Re: ROLLING STONE: essential reading?

#9086197  | PERMALINK

bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

Beiträge: 2,238

otisdass die Rolle des Journalisten sich wandeln muss, vom kommentierenden zum aufdeckenden, zum zusammenfassenden, zum ergänzenden.

Das glaube ich auch.

Eine neue Scheibe von XY erscheint? Z erwägt Kooperation mit A? All das haben Zeitschriften früher geleistet, heute sind sie mit ihren Erscheinungszyklen gegenüber der Internet derartig weit hinten dran, dass man nicht einmal mehr von einem Konkurrenzverhältnis reden kann. Wer heute in Sachen Pop am Echtzeitfaktor interessiert ist, am Be here now, wer den Puls der Zeit fühlen möchte, wer es spannend findet, das Gras wachsen zu hören, Geheimtipps zu entdecken, die Zukunft in der Gegenwart aufzuspüren, der braucht das Internet – die ersten Foren-Gerüchte, die ersten Blogosphären-Irrlichter, die ersten Soundschnipsel, die ersten Dateien … wer sich dieser Ebene heute verweigert, der verweigert sich dem Pop heute [und genau deshalb fand ich die Kritik von tops an Roseblood so daneben – wenn man heutzutage einem Pop-Interessierten seine Netz-Affinität vorhält, dann kommt mir das echt schräg vor; Zeitschriften oder Vinyl-Singles, das waren früher die Aktualitäts-Medien – heute sind sie oft eher Kultivierung-, Musealisierungs-, Historisierungs-, Stilisierungs-Medien].

Wenn eine Zeitschrift aber zeitlich so weit hinten dran ist, dann kommt sie auch mit ihren Wertungen, Plattenkritiken, Verdikten und Hymnen in der Regel erst dann auf den Markt, wenn das Internet bereits voll ist von einordnenden Stimmen – sowohl Amateure als auch Profis haben massenhaft ihre Meinungen kundgetan, hippe Multiplikatoren wie Fantano, routinierte Rezensions-Profis auf Spiegel Online, unbekannte Trüffelscouts in ihren Blogs, Unmengen von Leuten im RS-Forum. Eine nachträgliche Ex-Cathedra-Einordnung im Print-RS wirkt da oft arg altväterlich, hinkt einfach schwer hinterdrein, wie kompetent sie auch sein mag. Die natürliche Autorität, die sich früher aus der medialen Quasi-Monopolstellung ergab, ist durch das Internet längst aufgeweicht – wenn dann noch der Verzögerungseffekt hinzukommt, wird der Print-Kritiker, wenn er nicht verdammt aufpasst, zum Oberlehrer, der die Trends der Kids erst verschläft und dann nachträglich benoten möchte.

Ich glaube also, dass die Zukunft einer Musikzeitschrift heutzutage nicht mehr in ihrer Rolle als Meinungsführer, als oberste Bewertungsinstanz liegen kann.

Größere Trends ausmachen, Zusammenhänge herstellen, Entwicklungslinien nachzeichnen, Überblicksperspektiven wagen, Hintergründe ausleuchten, all das pushen, wofür im Aktualitäts-Getriebe kaum Zeit bleibt – das könnten Bereiche sein, in denen Musikzeitschriften auch heute noch ihre Stärken ausspielen können. Und zu manchen Persönlichkeiten können sie nach wie vor privilegierten Zugang haben und damit profunde Einblicke eröffnen (Sonic Juice hat als Beispiel die Miley-Cyrus-Geschichte genannt – kann ich nachvollziehen!). Auch das kann also ein Profilierungsfeld sein.

Ich weiß, das ist ziemlich vage – aber wenn ich es genauer fassen könnte, würde ich von Zeitschriftenverlagen hohe Berater-Honorare kassieren.

--