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Für Anfänger? Ich bin kein Soul-Experte, genieße nur ab und zu mal.
:lol:
Gelungene Siebziger-Sampler – Als der Soul volljährig wurde
Von Christoph Dallach
Politische Texte, abenteuerlustige Musik, anstößige Freunde: Zu Beginn der siebziger Jahre wurde der Soul erwachsen. Zwei sehr gelungene und sehr aufwendige CD-Sampler-Serien dokumentieren diese Ära.
Zum Start der siebziger Jahre begann Stevie Wonder, seine Plattenfirma Motown zu ärgern: Erst zierte sich das ehemalige Soul-Wunderkind – „Little Stevie Wonder“ -, seine Unterschrift unter eine Verlängerung des Vertrages zu setzen, der nach zehn Jahren mit seinem 21. Geburtstag ausgelaufen war. Dann sorgte er noch für Empörung, als er, gegen alle Verbote der Motown-Manager, auf einer Solidaritätsveranstaltung zu Ehren der Hippie-Drogen-Rock-Ikone John Sinclair antanzte. Nach Jahren als kreuzbrave Hitmaschine („I Was Made to Love Her“) entdeckte der Alleskönner 1971, dem Jahr seiner Volljährigkeit, die Lust am Abenteuer. Er befreite sich vom strengen Regeldiktat der Motown-Produzenten, experimentierte daheim mit Synthesizern, grübelte über den Krieg in Vietnam und ging mit den wilden Rolling Stones auf Konzertreise.
Die frühen Siebziger waren nicht nur für den hochbegabten Knaben aus Michigan eine aufregende und produktive Zeit. So wie Stevie Wonder wurde der Soul in der ersten Hälfte dieses Jahrzehntes mündig. Die Themenpalette wurde, wie im Rock, breiter. „There’s A Riot Going On“ hieß das Album von Sly and The Family Stone, das 1971 die Skepsis einer jungen Generation Afroamerikaner direkt an die Spitze der US-Charts katapultierte. Geschmeidiger, aber nicht weniger intensiv, beklagte Marvin Gaye den Zustand der Welt mit Singles wie „What’s Going On?“ und „Inner City Blues“, und Curtis Mayfield landete 1972 mit „Freddie’s Dead“ sogar einen Bestseller mit einem Song über einen Kokain-Dealer.
Entsprechend erweiterte sich auch das Spektrum der Musik, die die Texte dieser Aufbruchstimmung illustrierte. Nach Jahren relativ strikter Rhythm’n’Blues-Strukturen revolutionierten Freigeister wie Isaac Hayes und Norman Whitfield das Genre mit ausufernden Produktionen, in denen Soul, Jazz, Easy-Listening, Funk und Psychedelic-Rock miteinander verschmolzen. So wie auf dem von Whitfield verantworteten Temptations-Album „Psychedelic Shack“ (1970) oder Isaac Hayes‘ Geniestreich von einem Album „Hot Buttered Soul“ (1969) mit nur vier Songs, darunter das fast zwanzig Minuten schwelende „By The Time I Get To Phoenix“.
Aufgerüschte Booklets und restaurierte Musik
Dokumentiert ist diese quecksilbrige Zeit nun in zwei überragenden Sampler-Reihen über die Entwicklung des Soul: „The Complete Motown Singles“ (Universal) und der Anthologie „Sweet Soul Music“ (Bear Family). Letztgenannte Serie erzählt die Geschichte des Soul anhand von CD-Samplern, die jeweils ein Jahr repräsentieren und die 1961 beginnt und nun mit den letzten Teilen bis 1975 endet. Ein eigentlich größenwahnsinniger Anspruch, der aber erstaunlich gelungen realisiert wurde. Die 15 CDs bieten jeweils um die 25 repräsentative Songs eines Jahres, wobei hier Gassenhauer und Spezialisten-Tipps souverän kombiniert wurden. So findet man auf der „Sweet Soul Music“-Folge „1971“ Klassiker wie Bill Withers „Ain’t No Sunshine“, The Staples Singers „Respect Yourself“, James Browns „Soul Power Part 1 & 2“, Sly And The Family Stones „Family Affair“, sowie Al Greens „Let’s Stay Together“, aber auch Entdeckungen wie Bill Coday „Get Your Lie Straight“ oder The 8th Day „She’s Not Just Another Woman“. Obendrein wurden die CDs mit aufwendigen Booklets aufgerüscht und die Musik hörbar klanglich restauriert.
Nahezu luxuriös kommt die Serie „The Complete Motown Singles“ daher, die auch in Jahre eingeteilt wurde und von 1959 bis 1972 reicht. Im Format alter Vinyl-Singles gibt es hier jeweils auf 5 CDs alle A- und B-Seiten der einst veröffentlichten Singles in chronologischer Reihenfolge, dazu ausführliche Texte und eine richtige repräsentative Vinyl-Single für den jeweiligen Jahrgang. Ein Mammut-Werk, das neben allen Motown-Hits von Diana Ross, Leadsängerin der Supremes, Marvin Gaye, Stevie Wonder, The Temptations und Michael Jackson auch viele tolle Obskuritäten bietet. Oder wer erinnert sich an Michelle Aller oder Bob Babbitt?
Auch diese Reihe endet nun mit einem 5-CD-Set von 1972. Die „Sweet Soul Music“-Serie stoppt 1975. Egal, welches Jahr man nimmt, zur Mitte der siebziger Jahre hin war diese aufregende Soul-Ära schon wieder Vergangenheit. Es folgte eine Zerfaserung in viele Subgenres von Funk, Disco bis hin zu Rap.
„In den frühen Siebzigern lernte ich, nein zu sagen und meinen eigenen Visionen zu folgen“, sagte Stevie Wonder mal. Das hört man seiner Musik bis heute an.
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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.