Antwort auf: Miles Davis

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vorgarten

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3. märz 1970. vor den nächsten live-auftritten des sextetts noch mal ins studio, wieder mit dem rock-quintett davis, grossman, mclaughlin, holland, dejohnette. sie beginnen mit einem ganz einfachen, reduzierten blues, auf dem nur mclaughlin soliert („archie moore“, noch ein boxername), sparsam, souverän, klischeefrei. den rest der session bilden einzelne jams, die macero später zu seiner spektakulären postproduktionsetüde „go ahead“ zusammenmontiert hat. zunächst wird der blues aufgegriffen, diesmal soliert miles, erst nur mit holland zusammen, mit viel gefühl und toller dramaturgie (mclaughlin begleitet super). ganz hübsch danach das zarte solo von grossman. als nächstes kommt ein uptempo-part, mit stop-and-go-strukturen von dejohnette, einer hendrixgitarre zum niederknien und holland, der nur bei der bridge kurz seine 1-ton-begleitung verlässt. die bassdrum hat macero wie donnerschläge abgemischt, der dreckigste sound der miles-band bislang, ein krawalliges hämmern und röhren. guter einstieg von grossman, aber nach seine solo wird abgebrochen. nächster versuch, hollands 1-ton-begleitung jetzt mit wahwah-bass. neuer versuch von grossman. er setzt viele pausen und behält eine gesangliche qualität in seinem spiel bei. nach wie vor unfassbar, wie dejohnette diesen morsezeichenfunk hinbekommt. miles führt danach alles wieder in eine intime, suchende bewegung zurück, mit harmonischer spannung zum grundton, fast, als spiele er isoliert für sich – um dann wieder punktgenau direkt in den funk einzusteigen. unfassbar tolles solo. im dritten take des uptempo-teils darf mclaughlin nochmal 3 einhalb minuten solieren. zum schluss gibt es noch ein remake des blues-teils, 11 minuten lang, wieder mit schönen soli von miles und mclaughlin.

für mich ist es nach wie vor ein rätsel, warum sie die finale schnittversion von „go ahead john“ nicht auch noch auf die box gepackt haben. also müssen wir sie woanders nachhören:

BIG FUN kam 1974 heraus, mit stücken aus früheren sessions von ende 1969 und „ife“, das erst 1972 während der on-the-corner-sessions entstand. „go ahead john“ füllt mit fast 29 minuten die dritte seite der originalen doppel-lp. was macero aus dem session-material gemacht hat, führt hier zu etwas völlig neuem und ist sicherlich das abgefahrenste, was er jemals mit miles zusammengeschraubt hat. es sind nicht nur teile von allen fünf einzeltakes montiert worden, sondern er hat verschiedene soli von miles und mclaughlin auch noch geloopt und zusammengeführt, so dass die gleichen musiker quasi dialoge mit sich selbst führen. drittens lässt macero aufnahmen von dejohnette und mclaughlin zwischen den kanälen hin- und herswitchen, was ein völlig verrückter effekt ist und einem jegliche orientierung nimmt, weil sich nicht en bloc wandern, sondern einzelne schläge und akzente (von verschiedenen aufnahmen) – in mclaughlins solo wandern sogar einzelne töne in verschiedenen lautstärken, sie werden dabei komplett skelletiert. und letztens jagt macero das ganze noch mal durch einen artifiziellen raum und schafft echo- und hall-räume, die die musik subtil von hinten nach vorne und zurück bewegen lässt. ein postproduktions-exzess – und dass alles, obwohl die originale schon ziemlich gelungen waren und als solche sicherlich veröffentlichungswürdig. für mich ist diese version von „go ahead john“ einer der größten höhepunkte der miles-diskografie. (und es ist tatsächlich nur auf BIG FUN zu haben.)

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