Re: 2015 – Erwartungen und erste Eindrücke…

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SokratesManche Dinge sind intim und persönlich und gehören nicht in die Öffentlichkeit. Bzw. wenn sie in die Öffentlichkeit gelangen, befriedigen sie nur billige Motive (Vgl. Ezra). Wenn man Persönliches zum Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung macht, müsste man stark verschlüsseln; das geht aber gar nicht, wenn man schon weiß, dass die Eltern gemeint sind. Dann lieber lassen und über was anderes singen. Macht man es trotzdem, droht es peinlich zu werden oder bei den Betroffenen Schamgefühle auszulösen, bei manchen Hörern wahrscheinlich auch das gern bemühte Fremdschämen.

Ist das nicht bei Kunst eher die Regel als die Ausnahme, dass Persönliches zum Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung wird? Da hast „Ezra“ erwähnt, aber man könnte auch Thomas Mann nennen, der sein Leben lang Menschen aus seiner Umgebung portraitiert hat, angefangen bei den „Buddenbrocks“. Stevens Beschäftigung mit Mutter und Stiefvater finde ich da sehr behutsam. Seine verstorbene Mutter war psychisch krank, alkoholsüchtig und hat die Söhne sitzen lassen. Da würde ich ihm nicht einmal vorwerfen, wenn er sie in den Texten verfluchte. Und Lowell, sein Stiefvater, ist ja Leiter von Stevens Label Asthmatic Kitty. Insofern scheint da ja eine stabile Beziehung zu bestehen.

Da gibt es für mich viel krassere Bespiele der Auseinandersetzung, angefangen bei den ödipalen Fantasien John Lennons („Mother“) bis hin zu Roger Waters „The Wall“ oder den sehr selbstzerstörerischen Texten einer Sharon Van Etten.

Mich berührt es eher peinlich, wenn ich durch einen Buchladen gehe und reihenweise Bücher finde, in denen Leute aus Lebenskrisen versuchen Geld zu machen und über ihr Burn-out Syndrom schreiben (hätten sie wirklich ein schweres Burn-out Syndom, hätten sie gar nicht die Energie, darüber 300 Seiten zu labern), über die Demenz von Oma Frida oder den Krebs ihres Dackels.

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