Re: Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.

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mikko
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Mein Review aus Guitars Galore 242:

Steven Wilson – Hand, Cannot, Erase (CD/2LP, K-Scope)

Progressive Rock ist also wieder da. Richtig weg war er ja nie. Aber in den Charts so weit oben (Immerhin Platz Drei hier in Deutschland, und nach einer Woche nicht gleich wieder raus) war schon sehr lange keine LP mehr, die unter diesem Moniker geführt werden kann. Während Steven Wilson beim Vorgänger „The Raven That Refused To Sing“ doch sehr nah und vor allem zu ehrfürchtig an den Vorbildern klebte, ist diese Platte hier nun eine vollkommen selbstverständliche und eigenständige Angelegenheit, die ihre Vorbilder natürlich nicht verleugnet, aber doch sehr selbstbewusst und mit fast schon eigenem Stil daherkommt. Mal abgesehen davon, dass ein großes LP Klappcover und ein Beiheft in eben diesem Format natürlich viel mehr her machen, als so ein fipsiges CD Booklet, sollte man aber auch die Vinylversion hören, denn sie klingt tatsächlich runder, wärmer, in einem Wort angenehmer. „Hand, Cannot, Erase“ ist zwar kein klassisches Konzeptalbum, aber es beschäftigt sich schon durchgängig mit einem Thema. Das unbemerkte Verschwinden, der jahrelang unbemerkte Tod einer jungen Frau gab Steven Wilson so viel Anlass zum Nachdenken, beschäftigte ihn so sehr, dass er dieses Album daraufhin konzipierte. Was bleibt von einem Menschen, wenn sie/er verschwindet? Wie gleichgültig ist uns unsere Umgebung? Woran erinnern wir uns eigentlich, wenn jemand aus unserem Bekanntenkreis auf einmal nicht mehr da ist? Musikalisch ist das entlang den klassischen Mitteln des Seventies Prog Rock umgesetzt. Ein weitgehend ruhiges, melancholisches Album ist dabei entstanden. Natürlich hört der fachkundige Rezipient immer mal wieder Anleihen bei den Originalen der frühen Seventies. Ich nehme an, diese musikalischen Bezüge sind mehr oder weniger unbewusst in die Kompositionen und Arrangements Wilsons eingeflossen. Meine Assoziationen waren bei „3 Years Older“ die Moody Blues aber auch The Who. Natürlich beziehen sich solche Assoziationen eher auf einen bestimmten Gitarrensound, ein Melodieschnipsel oder einfach nur eine Stimmung. Später dann bei „Routine“ etwa fallen mir die frühen Genesis ein. Dann wieder Pete Townshends Gitarrensound bei „Home Invasion“ aber genauso natürlich auch Steve Howe. Und schließlich muss ich ELP und „Knife Edge“ denken an einer Stelle bei „Regret #9“, glaube ich. Das alles stört aber nicht. Warum auch? Es macht mir die Platte, die Musik gleich sympathisch. Hier ist was, das baut auf Dingen auf, die ich kenne und schätze. Und Wilson macht wie gesagt etwas ganz Eigenes daraus. Er spielt mit Traditionen, in diesem Fall vielleicht sogar ganz bewusst. Übrigens empfehle ich auch, die Platte am Stück zu hören und in der Reihenfolge wie vorgesehen. Es findet nämlich durchaus eine Entwicklung statt. Und die Balance zwischen den Stücken ist beabsichtigt. Griffe man einzelne Tracks heraus, erschlösse sich diese Balance nicht und das Hörerlebnis wäre zumindest gestört, wenn nicht sogar zerstört. Ich bin von der Platte durchaus beeindruckt. Und ich höre sie momentan sehr gern und immer wieder. ****

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