ECM Records

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  • #7266155  | PERMALINK

    newk

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    vorgartenECM 1005
    the music improvisation company – s/t

    Schöner Text, vorgarten. Leider kenne ich weder das ECM-Album noch die spätere Veröffentlichung auf Incus. Hast Du die CD? Die ist doch eigentlich schwerer zu finden als die LP. Über das Buch von Ben Watson habe ich bisher kaum Positives gelesen. Aber immerhin hat Watson ja mein Problem mit manchen ECM-Aufnahmen schön auf den Punkt gebracht: „the sound of the middle classes falling asleep.“

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      #7266157  | PERMALINK

      vorgarten

      Registriert seit: 07.10.2007

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      die cd kam wohl nur in japan raus und die kursierenden exemplare sind entsprechend teuer. das vinyl müsste aber schon sehr gut in schuss sein, um einem den spaß an der musik nicht zu verderben.
      die kritik an watsons buch mag berechtigt sein, ich habe aber gestern ein bisschen darin gelesen und fand, dass er mit einem biss schreibt, der der musik sehr adäquat ist und dass er außerdem für die musikalischen prozesse tatsächlich eine sprache findet, was ich angesichts des gegenstands ziemlich bewunderungswürdig finde. über sentenzen wie deine stolpert man da überall, „the aggressive tastefulness manfred eicher would later make his hallmark“ usw. ;-)

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      #7266159  | PERMALINK

      soulpope
      "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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      newk „the sound of the middle classes falling asleep.“

      vorgartena überall, „the aggressive tastefulness manfred eicher would later make his hallmark“ usw. ;-)

      Treffliche Wortspenden ….

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        "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
      #7266161  | PERMALINK

      vorgarten

      Registriert seit: 07.10.2007

      Beiträge: 11,896

      Friedrich
      Ich musste darüber nachdenken, wie sehr die Erfindung des Tonträgers die Wahrnehmung von Musik wohl verändert hat. Vorher wurde Musik gespielt und dann war sie „gone, in the air, you can never capture it again.“ (Eric Dolphy) Bei frei improvisierter Musik wie dieser hier war das sicher am ausgeprägtesten. Wie kostbar muss da der Moment gewesen sein! Heute drücke ich einfach auf repeat.

      auf einem portugiesischen blog habe ich dazu ein interview gelesen, in dem sich eicher genau vor diesem punkt ziemlich wegmogelt (aber die frage ist sehr interessant gestellt) :

      Question:
      In the early twentieth century, the recordings were intended to preserve a moment to the posterity and give it to the public. They were recordings of music played alive and the audience could imagine it being played. Throughout the twentieth century, most of the recordings went to the studio, causing a new relationship between the audience and the recording. With ECM, I believe that the relationship between the musician, the act of recording and the disk was lost definitively, as if the object could live without the original moment of the recording. As we saw in the movie (Sounds and Silence), you interfere with the recording in the minimum detail, and each ECM disc seems to have both of you and the musician, and he became a living object for itself. And it is a cult object, by the music, but also by its cover and the smallest details of production.
      The public no longer imagine the musicians playing, and somehow it is as if the moment of creation was the disc and the recording never even happened.
      The question for you is: when you start a recording, your intention is to preserve a moment and a music for the eternity or just create a new musical object?

      Manfred Eicher:
      I’m not really concerned about preserving a moment for eternity, but just do what I know best which is to offer the musician the best possible conditions so that he can realize his ideas. I try to create an empathy with the musician, to hear him and understand his ideas. And I think that is what makes the difference, because the musician must have someone to trust. And this is what I consider my greatest contribution to music: to hear the musician and offer him the best conditions to record his creation, offer him the best possible sound for his creation. And I try to do it as best as possible, with the best sound possible, balancing the sound, trying to understand what the musician intended, highlighting another instrument or sound, often as the musician can not do because he knows how to play or compose but writing is what I do. I’m not thinking of the public, but if we succeed, then that’s good for the musician and music and I can say that I was also successful.
      But the album is not done with the pretense of being something special rather than being a reflection of a good composition and good performance. And in the end is always the public who decides.

      beides (deine überlegung und diese frage) sind mir persönlich zu kulturkritisch, aber für den zusammenhang von konservierung und improvisierten moment und die spezifische klanggestaltung von ecm schon interessant. trotzdem diesbezüglich auffällig: wie sehr der frühe katalog von ecm aus freien kollektivomprovisationen besteht.

      --

      #7266163  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
      Moderator
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      soulpopeTreffliche Wortspenden ….

      Findest Du? Mein Reflex war: „albern“. Und ich bin ja wahrlich nicht der grosse ECM/Eicher-Verehrer, aber solche leere Hülsen – wie klingt der Mittelstand wenn er beim Einschlafen vom Stuhl fällt? – finde ich überhaupt nicht hilfreich beim Versuch, ECM zu erklären oder zu verstehen. Das ist pure Polemik – und populistische Anbiederung an die Jazzpolizei.

      Und auch noch zur Frage der Aufnahme – da war mein Reflex auf Friedrichs Post schon: ach, wie trivial. (Im Sinne von: ist schon einige Jahrzehnte her, dass das Thema bekannt ist, der Widerspruch gerade des Festhaltens des flüchtigen Augenblickes beginnt doch mit den ersten Jazzaufnahmen wenn nicht mit der Tonaufnahme überhaupt, es ist ja ein Irrtum, dass Musik ohne Improvisation statisch und reproduzierbar ist.) Könnte man nicht gerade sagen, dass Eicher (der sich da nach meinem Empfinden überhaupt nicht durch- oder wegmogelt sondern auf eine platte Frage eine recht gute Antwort findet, natürlich kokettiert er und den letzten Satz würde ich ihm niemals durchgehen lassen) eine Antwort darauf gefunden hat? Die pure „Dokumentation“ waren Tonaufnahmen ja von Beginn an nur allerseltenst: „field recordings“ gibt es nicht viel und auch Live-Aufnahmen gibt es in der Frühzeit des Jazz wenige, gab es zwar im Radio, aber mitschneiden konnte man das damals nicht so leicht, zudem die Frage, ob die Musiker nicht durch das Wissen um das Publikum „in der Luft“ schon beim Erzeugen des Produkts geprägt ist? Klar macht es einen unterschied, ob man – à la Prestige – Miles Davis‘ reguläre Combo ins Studio stellt, das Licht dimmt und sie spielen lässt, als wären sie (die Krux liegt genau darin oder? ohne Konjunktiv geht das ja nicht) in einem Club, oder ob man – à la Teo Macero – mehr oder minder zielgerichtet aufgenommene Fragmente zu einem ganzen verarbeitet. Die Frage ist, ob es Eicher mit seiner Ästhetik (und da müsste man ja fairerweise im Plural sprechen!) nicht gerade gelungen ist, vom vermeintlichen vérité-Approach zu einem Zugang zu finden, der die Artifizialität der Situation quasi ins Produkt integriert und aus ihr einen künstlerischen Nutzen zu ziehen sucht? Der steht eben nicht da und sagt nur „it must schwing“ oder gibt den Junkies das Kleingeld für den nächsten Schuss sondern er wird Teil des kreativen Prozesses und das Label, der ganze Katalog, wird quasi zu einem einzigen (Kunst-)Werk, facettenreich und vielfältig und doch von einem eigenen, alles überspannenden Charakter.

      --

      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
      #7266165  | PERMALINK

      vorgarten

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      finde ich als reaktionen jetzt ein bisschen zu scharf. ben walters wollte sicherlich nicht ecm beschreiben, sondern seine aversionen und vorurteile zumindest pointiert auf den punkt bringen. und wenn ich das selbst auch großen quatsch finde, mag ich die geste dahinter (sowas einfach mal rauszuschleudern). das passt ja argumentativ schon insofern nicht, da eicher im konkreten fall die musiker hat selbst aufnehmen und auswählen lassen, also keineswegs seinen geschmack drübergestülpt hat (ich habe das duoalbum von bailey mit holland lange nicht mehr gehört, aber fand auch das jetzt auch nicht so auratisch verhallt…).

      und was das interview angeht, wirft es schon ein paar interessante fragen auf, die natürlich alle nicht einfach zu beantworten sind. wäre ecm ein pop-label, würde niemand auf die idee kommen, die postproduktion zu hinterfragen. aber hier geht es um allgemeine annahmen über jazz, die sich seit jeher mit der klanggestaltung des labels reiben – auch, wenn man weiß, dass nicht jedes ecm-album wie das andere klingt und man eicher schon zugute halten möchte, dass er sich zuvorderst mit den wünschen der künstler auseinandersetzt. aber dass er nie über seine geschmacklichen interventionen reden mag (er könnte damit ja auch sehr selbstbewusst umgehen), nervt halt auch.

      aber – wenn ich das richtig gelesen habe – hat friedrich ja gar nicht auf repeat gedrückt, sondern den moment unaufmerksam verstreichen lassen… ;-)

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      #7266167  | PERMALINK

      nail75

      Registriert seit: 16.10.2006

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      gypsy tail windFindest Du? Mein Reflex war: „albern“.

      Danke.

      vorgartendazu vollste zustimmung. und bei der unterschiedlichkeit seines outputs würde man auch 10 so verschiedene alben finden, dass sich allein daraus ein musikalischer kosmos herausbildet (da braucht man nur mal die geschwisteralben CHANGES und CHANGELESS nebeneinander hören, und das ist die gleiche besetzung!).

      Ja, absolut!

      --

      Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
      #7266169  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      vorgartenfinde ich als reaktionen jetzt ein bisschen zu scharf.

      Das war nicht beabsichtigt bzw. mir ist am Inhalt gelegen, wenn der Ton etwas hart geriet tut es mir leid.

      vorgartenaber dass er nie über seine geschmacklichen interventionen reden mag (er könnte damit ja auch sehr selbstbewusst umgehen), nervt halt auch.

      Das stimmt schon.

      Andererseits könnte man angesichts des ECM-Kataloges (und durchaus auch des Label-Namens) auch mal fragen, ob „Jazz“ überhaupt explizit Teil des Fokus war und ist? Klar machen Jazzmsuiker Alben für ECM, aber Eichers Augenmerk liegt wohl eher auf dem „contemporary“ als der „history“, die „Jazz“ ja zwangsläufig mit sich bringt. Anders: Ist Jazz bei ECM nicht eher Mittel zu einem Zweck (den Eicher halt eben im Schatten lässt) als Objekt, das zu dokumentieren (oder gar fortzuentwickeln) ist? Und gelingt vielleicht nicht gerade dadurch auch eine Art Fortentwicklung (die ja – und das lamentiert unsereins ja auch gerne mal – auch eine Entwicklung *fort* vom Jazz ist)?

      --

      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
      #7266171  | PERMALINK

      nail75

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      Aus meiner Sicht auf jeden Fall. ECM hat eine europäischere Jazz-Ästhetik geschaffen, die aus verschiedenen Quellen wie Folk, Elektronica, klassischer Musik und Avantgarde schöpft. Was soll daran verkehrt sein?

      --

      Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
      #7266173  | PERMALINK

      vorgarten

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      eigentlich @gypsy, aber passt auch auf nail:

      ja, sicher, aber wenn man mit dem waldron-trio anfängt, ist das schon eine aussage, zumindest über präferenzen. ich kann ja eigentlich diese ganze diskussion über klangfetischismus, mittelklassetauglichkeit, weg-von-den-wurzeln, europäisierung usw. nicht mehr hören und bin (wie erwartet) ziemlich angetan von dem dreckigen, konfusen haufen der ersten veröffentlichungen. aber auch später hat ecm meines erachtens klare (design-)entscheidungen in einem feld getroffen, das sich in einem zustand des ausfaserns, kommerziellem irrelevant-werden, neuen playern, globalisierung usw. befand (oder in zwei feldern, denn die neue musik war ja auch kein windberuhigter spielplatz – es verlassen ja noch immer abonnent_innen in klassischen konzerthäusern unter protest den saal, wenn auch nur steve reich als zugabe gespielt wird).

      dabei wurde ja durchaus auch new-yorker-loftszene abgebildet, später m-base, heute ronin oder iyer.

      aber über die klaren entscheidungen würde man dann doch mal gerne was hören.

      --

      #7266175  | PERMALINK

      vorgarten

      Registriert seit: 07.10.2007

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      ECM 1006
      wolfgang dauner: output

      soviel zum thema klare designentscheidungen ;-) aber zum zeitpunkt der 6. ecm-veröffentlichung ist weder die äre kongshaug angebrochen, noch hatten die wojirschs die covergestaltung komplett übernommen.

      beim opener dieser dezent durchgeknallten platte denkt man aber gleich: ja, klar, ecm! eberhard webers richtung horizont gestrichener bass, ein schwebender, dann dräuender grundton, anschwellendes becken und sparsam eingesetzte fernöstliche percussion, klaviergirlanden um einen akkord herum und sehnsuchtsvoll schluchzendes clavinet, fertig ist der ecm-sound. aber schon das nächste stück sorgt für ein unsanftes aufwachen. das kakophonisch dräuende weicht hier schnell einer freien kollektivimprovisation, aber sozusagen die brachialdeutsche variante zum feinziselierten der music improvisation company: weber missbraucht eine e-gitarre, dauner wechselt durch einige nicht sehr klangschöne tastensounds, braceful begleitet assoziierend. alles läuft energetisch gekoppelt, aber ein bisschen nebeneinander her – auf schwer erträglichen beinahe acht minuten. die erste seite läuft mit einem weiteren sketch über verhallten, echogestörte fetzen und geräusche aus, um auf seite zwei plötzlich einem rock-vamp platz zu machen („nothing to declare“), auf dem dauner sein clavinet von tyner-haften klavierakkorden begleitet. weber hat seinen bass elektrisch verstärkt, braceful versucht, den geraden beat etwas aufzulockern, was das stück aber noch schwerer und zäher macht. bass-solo, wiedereinstieg des qäkenden clavinets, wieder das thema und dann ein sphärisches ausklimpern. danach folgt eine karawanenfantasie mit einer elektronischen schlangenbeschwörung, und das outro schafft schließlich einen kleinen höhepunkt: braceful deklamiert ein drum-poem, deutet dabei immer wieder einen beat an, während dauner rätselhafte, immer dreckiger werdende sounds hineinschießt und weber sich mit den beatfragmenten kurzschließt. der musikalische raum wird immer ungreifbarer, bracefuls stimme ist kaum zu verstehen, dauners effekte jagen sich durch die kanäle. am ende fliegt das trio in den weltraum oder zumindest aus dem studio.

      netter versuch, möchte man sagen. aber das album hat seine fans, wie man auf diversen blogs nachlesen kann.

      Wolfgang Dauner piano, effects (ring modulator), keyboards (Hohner Electra-clavinet C)
      Eberhard Weber bass, cello, guitar
      Fred Braceful percussion, voice
      Recorded September 15 and October 1, 1970 at Tonstudio Bauer, Ludwigsburg
      Engineer: Kurt Rapp
      Produced by Manfred Eicher

      --

      #7266177  | PERMALINK

      friedrich

      Registriert seit: 28.06.2008

      Beiträge: 4,856

      Guten morgen!

      newk(…) Aber immerhin hat Watson ja mein Problem mit manchen ECM-Aufnahmen schön auf den Punkt gebracht: „the sound of the middle classes falling asleep.“

      Das ist etwas, was bei mir eine reflexhafte ECM-Abwehrreaktion auslöst. Die ästhetische Stilisierung des Universums ECM lässt bei mir Bilder vom Designer-Sofa, der 500 Euro-Espressomaschine, der ZEIT auf dem Beistelltisch und dem Volvo in der Tiefgarage aufkommen. Und wenn der erfolgreiche Anwalt, Architekt oder Redakteur nach einem anstrengende Arbeitstag nach Hause kommt drückt er auf die Fernbedienung und die Stereoanlage verwöhnt ihn mit Keith Jarrett.

      Vorurteile, ich weiß, und gerade die von mir erwähnte INSIDE OUT eignet sich gar nicht als Entspannungsmusik. Aber die corporate identitiy von ECM sagt mir in ihrer konsequenten minimalistischen und vorzugsweise s/w-Grafik schon „Ich bin ein geschmackvolles Premiumprodukt für Leute mit Bildung und Stil.“ Die Klangästhetik dahinter spricht die gleiche Sprache. Manufactum für Augen und Ohren.

      Wobei: Ich will das gar nicht mal negativ bewerten. Auch ECM ist eine Marke, die sich am Markt behaupten muss, indem sie sich von anderen Marken abhebt. Und klar: ECM ist eine Premium-Marke, die über herausragende Qualitäten verfügt. Ob ich selbst zur Zielgruppe gehöre oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Und ob die Musik auf ECM dem entspricht, was als visuelle Botschaft bei mir ankommt, ist nochmal eine andere Frage. Ich bin halt jemand, der dazu neigt, das Visuelle und das Akustische miteinander zu verbinden, aus der Oberflächenästhetik Bedeutungen ableitet, der überall Codes und Botschaften vermutet und bei dem sich das zu einem größeren Bild verbindet. Ich unterstelle jetzt mal: Das gleiche hat auch Manfred Eicher im Sinn. Und er hat Erfolg damit.

      Btw: BLUE NOTE hat ja auch sehr erfolgreich eine corporate identity verfolgt, die bis heute funktioniert.

      vorgartenbeides (deine überlegung und diese frage) sind mir persönlich zu kulturkritisch, aber für den zusammenhang von konservierung und improvisierten moment und die spezifische klanggestaltung von ecm schon interessant. trotzdem diesbezüglich auffällig: wie sehr der frühe katalog von ecm aus freien kollektivomprovisationen besteht.

      Kulturkritisch? Vielleicht. Aber ich bewerte das ja erst mal gar nicht, ich stelle nur fest, dass es so ist. Es hat ja auch einen großen Vorzug, auf repeat drücken zu können. Ich denke, die Flüchtigkeit vor allem improvisierter Musik fordert den Impuls, diese Musik aufzeichnen zu wollen, geradezu heraus.

      gypsy tail windUnd auch noch zur Frage der Aufnahme – da war mein Reflex auf Friedrichs Post schon: ach, wie trivial. (Im Sinne von: ist schon einige Jahrzehnte her, dass das Thema bekannt ist, der Widerspruch gerade des Festhaltens des flüchtigen Augenblickes beginnt doch mit den ersten Jazzaufnahmen wenn nicht mit der Tonaufnahme überhaupt, es ist ja ein Irrtum, dass Musik ohne Improvisation statisch und reproduzierbar ist.)

      Schönen Dank! ;-)

      Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf als ich merkte, das funktioniert jetzt nicht, diese Platte hören und nebenbei die Nudelsoße umrühren.

      Ich wäre einer der letzten, die einen vérité-Approach fordert. Eine Aufnahme ist immer ein Artefakt und für jemanden wie mich, der mit Radio, TV, Schallplatten etc. ff. aufgewachsen ist, ist konservierte Musik Normalität. Das Medium von Popmusik (und nicht nur der) ist der Tonträger!

      Manfred Eicher ist eigentlich nur konsequent, wenn er als Label-Chef die von ihm produzierten Tonträger ganz bewusst gestaltet, sowohl was die akustische als auch was die visuelle Ästhetik betrifft.

      vorgartenaber – wenn ich das richtig gelesen habe – hat friedrich ja gar nicht auf repeat gedrückt, sondern den moment unaufmerksam verstreichen lassen… ;-)

      Gut beobachtet! Aber ich weiß, dass ich auf repeat drücken kann – wann immer ich will.

      --

      „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
      #7266179  | PERMALINK

      vorgarten

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      FriedrichDas ist etwas, was bei mir eine reflexhafte ECM-Abwehrreaktion auslöst. Die ästhetische Stilisierung des Universums ECM lässt bei mir Bilder vom Designer-Sofa, der 500 Euro-Espressomaschine, der ZEIT auf dem Beistelltisch und dem Volvo in der Tiefgarage aufkommen. Und wenn der erfolgreiche Anwalt, Architekt oder Redakteur nach einem anstrengende Arbeitstag nach Hause kommt drückt er auf die Fernbedienung und die Stereoanlage verwöhnt ihn mit Keith Jarrett.

      Vorurteile, ich weiß, und gerade die von mir erwähnte INSIDE OUT eignet sich gar nicht als Entspannungsmusik. Aber die corporate identitiy von ECM sagt mir in ihrer konsequenten minimalistischen und vorzugsweise s/w-Grafik schon „Ich bin ein geschmackvolles Premiumprodukt für Leute mit Bildung und Stil.“ Die Klangästhetik dahinter spricht die gleiche Sprache. Manufactum für Augen und Ohren.

      sorry but I don’t get it. warum postet man seine eigenen vorurteile, obwohl man sie als solche erkennt? das einzige, dass du konkret nennst, was derartiges auslösen könnte, wäre „konsequente minimalistische grafik“. aber was hat minimalismus per se mit bildung und „stil“ zu tun, geschweige denn mit volvo oder designer-sofa? (mal ganz abgesehen davon, dass viele ecm-cover nicht minimalistisch gestaltet sind.)
      und warum sollten künstler und labels sich keine gedanken machen über klang und coverdesign? woher hast du die annahme, dass sie das im fall von ecm tun, damit sie ein „geschmackvolles premiumprodukt“ erschaffen? aber das sind wirklich uralte spiegelgefechte, noch dazu unter leuten mit stil und bildung, von denen der ein oder andere sogar architekt ist. da müsste mal butter an die fische, wenn die kritik treffen soll. wie gypsy ganz richtig festgestellt hat: wie soll das konkret klingen, wenn eine mittelklasse einschläft?

      --

      #7266181  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      FriedrichSchönen Dank! ;-)

      Gerne ;-)

      Ich hatte mich ja mal wieder gewundert und hätte wohl eher nachfragen sollen als einfach antworten. Geben wir der Nudelsauce die Schuld. Was Du in der Folge schreibst, kann ich natürlich unterschreiben:

      FriedrichIch wäre einer der letzten, die einen vérité-Approach fordert. Eine Aufnahme ist immer ein Artefakt und für jemanden wie mich, der mit Radio, TV, Schallplatten etc. ff. aufgewachsen ist, ist konservierte Musik Normalität. Das Medium von Popmusik (und nicht nur der) ist der Tonträger!

      Hierzu noch:

      Friedrich

      Manfred Eicher ist eigentlich nur konsequent, wenn er als Label-Chef die von ihm produzierten Tonträger ganz bewusst gestaltet, sowohl was die akustische als auch was die visuelle Ästhetik betrifft.

      Ist ja auch klar – und ebneso klar ist, dass für uns Konsumenten auch „take it or leave it“ eine einfache Möglichkeit wäre, sich Ärger zu ersparen, wenn man mit dem Produkt nicht klarkommt. Aber – und das gehört ja schon auch irgendwie zur Identität von ECM – das scheint in den allermeisten Fällen nicht zu gehen, die Gegner unter den Jazzhörern sind meist lauter und – zumindest scheint es so – zahlreicher denn die Fürsprecher. Woran das liegt? Daran vielleicht, dass ECM die Dürrephase des Jazz, die Ende der Sechziger endgültig eingetreten ist, überspielen konnte und das in den Jahren, in denen anderso der Rock-Jazz immer öder und formelhafter wurde und an anderes kaum zu denken war, in den Jahren, in denen die Avantgarde, die in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern mit den Lofts nochmal nach neuen Organisationsformen suchte, zum wiederholten Mal und diesmal wohl recht endgültig ihr Scheitern im Hinblick auf Broterwerb feststellen musste … und da kommt dieser Typ aus Europa (Deutschland of all places) und zeigt, wie es geht.

      Klar, in den USA gab es Retro-Label wie Muse, es gab windige Gestalten wie Alan Douglas (vielleicht der einzige, der mit Loft Jazz etwas Kohle machte?), anderswo die Leute von BYG, die zwar wichtige Musik festhielten aber wohl auch stark davon profitierten, dass ihre Klientel finanziell mittellos war und sie die Bedinungen (keine Gagen für gar nichts!) festschreiben konnten … da hebt sich ECM ja von Beginn weg ab, ist anders. Wenn das nun elitär war oder später wurde – sagt das mehr über ECM aus oder über die Entwicklung der westlichen Nachkriegsgesellschaft? (An die These mit den Anwälten glaube ich übrigens eher nicht … aber ein paar Statistiken über die ECM-Hörerschaft fände ich schon mal ganz witzig zu sehen.)

      --

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      #7266183  | PERMALINK

      soulpope
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      gypsy tail windFindest Du? Mein Reflex war: „albern“. Und ich bin ja wahrlich nicht der grosse ECM/Eicher-Verehrer, aber solche leere Hülsen – wie klingt der Mittelstand wenn er beim Einschlafen vom Stuhl fällt? – finde ich überhaupt nicht hilfreich beim Versuch, ECM zu erklären oder zu verstehen. Das ist pure Polemik – und populistische Anbiederung an die Jazzpolizei.

      Hi gypsy, gerade zurück von meiner Klassikmatinee und wow, was für ein uppercut ;-) …. ich denke in beiden Zitaten steckt Einiges an (Selbst)ironie und bezüglich „middle classes“ bei meiner Reaktion auch ein Teilreflex auf mich selbst ….

      Diese Zitate (im Entstehungs- und Zeitkontext) nur albern zu nennen empfinde wiederum ich als (jazz)polizeilichen Ansatz (der bei Dir so sicher nicht gegeben ist – bei manchen anderem Claqueuren bin ich so sicher nicht ….) und lehne diesen grundsätzlich ab …..

      Aber weg von der Polemik, Ausgangspunkt war ja ECM 1005 und es blieb evidenterweise den Musikern überlassen, die Räume durch Inhalte oder Lücken zu füllen – es war sozusagen Nichts „bestellt“, aber das Ergebnisz wurde/ist sehr wohl zum Gegenstand von Reaktionen/Reflexionen (geworden) …. und mögen diese auch (subtil) polemisch sein, so schwingt in diesen (IMO) Anerkennung der Vorgangsweise (ich sage bewusst nicht Plan, denn wer kannte/kennt diesen aus damaliger Sicht ?) von Eicher mit …..

      --

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