Antwort auf: Yusef Lateef (1920-2013)

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„We’ve made a live album in New York because for some reason we have never really felt the kinda thing that we wanted to feel from the audience – which has nothing to do with acceptance, applause, or appreciation. It’s the atmosphere. You know you get a lot of people who are supposed to be hip, you know, and they act like they’re supposed to be hip, which makes a big difference – you see what I mean?“

Das ein Auszug aus Cannonballs wie üblich launischen, zwei Minuten langen Ansage, mit der das Album „The Cannonball Adderley Sextet in New York“ (Riverside RLP 9404) öffnet. Dann geht es aber auch gleich zur Sache – Cannonball takes charge, und lässt es in Jimmy Heaths „Gemini“, einem Stück im 3/4-Takt, gleich krachen mit einem bluesigen Solo. Nat folgt, dann Lateef (der im Thema an der Flöte zu hören ist) mit seinem ersten Solo im Adderley-Umfeld – und man kommt schlecht umhin, es programmatisch zu deuten. Ein erdiges, langsam konstruiertes Solo am Tenorsaxophon, das schnell an Fahrt gewinnt und vom Ton ebenso sehr lebt wie vom rhythmischen Impetus, dem unwiderstehlichen Swing, wie von den eigentlichen Linien, die oft sehr einfach gehalten sind, von einer grossen Stringenz. Nach Lateefs Solo folgt ein shout chorus (wo sind die eigentlich abgeblieben? oben erwähnte ich ja gerade die kurzen Piano-Intros … zwei vergessene, verlorgengegangene Künste), dann übernimmt Joe Zawinul, nicht so eingängig funky wie Bobby Timmons, der bei den Adderleys das 3/4-Tempo eingeführt hatte, aber dafür hat er in anderer Hinsicht mehr zu bieten. Sam Jones und Louis Hayes waren zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre das Rhythmusgespann der Bands der Adderley Brüder und haben die Sache stets komplett im Griff. Dieses Fundament ist bei der Art von Jazz von äusserster Wichtigkeit und Jones/Hayes machen wirklich durchs Band weg einen phantastischen Job, von Beginn an.

Das zweite Stück stammt von Lateef, „Planet Earth“, wieder schnelles Tempo, Lateef wieder am Tenor und Cannonball mit dem ersten Solo. Die anderen Bläser setzen zwischendurch zu Begleit-Riffs an – neue Töne im Umfeld der Adderley Band, die durch die Erweiterung zum Sextett so erst möglich werden. Wieder folgen Nat und dann Lateef am Tenor, bei ihnen sind jeweils andere Begleit-Riffs zu hören. Die Rhythmusgruppe kocht. Kochend und einmal mehr im schnellen 4/4 öffnet die zweite Seite des Albums mit Ernie Wilkins‘ „Dizzy’s Business“, in dem Adderley schon über das Riff-Thema soliert – das Stück entstand für die Big Band Dizzys der Jahre 1956/57. Dann folgt Lateefs „Syn-Anthesia“ – und endlich kann man mal mehr als nur rasch nach Luft japsen – die Scheibe ist bis dahin echt intensiv und schnell. Lateef spielt in seinem Stück Oboe, Sam Jones einen der patentierten ‚teef’schen Pedal Points, während Hayes trommelt. Die Reihenfolge der Soli bleibt gleich: Cannonball, Nat, Lateef (auch im Solo an der Oboe) … aber das Stück ist im Adderley-Kontext etwas völlig Neues.

Auch Zawinuls „Scotch and Water“ wird von Cannonball angesagt: „We’re going to play a tune written by Joe Zawinul, our pianist, a tune named about a subject that he is expert – it’s called ‚Scotch and Water‘ …“ – das eingängige Thema wird über einen Half-Beat von Jones und einen lockereren Swing von Hayes vorgestellt. Das Stück ist eine Kreuzung aus zwölftaktigem Blues und AABA-Form: die A-Teile entsprechend der Blues-Form, dann folgt eine achttaktige Bridge über einen Pedal Point, in dem der Solist neuen Schub für die abschliessenden zwölf Takte gewinnt. Neben Adderley ist hier Zawinul als einziger Solist zu hören. Dann folgt zum Abschluss „Cannon’s Theme“ von Sam Jones. Nach der Präsentation des Themas sagt Cannonball über einem Solo von Nat die Band ab, dann folgt nochmal Lateef am Tenor.

Ohne hier auf die vorangegangenen Adderley-Alben einzugehen muss ich doch betonen, dass ich in Lateef eine grosse Bereicherung höre. Klar, Zawinul war wohl der wichtigste Mann, wenn man nach vorne schaut, die Zeit des nachfolgenden Quintetts, des Fender Rhodes …. aber wenn man das nimmt, was man damals zum Vergleich hatte, die tollen Line-Ups der Working Band, vor allem mit Bobby Timmons und Victor Feldman, dann wird doch klar, dass die dritte Stimme eine Erweiterung mit sich bringt, die nicht unerheblich ist, auch in den boppigen Nummern und den bluesigen Hardbop-Krachern.

Im August 1962 spielte Adderleys Sextett in Comblain-La-Tour in Belgien am Festival, das 1959 von einem GI ins Leben gerufen wurde und bis 1966 ein paar der ganz grossen Stars des Jazz präsentierte: John Coltrane, Bill Evans, Ray Charles, Bud Powell, Stan Getz, Woody Herman, Nina Simone … aber auch zahlreiche Europäer, auch Bands und Musiker aus den osteuropäischen Ländern, darunter die polnische Sängerin Wanda Warska und der Saxophonist Zbigniew Namyslowski. Zudem traten massenweise Dixieland-Kapellen aus allen Ländern Westeuropas auf. Das Festival war das erste grosse Open-Air Jazzfestival Europas und wurde als eines der ersten im Fernsehen übertragen.

Joe Napoli, der GI aus Brooklyn, kämpfte 1944 in der „Battle of the Bulge“ und kam im Dezember 1944 auf der Suche nach etwas Linderung nach Comblain, wo er von Fremden mit viel Freundlichkeit aufgenommen wurde. 1955 kehrte er zurück und als er 1959 hörte, dass das Städtchen Geld benötigte, um seine Kirche wiederaufzubauen, hatte er – inzwischen im Musikbusiness tätig – die Idee, ein Jazzfestival zu gründen.

1962 waren in Comblain u.a. zu hören: Franco Ambrosetti, Fud Candrix, Lou Bennett, Sylvie Vartan, Jacques Pelzer mit René Thomas, Daniel Humair und Benoît Quersin, Herb Geller mit Kenny Drew, das Doldinger Quartett, Tony Kinsey, Fats Sadi, Jacques Sels und viele andere. 42’000 Menschen strömten in die Ardennen, das belgische Radio und Fernsehen waren vor Ort, ebenso wie das American Forces Network. Adderley war der grosse Star des Festival und sein Konzert wurde im Raido und im Fernsehen gesendet.

Das Bild stammt von hier, wo die ganze Festival-Broschüre und haufenweise Material zum Festival einzusehen ist:
http://adalen.jimdo.com/jazz-comblain-1959-1966/#Comblain_1962

Nat Adderley
When we went to Comblain-La-Tour it was a major trip for us. People think that when a group is successful it all becomes a matter of course, but I’d like to be able to get across some of the excitement we felt in going to Belgium on this particular tour. As Cannon mentions on the record, the number of people there – thrity to forty thousand – was far more than any audience we had played for before. It was much bigger than the Newport Festival, and the other festivals were not really established back then. It was a seriously big deal.

So schreibt Nat in seinen rücklickenden Liner Notes zum Album, das in Europa als Riverside 9499 erschien. Es gehörte später zu den sieben Alben, die Cannonball mitnahm, als er zu Capitol wechselte. Orrin Keepnews gab sie (auf CD und LP) in den Achtzigern auf Landmark neu heraus (1987 in diesem Fall, und von der Ausgabe stammen Nats Erinnerungen), in den Nullerjahren erschienen sie dann alle erneut bei Capitol (bzw. Blue Note). (Die anderen sechs Alben sind: Cannonball Takes Charge, Them Dirty Blues, At the Lighthouse, And the Poll Winners, Cannonball’s Bossa Nova, Jazz Workshop Revisidted)

Nat berichtet auch, dass sie zehn Tage in Europa waren, dass die Ehefrauen dabei gewesen wären und dass er das alles noch so genau wisse, weil er zum ersten Mal Sauce béarnaise zu seinem Steak gehabt habe.

Nat Adderley
Things were working out very well for the band then. We were in the midst of a major period of growth and development, and it was exiting just to be there and play together, and check things out. It was a pleasure, wherever we were playing. Brother Yusef was a major addition. He had been in the band for only a matter of months at the time and we were all very happy with Yusef. He was always going in another direction, always giving us something else to look for. Cannon was amazingly on top of thing – and you never knew what he was going to do next. Sam and Louis had become one of the outstanding rhythm teams in jazz, and Joe Zawinul was just at the point of moving from the Bud Powell-esque he had been to all those things he was going to do so very well. He hadn’t quite gotten there yet, but he was moving in the right direction.

I’d like to emphasize that this group had three horns who could really articulate together. That’s never been the easiest thing, and in younger groups today there is sometimes great difficulty in tonguing the notes together. But we all seemed to have come from the same background. Yusef fit right in with Cannon and me in terms of approach to our instruments, and when you listen to this record it’s really very obvious that we had a remarkable group for playing ensembles in the proper perspective.

The band was a tight-knit unit in all respects by this time, and the programm we played that day was pretty typical. I think Brother Yusef’s „P. Bouk“ was relatively new. Jimmy Heath’s „Gemini“ had been recorded a few months earlier, but by now we really had it together. „Work Song“ we always played. It had such great popularity all over the world that we coudln’t avoid it; but of course it had originally been done by the quintet and this was a new version. „Trouble in Mind,“ the Lateef tour-de-force on oboe, was always one of my favorites. Playing the blues on oboe was such a unique thing – that great wailing sound – and of course Brother Yusef put serious sensitivity into whatever he did. We had been playing „Dizzy’s Business“ for a while by then, and the technical aspect of articulating those notes was getting easier and easier for us, so it was beginning to speed up and was really breaking into something.

Viel mag ich nach diesen so zutreffenden Sätzen aus viel berufenerem Munde gar nicht mehr sagen; die Punkte betreffend die Artikulation und die Rhythmusgruppe Jones/Hayes sind zentral. Ebenso die Funktionsweise der Band, dass z.B. jeder Solist leicht anders begleitet wird, dass Zawinul, Jones und Hayes stets hören, dass die Musik teils in unterschiedliche Abschnitte strukturiert ist (Pedal Points, wechselnde Rhythmen etc.), dass die anderen Bläser den jeweils solierenden mit kleinen Riffs unterstützen … alles alte Schule, alles grossartig gemacht.

Das Album fängt gleich mit einem Höhepunkt an, „P. Bouk“ von Lateef, für die Adderleys neu (für Lateef natürlich nicht), aber das macht gar nichts, die Musik fängt sofort Feuer. Jimmy Heaths „Gemini“ folgt, in einer Version, die in meinen Ohren jene aus dem Vanguard locker toppt (das lässt sich aber für das ganze Album sagen, meiner Meinung nach – „Cannonball in Europe!“ ist eins meiner allerliebsten Adderley-Alben), Nat endet sein Solo in „Gemini“ mit einem Zitat von „My Favorite Things“. Den „Work Song“ liebte ich schon immer (allerdings v.a. die Version von „Nippon Soul“, das war auch zugleich die erste, die ich hörte, mit diesem tollen Solo-Intro Cannonballs!) und wie Hayes ihn hier kickt ist klasse. Nat Adderley macht richtig Dampf, Zawinul wird in der Tat langsam funky. Dann allerdings folgt der granz grosse Höhepunkt des Albums: Lateef an der Oboe, allein mit der Rhyhtmusgruppe in „Trouble in Mind“. Einer der ganz grossen Momente in Lateefs Diskographie und der Höhepunkt eines phantastischen Konzertes. Zum Abschluss gibt’s das erwähnte, schneller gewordene „Dizzy’s Business“ – das Arrangement legt noch eine Beobachtung nahe: Adderley beherrschte die Kunst, seine Combo – zumal in Sextett-Besetzung – wie eine kleine Big Band klingen zu lassen. Auch das alte Schule, man denke an James Moody oder Illinois Jacquet.

Im September 1962 war das Adderley Sextett im Jazz Workshop in San Francisco – wo Cannonball seine eigene Band vor wenigen Jahren zum ersten Mal aufgenommen hatte und mit dem entstandenen Album „In San Francisco“ für Aufsehen sorgte. Wally Heider war zur Stelle, um das Sextett aufzunehmen. Drei Stücke vom 21. September erschienen auf der postumen LP „The Sextet“ (Milestone 9106), die auch zwei Stücke enthielt, die im folgenen Jahr in Japan mitgeschnitten wurden.

„Never Say Yes“ und „Old Delhi“ waren beide auf kurz zuvor erschienenen Adderley-Alben, „Peter and the Goat“ wurde gmäss Keepnews‘ Liner Notes von 1982 damals in Erwägung gezogen, aber am Ende doch übergangen. Keepnews schreibt, das Stück sei „Yusef’s depiction of the night a friend got drunk and retinted a small herd with red paint“ – se non è vero …). Die drei Stücke sind jüngst auf der CD „Dizzy’s Business“ (Milestone) erschienen, die auch nach dem Abgang von Fantasy in Europa wieder erhältlich war (vielleicht noch ist, auf der nutzlosen jazzecho.de-Seite ist das ja nicht so einfach herauszukriegen, einen Künstler-Eintrag zu Adderley findet man nicht, obgleich gewiss diverse CDs lieferbar sind).

„New Delhi“, das letzte Stück, eine Komposition von Victor Feldman, dem Vorgänger Zawinuls, ist allerdings definitiv ein Zugewinn, da das Thema sich perfekt für Lateefs Flöte eignet und die Rhythmusgruppe das Stück swingt. Lateef ist hier – endlich – auch mit einem ausgewachsenen Flötensolo im Rahmen der Adderley-Band zu hören. Cannonball selbst ist hier nur mit kurzen Passagen im Thema zu hören, nach Lateefs langem Flötensolo folgen Nat und Zawinul.

Den drei Stücken fehlt das Feuer, das aus dem Konzert in Comblain ein so spezielles Ereignis machte. Wie im Vanguard spielt man vor einer vermutlich hippen (oder sich so benehmenden, als wäre sie hip) Gruppe von Zuschauern, nicht vor Zehntausenden Fans, die auf der von tagelangem Regen durchnässten Wiese eines Bauernhofes in einem Belgischen Kaff sitzen und warten, bis Opener Frankie Avalon endlich ab- und das Adderley Sextett auftritt. Vielleicht merkt man das auch der Musik selbst an – dass sie etwas tougher ist als in Belgien (oder später in Japan), eine Spur weniger frei, nicht in der Anlage oder Ausgestaltung, sondern in der Herangehensweise, der Einstellung der Band? Vielleicht erklärt das auch ein wenig, warum das an den beiden folgenden Tagen eingespielte Album – mir zwar sehr viel länger als „In New York“ bekannt – bei mir nie so sehr einschlug, wie erhofft.

Auch „Jazz Workshop Revisited“ (Riversie 9444) gehört zu den Alben, die Adderley zu Capitol mitnahm und die Keepnews dann auf Landmark neu vorlegte, in diesem Fall mit einem Bonustrack, Sam Jones‘ „Unit 7“ (dem Theme-Song der Band, der selten in voller Länge zu hören war), eingebettet zwischen zwei kurzen Ansagen Adderleys, mitten ins Album placiert. Die Aufnahmen enstanden am Samastag 22. und Sonntag 23. September 1962. Die drei Stücke vom 21. waren gemäss Keepnews‘ Liner Notes zur Landmark-Ausgabe (1989) am dritten von insgesamt fünf Abenden mitgeschnitten worden – allerdings schreibt Keepnews auch, dass erst in Laufe des Samstags Performances zustande kamen, die veröffentlichungswürdig waren (das hatte er sich ja allerding schon ein paar Jahre früher etwas anders zurechtgelegt).

Zum Auftakt gibt es eine tongue-in-cheek-Publikumsbeschimpfung Cannonballs: „Tell you what: We’re going to play something especially for you … because we think that we can communicate this kinda thing to most of you … you see, the name of this tune is ‚Primitivo'“. Mit diesem Stück aus Cannonballs Feder öffnet das Album. Lateef spielt ein unbegleitetes Flötenintro mit fernöstlichen Anklängen, Jones legt einen gestrichenen Drone-Bass drunter, der den Groove anklingen lässt, dann steigt Hayes ein, schliesslich Zawinul, bevor Cannonballs Altsaxophon in einen Dialog mit der Flöte tritt, aus dem sich das Thema (Altsaxophon mit Trompeten/Piano/Drum-Punktuation) über dem Bass von Jones entfaltet. Ich vermute sehr, dass ein solches Stück von Cannonball erst durch Lateefs Präsenz möglich wurde. Dieser spielt einzelne Töne hinter Cannonballs Solo, die nach der „globular flute“ oder Ocarina klingen … doch dann greift er zur Oboe und spielt das zweite Solo, während der Beat unterhalt stets weitergeht, monoton, eingänig, hypnotisch. Ich vermute stark, das ganze Stück beruht auf einem einzigen Akkord. Nat öffnet sein Solo mit locker und flächig dahingespielten Tönen, bevor er den Ton verengt und ihm seinen typischen Biss gibt. Das Riff, das Cannonball und Lateef unter ihm repetieren, gibt ihm neuen Schub, Hayes macht sich immer deutlicher bemerkbar. Zawinul folgt mit einem funky Solo voller Dissonanzen und Reibungen … und die Bläser präsentieren das nächste funky Riff, aus dem Adderleys Stimme sich dann sogleich wieder erhebt, um ins Thema zurückzuführen. Eine tolle Performance … wenn ich die nach Jahren wieder höre, frage ich mich, warum ich mit diesem Album je etwas Mühe hatte – allein der Opener ist umwerfend (und später gibt’s ja noch den „Jive Samba“).

„Jessica’s Day“ (angeblich) von Quincy Jones wirkt danach recht konventionell, aber wie das Arrangement von „Dizzy’s Business“ ist auch das hier raffiniert gemacht und lässt die Band grösser klingen als sie ist – und Nat spielt ein sehr tolles Solo. Lateef ist allerdings leider etwas weit vom Mikro weg und man hört sein tolles Solo (mit multiphonics nicht sehr gut). Zum Ausklang gibt es einen tollen shout chorus mit fettem Backbeat und nochmal ein paar Takte von Cannonball – auch wenn das auf den ersten Blick nicht nach besonders viel klingt: das ist wieder eins der Stücke, an dem sich die Klasse dieser Band ablesen lässt. Die erste Albumhälfte endet mit „Marney“ von Donald Byrd, der es 1963 in einer Studio-Session für Blue Note unter Jackie McLean eingespielt hat (ein tolles Quintett mit Herbie Hancock, Butch Warren und Tony Williams, die Session erschien als „Vertigo“, Blue Note LT-1085). Nat spielt erneut ein klasse Solo, dann folgt Lateef am Tenor, Hayes treibt an, aber Lateef ist wieder eine Spur zu leise, leider. Dann folgt das Bonus-Stück, eine vollständige Version von Sam Jones‘ „Unit 7“, eine swingende 4/4-Nummer mit guten Soli von allen.

Die zweite Plattenseite beginng mit „Jive Samba“ über einen leichten Bossa-Beat von Hayes, aber mit einem eher soulig-erdigen und äusserst einfachen Bass von Jones, der mit Bossa wenig am Hut hat. Adderley spielt das erste Solo, sehr soulig, rauht seinen Ton auf, fällt in die typischen superschnellen Läufe und mit einer Lockerheit zurück in funky Riffs, dass es eine Freude ist. Nat ganz ähnlich – die beiden waren wirklich echte Soul Brothers. Die Begleitungen der andere Bläser werden mal wieder variiert. Lateef folgt dann an der Flöte – live vermutlich längst keine ungewöhnliche Sache für das Adderley-Publikum, aber das hier war wohl sein erstes Flötensolo, das man damals auf Platte hören konnte (1963). Zawinul ist dann einmal mehr sehr funky. Aus dem Stück machte Keepnews auch eine Single – er verwandte den letztne Chorus, in dem das Publikum besonders laut zu hören ist … nicht wegen der Musik jedoch, wie er in seinen Liner Notes von 1989 schreibt, sondern „in response to a bouncer attempting to remove from a front table a fan who had come barreling into the club during the last set without stopping to pay the door charge!“ Das Ding ist wohl der erdigste Bossa, den man damals haben konnte … aber eben auch gar kein richtiger Bosssa.

Nach diesem Knaller muss etwas ganz anderes kommen – und das ist eine Ballade von Sam Jones namens „Lillie“, die Nat am offenen Kornett präsentiert, wieder mit ziemlich flächigem Ton, während Cannonball und Lateef (wieder an Flöte) Triller drunterlegen und Jones das ganze trägt. Nat ist bezaubernd, sein Ton sicher aber zugleich verletzlich. Zawinul spielt ein paar Takte, sonst gehört das Stück ganz Nat. Den Abschluss macht dann „Mellow Buno“ von Lateef, eine Variation über „In a Mellow Tone“, catchy und satt swingend. Adderleys Solo erinnernt zu Beginn schwer an Lateef, es macht den Eindruck, als habe er nicht nur im Allgemeinen sondern ganz konkret was das Saxophonspiel betrifft, das eine oder andere übernommen. Das Stück demonstriert einmal mehr, wie toll die Band zusammen funktionierte, Lateef ist zwar erneut etwas zu leise, aber sein Solo ist grandios. Zawinul spielt dann wie schon im Intro die Ellington-Karte, gibt aber ein paar Prisen Funk und etwas Zawinul hinzu, sowie mehr denn eine Prise des Lateef’schen Humors, der schon dessen Solo geprägt hat. Mit einer halbminütigen Ansage Cannonballs über mehr swingendes Tenor Lateefs („Unit 7“ natürlich) endet ein tolles Album, das insgesamt wohl etwas im Schatten des phantastischen Openers „Primitivo“ steht, aber nichtsdestotrotz zu Adderleys schönsten gezählt werden darf.

Hier das Cover der CD, auf der die LP „The Sextet“ enthalten ist:

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