Re: Musikbewertung und Diskussionskultur

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choosefruit
low fidelity

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Gut, dann mag ich nun ein paar Zeilen dazu schreiben, was ich unter musikalischer Kunst verstehe. Als Beispiel für meine Argumentation nehme ich die schon angesprochenen „A Day In The Life“ von The Beatles und „I Wanna Be Sedated“ von den Ramones.

„A Day In The Life“ ist eine Art musikalische Achterbahnfahrt und besteht aus 3 Teilen, welche sich durch unterschiedliche Instrumentierung, Melodie und Rhythmik kennzeichnen. „I Wanna Be Sedated“ behält von der ersten bis zur letzten Sekunde eine gleichbleibende Dynamik, trotz Bridge und Outro. Der Aufnahme fehlt es somit im Vergleich an Varianz. Die Ramones verwenden übliche Rock&Roll-Akkorde, welche zudem vereinfacht als Power Chords gespielt werden. Die einzige Abwechslung besteht darin, dass in der zweiten Hälfte des Songs die Tonlage um einen Ton erhöht wird, die Struktur bleibt dennoch die gleiche. Die Beatles hingegen verwenden u.a. Suspended Chords, welche nicht nur komplizierter zu greifen/spielen sind, sondern auch eine völlig andere/neue Klangfarbe erzeugen. Von der Komposition her ist der Beatles-Song raffinierter, sprich künstlerischer. Welcher Song jedoch der besserer ist, entscheidet jeder für sich selbst.

Soll natürlich nicht heißen, dass nur komplizierte Musik das Prädikat Kunst verdient, denn sich einfach und direkt auszudrücken ebenso eine Eigenschaft der Kunst ist. Aber für einen Ramones-Song benötigt es in der Regel weniger musikalisches Know-How, als für „A Day In The Life“, weswegen es selbst für einen Gitarren-Anfänger keine allzu große Übung ist, einen Ramones-Song nachzuspielen. Und manchmal ist es ja eben gerade Kunst, da es nicht jeder sofort nachahmen/kopieren kann.

Natürlich kann ich deinen letzten Abschnitt sehr gut nachvollziehen, Elmo Ziller, aber so wie du des Öfteren ältere Musik als altbacken tituliert hast, darf ich doch ebenso manch neuer Musik Eigenschaften absprechen, welche ich für wichtig halte. Und das hat absolut nichts mit Scheuklappen zu tun, sondern mit selbst gewählten Kriterien, die ich habe und genauso du. Das Scheuklappen-Argument wird wohl immer dann gern verwendet, wenn man anderen Ahnungslosigkeit attestieren möchte.

Und ebenso hat auch Mick67 recht, dass die große Kunst in der Musik darin besteht, dass wir als Hörer davon angetan sind. Aber nur weil mir etwas gefällt, würde ich dies nicht als Kunst beschreiben. Dazu sollte schon mehr gehören.

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