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KrautathausGegen „This Sporting Life“ von Godley & Creme, macht sich „A day in the life“ wie ein Ramonessong aus. Ist „A day in the life“ nun kulturell weniger bedeutend, weil der musikalische Aufbau von „This Sporting Life“ viel komplexer, stilistisch viel wandlungsvoller ist?
„This Sporting Life“ ist mir nicht wirklich im Ohr, weswegen ich nun keine Aussagen darüber treffen möchte. Aber Komplexität ist eine künsterische Eigenschaft, die positiv gewertet werden kann, aber nicht muss. Sie sagt zumindest aus, dass etwas nicht einfach sei und genau darum ging es mir bei meiner Gegenüberstellung.
Herr Rossi
Ich denke, man wird Kunst nicht gerechnet, wenn man nicht auch ihren zeitlichen Kontext mit einbezieht: „Sgt. Pepper“ entstand in einer Phase, als viele Pop-Künstler sich davon lösten, Musik aufzunehmen, die auch live umsetzbar war (unter damaligen technischen Möglichkeiten). Das Studio wurde mehr und mehr zum Instrument, in unendlicher Bastelarbeit entstanden Aufnahmen wie „A Day In The Life“ oder „Good Vibration“. Während sich die Beatles und Beach Boys aber nicht vom Pop-Song verabschiedeten, bereitete das durchaus anderen Bands den Weg, denen es genau darum ging: „Künstlerischer“ zu sein. Artifizieller. Progressiver! Die Ergebnisse sind bekannt – und sie lösten eine erneute Gegenbewegung aus: Die Rückkehr zum Simplen und Rohen, einfache Melodien, einfache Akkorde, „do It yourself“ statt technischer Virtuosität: Auftritt Ramones.
Mir ging es bei meinem Beispiel weniger um die Aussage, welcher Song zu seiner Zeit das bessere Statement war, ich habe mich lediglich auf die Komposition bezogen. Natürlich geben beide Aufnahmen die Intentionen der damaligen Zeit wieder, ändert aber nichts an der Tatsache, dass „A Day In The Life“ einen anspruchsvolleren Aufbau hat. Bitte aber nicht damit verwechseln, dass ich deswegen auch der Meinung bin, dass dieser im Vergleich zu dem Ramones-Stück per se der bessere Song sei.
Doch nötigt es mir manchmal Respekt ab, wenn ich mir die Strukturen einer Aufnahme anschaue und dabei merke, wie raffiniert alles zusammengesetzt ist und Lieder trotz komplexem Aufbau derart stimmig daherkommen können.
Diese Erfahrung mache ich oft, wenn ich Lieder auf der Gitarre nachspielen möchte und dadurch erfahre, welche Spuren wie miteinander verknüpft sind. Für den Moment fühlt es sich dann an, als wäre die Musik visualisierbar. Manchmal versteh ich Songs auch anders, wenn mir bewusst wird oder ich sehe, wie diese aufgebaut sind.
Herr Rossi
Deine Argumentation ist hier übrigens ziemlich erstaunlich, denn abgesehen von den Beatles der Sgt. Pepper-Phase ist das Artifizielle und „künstlerische“, wie Du es zu definieren versuchst, doch gar nicht Deine Welt. Ich verbinde Dich jedenfalls mit Dylan, Garagenrock, Powerpop, klassischem Soul und ein wenig – nicht besonders avantgardistischer – Elektronik.
Also wirfst du mir nun vor, dass ich versuche über den Tellerand zu schauen, welcher bei mir nach deiner Definition aus „Dylan, Garage-Rock, Power Pop, klassischem Soul und ein wenig – nicht besonders avantgardistischer – Elektronik“ besteht?
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