvoll gestaltet) und die „Offertorium“-Seite im Programmheft. Ein Interessent kam von der Seite und fragte, ob er kurz nach dem Komponisten der Zugabe fragen dürfe und das beantwortete Kremer sehr gern: Valentin Silvestrov — sie arbeiten wohl an einem Schubert-Projekt und er empfahl den Umstehenden sich mal mit Silvestrov zu beschäftigen. Überhaupt machte er einen recht entspannten Eindruck und wirkte auch zugänglich. Diese gelassene Grundstimmung schwebte die ganze nächste Woche über dem Gendarmenmarkt. Im zweiten Teil dann die „Große“ von Schubert, die sich Schubert-Fan Kremer wünschte. Vor David Zinman lag die Partitur, die er aber nicht aufschlug; er hat auch eine schöne Art zu dirigieren; ich habe ihm da gern zugeschaut… das Laufen fällt ihm sichtlich schwer, aber im Schlussapplaus wirkte er sehr agil.So, 20.10.19
Rezital
Sonaten f. Violine u. Klavier (Prokofjew 2, Weinberg 5, Schubert A-Dur posth. D 574) und für Violine solo (Weinberg 1)
Violine: Gidon Kremer; Klavier: Martha ArgerichIm ursprünglichen Programm war statt Prokofjew die erste Sonate v/p von Bartók vorgesehen. Das wäre natürlich nach dem „Bartók-Sommer“ ein absolutes Highlight für mich gewesen. Die Programmänderung fand ich schon etwas schade, aber dafür gab es sicher einen guten Grund. Nach der Woche hatte ich das Gefühl, dass Kremer Prokofjew (verließ das Land und kehrte zurück) evtl. als Gegenpol zu Weinberg und Schostakowitsch mit ins Programm genommen hatte. Zumindest denke ich immer noch darüber nach… Ja, was soll ich schreiben… Das Rezital war fantastisch, Kremer und Argerich waren gut drauf… Ich war auch irgendwie aufgeregt, weil es schon ein besonderes Konzert war. Nach dem Beginn mit Prokofjew spielte Kremer die Sonate für Violine solo Nr. 1 von Weinberg. Das war schon sehr eindrucksvoll und ging ziemlich unter die Haut. Im zweiten Teil dann Sonaten von Weinberg und Schubert… von beiden wirklich sehr lebhaft gespielt. Die Zeit verflog viel zu schnell. Stehender Applaus und schnell war klar, dass die beiden ohne Zugaben eh‘ nicht davon kämen. So beschenkten sie uns noch mit einem Tango von Piazzolla (bei der Erwähnung Piazzollas ging ein „ohhhhhh“ durchs Publikum; damit hätte ich auch gar nicht gerechnet, es war schön, dass Piazzolla über den Zugabenteil seinen Platz fand – mit „Milonga En Re“) und anschließend noch mit dem 3. Satz der Kreutzersonate. Danach noch wirklich lang anhaltender Applaus, fast der ganze Saal stand… und aus der letzten Reihe sprintete eine Jugendliche nach vorn, um Martha Argerich ein Geschenk zu geben, die dieses auch ganz herzlich entgegennahm. Zusammen schritten Kremer und Argerich mehrmals das Podium auf gesamter Länge ab. Ein Abend für’s Langzeitgedächtnis…
Am Mo., 21.10., waren Gidon Kremer und Yulianna Avdeeva zu Gast im Werner-Otto-Saal und im Rahmen der Reihe „2x zeitgenössisch“ wurde eine Sonate für Violine und Klavier von Weinberg aufgeführt – 2x , einmal ohne Vorwissen und dann nach dem Gespräch mit vermutlich anders eingestellten Ohren. Ich mag dieses Format, konnte aber wg. eines Geburtstags in der Familie nicht hingehen. Ich hatte auch schon eine Karte, da die Feier am Sa. stattfinden sollte, aber im letzten Moment wurde mal wieder alles geändert. Schade, ohne Frage. Ist aber auch nicht schlimm, da die Feier am Mo. wirklich schön war und ich somit ganz bequem am Sa. zur Late Night gehen konnte — und ja Spoiler Alarm: der Samstagabend war ein ganz unerwartetes Geschenk.
Am Di., 22.10., hatten die Hommage-Besucher „frei“, Gidon Kremer spielte mit der Kremerata in der Elbphilharmonie in Hamburg (Weinberg, Schostakowitsch, Desyatnikov). Es gab aber Di. und Mi. Espresso-Konzerte mit Stipendiaten der Kronberg Akademie, die auch sehr interessant klangen (Schubert, Kancheli, Schnittke). Aber da diese um 14.00 Uhr beginnen, habe ich in einer arbeitsreichen Zeit nicht darüber nachgedacht… :D
Mi, 23.10.19
Film „Gidon Kremer – die eigene Stimme finden“ (D 2018, 58min, Regie: Paul Smaczny)
im Anschluss Publikumsgespräch mit Gidon KremerNächster Treff der vielen älteren und einigen jüngeren Festivalbesuchern war am Mittwoch der Musikclub im Konzerthaus. Hier finden um die 100 Leute Platz, vielleicht waren um die 70/80 da. Es waren einige ältere russische Damen anwesend und da ich mal 6 Jahre Russisch gelernt habe, konnte ich auch ein bisschen den Gesprächen folgen. Und immer wieder muss ich zugeben: Ich liebe die vielen Diminutive :D … Eine sehr junge Moderatorin begrüßte das Publikum und leitete ganz toll ein. Kurz & knapp, sympathisch, auf den Punkt. Die Dokumentation ist sehr sehenswert, sehr dicht, mal ernst, aber auch mit Augenzwinkern bestückt. Schön auch das Voice-Over nach einem Treffen mit Arvo Pärt, in welchem er überlegt, was wohl von ihnen mal zurückbleibt. Ausgerechnet an der Stelle, als Kremer im Konservatorium im Moskau fragte, wo denn die Statue seines Lehrers David Oistrach stehe, hakte der Film mehrere Male. Kremer löste später im Gespräch das Rätsel auf (er hatte den Film komplett mitgeschaut) … in einer Halle findet man ganz viele Statuen von Komponisten, aber auch Ausnahmemusikern wie Gilels, Richter etc. „Wenn schon – dann doch komplett“ so Kremer. Er fragte eine Angestellte, die ihm antwortete, dass die Statue noch nicht da wäre ;D Das Gespräch selbst war sehr interessant. Die erste Wortmeldung aus dem Publikum kam von einem ältern Herren „Herr Kremer, ich verehre Sie!“ und interessanten Nachfragen zu Oistrach. Außerdem erzählte er zu seiner Kindheit und was ihn jetzt so umtreibt. Er sprach vom Lockenhaus-Gefühl, was sich bei ihm so langsam in dieser Festivalwoche in Berlin einstellte, zu Weinberg und kam immer wieder auf die Veranstaltungen am folgenden Wochenende zu sprechen. Hier waren zwei Abende geplant, die ihm augenscheinlich sehr nahe waren. Außerdem sprach er auch von Veränderungen und dass er hofft, dass die Kremerata einen guten Weg findet. Für ihn ist’s klar, dass er nicht mehr lange spielen wird.
Do, 24.10.19
KREMERATA BALTICA (Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla)1. Teil
Schubert: Polonaise für Violine und kleines Orchester B-Dur D580 (Violine: Gidon Kremer), Weinberg: Sinfonie Nr. 2
Und es kam der Augenblick, der kommen musste und auch irgendwie im Raum stand: Am Do. betrat Kremer ganz gerührt das Podium und kündigt ein Stück zum Gedenken an Giya Kancheli an. Er spielte „Der gelbe Knopf“, eine Miniatur, die Kancheli für Kremer schrieb, nachdem dieser ihm erzählte, dass er seiner Mutter mal zum Geburtstag einen gelben Knopf schenkte. Nach dem letzten Ton war es lange still. Außerdem kündigte Kremer an, dass er zwar im Programm erwähnt wird, dieser Abend aber der Kremerata Baltica gehören sollte. Er spielte die Polonaise mit der Kremerata, verabschiedete sich Richtung Ausgang und tauchte kurze Zeit später im Zuschauerraum auf und setzte sich an den Rand einer mittleren Reihe. Es folgte Weinbergs Sinfonie Nr. 2, die von dem Kammerorchester hervorragend gespielt und von Mirga G.-Tyla geleitet wurde. Sie hat eine ganz eigene Art zu dirigieren und kitzelt ganz tolle kraftvolle Momente heraus.2. Teil
Schostakowitsch: Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester Nr. 1 c-Moll
Desyatnikov: Musik zum Film „Target“ für Violine, Trompete, Klavier und Streicher
Klavier: Lucas Debargue, Trompete: Sergei NakariakovMit einem Lächeln betrat Kremer wieder das Podium mit Mikro und machte sich schon über seine neue Moderatorenrolle lustig (Er macht das aber gut.) Er verlas eine Nachricht von Mirga G.-Tyla, die sich wie Kremer aus dem 2. Teil zurückzog. Wieder ging er durch den Ausgang ab und tauchte eine Minute später im Zuschauerraum auf. Da ich keine preiswerte Karte im 1. Rang mehr bekam, musste ich auf den 2. ausweichen, aber von dort hatte man „Kremer und die Türen“ gut im Blick. Neben Lucas Debargue und Sergei Nakariakov kam auch Andrei Pushkarev (Schlagwerk) zur Kremerata dazu. Das Klavierkonzert 1 von Schostakowitsch gehört zu meinen Lieblingskonzerten und daher freute es mich, dass es ins Programm genommen wurde. Debargue und Nakariakov beeindruckten schon auch durch ihre Coolness. Im Netz gibt’s ja auch viele Aufnahmen dieses Konzertes, in vielen spielt Nakariakov. So saß er auch ganz lässig mittendrin und spielte seinen Part souverän. Debargue hat mir auch gut gefallen. Er passt zu den jungen Musikern, hat auch ein bisschen was „Verrücktes“ und „Ungestümes“ im positiven Sinn. Das Stück von Desyatnikov war mir unbekannt, beeindruckte aber durch das Verweben mehrerer Stile… ich habe gar keine Vorstellung vom Film „Target“ (Science Fiction), aber die Musik macht mich schon recht neugierig darauf. Leonid Desyatnikov scheint auch eine Entdeckungsreise wert zu sein.
Für beide Teile gab es langen langen Applaus. Der Klang der Kremerata Baltica ist wirklich toll. Es ist ihr zu wünschen, dass sie dann auch ohne den aktiven Kremer ihren Weg beibehält. Lucas Debargue ist schon etwas fester an sie gebunden… sowie auch Georgijs Osokins (Permanent Guest Artists) Auf jeden Fall werde ich auch hier mal mehr auf Entdeckungsreise gehen… Und bei Debargue — vielleicht auch mal seine Scarlatti-Aufnahmen anhören (4 CDs)… nur wann (?) :D
Während des Abschlussapplauses verschwand Gidon Kremer wieder ins „Hinterland“, um dann noch mit seiner Amati den Zugabenteil zu spielen. Zuerst das von Kancheli komponierte „Rag-Gidon-Time“ und dann – wieder mit großem ooooooooh! vom Publikum eingeleitet – „Oblivion“ von Piazzolla. Wow, wer hätte das gedacht… das war wirklich eine Überraschung. Noch am Nachmittag hatte ich mir die „Hommage à Piazzolla“ angehört. Ein schöner Bezug und Brückenschlag zum Publikum, das er durch die Piazzolla-Interpretationen erreichte.
Fortsetzung folgt…
zuletzt geändert von yaiza
die letzten drei Tage Fr/Sa/So waren sehr intensiv –
da standen dann Schostakowitsch und vor allem Weinberg im Zentrum--
Sehr schön so weit – gerade endlich in Ruhe gelesen … auch Argerich habe ich bisher immer verpasst (sauteuer und schnell ausverkauft), beneide Dich um diese Konzerterlebnisse! Grazynite-Tyla hoffe ich natürlich irgendwann auch noch live zu sehen, sie ist ja noch jung…
Debargues Scarlatti-Box überleg ich mir übrigens auch, beim Konzert vor ein paar Jahren in Mailand fand ich das den besten Teil … übrigens auch (schon ein paar Jahre älteren) den Scarlatti von Claire Huangci – sehr gut! Aber an sich höre ich das halt schon lieber am Cembalo (Pierre Hantaï, Scott Ross … die CD von Jean Rondeau von 2018 ist auch ganz wunderbar).
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Fr, 25.10.19
Victor Kissine: „Another Question“-Essay for string and symphonic orchestras (UA, Auftragsw. KH)
Weinberg: Konzert für Violine und Orchester g-Moll op. 47 (Violine: Gidon Kremer)
Schostakowtsch: Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47
KH-Orchester; Dirigent: Christoph Eschenbach; zusätzlich Kremerata Baltica bei „Another Question“
Ton-und Bildmitschnitt für eine CD/DVD-Produktion
Allein schon durch die Aufführung der 5. Sinfonie von Schostakowitsch versprach es, ein besonderer Abend zu werden. Aber los ging es mit einer Komposition von Victor Kissine (russ. Komponist,lebt seit 1990 in Belgien). Gidon Kremer und er kennen sich schon lange, sind gut befreundet und haben einen umfangreichen Gedankenaustausch. Im Programmheft steht, dass Kremer eben diesen oft mit „Another Question…“ beendet. Beide teilen auch die Eigenschaft, lieber Fragen zu stellen als zu beantworten und um diesen Charakterzug herum wurde das Stück komponiert. Es spielten das Konzerthausorchester und die Kremerata, die sich hinter die letzten Reihen im Parkett stellten, um einen räumlichen Klang mit Echo (Frage-/Antwortspiel) zu erzeugen. Das Stück war ganz interessant, griff Ives‘ „Unanswered Question“ auf. (mein allererstes Konzert in der Philharmonie Berlin war ein Konzert mit Charles Ives-Kompositionen,im Hören hatte ich stark den Wunsch, mal wieder Fühlung zu Ives aufzunehmen). Zum Schluss betrat Gidon Kremer den Saal von der hintersten Tür, schritt an der Kremerata Baltica vorbei, dann den Mittelgang entlang, am Podium vorbei, um kurz vor der Tür zur Bühne mit einem für ihn so typischen glasklaren Ton zu enden und hinauszugehen. Es passte zu dem, wie er sich die letzten Tage zeigte, sehr offensichtlich sogar. Ihm ist die Kremerata wichtig und sein Rückzug ist lang angekündigt, aber irgendwann geht’s hinaus aus dem Saal. Er hätte ja auch die Stufen zur Bühne nehmen können, verließ aber den Saal. Von den Rängen aus (ich auch im 2. Rang) hatte man auf diese Szene den besten Blick. Im Parkett merkten die Zuschauer erst, was los ist, als er bei ihnen vorbei lief.
Nach dem langen Applaus, Victor Kissine war auch anwesend und die Kremerata Baltica kam zur Bühne, wurde das Konzert für Violine und Orchester g-Moll op. 67 aufgeführt. Ich hatte hier nochmal den tollen Blick auf Kremer genossen. In der Grundstimmung ist es schon ein Werk mit kräftigem Geigenspiel. In den ruhigen Passagen glänzt Kremer mit den klaren Tönen. Es wird vermutet, dass hier Weinberg sein Leben mit all den Brüchen darstellt. Ob er das selbst mal gesagt hat, weiß ich nicht.(Ich höre gerade die Aufn. von Linus Roth mit dem DSO Berlin, der sich auch um Weinbergs Musik verdient machte, dieses Konzert wiederentdeckte und in die Säle zurückbrachte und u.a. mit Thomas Sanderling die Weinberg-Gesellschaft mitgründete).
Der Applaus war wieder sehr lang und für viele, die nicht am Sa/So die weiteren Konzerte besuchen werden, war das auch der Abschied von Gidon Kremer. Als Zugabe spielte er eine Prelude aus Weinbergs so interessantem op. 100, die er auch mit „für ursprünglich Cello geschrieben“ ankündigte. Da ich auch nicht wusste, inwieweit Kremer in die Vorstellungen zu „Chronicle of Current Events“ eingebunden war (er kündigte das im Publikumsgespräch vor allem als visuelles Projekt an), war ich innerlich auch schon in Abschiedsstimmung. Falls es wirklich zu einer Veröffentlichung kommt, bin ich schon jetzt darauf gespannt, noch einmal das Violinkonzert von Mieczyslaw Weinberg zu hören. Gerade die sehr leisen Passagen waren ganz fein gespielt, ähnlich wie beim Offertorium. Hier schließt sich dann auch ein Kreis zum ersten Konzert. Die vier Konzerte im großen Saal waren wirklich interessant gestaltet. Nach jedem Abend hatte ich das Gefühl, dass es ein besonderer war.
Auf den zweiten Teil war ich sehr gespannt. Nur soviel, die 5. Sinfonie von Schostakowitsch wurde exzellent gespielt. Nicht nur das Konzerthausorchester, auch Christoph Eschenbach, hatten dieses Werk in sich drin. Am 4.12. dirigiert Vladimir Ashkenazy das DSO und sie spielen auch die 5. Bei mir schon seit Monaten Aufregung und Vorfreude in einem (!)
Zu DSch5 schreibe ich später mehr, da ich gleich verabredet bin und vermutlich einen sehr interessanten 9. November verbringen werde, inkl. zur Mittagszeit eine Stunde Kammermusik mit Streichtrios von Beethoven, Weinberg (op.48) und Gideon Klein im Beethovensaal des Konzerthauses (gibt es nicht so oft). In dieser Woche finden ganz viele Veranstaltungen statt, im Prinzip seit 4.11. auch eine Themenwoche.
zuletzt geändert von yaiza--
gypsy-tail-windSehr schön so weit – gerade endlich in Ruhe gelesen … auch Argerich habe ich bisher immer verpasst (sauteuer und schnell ausverkauft), beneide Dich um diese Konzerterlebnisse! Grazynite-Tyla hoffe ich natürlich irgendwann auch noch live zu sehen, sie ist ja noch jung…
Die Woche entwickelte sich von ‚vielen freien Plätzen‘ zu ausverkauften Veranstaltungen. Wenn ich schreibe, „fast der ganze Saal“ meine ich die Anwesenden; der zweite Rang war erstaunlich leer. Ich wechselte nach der Pause von meinem ursprünglichen Platz in einer hinteren Loge auch in den fast leeren zweiten Rang. Martha Argerich ist immer mal in der Berliner Philharmonie zu Gast, aber auch zu hohen Ticketpreisen. Das war im Prinzip die Gelegenheit, sie in einem „kleineren“ Rahmen, in einem tollen Kontext und dann noch im Konzerthaus zu sehen. Und ich weiß nicht warum, die Philharmonie ist akustisch und architektonisch beeindruckend, aber mir liegt sie nicht so — habe ich erst kürzlich wieder im Kammermusiksaal festgestellt. Vermutlich ist es die Größe und der Aufbau, die „Gitter“ vor den ersten Reihen (engt mich irgendwie ein)… Das Konzerthaus ist im Prinzip ein „Disneyland“ – da ist nach der Zerstörung, dem Verfall und Wiederaufbau nichts echt; alles nur Fassade; viele klagen über die unbequemen Sitze und die Kastenform … und ich gehe da so gern hinein — keine Ahnung; manches kann man einfach nicht erklären.
Das DSO und Ashkenazy spielen im Dez.im Großen Saal der Philharmonie — da kann ich ja nochmals frische Eindrücke sammeln.
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Kremer müsste das Weinberg-Konzert endlich mal einspielen! Die Aufnahme von Roth kenne ich nicht, aber solange Kremer das Konzert nicht aufgenommen hat, befürchte ich, haben wir nur Behelfseinspielungen (in meinem Fall die con Benjamin Schmid aus Salzburg).
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Schlagwörter: Kammermusik, Klassik, klassische Musik, Konzertberichte, Lied, Oper
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