Antwort auf: Yusef Lateef (1920-2013)

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Das erste Atlantic-Album, „The Complete Yusef Lateef“ (SD 1499) wurde am 1. Juni 1967 eingespielt, ein Jahr nach dem letzten für Impulse. Das Format war immer noch dasselbe: Lateef mit Tenor, Flöte, Oboe und auch dem Altsaxophon, sowie eine erstklassige Rhythmusgruppe, in der hier vor allem der Bassist heraussticht, Cecil McBee. Am Klavier und Schlagzeug sind erneut Hugh Lawson und Roy Brooks zu hören. Das Album sieht von aussen also wie eine nahtlose Fortsetzung aus – aber dennoch hat sich etwas geändert.

Da sind sie zwar immer noch: die tollen Minimal-Grooves (in „Rosalie“, dem Opener, einem Traditional), der funky Blues an der Oboe („In the Evening“ von Leroy Carr) über einer fetten Begleitung der Rhythmusgruppe, die phantastischen Tenorsoli (auf „Kongsberg“) … Lateef hat sein Ding natürlich noch immer drauf! Allerdings ändert sich doch einiges. Mir scheint die Sache in etwa parallel zum Fall von Freddie Hubbard zu liegen, als dieser von Blue Note zu Atlantic wechselte. Joel Dorn (keep a light in the window) pflegte offensichtlich keinen „hands off“-Approach, wie er bei Prestige üblich war und liess den Musikern vermutlich auch weniger Freiheit – oder Mitspracherecht -, als das bei Alfred Lion oder Bob Thiele der Fall war. Oder aber: das Label verlangte nach anderer Musik, nach zugänglicherer, markttauglicherer. Atlantic war ja damals im Bereich der Populärmusik ein wichtiger Player. Mich dünkt, das färbte auf die Jazz-Produktionen ab und manchem Künstler bekam das besser (Eddie Harris etwa, der sich damit wenigstens streckenweise sehr gut arrangieren konnte und sich neue Freiräume schaffte, man höre etwa sein „Silver Cycles“ von 1968), bei anderen führte es zu einer Art Verwässerung der Musik (das würde ich bei Hubbard so behaupten, auch wenn ich da längst nicht alles kenne, aber „Backlash“ kommt mir ein wenig vor wie „The Sidewinder“, „The Rumproller“ und ein paar Pfund Boogaloo eingekocht und in kleinen Häppchen wieder ausgeschieden).

Bei Lateef ist es so, dass man mit Wohlwollen in „The Complete Yusef Lateef“ auch eine Art Essenz hören könnte – doch glaube ich eher, dass die in den Impulse-Alben zu finden ist. Die Konzentration, die Miniature, die Kürze – in der aber ALLES steckt, was Lateef zu bieten hatte, seine ganze Auslage in einer halben Stunde, Wolgaschiffer und Bruder Jakob inklusive. „The Complete“ scheint mir etwas zu mäandern, allerdings auf sehr hohem Niveau. McBees Bass ist eine Bereicherung (ich hätte ihn gerne direkt nach Workman schon bei Impulse gehört! „The Golden Flute“ ist bei mir etwas gewachsen, aber Wright ist halt doch eher der Bassist, der – perfekt und kompetent und mit phantastischem Sound und oompf – durch die Moves geht, als dass er wirklich inspirieren würde). „The Complete“ dürfte auch das erste Album sein, das bloss drei Originals von Lateef enthält. Die sieben Stücke sind insgesamt etwas länger, aber das Album wirkt doch etwas brav. Es gibt Broadway-Songs („Stay with Me“, toller Bass von McPhee und ein schönes Lawson-Solo, ‚teef an der Flöte), Blues und Traditionals („Rosalie“, „In the Evening“, „See Line Woman“) und Originals von Lateef („Kongsberg“, „Brother“ und „You’re Somewhere Thinking of Me“).

Auf „See Line Woman“, dem von Nina Simone unsterblich gemachten Song, den ein Musikethnologe 1939 auf einem field trip zum ersten Mal aufgezeichnet hat (als „Sea Lion Woman“). Der Groove ist ansteckend, the Beat von Brooks aber gar simpel. Wie auch auf „Rosalie“ stösst Sylvia Shemwell (von den Sweet Inspirations) am Tamburin zum Quartett. Lateef spielt Tenor, zupackend, sehr überzeugend, und – auch das ein Novum – via Overdubs auch Querflöte. Das ganze wirkt auf mich etwas überladen, die grosse Kunst des Lateef’schen Tenors lebt auch von der Aussparung, der Reduktion – davon, dass er nie einen Ton verschwendet. Hier wird mir alles etwas zuviel, ich würde lieber das Tenorsolo über einer spärlicheren Begleitung hören, lieber mit Rebab und Pedal Point als mit Boogie Woogie Boogaloo Tamburin Groove plus Flötengirlanden.

Auf „Brother“ spielt Lateef wieder Altsaxophon, auch hier ist der Groove simpel, eine krampfhaft wiederholte Basslinie, die etwas zu hektisch ist, als dass McBee seinen tollen Ton singen lassen könnte. Lateefs erste Linien erinnern ein wenig an Labelmate Eddie Harris‘ Tenorspiel. Im Solo wechselt McBee dann zu anderen Bass-Riffs und die Sache wird etwas entspannter. Warum Lateef das mit dem Altsax machen wollte, weiss ich jedoch nicht so recht, wie schon auf „A Flat“ funktioniert das in meinen Ohren nur halbwegs. Don’t accept no substitute, es gibt nur ein Saxophon für Lateef!

Der Closer bringt dann noch eine Premiere: Lateef singt … in einer Art Singsang wiederholt er die Titelzeile und singt eine Art Blues. Aber na ja – das beste an dem Stück ist eindeutig McBees Bass.

„The Blue Yusef Lateef“ (SD 1508) wurde an zwei Tagen im April 1968 eingespielt und scheint in den letzten fünfzehn Jahren das omnipräsente Lateef-Album gewesen zu sein. Wo immer es in einem CD-Laden ein Lateef-Fach oder eine Lateef-CD unter „L“ gab, es war „The Blue Yusef Lateef“. Ob das Album wirklich eine Art Ikone ist, weiss ich nicht, ich hatte erhebliche Anlaufschwierigkeiten damit.

Das hat auch damit zu tun, dass die leitende Hand Joel Dorns hier wirklich zum wesentlichen Mitwirkenden neben Lateef selbst wird. Es gibt ein Streichquartett, es gibt Backing Vocals von den Sweet Inspirations, Bluesharp von Buddy Lucas … aber am Ende funktioniert das Album doch ganz gut und fügt Lateefs bisherigem Schaffen eine neue Dimension hinzu.

Die Band ist ähnlich wie zuvor: Hugh Lawson (p), Cecil McBee (b) und Roy Brooks (d) sind immer noch an Bord, Bob Cranshaw (elb), Kenny Burrell (g), Sonny Red (as) und Blue Mitchell (t) stossen hinzu, zudem wie gesagt ein Streichquartett und die Sweet Inspirations.

„Juba Juba“ ist eine Hymne, eine Art Work Song mit den Sweet Inspirations und Lucas, ein sehr stimmungsvoller Opener. „Like It Is“ öffnet dann mit einem längst klassischen Lateef-Groove, karg, sparsam … doch dann die Überraschung: es stösst nicht nur der Leader dazu (zunächst an der Flöte, dann am Tenor), sondern auch ein Streichquartett (unter Primgeiger Selwart Clarke, der an mancher Jazz-Session beteiligt war). Das Stück gibt es unter anderem Titel schon auf einer früheren Lateef-Platte, glaube ich, aber ich mag jetzt nicht nachhören gehen – es klingt jedenfalls bis ins Tenorsolo hinein vertraut – ist aber gut! Die Streicher spielen übrigens nur während der Präsentation des pentatonischen Themas, das lateef auf seiner selbstgemachten Bambusflöte (mit Einsatz der Stimme) präsentiert. Und die Streicher sind klasse, sie geben dem Stück etwas Gespenstisches.

„Othelia“ ist ein Blues-Rocker mit E-Bass (und Kontrabass) und einem Bläser-Riff, vor dem Lucas‘ Bluesharp das Thema präsentiert und dann etwas rifft, während dem Lawson rollende Akkorde legt. Lateef steigt am Tenor ein, zu leise im Mix, mit honkenden Linien, während Brooks in einen schwerfälligen Beat fällt. Kein Highlight. Das folgende „Moon Cup“ lebt von quirligem Gesang Lateefs, der in den Liner Notes schreibt, es sei „a modern Plainsong (also called Plainchant) derived from a cantus firmus constructed on the medieval Phrygian scale (white keys on the piano from E to E.) Medieval Plainchant, through the ages, has handed down to us Ambrosian chant, Hindu chant, Byzantine chant, etc., but Moon Cup is a Tagalog chant. The lyrics are derived from a dialect of the Phillipine Islands. The virile continuous Chaconnic variations of the rhythm section and the pathotic and delicate counterpoint of the Taiwan Koto along with the sensitive melismatic chanting gives and extraordinary impression. The chant tells a story of love and brotherhood.“ Nunja … Gesang und Koto übernimmt Lateef natürlich selbst, der Groove ist klasse, aber mit dem Gesang weiss ich wenig anzufangen.

Die zweite Hälfte öffnet mit dem fünften Lateef-Original am Stück, „Back Home“, in dem er an der Shenai ein tolles Solo spielt, über einen hypnotischen Groove, in dem die zwei Bässe toll eingesetzt werden und die Sweet Inspirations Akzente hauchen oder flüstern. Im Thema kommen die anderen Bläser wieder zum Einsatz. Mit „Get Over, Get Off and Get On“ folgt dann ein Blues konventionellerer Machart im 5/4 und über die dorische Tonleiter, geschrieben von Hugh Lawson. Lateef am Tenor, ein Bass-Ostinato, aus dem McBee die Töne dann weit ausschwingen lässt, wie nur er es kann. Das erste Solo gehört Buddy Lucas (der leider kein wirklicher Solist ist, ich finde sein Spiel zu diesem Zeitpunkt bereits ein wenig ermüdend), dann folgt Lateef am Tenor mit einem tollen Solo. Es folgt „Six Miles Next Door“, noch ein rockiger Blues über eine Boogie Basslinie. Kenny Burrell spielt ein schönes Solo, aber das Stück (von Lateef) ist dennoch ziemlich eintönig. Den Abschluss macht dann „Sun Dog“ (erneut von Lateef), ein weiterer Blues mit einer etwas interessanteren Begleitung ohne elektrische Instrumente und Bluesharp. Lateef spielt ein tolles Tenorsolo und damit endet die Sache auch schon wieder.

Am Ende doch irgendwie ein ganz gutes Album, wenngleich ein paar Stücke in meinen Ohren ziemlich durchfallen.

(Und bitte, man frage mich nicht, was „pathotic“ oben genau heissen soll.)

Die CD enthält einen langen Bonustrack, Lester Youngs „DB Blues“ von einer Session aus dem Jahr 1976, als Lateefs Atlantic-Jahre endeten. Zu hören ist er am Tenor im Quartett mit Kenny Barron (p), Bob Cunningham (b) und Albert Heath (d), seiner in den frühen Siebzigern regulären Tour-Band. Lateef öffnet am Tenor, solo, mit diesem leichteren Ton, den er auch in Balladen des öfteren Mal drauf hatte. Die ersten scheuen Honks erinnern mal wieder daran, dass Pres der „original honker“ war. Lateef greift aber bald in die Vollen, während die Rhythmusgruppe geölt begleitet. Barron legt Akkorde, Cunningham walkt und Heath akzentuiert. Hier hört man den Lateef, der in der Atlantic-Zeit zunehmend abhanden gekommen ist. No bullshit, einfach ein schönes Tenorsolo mit einer guten, aber mir etwas zu braven Rhythmusgruppe.

„Yusef Lateef’s Detroit: Latitude 42° 30′ – Longitude 83°“ ist der Titel von Lateefs drittem Atlantic-Album (SD 1525). Es erschien im April 1969 und wurde an zwei Sessions im Februar eingespielt. Das letzte Stück des Albums ist ein Überbleibsel aus den Aufnahmen zu „The Complete“ (Juni 1967).

Dorn schreibt in seiner Einleitung zum Rhino-Reissue von 2004: „As with the first two [of the eight or nine albums Yusef and I made together for Atlantic in the ’60s and ’70s], I came up with the concepts, he came up with the music.“ Es gibt wieder Streicher, Gastmusiker, Overdubs und im Zentrum steht erstmals nicht Lateefs working group. Zu hören sind Eric Gale (g), Cecil McBee (b), Chuck Rainey (elb), Bernard Purdie (d), Albert „Tootie“ Heath (perc), Norman Pride oder Ray Barretto (cga), dazu ein Trompetenchor, der aus Danny Moore bzw. Thad Jones, Snooky Young und Jimmy Owens besteht. Auch ein Streichquartett ist auf ein paar Stücken zu hören, dieses Mal mit Selwart Clarke und Gene Orloff an den Violinen, beides Session-erprobte Musiker.

Dorns Devise war es, Alben zu schaffen, die nicht wiederholen, was es bereits gab; Lateef hatte 1966, nach dem Ende seines Impulse-Vertrages, zwanzig Alben auf dem Markt, die Strategie Dorns machte also durchaus Sinn. Wenn wir hier beim Rückblick sind, um das nochmal zu verdeutlichen: allein 1957 hatte Lateef mit seiner Working Band über sieben Alben eingespielt – ohne dass dabei ein einziges Stück zweimal zu hören gewesen wäre!

Mit „Yusef Lateef’s Detroit“ ging, so finde ich, das Konzept perfekt auf. Lateef ist – von zwei Gitarrensoli Gales abgesehen – der einzige Solist, er ist mit viel Herz bei der Sache, die Scheibe ist eine Art Erforschung – geographischer, biographischer, seelischer Natur – seiner engen Verbindung mit der Stadt, in der Lateef aufwuchs, seine ersten musikalischen Schritte machte, in die er in den frühen Fünfzigern nach Söldnerjahren in Big Bands seiner erkrankten Frau zuliebe zurückkehrte, wo er seine Studien wieder aufnahm, später den regelmässigen Gig im Klein’s spielte, der am Anfang seiner eigentlichen Karriere als Bandleader stand.

Dass Lateef und die Hausband von Atlantic kein Problem miteinander haben, überrascht ja eigentlich nicht, denn Lateef war ja immer schon irgendwie funky. Er spielt auf dem Album vornehmlich Tenorsaxophon, aber auch die Flöten kommen zum Einsatz. Im schnellen Opener „Bishop School“ (mit Streichern und zickigem Groove von Rainey) etwa, in dem Lateef auch eine Art Sprechgesang zum besten gibt und mal wieder seine Stimme verfremdet mit Hilfe irgendeines kleinen Flöten-Dinges. „Livingston Playground“ ist einem Spielplatz gewidmet – wohl einem der Orte von Lateefs Kindheit (eine Saeeda Lateef – Ehefrau, Schwester? – hat für die LP ein paar Zeilen geschrieben, eine Art stream of consciousness-Bericht über das Detroit, das Lateef portraitiert). Lateef spielt ein sprechendes Tenorsolo über die Trompeten-Riffs und die Rhythmusgitarre und Rainey/Purdie sind um einen fetten Beat besorgt. „Eastern Market“ ist die Hommage an den Markt, an dem samstags Fisch, Hühnchen, frische Gemüse und Früchte, Honig und Apfelmost eingekauft wurden. Lateef spielt Flöte vor einem recht statischen Background, der aber sehr viel gelungener – und funkier – ist, als die rockigen Stücke auf dem Vorgängeralbum. Am Ende des Stücks, über Percussionskaskaden gibt Lateef den Marktschreier, der die Waren anbietet – „right from the farm“, „fresh from the ground“.

„Belle Isle“ ist der Insel im Detroit River gewidmet, einer Insel, die als Naherholungsgebiet genutzt wird, zum Baden oder Kanufahren etwa, die als Parkanlange eingerichtet wurde aber auch ein Konservatorium beherbergt und in der sich auch ein „band shell“ fand, einer dieser muschelförmigen Musikpavillons. Lateef spielt über einem Groove, dem man Motown anhört, ein phantastisches, intensives Solo am Tenor. Auch in „Russell and Elliott“ st er am Tenor zu hören, in nachdenklicher Stimmung, mit diesem unfassbaren, berührenden Cry. Der Titel bezieht sich auf eine Strassenkreuzung, an der man „on the way HOME“ vorbeigekommen sei, wie Saeeda Lateef schreibt.

„Raymond Winchester“ ist einem Bandleader selbigen Namens gewidmet und basiert wie „Belle Isle“ auf einer Art Motown-Latin-Groove. Die Gitarre von Gale ist die zentrale solistische Stimme, Lateef ist nur mit verfremdeter Stimme im Thema zu hören, er singt und summt und schreit wieder durch irgend eins seiner kleinen Instrumente. „Woodward Avenue“ ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen, die quer durch Detroit und im Norden aus der Stadt hinaus führt. „Big parades. The library, the museum, Wayne University, the Toddle House – BEST pecan waffles; cheap … Paradise Theatre … The Zephyrs, Moms Mabley, Patterson and Jackson, and Willie Lewis – ‚Somebody spit like a dime!'“ schreibt Saeeda Lateef. Lateef spielt das Thema an der Flöte über ein eingängiges, absteigendes Gitarrenriff und einen lässigen Groove von Rainey/Purdie.

Der Closer „That Lucky Old Sun“ wurde – obschon von ganz anderen Sessions stammend – gewählt, weil Lateef das Stück mit Detroit verbunden habe: „I used to play like that when I lived in Detroit“, zitiert Bob Porter in seinen neuen Liner Notes für die Rhino-CD (2004) Lateef. Damit endet ein tolles Album mit einem ruhigen, aber sehr, sehr schönen Stück, das einmal mehr Lateefs grosse Balladenkünsten offenbart.

Für mich stimmt bei „Yusef Lateef’s Detroit“ eigentlich alles. Das Zusammenspiel mit den Studio-Musikern funktioniert reibungslos, Lateef spielt mit grossem Engagement, es gibt trotz Trompetenchor, Streichern und Percussionisten, keine überladenen Arrangements, das Ding dauert 31 Minuten und kommt aus einem Guss daher, selbst mit dem Closer, der doch ganz anders klingt – er passt dennoch bestens dazu. Das schönste am Album ist, dass es viel tolles Tenor zu hören gibt.

„The Diverse Yusef Lateef“ (SD 1548) war das nächste Album – wie der Titel andeutet, war das Konzept diesmal, keines zu haben. Vier Stücke sind zu hören (das Album dauert nicht einmal 28 Minuten), die Lateef in verschiedenen Formationen vorstellen. Was immer deutlicher wird ist, wie sehr Lateefs Musik sich in die „offene“ musikalische Szene der späten Sechziger einfügt: Charles Lloyds Gruppe versuchte sich in Psychedelia, Miles holte den Rock heim, und Lateef spielte mit Streichern, mit The Sweet Inspirations und tat all das, was er immer schon getan hatte: indische Ragas, chinesische Flöten und Percussion, Skalen und Rhythmen aus aller Welt …

„Live Humble“ heisst das erste Stück – eine Handlungsanweisung. Richard Tee (p), Chuck Rainey (elb), Cecil McBee (b), Bernard Purdie (d) und Ray Barretto (perc) und die Sweet Inspirations begleiten Lateefs Tenor, das die Nummer solo öffnet – und einen dabei an eine alte Hymne denken lässt. Dann setzen die Stimmen kurz ein, die Rhythmusgruppe setzt gibt einen Beat vor und Lateef soliert darüber, wirkt aber etwas desinteressiert, nicht willens, über kurze Phrasen hinaus etwas zu machen. Erst nach geraumer Zeit fängt er damit an, mit dem Sound ein paar seiner Tricks abzuziehen, aber wirklich interessant wird das nicht. Tee spielt ein arg klischiertes Klavier-Solo, wie es vielleicht auf einer Platte der Rolling Stones jener Zeit gut geklungen hätte, die Sweet Inspirations setzten zu ein paar Wiederholungen von „humble, humble“ and, aber die längste Zeit summen sie nur. Rainey dreht kurz ein wenig auf, bevor es mit Lateef zurück zum Thema geht … der Fade-Out kommt zu spät – und dennoch ist er nervig, denn Lateef fängt endlich richtig zu spielen an, als das Stück vorbei ist.

Das zweite Stück heisst „A Long Time Ago“ und öffnet spärlich, Flöte, dann ein Bass-Lick von Raney und McBee, Percussion (Lawson, Brooks, Barretto, Purdie) und schliesslich die Sweet Inspriations, die mit gospel-ähnlichen Chören die Stimmung des Stückes prägen, dann länger aussetzen, um später Lateefs Namen zu rezitieren. Dann gibt es Flöten-Overdubs und eine der Sängerinnen wiederholt den Titel des Stückes. Streckenweise ist das Ding sehr reinzvoll, als Backing Track (nur mit den wordless vocals) könnte es etwas taugen, aber am Ende führt es einfach nirgendwo hin, ist weder Fisch noch Vogel (ja, so sagt man das hierzulande).

Besser ist dann das nächste Stück aus der Feder Roy Brooks‘. „Eboness“ ist das einzige Stück der working band: Lateef (fl), Hugh Lawson (p), Cecil McBee (b) und Brooks (d) sind in dem kurzen Stück zu hören. Eine eingängige Melodie der Flöte über einem unregelmässigen Bass-Ostinato, einem feinen Schepperbeat (in dem wohl irgendwas Bossa-artiges anklingt) und einem tollen Flötensolo, bei dem auch die Stimme zum Einsatz kommt.

Das letzte und längste Stück heisst „Chandra“ und präsentiert das Quartett zusammen mit einem Streichquartett. Lateef spielt Flöte, anfangs allein mit dem Streichquartett (fundiert von Kermit Moores Cello). Das Ding ist ein Tonpoem, die Violinen gesellen sich zur Flöte, in den mittleren Lagen liegende Töne, darunter das Cello, das einen Pedal Point antönt. Dann, nach zweieinhalb Minuten, steigt die Rhythmusgruppe ein, Lateef ist an Flöte und Tanbura (Overdubs) zu hören, McBees Bass ist die solistisch aktive Stimme, das Streichquartett setzt aus, die Flöte und der Bass treten in eine Art Dialog, Brooks tritt da und dort mit seinen Toms als dritte Stimme hinzu, bevor Lawson übernimmt (Lateef immer noch an der Tanbura im Hintergrund). Am Ende setzen Piano und Drums wieder aus, aber der Bass bleibt noch ein paar Takte lang dabei, als die Streicher sich wieder zur Flöte gesellen (und die Tanbura-Overdubs halten ebenfalls an). Ein „exotisches“, „meditatives“ Stück – blöde Begriffe, ich weiss. Bei anderen würde ich das wohl ausschalten, auf Albumlänge möchte ich es kaum hören … aber irgendwie kriegt Lateef das doch ganz gut hin.

„Suite 16“ (SD 1563) war Lateefs nächstes Atlantic-Album. Im Gegenteil zu den bisher erwähnten, kenne ich es noch kaum. Es ist erneut Stückwerk, enthält auf der zweiten Hälfte die „Symphonic Blues Suite“, auf der ersten fünf Stücke von verschiedenen Studio-Sessions mit wechselnden Line-Ups aus dem April 1970.

„Buddy and Lou“ ist eine Groove-Nummer mit Lateef an der Oboe und Flöte (letztere wohl im Thema mit Overdubs eingespielt) und einem Gitarrensolo (Eric Gale oder Earl Klugh), Rainey ist erneut am E-Bass, Ray Lucas und Ray Barretto sorgen für den Beat, Joe Zawinul sitzt an den Keys, die Streicher sind auch wieder mit dabei, ebenso die Sweet Inspirations mit langen gehaltenen Tönen. „Down in Atlanta“ präsentiert Lateef erstmals am Sopransaxophon – eine Pop-Ballade über einen steifen Balladen-Groove (Gale, Rainey, Jimmy Johnson, Barretto, sowie Selwart Clarke und Kermit Moore and Viola und Cello). Auch das gar keine Sternstunde. Neil Boyer wird für beide Stücke als Vibraphonist angegeben, aber ich höre ihn nicht.

„Nocturne“ öffnet dann mit Boyers Vibes über Akkorden von Zawinul, Rainey und Lucas. Earl Klugh spielt Gitarre, Lateef ist an der Flöte zu hören. Auch das ein Pop-Stücklein ohne viel Fleisch am Knochen und mit eher nervigem Arrangement (inkl. Gitarrensolo, wie schon im Stück zuvor mit ärgst prozessiertem Sound) – aber mit schöner Flöte. Der Mix ist seltsam, Raineys Bass ist lauter als Zawinul in seinem kurzen Solo. „When a Man Loves a Woman“, der ultimative Kitsch-Schmelz-Song jener Tage, wird natürlich an der Oboe dargeboten … wenn man an die tollen Film-Tracks auf den klassischen Alben um 1960 denkt, besonders jene auf „Eastern Sounds“, dann ist das hier ein mittleres Debakel, völlig überladen mit Stimmen, überdicker Rhythmusgruppe, Kreischorgel, Wabergitarren … dazu ein Beat, dem jeglicher Charme abgeht, den dieses Stück doch sonst immer irgendwie hat. Bleibt die Oboe, den Rest muss man ausblenden. Die erste Hälfte endet dann mit Earl Klugh solo, „Michelle“ … nunja, keine Ahnung, ob sie wirklich schön gewesen ist, das ist mir zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich längst egal … sont des sons qui ne vont pas très bien ensemble …

Die zweite Plattenseite verspricht Interessanteres – wenn auch aus Third Stream Territorium. Yusef Lateefs „Symphonic Blues Suite“ in sieben Sätzen wurde im Juni 1970 in Köln eingespielt. Es wirkten neben Lateef (an Flöten, Tenorsaxophon, Glocken etc.) mit: Barry Harris (p), Bob Cunningham (b, elb), Albert Heath (d) sowie das Kölner Rundfunkorchester unter der Leitung von William S. Fischer. Der erste Satz ist mit „Folia“ überschrieben, öffnet mit gehaltenen tiefen Bass-Tönen und kleinen Akzenten von Streichern und Bläsern. Eine geheimnisvolle Stimmung wird aufgebaut, ein Harfen-Arpeggo, Flöten … und Lateefs wilde Flöte im Dialog stösst dazu. Der zweite Satz, „Minuet (hybrid, atonal)“ beginnt mit Tenor-Linien, wie in Stein gemeisselt, mit Einwürfen des Orchesters, die immer dissonanter werden, während Lateef erdige, einfache Linien bläst (reizvoll, wie eine Orchester-Oboe hinzustösst – und natürlich immer auch Flöten – und sein Instrumentarium quasi parallel hörbar ist, ganz ohne Overdubs und technische Tricks).

Der dritte Satz ist dann ein mittelschneller zwölftaktiger Blues mit der Rhythmusgruppe und langem Solo Lateefs, der immer noch am Tenor zu hören ist. Endlich hört man ihn mal wieder richtig spielen – und es ist ein Genuss! Heath treibt an, spielt viel lebendiger als auf dem einen Stück, das als Bonus auf „The Blue YL“ zu finden ist. Nach zwei Minuten gesellen sich riffende Streicher und Blechbläser hinzu und Lateef fängt an, den Ton zu überblasen. Unvermittelt bricht das Solo ab, Harris übernimmt am Piano, mit karger Begleitung, einzelnen Einwürfen, der Beat löst sich rasch auf. Aus abstrakten Gefilden findet Harris in verspielte Gewässer, um dann in einen langsamen Blues zu fallen, begleitet von Cunningham und Heath. Der vierte Satz, „Passacaglia“, überträgt ziemlich erfolgreich einen dieser typischen Lateef-Grooves, wie man sie seit dem Debut-Album kennt, in das orchestrale Setting. Ein Bruch erfolgt dann mit dem fünften Satz: plötzlich wird der Beat rocking, der Bass elektrisch. Der Spuk währt nur kurz, die Sätze V – Chorale und VI – Blues (extended form) dauern zusammen gerade mal zwei Minuten. Dann folgt eine Coda (VII) mit Lateef an der Flöte, vokalisierend, über einen swingenden Background, der streckenweise mehr nach Big Band denn nach Orchester klingt.

Die Suite mag Patchwork sein – aber für meine Ohren gehört sie eindeutig zum Besseren aus Lateefs Atlantic-Zeit.

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