Re: "Handgemachte Musik" – Sinnvoller Begriff oder überholte Vorstellung?

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bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

Beiträge: 2,238

latho… keiner „handgemacht“ schlüssig definieren konnte.

Naja, eine Definition liegt ja schon in der Luft:

Unter „handgemacht“ verstehen offenbar einige in diesem Forum Musik, die mit im Kern traditionellem, sprich, zumindest in Vorformen seit Jahrhunderten gebräuchlichem Instrumentarium (Saiten-, Tasten-, Blasinstrumente) gespielt wird. Elektrische Klangverstärkung scheint dabei aber absolut in Ordnung zu gehen, es muss offenbar nicht unplugged sein, bei E-Gitarre oder Hammond-Orgel wird die über eine ähnliche manuelle Handhabung gegebene Nähe zu den „Urformen“ Gitarre und Klavier als ausreichend empfunden. Auch elektrische Klangveränderung wie zum Beispiel Verzerrung scheint nicht als Irritation des „Handgemacht“-Prinzips wahrgenommen zu werden. Des weiteren wird es wohl so empfunden, dass sich dieser Charakter der „Handgemachtheit“ vor allem im Live-Kontext voll entfaltet – der Zuhörer hört genau das, was die Musizierenden gemeinsam grade eben in dem Moment so treiben, und kann akustisch und visuell nachvollziehen, wer gerade durch welche manuelle Verrichtung welchen Ton zum Gesamtklang beiträgt. Diese Transparenz scheint oft als „Ehrlichkeit“ empfunden zu werden.

„Handgemacht“ scheint der Abgrenzung gegenüber Musizierweisen zu dienen, bei denen daneben auch (oder ausschließlich nur) modernere „Instrumente“ wie Sequenzer, Sampler, Drum-Maschinen, Turntables etc pp zum Einsatz kommen und/oder rein elektronische/digitale Effekte, Signalbearbeitungen und Klangquellen (wie Synthesizer) eine sehr wichtige Rolle spielen und/oder mit einem einzigen Knopfdruck ganze, zeitlich vor dem Live-Auftritt womöglich andernorts, zum Beispiel im Studio, vorbereitete Ton-, Klang-, Beatsequenzen abgerufen werden.

„Handgemacht“ wäre demnach eine andere, kürzere, griffigere Bezeichnung für „Live-Musik, die den bis etwa Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts eingeführten und gebräuchlichen Musiziergewohnheiten gehorcht, im 21. Jahrhundert daran festhält und auf die Nutzung modernerer Musikproduktionsmöglichkeiten bewusst verzichtet“.

Entschuldigung, wenn sich das jetzt etwas ethnologisch anhört, als ob ich mir Gedanken mache über die rätselhaften Kultformen ferner Völker.

Oder nochmal ganz anders: Wenn mir jemand sagt, er stehe auf „handgemachte Musik“, dann habe ich allein aufgrund dieses einen kleinen Wortes sofort eine ziemlich konkrete Vorstellung, was ihm wohl gefällt und was nicht, was ihn beim ersten Hören gleich begeisternd anspringt, was er vermutlich nach dem zweiten Hören gelten lassen wird, was er wahrscheinlich auch nach dem dritten Hören noch missträuisch beäugt, was er zur Not akzeptieren kann, auch wenn es ihm emotional fremd bleibt, und was er spontan doof finden wird.

Insofern finde ich das Wort „handgemacht“ erhellend, wann immer es fällt, und insofern kommunikativ nützlich.

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