Re: Musikbewertung und Diskussionskultur

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jan-lustiger

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Beiträge: 11,206

choosefruitDass Architektur immer den Zweck der Behausung erfüllen muss, ist natürlich falsch. Ich wüsste nicht, dass man auf/in der Golden Gate Bridge zur Miete wohnen kann. Oder im Eifelturm. Was ist mit dem Brandenburger Tor?

Damit hast du natürlich Recht, das habe ich nicht bedacht. Behausung ist also nicht der alleinige Zweck. Allerdings gibt es auch bei diesen Beispielen ganz pragmatische Zwecke, die vollkommen abseits des künstlerischen Ausdrucks bedient werden. Das ist bei Musik im Normalfall nicht so.

choosefruitFalsch. Ich habe Musik nicht die Kunst abgesprochen, sondern vielen Songs/Tracks eine künstlerische Note. Das ist ein großer Unterschied!

Dass du Musik generell die Kunst abgesprochen hast (falls du das mit dem Satz meinst), habe ich auch nie behauptet. Du hast bestimmter Musik (nämlich diesen Tracks) die Kunst abgesprochen. Falls du damit meinst, es gäbe einen Unterschied zwischen „Kunst“ und „künstlerischer Note“, so halte ich das für Unsinn. Kunst ohne künstlerische Note gibt es nicht, das wäre ein Widerspruch.

choosefruitDann machst du aber wohl denselben Fehler wie ich und bringst Vergleiche, welche hinken. Musizieren und Musikhören sind zwei paar Schuhe, welche sich sehr unterscheiden. Und ja, ich maße mir an für mich entscheiden zu können, ob mir ein Track, welchen ich auf YouTube höre, für den Moment gefällt oder nicht. Zudem habe ich nicht für die ganze Band gesprochen, sondern lediglich mich auf die zwei gehörten Tracks bezogen und diese klangen für mich austauschbar und belanglos. Wenn du das alles anders hörst, dann freu dich doch.

In dem Zitat, auf das du dich beziehst, findet sich gar kein Vergleich, weil mit der Aussage „Du kritisierst Oberflächlichkeit anhand einer oberflächlichen Methode“ keine Vergleichbarkeit hergestellt wird. Ich will damit auch nur darauf hinweisen, dass gerade so etwas wie Bedeutsamkeit – was ohne Zweifel ein sehr wichtiger Aspekt für jeden Kunstliebhaber (welche Kunst auch immer das ist) ist – sich schwerlich ohne weiteres über den flüchtigen YouTube-Stream vermitteln lässt. Diese Tendenz, sich zu allem ganz schnell eine Meinung bilden zu müssen, finde ich jedenfalls ziemlich bedenklich. Du machst dich da m.E. auch völlig unnötig angreifbar. Dann kennst du halt einen von den Faves von krautathouse (und mir) nicht – so what?

Im Übrigen geht es mir nicht darum, wie du unten schreibst, dass du katastrophal flüchtig in Musik reinhörst. Zum flüchtigen Reinhören nutze ich das Internet durchaus auch. Aber ich würde nicht auf die Idee kommen, danach Werturteile über Bedeutsamkeit und Austauschbarkeit zu fällen. Als Diskussionsgrundlage halte ich Ersteindrücke für relativ wertlos. Entweder mein Interesse wird geweckt oder nicht. Und wenn nicht, ist das keine aussagekräftige Basis für ein Werturteil, das eben auf einem derart hohen Maßstab basiert.

Es geht mir auch nur sekundär (wenn überhaupt) darum, die Musik der Künstler, um die es hier geht, in Schutz zu nehmen. Tove Styrke, die das hier losgetreten hat, z.B. tangiert mich eher wenig. Bei Sleater-Kinney ist das freilich anders, aber das ist eine andere Ebene der Diskussion, auf die ich im nächsten Absatz eingehe. Der Kunst-oder-nicht-Kunst-Aspekt ist ein rein theoretischer.

choosefruitSind all die anderen Tracks so großartig anders? Dir zuliebe habe ich nun auch „Jumpers“ gehört. Und etwas in das Album „Dig Me Out“. Leider hab ich nichts in der Musik entdeckt, was auf mich faszinierend wirkt. Austauschbar war da schon eine gute Beschreibung.

Jumpers ist einer meiner absoluten Lieblingstracks, vielleicht sogar mein liebster Rock-Track überhaupt. Der Aufbau ist großartig, die Melancholie der Strophen geht so wunderbar in den Refrain über, wo aus Introvertiertheit ein innerer Kampf wird. Die Teenager-Suizid-Thematik ist nahegehend herausgearbeitet, im Zusammenhang mit den ständigen Stimmungswechseln finde ich das geradezu aufwühlend. Auf die ekstatische Bridge folgt plötzliche Ruhe, dann die Niederlage im inneren Kampf vor dem Schluss, den Sprung von der Golden Gate Bridge. Während der letzten Zeilen hatte ich schon mehrmals feuchte Augen: „My falling shade will draw a line / between the blue of sea and sky / I’m not a bird, I’m not a plane / I took a taxi to the gate / I will not go to school again / Four seconds was the longest wait“.

Natürlich musst du das nicht gut finden, aber es einfach mal eben lapidar als austauschbar oder gar „ohne künstlerische Note“ zu bezeichnen, nur weil du die Nummer nach einem einzigen Durchgang uninteressant fandest, finde ich nach wie vor anmaßend, sorry.

ferryJetzt wird es etwas verständlicher, auch wenn ich Dir nicht komplett zustimmen kann.
Denn auch schon die Definition von Kunst ist subjektiv, es gibt ja keine a priori feststehende Kategorie.

Natürlich gibt es einen Diskurs um den Kunstbegriff, aber der findet ja nicht anhand persönlicher Werturteile statt. Darum geht es mir.

ferryAbgesehen davon sehe ich es aber ähnlich wie Du, auch z.B. ein Dieter Bohlen macht Kunst !

Genau. Dieter Bohlens Kunst mag Scheiße sein, aber es ist Kunst. Der Begriff ist ja auch nicht automatisch positiv belegt. Vielleicht ist das der grundlegende Denkfehler bei dem ganzen.

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