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Linval Presents Space Invaders (2016)
ursprünglich veröffentlich als
Scientist Meets The Space Invaders (1981)
Ein obskures Album eines obskuren Toningenieurs mit obskurem Pseudonym, das vor 35 Jahren auf einem obskuren Label veröffentlicht wurde, schlägt hier doch erstaunlich hohe Wellen.
Ich hatte Scientist Meets The Space Invaders 1981 gekauft. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, aber das hatte ich damals oft nicht und dann klang das auch fremd, unerklärbar und war für mich nicht einzuordnen. Aber ich kannte mich auch weder mit Reggae noch mit Dub aus, und so verstaubte die Platte im Regal und wurde irgendwann verscherbelt. Aber Jahrzehnte später habe ich mich irgendwie wieder daran erinnert. Da zu erschwinglichen Preisen nicht mehr erhältlich, habe ich mir einen Vinyl-Rip davon besorgt. Als ich hier erfuhr, dass es eine erweiterte Re-Issue gibt, musste ich die natürlich unbedingt haben.
Auch wenn ich mich immer noch nicht gut mit Reggae und Dub auskenne, so hört sich SMTSI für mich in diesem Genre doch außergewöhnlich an: Sehr reduzierte, skelettierte, fast ausschließlich instrumentale basic tracks, meist nur guitar, bass & drums, sehr trocken produziert. Interessant wird das erst durch Overton Browns (aka Scientist) Manipulationen am Mischpult. Das erste Stück hat kaum angefangen, da spult er das Band schnell wieder zurück, als würde die Musik in ein Wurmloch gesaugt, um auf der anderen Seite mutiert wieder rauszukommen. Der bass sound klingt gepresst, passagenweise werden ganze Aufnahmespuren weggedämpft und man hört nur die drums. Aus der Ferne des Alls hallt eine Gitarre herüber. Es fiept, zischt und blubbert. Dann einfach Stille. Echos schießen vorbei und verschwinden in der Tiefe des Raumes.
Das klingt kühl, abstrakt, fast künstlich. Keine Musik, die einen unmittelbar anspringt, dazu ist sie auf der einen Seite zu reduziert und monoton, und arbeitet auf der anderen Seite zu sehr mit skurrilen Klangeffekten. Aber genau dieser Kontrast ist der Reiz daran. All dem haftet ein sympathischer DIY-Charme an, manchmal hört man die ausgeblendeten Tracks ganz leise im Hintergrund mitlaufen, manche Effekte werden einfach abgewürgt um dann sofort von anderen Effekten gefolgt zu werden, die aber das gleiche Schicksal trifft. Das Cover hat ja einen ähnlichen Charme. Witzig, ein wenig trashig und mit einem Hang zu Selbstironie.
Unerfreulich finde ich, dass SMTSI unter dem Namen des Produzenten der basic tracks und mit verändertem Cover wiederveröffentlicht wird. Die Re-Issue wurde um eine Bonus-CD mit den ursprünglichen vocal tracks ergänzt, die von Linval Thompson produziert wurden. Die sind alle okay und Roots Radics leisten als backing Band tadellose Arbeit. Auch ist hier zu erkennen, dass Linval Thompson mit seiner trockenen und reduzierten Produktion die Grundlage für Scientists dubs gelegt hat. Dennoch: Scientist ist es, der diese Tracks durch seine Bearbeitung in etwas originelles und herausragendes verwandelt – was ja offensichtlich auch Anlass der Re-Issue ist. Es scheint mir absurd, dass man diese Platte wiederveröffentlicht, die Musik übernimmt, den Titel, sogar das Cover, dann aber den Namen des Mannes, der den entscheidenen künstlerischen Impuls gibt, nur noch nebenbei in den liner notes erwähnt und wie bei einer stalinistischen Geschichtsfälschung sogar dessen Gesicht auf dem Cover wegretuschiert bzw. austauscht. Eigentlich ein moralisches Eigentor: Linval Thompson schmückt sich da ein Stück weit mit fremden Federn.
Im Hintergrund gab es wohl Streitigkeiten um Geld. Kenne ich im Detail nicht und will ich daher nicht beurteilen. Vermutlich eine hässliche Sache und dann kommt am Ende eine Platte heraus, die zwar musikalisch toll ist, aber auf einer anderen Ebene einen unangenehmen Beigeschmack hat.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)