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jazzfest berlin, 7.11.2015, kaiser-wilhelm-gedächtniskirche
samstag nachmittag, im blauen licht der egon-eiermann-kirche, kaum etwas dringt vom shoppingwahnsinn des tauentziehn, wo schon die ersten weihnachtsmarkthütten aufgebaut werden, ins innere. drinnen allerdings ist der ganze raum mit jazzfest-berlin-besuchern vollgestopft, in der jeder nische sitzt jemand, einige haben die stühle bis zur kanzel gestellt und umgedreht, damit sie die necks auch sehen können, durch das ganze blau hindurch. abrahams, swanton und buck sitzten auf der orgelempore, die schlank in den raum hineinragt. was abrahams auf der karl-schuke-orgel 60 minuten fabriziert, kann man aber ohnehin nicht nachverfolgen, er sitzt wie eingebaut vor dem riesenkasten und zieht register. interessante klangfarben sind vorinstalliert: schalmei, nachthorn, rauschquinte, vox humana, spanisch cornett. abrahams, mit dem ich hinterher kurz reden konnte, hat den ganzen april hindurch sich mit der orgel vertraut gemacht, in den letzten tagen nochmal sehr intensiv. es ist das vierte mal überhaupt, dass die necks mit orgel live improvisieren. und das erste mal in einer kirche.
in den ersten 10 minuten passiert erstmal nichts. lauter kleine ideen in verschiedenen farben, manchmal steigt der bass kurz ein. aber abrahams gibt alles sofort wieder auf, sucht, verwirft, entwickelt nichts. die aufmerksamkeit geht von der musik weg. man schätzt die geringen rot-, grün- und gelbwerte im überwältigenden blau der glasfensterstein. ein außen wird überdeutlich inszeniert, aber eigentlich dringt nichts hindurch. im alterraum der große goldene christus, schwer in der luft hängend wie der orgelsound, der, hoppla, plötzlich angeschwollen ist. abrahams ist dazu übergegangen, schnelle arpeggien zu wiederholen, während swanton sie auf eine harmonische reise schickt und buck mit rasseln und hölzern klappert, als wäre bei ihm wind aufgezogen. die musik beißt sich fest, wird fett, kreiselt, dröhnt. an den füßen merkt man die bodenerschütterung durch die u-bahn. ein höhepunkt wird in 30 minuten aufgebaut, vorhersehbar und doch wieder nicht. der sound ist markerschütternd und seine quelle nicht mehr analysierbar. irgendwann glaube ich, dass hinter mir ein flugzeug startet. dann, im größten krach, spielt abrahams plötzlich ein lupenreines prog-rock-solo (soweit ich das beurteilen kann). jedenfalls völlig irre, im angefülltesten moment plötzlich die große rockgeste. irgendwie aber auch nachvollziehbar, so eine bewegung ins weltliche. dann ein traumhaft schönes verblassen, über weitere 20 minuten, am ende minutenlang nur noch einzelne basstöne und ein bisschen geraschel von den drums. abrahams großes gerät schweigt. dann, auf den punkt genau, wenn man sich sicher ist, dass die musik aus ist, hebt er plötzlich nochmal an, eine coda, orgel solo, kirchenorgel-solo sogar, damit man wieder weiß, wo man ist. geht hin, ihr gläubigen gedanken. zwischendruch setzt – wie immer – die erinnerung aus. man hat noch eine passage von vor wenigen minuten im ohr, hört dann in die aktuelle bewegung hinein und bringt beides nicht zusammen.
ein set, das war’s. ist das nachthorn zum einsatz gekommen? oder war es der holzblock des drummers mit resonanz der u-bahn? wieviel rot und grün und gelb gab es in der mischung der klangfarben? verwirrt stolpert man aus der kirche und steht vor zugenagelten weihnachtshütten.
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