Re: Musikbewertung und Diskussionskultur

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Gang of One

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Daniel_BelsazarDer scheinbar isolierte Mensch in welchem Gedankenexperiment auch immer (Robinson, einsamer Gitarrist, Einsiedler etc) ist immer schon sozialisierter Mensch. Jede geistige Äußerung dieses Individuums ist – auch wenn er alleine ist -potenziell notwendigerweise auf einen anderen gerichtet, auch wenn niemand das jemals zu Gesicht oder Gehör bekommt. Insofern kann das durchaus ein Kunstwerk sein – es ist aber prinzipiell immer schon sozial, weil dies unabdingbare Vorausetzung zu seiner Erschaffung als geistige Leistung ist.

Das ist gut gesagt; dem stimme ich zu. Damit fasst man die Gesellschaftlichkeit der Kunst, ohne sich auf die von nail75 und N_v_F bevorzugte Definition festlegen zu müssen. Denn der soziale Charakter des Geschaffenen, so verstanden, ist auch dann gegeben, wenn es keinen Rezipienten findet.

Wenn ich mich recht erinnere, wurde der Aspekt der Rezeption auch deshalb stark gemacht, um sich von der „Kunst kommt von Können“-Formel abzugrenzen. Diese Formel unterschreibe ich natürlich nicht, ebensowenig aber auch ihr Gegenteil. Kunst kommt nicht von Können, weil Ideen manchmal wichtiger sein können als Fingerfertigkeit; aber Kunst zu produzieren, setzt sehr wohl Können voraus. Wobei es nicht nur ums Machenkönnen geht, sondern auch um Empfindungsfähigkeiten. Solche Fähigkeiten bilden sich in Auseinandersetzung mit dem, was andere geschaffen haben.

WenzelAbgesehen davon, würdest Du zwischen den Begriffen „Kunst“ und „Kunsthandwerk“ oder „Kunstgewerbe“ unterscheiden? Wohnt der „Kunst“ nicht auch immer sowas wie „Originalität“ inne?

In Sachen Originalität bin ich unentschieden. Einerseits gehören „Eigenständigkeit“, die „eigene Handschrift“, das Finden neuer Lösungen in Auseinandersetzung mit den Erscheinungen der Gegenwart und dergleichen zu meiner Vorstellung von „Kunst“. Andererseits bin ich offen für die These, das Streben nach Originalität sei nichts weiter als der geistige Überbau zum Urheberrecht, ein Ergebnis des Warencharakters der Kulturprodukte, der zur Differenzierung des eigenen Angebots von dem konkurrierender Kulturwarenproduzenten zwingt, damit Geld verdient werden kann.

Die Unterscheidung zwischen „Kunst“ und „Design“ geht wohl über die Zwecke. Ein Stuhl ist eine Sitzgelegenheit (dient dazu, die Beine zu entlasten) und kann daneben auch noch schön gestaltet sein. Bei einem Kunstwerk ist die schöne Gestaltung alles; sein Zweck liegt im Sicht- oder Hörbaren, das in seiner Eigentümlichkeit wahrgenommen wird (und dann bestimmte Erfahrungen ermöglicht). Ein gemeinsamer Oberbegriff wäre vielleicht „ästhetische Produktion“ (Produktion nach den Gesetzen der Schönheit). Wobei ja mancher auch bei Design ein Kunsterlebnis haben kann, Palmström zum Beispiel:

„Palmström steht an einem Teiche
und entfaltet groß ein rotes Taschentuch:
Auf dem Tuch ist eine Eiche
dargestellt sowie ein Mensch mit einem Buch.

Palmström wagt nicht, sich hineinzuschneuzen. –
Er gehört zu jenen Käuzen,
die oft unvermittelt-nackt
Ehrfurcht vor dem Schönen packt.

Zärtlich faltet er zusammen,
was er eben erst entbreitet.
Und kein Fühlender wird ihn verdammen,
weil er ungeschneuzt entschreitet.“

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To Hell with Poverty