Re: Umfrage: Die besten Filme 2015

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friedrich

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Sonic JuiceWenn der Film es bei Dir nicht geschafft hat, die glänzende Aura der beiden Protagonistinnen und die immer intensivere magnetische Anziehung zwischen den beiden zu vermitteln, dann hat er dich tatsächlich nicht erreicht. Ich bin kein Haynes-Experte, „I’m Not There“ fand ich ganz furchtbar effekthascherisch und um Originalität bemüht, weiteres kenne ich noch nicht. Um so erstaunlicher fand ich, mit welcher Sensibilität für Bild, Sprache und Tempo er hier die beiden Frauen ins Licht setzt, wie langsam und doch unaufhaltsam sich die beiden annähern, wie volatil die jeweilige Führungsrolle in dem Verhältnis ist, welche Spannung sich da zwischen Hoffnung, Versprechen und Auflösung ergibt. Und wie Haynes es schafft, dass sich etwa das Bild des Mädchens mit roter Weihnachtsmütze, der zurückgelassenen Lederhandschuhe oder der Spiegelreflexkamera im Schneetreiben so ins emotionale Bildgedächtnis brennt. Das zeugt für mich alles von Haynes Vermögen, Gefühle wie Zärtlichkeit, Begehren, Eifersucht und Zerrissenheit nicht nur einfach zu zeigen, sondern auch losgelöst von einer konkreten (in der Tat ja nicht sonderlich komplexen) Handlung auf nahezu abstrakte Weise in Filmsprache zu übersetzen und erfahrbar zu machen. Große Kunst in meinen Augen.

Okay, dann sind unsere Wahrnehmungen da einfach unterschiedlich. Für mich waren das schöne Bilder, die mich kalt ließen. Das Mädchen, das durch die beschlagene Scheibe schaut? Na ja …

Aber ist interessant, von diesen unterschiedlichen Sichtweisen zu lesen.

I’m Not There fand ich wiederum gut. Vielleicht muss man diesen Film aber auch vor dem Hintergrund solcher Dylan Texte wie Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again oder der Basement Tapes sehen. In dieser Dylan’schen Bildwelt spielen sich solch surreale Szenen wie in I’m Not There über und über ab. In sofern passt das.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)