Antwort auf: Miles Davis

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vorgarten

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die letzten drei sessions zusammengefasst.

27. mai 1970. mit dem auftauchen des multiinstrumentalisten hermeto pascoal verändert sich die textur der band nochmal komplett. zwei kurze sketches entstehen, unter drei minuten, die „nem um talvez“ genannt werden. pascoal summt eine kleine melodie, sehr brasilianisch, auf unendliches wiederholen angelegt. miles spielt sie nach, während hancocks orgel, jarretts e-piano und mclaughlin ein bisschen atmosphäre hinzusteuern. henderson und moreira, der mit pascoal bereits in brasilien zusammengespielt hat (ich vermute: so kommt letzterer in eine miles-session) sind auch auf dezente weise dabei. und ein paar substanzen wahrscheinlich auch.


3. juni 1970. corea, hancock und jarrett in einer session, wow. und ron carter ist wieder dabei. grossman, dejohnette, moreira und pascoal – dafür fehlt mclaughlin. interessanterweise versucht miles, mit „little high people“ (jaja) ohne gitarristen einen soul-beat einzuspielen: herauskommen zwei merkwürdig entspannte groovenummern, in denen dejohnette und carter auf CTI machen, während die drei pianisten störgeräusche hineinschießen, der percussionist entengeräusche auf der kazoo macht und miles (erstmalig?) zum wahwah-effekt greift.

danach geht es wieder ins pascoal-terrain, sie nennen es wieder „nem um talvez“, es ist aber eine andere melodie. miles behält das wahwah-gerät an, dazu nur schwebende orgel und ein bisschen percussiongeräusch und ein grundierender e-bass von carter. das stück ist nun völlig entrückt und schwebt für sich. beim nächsten track ist es wieder die melodie vom 27.mai und pascoal summt auch wieder mit. dazu gibt es eigenartige leise drum-einsätze.

letztes stück der session ist „selim“. aber es ist die gleiche melodie. miles (wahwah) und der summende pascoal unisono, carter spielt ein bisschen bass dazu, sonst höre ich nur ganz leise corea an der orgel.


4. juni 1970. diesmal heißt das erste stück „little church“, es ist eine variation auf „nem um talvez“ bzw. „selim“, die melodie ist etwas komplizierter. man hört nur miles (wahwah), hancock an der orgel, diesmal holland am bass – und pascoal, der im ersten take summt, im zweiten pfeift.

dann kommt die komplette studiobesetzung dieser session zum einsatz: miles, grossman, alle drei pianisten, mclaughlin, holland, dejohnette und moreira. ein neues stück in zwei takes: „the mask“, das direkt ins live-repertoire wandert und etwas einbringt, was diesem repertoire tatsächlich bislang fehlte: ein langsamer groove mit walking bass und raum für alle möglichen effekte und individuellen durchflüge. diesen groove finden sie aber erst im zweiten take, der erste ist ein hektischer jam von jarrett, dejohnette und holland, in den corea mit ringmodulator und ganz am ende noch mclaughlin einsteigen. das eigentliche „the mask“ ist nicht recht herleitbar – holland spielt plötzlich wieder akustischen bass und die geheimnisvollen schattensounds, die mclaughlin, jarrett (wahwah-e-piano), hancock (verzerrte orgel) und corea (e-piano mit ringmodulator) einwerfen, hat es so auch noch nicht gegeben. dejohnette ist fast nur auf hi-hat und beckenrand zu hören, moreira nur auf einem shaker. die intensität steigert sich schleichend. die ganze band spielt wie ein gewebe, jeder in die lücken des anderen und in bestimmten situation gemeinsam verdichtend. miles und grossman strukturieren frei schwebende soli, das von miles sitzt wirklich drüber, das von grossman addiert ein bisschen was, mclaughlin löst sich kurz aus der geisterbegleitung. nichts davon wurde bis zum erscheinen der box veröffentlicht. live-versionen kommen aber schon in fillmore east zustande. da ist jarrett dann fest dabei, der platz eines live-gitarristen bleibt (bis auf mclaughlins einstieg im cellar door und eigentlich bis zum auftauchen von cosey & gaumont) unbesetzt, und ins studio geht es nach intensiven live-programmen mit einigen personellen veränderungen und einer krankheitsbedingten pause von miles erst wieder (nach dem eigenartigen zwischenspiel mit dem „red china blues“) zwei jahre später, mit ganz neuen musikern. das projekt heißt dann ON THE CORNER.

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