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Lateef spielte ganz zu Beginn der Sechzigerjahre auch mit Charles Mingus – keine besonders ergiebige Zusammenarbeit leider, was die erhaltenen Aufnahmen betrifft, aber dennoch eine „made in heaven“, wie man sagt. Der eruptive Bassist aus Nogales und der stoische Lateef mit seinem brennenden Tenorsaxophon ergänzen sich perfekt. Allerdings nimmt Lateef auf „Pre Bird“, dem Karriererückblick in Albumform, den Mingus im Mai 1960 für EmArcy eingespielt hat (später als „Mingus Revisited“ aufgelegt), nur eine wichtige Nebenrolle ein. Am ersten Tag der Sessions wurde mit einer grossen Besetzung in erster linie Mingus‘ meisterhafte Komposition „Half Mast Inhibition“ eingespielt, ein achtminütiges Stück, das man als eine Art Summe seiner Experimente der späten Vierziger und frühen Fünfziger betrachten kann. Zudem wurde „Mingus Fingus No. 2“ und „Bemonable Lady“ eingespielt, ersteres 1947 für die Lionel Hampton Band entstanden und das einzige einigermassen konventionelle Big Band-Stück der Platte, letzteres ein Vehikel für Dolphy und zugleich eine Hommage an Ellington – in Mingus‘ eigenen Worten natürlich, eine Art Variation mit Dolphy statt Hodges und deutlich dissonanteren Tönen. In „Mingus Fingus“ spielt Joe Farrell das erste Tenorsolo, Lateef folgt, danach Fours in derselben Reihenfolge, danach folgen Fours der Trompeten, vermutlich in der folgenden Reihenfolge: Hobart Dotson, Marcus Belgrave, Clark Terry, Ted Curson, Richard Williams, Dotson, Belgrave, Terry (ich schreibe hier aus dem CD-Booklet, genauer von Leonard Feathers Liners zum Reissue des Albums unter dem Titel „Mingus Revisited“ ab – nur Terry erkenne ich zweifelsfrei).
Am zweiten Tag fand sich eine kleinere Band im Studio ein: Ted Curson (t), Jimmy Kepper (tb), Eric Dolphy (as, fl, bcl), Yusef Lateef (ts, fl), Booker Ervin (ts), Joe Farrell (ts, fl), Paul Bley oder Roland Hanna (p), Mingus (b), Dannie Richmond (d), sowie Lorraine Cusson (voc). Lateefs grosse Stunde schlägt in „Prayer for Passive Resistance“. Lateefs klagender Ton ist die perfekte Stimme für dieses Stück, in dem wahrlich ein preacher gefragt ist. Klasse, wie man Lateef zwischen den so gelassen klingenden Phrasen förmlich nach Luft japsen hört. Die knapp vier Minuten werden zu einer unglaublich intensiven Parforce, auch von der streckenweise hektischen 12/8-Begleitung und den Stoptime-Passagen lässt Brother Yusef sich nicht aus der Ruhe bringen.
Im Opener „Take the ‚A‘ Train“ („Exactly Like You“ wird dazwischengespielt) sitzt Hanna am Klavier, die Tenorsaxophonisten sind alle zu hören, Farrell zuerst, dann – nach Knepper – auch Ervin und zuletzt Lateef. Auch im zweiten Ellington-Stück, „Do Nothin‘ Till You Hear from Me“ wird ein anderes Thema dazugelegt, „I Let a Song Go Out of My Heart“ – die Stereo-Technik wird dazu benutzt. Hier bläst Lateef das erste Solo – und legt damit auch für Cracks wie den damals noch sehr jungen Joe Farrell und Booker Ervin ziemlich hoch. Nach dessen Solo folgen ein paar Runden Fours in derselben Reihenfolge – ein wahrhaftiges Tenor-Fest, wie überhaupt die ganze Platte ziemlich viel zu bieten hat für Tenorsaxophon-nuts wie mich! Noch schöner wäre eben nur mehr Lateef mit Mingus …
Lorraine Cusson singt „Eclipse“ und „Weird Nightmare“, in letzterem ist Lateef in einem kurzen Solo zu hören. Das ellingtoneske Piano in „Eclipse“ kommt gewiss von Roland Hanna, auch wenn das CD-Booklet ihn nur für ein Stück („Do Nothin‘ Till You Hear from Me“) angibt. Leonard Feather meint in seinen Liner Notes für „Mingus Revisited“ auch, es sei Hanna. Lateefs Solo wird von Mingus mit viel Engagement begleitet – und ist vermutlich das Highlight des durch Flötengezwitscher etwas ermüdenden Stückes. Die Arrangements von Mingus sind allerdings ziemlich toll.
Am 21. Oktober 1961 wurde Lateef im Birdland in New York mit einer Mingus Workshop Band mitgeschnitten, in der Jimmy Knepper, Roland Kirk, Doug Wakins und Dannie Richmond spielten – Mingus sass am Klavier. Für die Studio-Session („Oh Yeah“ und mehr von der Session auf „Tonight at Noon“, beide Atlantic) zwei Wochen später wurde Lateef von Booker Ervin ersetzt – leider, füge ich bei aller Liebe zu Booker Ervin an, denn ein Studio-Album mit Kirk und Lateef ist fast schon sowas wie ein feuchter Traum … (ich stelle mir auch einen Konzertmitschnitt des „Presents“-Quartetts mit Lateef vor … müsste ähnlich grossartig sein wie das Antibes-Konzert mit Ervin, oder noch toller – aber hören werden wir das nie).
Im Birdland spielte Lateef natürlich nicht nur Flöte, wie die lausige Domino/RLR/whatever Box oben angibt, sondern er ist schon im ersten Stück mit einem tollen Tenorsolo zu hören. „Nouroog“, „Ecclusiastics“ und „Hog Callin‘ Blues“ sind zu hören, das erste vom Bethlehem-Album „A Modern Jazz Symposium of Music and Poetry“, die letzten beiden von „Oh Yeah“ – leider nur etwa zwanzig Minuten Musik, aber dennoch schön, zu haben! (Der Rest des Sets enthält weitere Birdland-Broadcasts, jeweils zwei von März, Mai und Oktober 1962, zu hören sind u.a. Richard Williams, Booker Ervin, Charles McPherson, Jaki Byard, Toshiko Akiyoshi, Henry Grimes, Don Butterfield, Pepper Adams etc. Das Material ist schon seit Ewigkeiten im Umlauf, das obige 3CD-Set ist eine gute Möglichkeit, alles an einem Ort und auf gepressten CDs zu haben – klanglich natürlich recht dürftig und mit einem typischen Booklet, das verspricht, was es nicht hält.)
Im Januar 1962 wirkte Lateef zudem am Big Band-Album mit, das Ray Brown für Verve eingespielt hat, mit dem Gastsolisten und Star Cannonball Adderley mit. In Ray Browns mittelschnell walkendem Blues „Thumbstring“ (ein Riff-Thema, das er am Bass präsentiert, im zweiten Chorus soliert Adderley drüber, im dritten spielt Brown einen Walking Bass und Adderley soliert weiter, ab dem vierten gibt es Trompeten im Wechsel mit dem Ensemble … und dann Lateef am Tenor, über einen fetten Bass von Brown und einen leichten Backbeat von Johnson. Lateef lässt sich Zeit, baut langsam ein phantastisches Solo auf. Den dritten Chorus leitet er mit einem Triller ein, den er ganz langsam, träge, einen Halbton nach oben gleiten lässt, die Band schiebt ihn zu einem Höhepunkt an, bevor Brown sein Solo spielt. Sehr schönes Stück. Beim Solo in „Two for the Blues“ (die „two“ sind Browns Cello und Adderleys Altsax) bin ich gerade etwas verwirrt … aber das MUSS Lateef sein. Erst dachte ich, es könnte vielleicht Budd Johnson sein, aber der Einstieg ist Lateef und später bei den Multiphonics ist es endgültig klar. Anschliessend ist da auch noch Clark Terry zu hören, der sich von den inflections ‚teefs gerne anstecken lässt (und dann, beim Übergang zurück ins Ensemble schon der zweite hässliche Edit, den ich auf dem Album höre).
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Ein kurzer Überblick über weitere Auftritte als Sideman aus der Zeit, auf die ich hier wenigstens momentan nicht näher eingehen werde (Adderley gibt’s demnächst separat und ausführlicher):
Ein weiteres Album mit einem Bassisten als Leader gab’s 1959 für Vee Jay mit Paul Chambers. Auf „1st Bassman“ ist Lateef in einer tollen Band mit Tommy Turrentine, Curtis Fuller, Wynton Kelly und Lex Humphries zu hören. Für Vee Jay ensteht zudem noch eine Session mit Bill Henderson, an der Booker Little, Bernard McKinney, Kelly, Chambers und Jimmy Cobb mitwirken und Benny Golson die Arrangements beisteuert.
Als Flötist ist Lateef auf Doug Watkins‘ einem Leader-Album „Soulnik“ zu hören (Prestige/New Jazz) – eine leider etwas leichtgewichtige Sache mit Hugh Lawson, Watkins am Cello, Herman Wright und Lex Humphries. Ein paar Prisen Lateef-Tenor (oder auch Oboen-Blues) hätten da gut getan.
Lateef wirkte er zudem 1960 an zwei Alben von Curtis Fuller mit. Auf „Images“ (Savoy) sind zwei zwei Sessions zu hören, eine mit Lee Morgan, Lateef, McCoy Tyner, Milt Hinton und Bobby Donaldson, die andere mit Wilbur Harden, Lateef, Tyner, Jimmy Garrison und Clifford Jarvis. Auf „Boss of the Soul Stream Trombone“ (Warwick) vervollständigen Walter Bishop, Buddy Catlett und Stu Martin die Band.
Ebenfalls 1960 wirkt Lateef am Candid-Album von Clark Terry mit, „Color Changes“. Dazu schrieb ich im Clark Terry-Thread schon mal ausführlicher.
Im selben Jahr ist Lateef auch mit Randy Weston im Studio und nimmt an den Aufnahmen zu dessen Album „Uhuru Afrika“ teil, Randy Westons frühem Meisterwerk, für das Lateef natürlich prädestiniert war. In der grossen Band sitzen auch Clark Terry, Richard Williams, Benny Bailey, Freddie Hubbard, Quentin Jackson, Slide Hampton, Budd Johnson, Jerome Richardson, Ron Carter, Max Roach und zahlreiche andere, die Arrangements stammen von Melba Liston.
1962 taucht Lateef auch bei Slide Hampton auf, als Gast auf „Drum Suite“ (Columbia).
Auch für Blue Note nahm Lateef an ein paar Aufnahme-Sessions teil: „Grantstand“ (1961) von Grant Green bietet die Gelegenheit, ihn mit Orgel zu hören – mit Jack McDuff ist einer der besten zugegen (und einer, den es auf Blue Note nicht oft gab), am Schlagzeug sitzt Al Harewood. Zudem ist er auf Blakeys „The African Beat“ (1962) zu hören, bei dem auch Solomon Ilori mitwirkt auf dessen eigenen Blue Note-Aufnahmen wiederum ein Hosea Taylor (as, fl) auftaucht, bei dem es sich um den Fagottisten von „The Centaur and the Phoenix“ handelt (der auch auf einem Freddie Hubbard Album zu hören ist).
Zu Hosea Taylor fand ich gerade das hier:
http://vimeo.com/70121395
(Das Video ist nicht mehr verfügbar.)
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