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Ich brauchte einige Zeit, um mich mit Verve anzufreunden. Punktuell gehörten einige Alben schon sehr früh zu meinen liebsten Aufnahmen: „Coleman Hawkins Encounters Ben Webster“ oder „Duke Ellington & Johnny Hodges Play the Blues Back to Back“ (von letzterem gab’s im Saxophon-Lehrbuch, mit dem ich mich damals mal rumschlug, ein tranksribiertes Solo). Die 10-CD-Boxen von Billie Holiday und Charlie Parker gehörten noch in meiner Teenagerzeit zu den frühen grossen Anschaffungen.
Dann kamen mir Alben wie „Diz & Getz“ oder Getz und J.J. Johnsons „At the Opera House“ in die Hände, „Sunny Side Up“, „Soulville“ von Ben Webster – ich mochte sie alle (bloss „Night Train“ überhaupt nicht), aber Verve mit seinem Mainstream-Programm irgendwo zwischen Swing und Pop wurde nie zu einem favorisierten Label.
Mit der Zeit entdeckte ich dann die Aufnahmen, die Granz mit Musikern wie Benny Carter, Ben Webster oder Johnny Hodges gemacht hat, mit Roy Eldridge, mit Harry „Sweets“ Edison – ein phantastisches Swing-Album am anderen! Und von Dizzy Gillespie gab es ja viel mehr als diese All Star-Combos (mit denen ich mich damals nicht so richtig anfreunden mochte). Und dann die „Gerry Mulligan Meets …“-Reihe, Stuff Smith … langsam kam einiges zusammen und ich begann, mich auch allmählich für die Geschichte dahinter zu interessieren. Natürlich kamen auch spätere Verve-Alben dazu, die grosse dahinrostende Box von Bill Evans etwa. Dass das ein „anderes“ Label war, wurde mir recht schnell klar, dass „Jazz Samba“ mit „The Genius of Coleman Hawkins“ recht wenig teilte – auch wenn dasselbe Logo auf den Platten prangte.
Die Pionier-Rolle von Granz, der eben – was die Geschichte oben verdeutlichen sollte – kein normaler Plattenproduzent oder Labelboss war, begann mich erst später zu faszinieren. Aus ihr heraus versteht man denn auch das seltsame Profil des „Zwischen“, das Verve in den frühen Jahren entwickelte. Granz mochte eben Charlie Parker und Dizzy Gillespie genau so sehr wie Art Tatum (die ganzen Pablo Group und Solo Masterpieces nahm er allesamt für Verve auf, aber er nahm diese Aufnahmen – als einzige? – mit, als er das Label 1961 an MGM veräusserte), wie er Roy Eldridge, Gene Krupa, Buddy Rich, Louie Bellson, Johnny Hodges oder andere Exponenten des Swing mochte.
Was Granz auch gezeigt hat – mit JATP und auch mit der Übertragung davon in die Hi-Fi-Welt des Studios, den „Norman Granz Jam Sessions“ – ist, dass die Jazzmusiker damals, und das geht wohl bis in die frühen Fünfziger, bis zum Ende der Bop/Cool-Ära jedenfalls, alle grundsätzlich dieselbe Sprache sprachen, dass man sie alle zusammen auf die Bühne stellen konnte. Solche Ansätze gab es im einzelnen auch anderswo, aber bei keinem waren sie so wie bei Granz Programm. Während andere die Grabenkämpfe schürten (so entstand bei einer Metronome All Stars Session unter Leonard Feathers Aufsicht auch der „Dixieland Stomp (Moldy Fig Stomp)“, in dem man sich recht herzlich über die – sicher in mancherlei Hinsicht niedlichen – Fans des alten Jazz mokierte. Granz hingegen nahm auch Kid Ory unter Vertrag, gesellte Buddy Rich zu Charlie Parker, Dizzy Gillespie und Thelonious Monk (und so schlimm ist der Entscheid gar nicht, klar, man hätte lieber Roach, aber cut Rich some slack!), und bei den Jam Sessions liess er sowieso alle aufeinandertreffen. Wenn man dann – um nur ein Beispiel herauszupicken – Soli von Johnny Hodges, Benny Carter und Charlie Parker direkt nebeneinander hört, dann merkt man: Granz hatte recht.
Klar aber auch, dass die frantics von JATP auch Kritiker auf den Plan riefen – nicht nur aus der high brow-Welt, die diese Wilden in ihren heil’gen Hallen nicht weiter tolerieren mochte, sondern auch aus Jazz-Kreisen. Und klar auch, dass viele bis heute gerne mal die Nase rümpfen und manch eine Produktion von Granz als reines Schaulaufen abtun wollen. Dass es das *auch* gibt: gekauft (siehe auch mein gestriger Post zu den Hawkins-Aufnahmen mit JATP – Begeisterung liest sich anders). Aber gerecht wird eine so einseitige Sicht dem unglaublich reichen Material, das Granz hinterliess, auf gar keinen Fall!
Ich habe übrigens durchaus vor, hier weiterzumachen – mit Kapiteln über JATP, Clef, Norgran, Verve – keine Ahnung, wie sich das sinnvoll bewerkstelligen lässt, aber ich fange dann einfach mal an in den nächsten Tagen oder Wochen.
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