Re: ROLLING STONE: essential reading?

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monoton

Registriert seit: 07.02.2010

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Ich habe bislang alle Ausgaben, selbst die ersten Versuche in den 80ern, des deutschen RS gekauft und mal mehr, mal weniger anteilig und interessiert gelesen. Die meiste Zeit über war ich Abonnent, habe aber 2 mal aus Frustration gekündigt und erst kürzlich ein drittes Mal das Abo abgeschlossen. Gründe für das Kündigen waren die schon von anderen genannten: Werbung und Podium für Politik und Industrielle, zu viele thematische Wiederholungen, Promo-Themen. Gründe für das zuletzt erneut abgeschlossene Abo waren: Ich kaufe es ohnehin, warum es sich dann nicht liefern lassen und die Erkenntnis, dass mir die (physische) Existenz des deutschen RS wichtig ist. Mich erschreckt schon eine Weile die Agonie einzelner Printmedien aufgrund permanent aktueller und kostenloser Verfügung von Informationen im Internet. Natürlich habe ich nichts gegen Vielfalt und Verfügbarkeit von Informationen, aber ich beklage den Umstand, dass die gegenwärtige Gesellschaft immer weniger bereit dazu ist, Kunst (insbesondere Musik und Film), Kultur und geistiges Eigentum angemessen oder überhaupt zu entlohnen. Mir bedeutet professioneller Journalismus viel. Für dessen Erhalt bezahle ich gerne meinen Anteil.

Meiner Meinung nach gibt es aber noch etwas Entwicklungsbedarf:

– Der RS braucht nicht jeden aktuellen Trend zu verfolgen oder gar zu entdecken. Dafür ist er schon als monatliches Format gar nicht geeignet. Trotzdem sollte er Zeitgenössisches häufiger und bestimmter, sowie ausführlicher und hintergründiger vertreten. Miley Cyrus und Sasha Grey bspw. waren gelungene Ansätze. Auffällig ist aber, dass bestimmte marktrelevante Bereiche der populären Musik eigentlich kaum stattfinden: Bspw. Rap, RnB + Elektro. Gut, Ihr habt aktuell ein Eminem Interview und man kann entgegnen „dafür gibt es doch eigene Fachzeitschriften“, trotzdem besteht aktuelle Pop-Musik doch zu großen Teilen genau daraus. Auch das amerikanische Mutterblatt hat, zumindest mit Rap und RnB, deutlich weniger Berührungsängste.

– Rap und ein Stück weiter: Mir fällt leider immer wieder der Umstand auf, dass die Musik schwarzer Künstlerinnen und Künstler auffallend unterrepräsentiert ist. Gründe hierfür erklären sich mir nicht auf Anhieb und natürlich unterstelle ich keinerlei Fremdenfeindlichkeit. Trotzdem gibt es eine unglaubliche Vielzahl schwarzer MusikerInnen der letzten 60 Jahre, deren Aufbereitung Fest und Wonne für alle Beteiligten sein könnten.

– Kultur: Bewegt Euch öfter mal in Richtung Klassik und Jazz. Auch sehe ich weitere Möglichkeiten darin, sich außermusikalisch zu bemühen. Filme und Serien sind sicher präsent in unserer Gegenwart und finden bei Euch auch statt. Weitere Möglichkeiten sehe ich in der Malerei – das Neo Rauch Heft bspw. war großartig, egal ob man Rauch mag oder nicht / stellt Euch bitte einmal vor, Ihr könntet Gerhard Richter für ein Portrait gewinnen!! – , in anderen bildenden Künsten, Museen, Ausstellungen, Fashion, Architektur, Design, Fotografie. Ihr solltet öfter mal Kulturzeit auf 3Sat sehen. Einige deren Äcker könntet Ihr durchaus auch bestellen, sogar die politischen. Bspw. könntet Ihr Umstände der bald beginnenden olympischen Winterspiele beleuchten oder ein abseitiger Blick nach Syrien oder Zentralafrika. Natürlich die gutausgeleuchtete Facette und nicht das große Ganze.

– Deutschland: Warum in die Ferne schweifen.. Ihr solltet ortsnahe Koryphäen nutzen. Und fördern. Damit meine ich natürlich nicht Campino, Niedecken und co. Die macht Ihr ja (leider viel zu viel). Wo bleiben die Ausführlichkeiten zu Max Richter, Hauschka (und Hilary Hahn – na gut, die spricht nur toll deutsch), Moritz von Oswald, Wolfgang Voigt, Jan Jelinek, Pole (Stefan Betke), etc. Im aktuellen ME schreibt Sven Regner über Andreas Dorau. Auch das ist grundsätzlich eine gute Idee. Lasst mehr Künstler über Künstler schreiben. Und das müssen auch gar nicht nur Musiker sein. Relevante Regisseure, Schriftsteller, Designer sind ebenso willkommen.

– Habt mehr Mut! Möglicherweise verkauft sich ein Exemplar mit einem „Dinosaurier“ auf dem Cover (in Bild oder Schrift) bei einer gewissen Zielgruppe besser, wünschen würde ich Euch aber eher Entschiedenheit und Stolz bei Auswahl und Sichtweise. Ihr seid der fuckin‘ Rolling Stone! Holt die glühende Feder heraus, positioniert Euch, schafft Sichtweisen und zettelt Diskussionen an. Es sollte egal sein, über wen Ihr schreibt, wichtig wäre es, dass man keine Ausgabe verpassen möchte, weil hier Zeichen der kulturellen Zeit gesetzt werden.

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