Re: Stanley Kubrick

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bullitt

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Kennt das Buch schon jemand? Ich habe es vorgestern geschenkt bekommen, ein umwerfendes Teil! Eine ganz neue Definition des Mediums Buch: 41 cm x 30 cm groß, 7 Kilo schwer!

Aufgeteilt in zwei Teile, widmet sich der Band chronologisch allen Filmen. Der optische Part 1- The Films ist eine unkommentierte Abfolge von Film-Stills. In diesem Format eine völlig neue, eindrucksvolle Hernagehensweise, die Filme anhand von Detail- und Szenenfotos neu zu entdecken.
Part 2 – The creative Process beschäftigt sich dann ausführlich mit den Hintergründen und Entstehungsgeschichten zu den einzelnen Filmen. Ebenfals reichlich bestückt mit Fotos. Diesmal sind es allerdings vor allem Bilder von Dreharbeiten, Proben, Vorbereitungen etc. Außerdem finden sich hier Notizen, Interviews, Briefe, Presseberichte, Drehbuchentwürfe, Abbildungen von Requisiten, Skizzen und Essays von ihm selbst und von Kubrickexperten. Einiges davon bekam man bereits in der Kubrick Ausstellung 2002 im Frankfurter Filmmuseum zu sehen.
Auf einer Audio CD gibt es dann noch ein 70-minütiges Interview mit Kubrick von 1966. Habe ich aber noch nicht gehört. Besonderes Schmankerl ist noch das Lesezeichen, das nur der ersten Auflage beiliegt. Hierbei handelt es sich um einen 70 mm Original-Filmstreifen aus Stanley Kubricks Privatbesitz! Feine Sache. Ein durch und durch empfehlenswertes Buch!

Hier noch ein Bericht aus dem Film Dienst:

Ein Stanley-Kubrick-Buch wie ein opulentes Festmenü – keine leichte Kost, sondern sieben Kilo schwer, dennoch wohlbekömmlich und die Sinne anregend. Am besten genießt man den 544 Seiten starken Inhalt des Luxusfolianten bei Kerzenschein und klassischer Musik, die der 1999 im Alter von 70 Jahren verstorbene Meisterregisseur so trefflich einzusetzen wusste.

Die Vorspeise: Ein Stück Originalstreifen aus einer 70mm-Kopie des bis heute besten und philosophischsten aller Science-Fiction-Filme: „2001 – Odyssee im Weltraum“.

1. Gang: Hier werden vor allem die Augen cineastischer Voyeure verwöhnt. Die erste Hälfte von „The Stanley Kubrick Archives“ stellt unkommentiert, aber chronologisch geordnet Fotografien zusammen, die direkt aus den jeweiligen Filmkopien gezogen wurden. Bilder, die sich bereits ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben und längst zum (cineastischen) Weltkulturerbe gehören, die dem Betrachter aber immer wieder in Erstaunen versetzen. Von den frühen Schwarz-Weiß-Dramen „Der Tiger von New York“, „The Killing“ und „Wege zum Ruhm“ über die einzige „Auftragsarbeit“ „Spartacus“ sowie kompromisslosen Werke „Dr. Seltsam“, „2001 – Odyssee im Weltraum“, „Uhrwerk Orange“ und „Shining“ bis zum finalen Epos „Eyes Wide Shut“. Das Ganze in einer Qualität, die ihresgleichen sucht.

2. Gang: Hier werden nicht nur die Sinne des Betrachters befriedigt, sondern auch die Gelüste und der Wissensdurst des Lesers. Aufsätze von Mitarbeitern und Kennern des „Kubrick-Universums“ sowie rare Interviews (darunter das legendäre Gespräch mit dem „Playboy“, indem es um alles, nur nicht um Sex geht) mit dem Mann, der stets lieber sein Werk für sich sprechen lassen wollte, ergänzen den makellos schönen optischen Teil. Hierbei wechseln sich Standaufnahmen oder Bilder von Schauspiel- und Kostümproben (darunter die witzige Hutwahl von Alex und seinen Droogs in „Uhrwerk Orange“) mit privatem Fotomaterial ab. Letzteres widerlegt zusammen mit den Aussagen seiner Weggefährten endgültig das vorderrangig von der englischen Boulevard-Presse verbreitete Klischee, dass der liebevolle Familienmensch und passionierte Tierfreund ein zurückgezogenen lebender Misanthrop gewesen sein soll.

3. Gang: Eine CD mit einem 70-minütigen Gespräch, das Stanley Kubrick 1966 mit Jeremy Bernstein führte. Hier reflektiert der Regisseur nicht nur über die eigene Arbeit, sondern auch über filmische Vorbilder. Alles, was er sagt, ist durchdacht und von wacher Intelligenz geleitet. Noch interessanter ist dabei aber, wie Kubrick es sagt: Scheinbar gelassene Sachlichkeit und blitzschnell auflodernde Leidenschaft gehen bei seinen Antworten eine wunderbare Allianz ein. Es geht ihm immer um die Sache, um das Thema, niemals um die Zurschaustellung des eigenen Ichs. Viel wurde bereits über die klugen Augen Kubricks gesagt und geschrieben. Der vorliegende Mitschnitt des Interviews ist vor allem deshalb ein Hörgenuss, weil Kubricks jugendlich helles, dabei aber auch warmes Timbre sympathisch und vertrauenserweckend wirkt. Kubrick hatte immer wieder gute Sprecher für Filmpassagen aus dem Off ausgewählt, sowohl im Original als auch in der Synchronisation – man denke hier vor allem an Siegmar Schneider in „Barry Lyndon“ oder an Jörg Pleva, der als Alex’ deutsche Stimme in „Uhrwerk Orange“ auch den Erzählerpart übernahm – vielleicht hätte er sich auch einmal selbst besetzen sollen.

Die Nachspeise: Ein Schlusswort von Kubricks dritter Ehefrau Christiane, die er 1957 bei den Dreharbeiten zu „Wege zum Ruhm“ kennen lernte. Die ehemalige Schauspielerin und heute renommierte Malerin bringt das Gefühl auf den Punkt, das sich einem beim Lesen und Betrachten dieses einzigartigen Bildbandes bemächtigt: Stanley Kubrick fehlt. Ihr als Ehemann und Vater ihrer drei Töchter – dem Publikum als visionärer und unbestechlicher Filmemacher. Herausgeberin Alison Castle hat monatelang auf Kubricks englischen Landsitz den Nachlass des gebürtigen New Yorkers sondiert, der Glitzer und Glanz von Hollywood den Rücken kehrte, um in der Fremde die Kraft aus der Ruhe für seine Filme zu schöpfen, und reichhaltiges Material zusammengetragen: allein 800 Bilder und Materialien wurden bisher noch nicht der Öffentlichkeit bekannt gemacht.

Es gibt auch Dinge, die man bei „The Stanley Kubrick Archives“ vermisst und die zumindest in der um den Globus gehenden gelungenen Ausstellung des Deutschen Filmmuseums Frankfurt am Main zu sehen waren: Der enthusiastische, handschriftliche Briefwechsel zwischen Kubrick und Oskar Werner, den er Ende 1968 als Titelhelden seines später nicht zustande kommenden „Napoleon“-Projekts auserkoren hatte. Auch die zärtlich hingehuschte Absage Audrey Hepburns, die Bonapartes große Liebe Josephine spielen sollte, fehlt ebenso wie Liste der „Nebendarsteller“, die Alec Guinness, Peter Ustinov, Peter O’Toole, Richard Burton, Jean-Paul Belmondo und Vanessa Redgrave beinhaltete. Das fantasielose „Napoeleon“-Essay ist zudem der einzige wirkliche Wermutstropfen einer ansonsten nicht zu überbietenden Werkschau, die man nun sogar zuhause aufbewahren kann. Ein Filmbuch also auch wie ein Kubrick-Film: Maßstabsetzend im jeweiligen Genre, monumental und detailverliebt, äußerlich perfekt und innerlich aufwühlend, innovativ und ironisch zugleich, letztlich bewusstseinserweiternd.

„The Stanley Kubrick Archives“, hrsg. von Alison Castle und Christiane Kubrick.
TASCHEN Verlag, Köln 2004, 544 Seiten, zahlr. Abbildungen, Format 411 x 300 mm,
Hardcover + CD + Booklet. 150,00 EUR.

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