Re: The Charlatans – Modern Nature

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maximum rhythm & blues

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THE CHARLATANS – „Modern nature“
vielversprechender Relaunch einer legendären Band

THE CHARLATANS stammen aus einer Generation mit The Stone Roses, Happy Mondays oder Inspiral Carpets, einer Bewegung, die um 1990 herum als „Madchester“ die UK-Alternative zu Grunge war und Vorläufer der noch erfolgreicheren „Britpop“-Bewegung, die Mitte der 90s mit Oasis und Blur das UK wieder zum Nabel der Popwelt machte. Anders als all die genannten Bands, trennten sich THE CHARLATANS jedoch nie, trotz Todesfällen oder Soloalben von Sänger TIM BURGESS. Anders als viele Bands hatten sie auch nicht mit ihren ersten Alben die größten Erfolge, sondern „erst“ mit ihrem fünften Album „Tellin‘ stories“ im Jahr 1997.

Nach dem Tod ihres stilprägenden Keyboarders Rob Collins 1996 hatte die Band im Jahre 2013 einen weiteren Verlust eines Originalmitglieds zu beklagen: Drummer Jon Brookes starb an einem Hirntumor, der bereits 2010 diagnostiziert wurde und so entstand auch eine lange Pause – seit dem 2010er Album „Who we touch“ – bis jetzt zur Veröffentlichung von „Modern nature“. Eine Pause, die zumindest im UK nicht dazu geführt haben, dass die Band in Vergessenheit geriet. Die dort bereits vor zwei Wochen erfolgte Veröffentlichung bescherte dem Album einen Platz 7 in den Charts – die höchste Position seit 2001!

„Modern nature“ klingt gleich auf dem Opener und der Single „Talking in tones“ ganz anders als die letzten beiden Alben der Band, die von der Produktion her den klassischen Livesound der Band einfingen. Man fühlt sich an „Simpatico“ erinnert, das gewagte Album von 2006, auf dem THE CHARLATANS versuchten neue Wege zu gehen. Nur gehen sie hier einen noch konsequenteren Weg in die Produktion, die erst einmal nicht fragt, ob die Band das live auch so umsetzen kann. Doch das macht die Stärke von „Modern nature“ aus: Die Produktion! Insgesamt sind Drums und Percussion weit vorn im Mix und dahinter sind es eher Keyboards als Gitarren, die den Sound prägen. Es passiert viel in den Arrangements und dadurch erhält das Album die Frische, die man sich von der Tatsache, dass es kein geringerer als Youth war, der das Vorgängeralbum „Who we touch“ produziert hatte, bereits dort versprochen hatte.

Wer also von der Band schrammelnde Gitarren erwartet, die von einem hektischen Beat angetrieben werden und mit Orgelsounds zugekleistert werden, während der Bass darunter in klassischer UK-Wave-Tradition das Fundament legt, wird eher enttäuscht sein. Und doch ist das Album eine spannende Wiedergeburt einer Band, die ihres Drummers beraubt sich neu findet. Und sich etwas traut. Wie zum Beispiel das grandiose „In the tall grass“, das von E-Piano, Percussion und einem tollen Kontrabass getragen wird. Oder in „Keep enough“, wo die Band zeigt, dass sie gelernt hat, dass auch nicht gespielte Noten dem Song dienen können. Aber es gibt auch Momente, wo sie ganz in Tradition ihres Oevres aufspielen wie z.B. in „Let the good times be never ending“ und auch da scheint die Produktion transparenter und besser als früher.

THE CHARLATANS sind allen widrigen Umständen zum Trotz 2015 eine Band, die immer noch lebt und bereit ist neue Wege zu gehen. Es wird sehr spannend sein zu sehen, wie sie das neue Material live umsetzen – ob sie auch live ihre bewährten Pfade verlassen werden und versuchen die neu gewonnenen Freiheiten, die ein so tragischer Schnitt ja auch mit sich bringen kann, als Herausforderung anzunehmen. „Modern nature“ ist jedenfalls ein Album, das eine neue Phase in der Band begründen kann. Wünschen wir ihnen dabei das beste, der Ansatz ist sehr vielversprechend!

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Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue