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Danke!
Das nächste Kapitel in Lateefs Diskographie dauert drei Tage, nämlich vom 9. bis 11. Oktober 1957. Die Band hatte sich verändert, J.J. Johnson hatte sich als Leader einer eigenen Gruppe selbständig gemacht (mit dem Detroiter Tommy Flanagan am Piano und dem belgischen Tenorsaxophonisten – und Flötisten! – Bobby Jaspar). Wilbur Harden an Trompete und Flügelhorn (und Ballon und Glocken) nahm seinen Platz ein. Hardens lyrische Trompete bietet eine perfekte Ergänzung zu Lateefs muskulösem Tenorsaxophon, aber auch eine Art ruhender Gegenpol zur Flöte. Die Rhythmusgruppe hatte sich ebenfalls verändert, Oliver Jackson hatte den Posten von Louis Hayes übernommen, der zu Horace Silvers Quintett zurückkehrte, mit dem er vor seiner Zeit in Lateefs Band schon gespielt hatte (und er war im Mai 1957 gerade mal 20 geworden!).
Das erste Album, ganz aus den Aufnahmen vom 9. Oktober zusammengestellt, hiess „Jazz and the Sounds of Nature“ (Savoy MG12120) und was da im Stück „Sounds of Nature“ zu hören ist, kann man getrost der Avantgarde zuordnen – solche Musik machte 1957 nicht einmal Sun Ra. Ein Highlight ist für mich Victor Youngs „Delilah“, das Lateef an der Flöte spielt (noch besser ist dann allerdings die Version aus dem Pep’s von 1964). Harden ist klasse auf „8540 Twelth Street“ (die Adresse von Klein’s Showbar, dem Laden, in dem Lateefs Gruppe drei Jahre lang als Hausband spielte) … und die Rhythmusgruppe ist sowieso toll, Farrows Bass oft mehr gefühlt als gehört, tief, „boomy“, Jackson leicht und vermutlich etwas variantenreicher als der ganz junge Hayes und Lawson frisch, manchmal klingt er für mich fast ein wenig wie eine Vorwegnahme des jungen McCoy Tyner. Man merkt der Musik jedenfalls Stück für Stück an, dass sie von einer bestens eingespielten Band kommt. Die Session enthält mit Ellingtons „I Got It Bad“ eine weitere bezaubernde Ballade, in der Lateef glänzt wie auf „Love Is Eternal“.
Das zweite Album der Oktober-Sessions hiess „Prayer to the East“ (Savoy MG 12117 – es erschien wohl kurz vor „Sounds of Nature“) und stammte von den Sessions am zweiten Tag (ein Stück, „Gypsy Arab“, vervollständigte „Sounds of Nature“, ein weiteres, „Sram“ aus der Feder Hardens („Mars“ heisst der Titel umgekehrt … jazz from outer space), landete auf dem Album „Jazz Is Busting Out All Over“, MG 12123, auf dem Savoy diverse Formationen präsentierte, neben Lateef auch Frank Wess/Kenny Burrell, A.K. Salim, Billy Ver Planck, Donald Byrd/Frank Foster, Sonny Red und andere). Die Musik ist nicht überraschend, wenn man die früheren Alben kennt, die Mixtur inzwischen vertraut – aber das Balladensolo in „Lover Man“ ist wieder ganz grosse klasse (trotz des „My Funny Valentine“-Zitates und Doubletime der Drums), es gibt Flöte, es gibt Exotisches, gute Beiträge von Lawson und Harden, alles getragen von der äusserst soliden Rhythmusgruppe, die für eine solche – im weiteren Sinne – Hardbop-Combo von essentieller Wichtigkeit ist. Lateef scheint mit seinem Spiel Räume zu öffnen, ja überhaupt erst zu schaffen, eine kurze Phrase, ein kleines Vibrato, ein Schlenker, ein paar Mikrotöne, ein rascher Lauf … alles perfekt getimt und souverän umgesetzt. Auf dem Album findet sich auch Dizzys „A Night in Tunisia“, eine lange, recht typische Hardbop-Nummer („Endura“) und zum Abschluss dann „Love Dance“, ein Stück von Les Baxter, in dem die Rhythmusgruppe ein einfaches Stop-and-Go-Ostinato spielt, über das Harden und Lateef (Flöte) solieren.
Am dritten Tag nahm Lateef für Prestige auf – gleich zwei LPs (recht kurze allerdings) wurden aus den zwölf Stücken zusammengestellt und ein weiteres für eine spätere LP aufgehoben. Die erste hiess programmatisch „The Sounds of Yusef“ (Prestige 7122). Hier wird der Titel zum Programm. Selbst wenn das erste Stück Billy Strayhorns „Take the ‚A‘ Train“ ist – schon da kommt die Flöte zum Einsatz. Das lange Stück wird durch wechselnde Soli und Exchanges spannend gehalten. Im zweiten Stück, „Playful Flute“ von Wilbur Harden, spielt Lateef erneut Flöte, aber die Begleitung besteht hier aus Fingercymbals, Rebab und einem zurückhaltend getrommelten Groove von Jackson. Die zweite Seite des Albums enthält drei Lateef-Stücke und öffnet mit „Love and Humor“ – Gong und Klavier, dann wechselt Lawson zur Seven-Up-Flasche und Lateef präsentiert an der Flöte das Thema, derweil Harden und Lawson sich die Ballone greifen. Jackson klöppelt wieder einen sehr feinen Beat darunter. Die Ostinato-Grooves und die Melodien sind hier noch immer so eingängig wie schon auf den ersten Savoy-Sessions, aber die Palette and Sounds hat sich in der Tat erweitert. In „Buckingham“ gibt’s dann das packende Tenorsolo, auf das man schon eine Weile gewartet hat … und zum Ausklang, in „Meditation“, gleich noch eins, eine klagende Ballade, die mit einem kleinen Intro mit Gong und einer indischen Flöte öffnet … nach Lateef sind auch Harden und Lawson zu hören. Das Album ist nur wenig länger als eine halbe Stunde, aber es zeugt eindrücklich von den musikalischen Welten, die Lateef erforscht.
Das zweite Prestige-Album erschien auf dem Sublabel New Jazz und hiess „Other Sounds“ (New Jazz 8218). Es beginnt mit einer wundervollen langsamen Nummer, Irving Berlins „All Alone“, das Lateef am Tenor präsentiert. Der Ton ist hier konventioneller, in „Anastasia“ von Alfred Newman (aus dem Soundtrack von Anatole Litvaks gleichnamigem Film) wechselt Lateef nach einem kurzen Argol-Intro mit Rebab und Fingercymbals an die Querflöte, in „Minor Mood“ gibt’s wieder das Tenor … und stets auch tolle Soli von Harden, dessen fetter Ton wie Ira Gitler in den Liner Notes richtig anmerkt, ebenso an Clifford Brown gemahnen, wie sein Lyrismus and Miles denken lässt, mit dem er sonst in allen Liner Notes verglichen wird. Der Mann war Jahrgang und schon eine ganze Weile im Geschäft, allerdings sollte seine Karriere bald auch schon zu Ende sein (er erkrankte Ende 1958 – psychisch, so scheint es – und nach einer letzten Aufnahme 1960 mit Curtis Fuller folgte nichts mehr, 1969 verstarb er in New York).
Exotischer öffnet dann die zweite Seite mit Ernesto Lecuonas „Taboo“, das Lateef an der Flöte präsentiert. Aber auch hier fällt die Rhythmusgruppe bald in einen swingenden 4/4, den die Drums nur noch etwas punktieren. Lateef allerdings greift in die Vollen, lässt das Thema von Lateinamerika nach Arabien schweifen, singt während er die Flöte bläst. Hadens „Lambert’s Point“ ist dann wieder eine konventionellere Bop-Nummer – aber mit interessantem Thema – mit Lateef am Tenor. Das einzige wirklich „exotische“ Stück dieser in dem Sinne etwas falsch betitelten Platte folgt zum Schluss, „Mahaba“, mit chants und Flöte. Man hätte die Stücke wohl etwas ausgeglichener auf den zwei Alben verteilen können, aber egal, die Musik ist sowieso toll, auch wenn sie in der Programmierung etwas unausgeglichen daherkommt (die „Sounds“ weniger abenteuerlich sind als die „Other Sounds“ – aber vielleicht war das ja doch genau das Programm und der Titel doch kein Missgriff?).
Ein letztes Stück dieser Session fand als Closer der nächsten New Jazz LP, „Cry!-Tender“ Verwendung. Das wird dann der nächste Post, die Aufnahmen von 1959.
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