Antwort auf: Die Arrangeure des Jazz

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gypsy-tail-wind
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vorgartenich kann deinen standpunkt auch total gut verstehen, du zitierst ja auch immer die „normalfälle“ (hier brauchen wir noch fette streicher für den kommerziellen erfolg) und ich die ausnahmen (symbiosis), die frage ist ja eben, wieso es plötzlich diese ganzen sebeskys, ogermans, deodatos, paichs, nelsons usw. brauchte, als es dem „schnörkellosen“ jazz immer schlechter ging.

Zu Mina muss ich dann daheim … ansonsten faszinieren mich ja gerade diese Ausnahmen schon auch – da würde ich z.B. auch die Ben Webster-Sessions mit Streichern mitzählen, die zwar formal konventionell sind aber perfekt passen.

Ansonsten muss man da halt schon auch etwas aufpassen, ich verstehe Deinen Punkt, bin aber nicht ganz sicher, wie die Zusammenhänge sind … Huhn und Ei? Es war ja auch eine zeitliche Entwicklung, wenn man den Hard Bop bis Anfang der Sechziger als letzten Mainstream nimmt (der in gewissen Milieus als Orgel- oder Soul Jazz noch etwas länger überlebt), dann die Entwicklung der Avantgarde, die ja quasi (Mingus, Dolphy, McLean, Taylor) aus dem Hard Bop heraus entsteht, dazu die „British Invasion“ … allerdings spielt bei den Versuchen mit „Veredelung“ ja gewiss auch anderes rein, der US-Pop der Vierziger und Fünfziger (das Zeug für „adults“ halt, as opposed zum Teenager-Kram von Elvis und später den Beatles – verkürzte Darstellung, ist mir klar, und die Terminologie bildet nicht meine Ansicht ab), was weiss ich wer da alles erfolgreich war, Bing Crosby, Dean Martin, Doris Day, Dinah Shore, Sinatra, Perry Como, Peggy Lee … Wiki führt das unter Traditional pop music – da waren ja auch üppige Arrangements mit Streichern im Einsatz, und ein Charlie Parker hat wohl wirklich auch Schönberg und Stravinsky und sowas angehört, auch wenn die Arrangeure, mit denen er dann aufnahm, stilistisch konservativer gewickelt waren … die Suche nach dem Crossover-Erfolg ist ja auch etwas, was sich durch die US-Musik durchzieht, da kommen dann wieder Label wie King und später Motown ins Spiel, die C&W und R&B Leute ihre Songs tauschen liessen (ein Afro-Amerikaner kaufte nicht die C&W-Single, aber er kaufte den C&W-Song, wenn der R&B-Künstler ihn einspielte) …

Paich z.B. hat in den Fünfzigern manche lupenreine Jazz-Alben arrangiert, natürlich auch für Sänger (seine Alben für Mel Tormé sind phantastisch), ich kenne ihn aber auch wirklich nur als Jazzer, auch als Sideman mit (oder Leader von) Art Pepper und anderen.

Bei Nelson würde mich wundernehmen, ob er selbst seine Tätigkeit in zwei Bereiche trennte (Jazz vs. Lohnarbeit, wenn man so will, wobei er ja auch Jazz-Gigs annahm, für Jimmy Smith, Shirley Scott, Johnny Hodges, Pee Wee Russell … und ja, auch für Monk) oder ob er das alles irgendwie als eins sah?

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Wir hatten es anderswo – mit redbeansandrice – mal davon, wie es in den Sechzigern war, welche Strategien es gab, z.B. was die Produktionen von Joel Dorn für Atlantic betrifft, wie sich da die Musik von Leuten wie Rahsaan, Lateef oder Eddie Harris in neue Richtungen entwickeln, die irgendwie ja ein Spiegel ihrer Zeit sind – und die so gesehen auch durchaus als gelungener traktiert werden können als wenn die Leute weiter Quartett-Alben mit p/b/d und Bop-Tunes und Standards eingespielt hätten, ob dann noch eine Bossa dazukommt oder nicht, was macht’s, Latin gab’s ja schon viel früher im Mainstream-Jazz.

Wie da die Zusammenhänge stehen, ob der Schlock am Niedergang oder der Niedergang am Schlock schuld ist … Huhn und Ei, vermute ich, bzw. einfach der Lauf der Dinge. Und es gibt ja auch im Mainstream Beispiele, wo beides zusammenfällt (das wäre dann aber eher Sinatra/Jobim als „Symbiosis“). Aber es ist wohl meine Skepsis gegenüber dieser ganzen Entwicklung (ich bleibe dann halt bei Miles bzw. biege mit dem Free Jazz ab und es zieht mich noch mehr als schon seit den Fünfzigern von New York nach Chicago etc.), die mich z.B. beim Output von Labeln wie A&M oder CTI generell einfach mal Zögern lässt … im Wissen darum, dass da (v.a. bei CTI) manche Perle versteckt ist, die ich durchaus aufspüren mag. Aber – um noch einen Namen aus Deiner Liste ins Spiel zu bringen – die Deodato-Alben habe ich tatsächlich noch nie bewusst gehört (einiges in der Tube, auch durch redbeans‘ wiederholte Hinweise vor ein paar Jahren mal – aber muss ich nicht im Regal haben, glaube ich).

Das ist alles etwas wirr, im Büro nebenher getippt … aber die Diskussion bietet wirklich viele interessante Ansatzpunkte.

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Noch ein Strang: Es gab ja schon in der Big Band-Ära zentrale Arrangeure wie Don Redman, Benny Carter, Ellington/Strayhorn, die Leute hinter Lunceford, Goodman, Shaw, Herman oder Kenton etc etc – einige von ihnen blieben bis in die Sechziger aktiv, der Basie-Mainstream der Fünfziger lief ja auch irgendwie weiter … das verhält sich alles auch zu den „Veredlungen“, manchmal sind die selben Leute tätig. Es gab aber auch schon früh „Veredler“, bei Whiteman oder so, Sauter/Finnegan, Thornhill, Gil Evans, die Grenzen sind da schmal, dünkt mich, schon damals könnte man beim einen oder anderen mit zwei „Seiten“ argumentieren … bei Artie Shaws Band mit Streichern oder bei den ambitionierten Kenton-Projekten (oder Pete Rugolos eigenen Alben) wird ja auch schon veredelt, in anderem Kontext halt – „sweet“ vs. „hot“ war ja von Beginn weg ein Thema, die Übergänge aber nie wirklich dicht.

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Und noch was: Oliver Nelsons Album für James Brown ist natürlich auch klasse!

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