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terry gibbs: THE FAMILY ALBUM
vogue/legacy 1978. rec. 19.2.1963, nyc.
terry gibbs (vib), alice mcleod (p), ernie farrow (b), steve little (dm).
bei dieser zweiten session entstehen 12 kurze und knackige tracks, die selten länger als 3 minuten lang sind. franya berkman hat die original-kompositionen analysiert, wonach es sich um populäre 32-taktige aaba-formen handelt, alternierend mit den ebenso gebräuchlichen 12-taktigen-blues-formen; die akkordwechsel sind noch im bebop-modus gehalten. vor und nach dem thema solieren erst gibbs, dann coltrane über jeweils 2 chorusse. die meisten stücke sind in dur und swingen sehr funktional und durchaus sophisticated, was an dem hervorragenden team aus ernie farrow und ellington-drummer steve little liegt.
alices spiel ist insofern interessant, als das es sehr merkwürdige dinge kombiniert. man hört ein paar bebop-licks, die auch immer wieder kommen, eine sehr dynamisch akzentuierte betonung einzelner töne in längeren linien; gleichzeitig ist aber auch eine tendenz zum ornamentieren zu hören, die immer strukturen schafft, die sich um den wesentlichen ton herum anlagern. ekkehard jost hat das im kontext der späteren band von john coltrane auf ihren „harfenistischen hintergrund“ zurückgeführt, was natürlich quatsch ist (mit harfe hat sie erst viel später angefangen) – es ist – meine these – viel eher ihre sozialisation im kirchlichen orgelspiel, die sich hier niederschlägt – und damit auch ein bezug zum ekstatischen aufladen der einfachen form. wenn man will, kann man hier auch durchaus genderspezifische (eher intersektionale) aspekte anführen, denn der zugang zur kirchenorgel war für eine bürgerlich-konservativ erzogene afroamerikanische frau im detroit der 50er realistischer als sich im jazzkontext auf dem klavier zu erproben. dass die besonderheiten des instrumentenzugangs sich auf ihr klavierspiel abfärbten, wie auch, dass der religiös-spiritistische aspekt dabei erhalten blieb, ist relativ naheliegend.
im kontrast zu ihrem schnellen, arpeggien-dominiertem spiel mit einzelnen bebop-anleihen steht ihre funktionale, sparsame und sehr rhythmisch akzentuierte begleitung der soli von gibbs, die ebenfalls einen ziemlichen reiz ausmachen. tolle effekte entstehen, wenn die kompositionen riskanter (und in moll) sind – der blues „up at louge’s place“ oder der „sherry bossa nova“ behalten eine spannung zwischen der einfachheit des konzepts und den pianistischen schrägheiten, die dennoch ziemlich sicher wieder in die ausgangssituationenen zurückfinden – und das, wie gesagt auf dem engen raum von 3-minuten-stücken. insgesamt fällt die abwechslung nicht sehr hoch aus, es gibt weder bass-, noch drum-soli und im ganzen haufen von 12 stücken nur eine ballade (in der gibbs allein soliert). trotzdem ist der kalkuliert herbeigeführte spaß nicht geringzuschätzen.
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