Re: Ich höre gerade … Musik aus dem "Global Village"

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gypsy-tail-wind
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@sparch, in Sachen Baden Powell: mit Os Afro-Sambas machst Du ganz gewiss nichts falsch – ob man die CD noch finden kann, weiss ich allerdings nicht, Universal Brasilien brachte 2004 einen Schwung Elenco-Alben auf CD heraus, die auch hier in den Grabbelkisten auftauchten – ich suchte mir zusammen, was ich kriegen konnte, daneben gab es auch ältere CDs wie „Os Afro-Sambas“ (das einzige angegebene Datum ist 1966, wohl das Jahr der Erstveröffentlichung) oder CDs von Universal Frankreich wie die beiden anderen Baden Powell, die ich vorhin hörte.

Die erste, Le Monde musical de Baden Powell, ist sehr klassisch, akustisch, er singt noch nicht selber (das übernimmt in ein paar Sütcken eine Françoise Walch, die Aufnahmen enstanden im Frühling 1964 im Hoche-Studio in Paris und erschienen auf Barclay), das zweite, Baden Powell Canta Vinicius de Moraes e Paolo César Pinheiro, ist schlichtweg grandios, Powell singt inzwischen selbst, mit Kinderstimme, völlig unmaniriert, fast kein Volumen, manche Töne trifft er nicht so ganz, aber besser kann man diese Musik (als Mann) eigentlich gar nicht singen … das Album ist mit 38 Minuten vergleichsweise überlang (lustig, dass das im Allmusic-Review als kurz betrachtet wird, Elenco-Alben dauerten auch mal bloss 22 Minuten), Powell singt zur Hälfte Songs, die er auf Texte von Vinicius de Moraes, Dichter, Diplomat, Mentor und Saufkumpan von Baden Powell komponiert hatte – die beiden waren alt und jung, arm und reich, alteingesessen und niemand, aber anscheinend verband sie eine enge Freundschaft, aus der 75 Songs resultierten („Os Afro-Sambas“ enthält auch acht von ihnen), bis nach zehn Jahren eine Schaffenskrise eintrat und beide sich neue Partner suchten (Toquinho wurde zu Vinicius‘ Gitarrist).

Von Paolo César Pinheiro stammt die zweite Hälte – mit Pinheiro wiederholte sich die Geschichte unter umgekehrten Vorzeichen: Powell war nun der ältere, der Arrivierte, der Förderer. Noch stärker zog es Powell nun zur Musik aus der Zeit vor der Bossa Nova (schon mit Vinicius widmete er sich Afro-Sambas, die von den Rhythmen und Gebeten der/des[?] Candomble inspiriert waren, andere Einflüsse waren europäisch, Vinicius mochte Wagner und Beethoven, doch zur Inspiration für die Songs holte man sich eher Balladen aus dem 19. Jahrhundert oder portugiesische Folklore aus anderen Gegenden Brasiliens). Pinheiro kam aus demselben Milieu wie Powell, aus demselben Viertel, zog zwei Jahrzehnte nach diesem durch dieselben Bars und nahm an denselben rodas de samba teil (Treffen von Samba-Musikern) wie Powell dies getan hatte. Nach der intellektuell angehauchten Lyrik Vinicius de Moraes‘ gab es nun einfachere Worte, Monologe oder Gespräche von Liebenden, Geschichten aus dem Alltagsleben. Das Album entstand 1977, wieder in Paris, diesmal für das Label Festival. Die letzten Sätze aus Dominique Dreyfus‘ Liner Notes, die ich gerade schamlos ausgeschlachtet habe:

Dominique DreyfusHere you can rediscover Baden Powell the performer, an audacity that he took a long time to allow himself, and even then only because he was forced into it by Jacques Ludin, his A&R director at the Barclay label. „Baden Powell Canta Vinicius de Moraes e Paolo César Pinheiro“ is also a voice, so frail and unpretentious that it’s totally moving; and the magic of his guitar is still present, as is the discreet efficiency of the musicians surrounding him. Thirty-eight minuts of bliss.

Trivia: die „musicians surrounding him“ sind u.a. die französischen Jazzer Raymond Guiot (fl), Raymond Katarzynski (tb) und Luigi Trussardi (b).

Beide französischen Reissues sind von 2005 und tauchten ebenfalls damals in den Grabbelkisten auf … daraus zog ich das Album, das ich gerade einlege:

Auch Luiz Bonfas Le Roi de la Bossa Nova (Fontana, rec. Paris 1962) kam 2005 bei Universal Frankreich auf CD heraus, als Bonus gibt es die Bel Air EP „En direct du Brésil – Bossa Nova + 5“, 1963 in Paris aufgenommen. Die Musik ist leichtgewichtiger als jene von Powell – Bossa halt, es gibt ein paar Schunkelnummern mit Chorgesang, die nicht unbedingt nötig wären, aber insgesamt ist auch das Album allerwärmstens zu empfehlen!

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