Re: Get Well Soon – Love (29.01.2016)

Startseite Foren Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat Aktuelle Platten Get Well Soon – Love Re: Get Well Soon – Love (29.01.2016)

#9688347  | PERMALINK

chocolate-milk

Registriert seit: 29.01.2006

Beiträge: 16,213

Andreas Borcholte ist auf jeden Fall schonmal begeistert:

„It’s love… and I can’t get rid of it“, singt Konstantin Gropper alias Get Well Soon in einem der besten, ausschweifendsten, sehnsüchtigsten und spannendsten Songs auf seinem vierten Album. Im zugehörigen Video gibt Udo Kier den prototypischen deutschen Musterbürger – der im Keller seines schmucken Einfamilienhauses eine junge Frau gefangen hält. Ach ja, die Liebe ist ein Wechselbalg, mal zum Niederknien edel und schön, mal ein Monster mit Hackfresse.

Um die Auslotung dessen, was zwischen diesen Extremen passiert und wie man damit als 33-Jähriger (oder 33-Jährige, im gleichnamigen Song) umgeht, geht es auf „Love“. Was ist Liebe? „It’s a Mess“, „It’s a Catalogue“, „It’s a Tender Maze“, „It’s an Airlift“, „It’s a Fog“, betitelt Gropper seine neuen Songs, oder halt schlicht „It’s Love“; die persönliche und zugleich universelle Bestandsaufnahme eines der bemerkenswertesten Musiker und Songschreiber, die Deutschland zu bieten hat.

Groppers im besten Sinne cineastischer Breitwand-Sound kann auf internationaler Ebene nicht nur mit den Tindersticks oder britischen Lakonikern wie Paddy McAloon mithalten, wenn es darum geht, mit melancholisch aufseufzender Geste zu illustrieren, dass in jeder Wonne immer auch ein Weh wohnt.

Zugleich bleibt er dabei dann doch so deutsch wie der mit Laubsauger im Vorgarten stehende Spießbürger, den Gropper im „It’s Love“-Video verkörpert: Die Schwermut des Mannheimers bleibt auf unnahbare Weise akademisch und ein bisschen zu kontrolliert, so als würde man sie nur durch eine schützende Folie oder unter Aufsicht von Fachpersonal betrachten dürfen.

Dazu passt auch das Cover mit dem Biedermanngemälde von Friedrich Gauermann: Der vornehme Spießbürger triumphiert über die Gefühlsanarchie des wilden Romantikers und flüchtet vor den Wirren der Zeit in Restauration und die Ästhetik des Musealen. Doch die Bärenszene ist nur vordergründig ein Naturidyll. Und Groppers wie immer opulent und klassisch instrumentiertes Album ist nur auf den ersten Blick ein Anbiedern an den neobürgerlichen Hobbykoch- und Kunstauskenner-Zeitgeist der überlegen schmunzelnden Schulz-und-Böhmermann-Fangemeinde (für deren Sendung Gropper den Titelsong komponierte).

„Love“ ist kein Rückzug ins Private, sondern eine Erforschung im Sinne der Aufklärung. Gropper horcht und sinniert und tastet sich durch dieses schattenreiche Milieu wie ein Film des französischen Altmeisters Claude Chabrol. „Love“ ist der Soundtrack zur schwierigen Stunde, eine nach dem Humanismus der deutschen Seele suchende Pop-Platte, die sich Angela Merkel zum Trost im einsam gewordenen Kanzleramt auflegen wird: Liebe ist doch alles, was wir haben, auch wenn es manchmal kompliziert ist.

(8.7) Andreas Borcholte (Spiegel Online)

--