Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Alice Coltrane › Re: Alice Coltrane (1937-2007)
Ich bin hier noch etwas schuldig.
vorgartenverstehe nicht ganz, warum sun ra’s spiritueller cocktail eine utopie sein darf, der von alice coltrane aber kitsch sein soll. weil du ra als tatsächlich verrückt ansiehst? ich glaube nicht, dass alice ein hippie war. ich glaube dagegen sofort, dass sun ra vom mars kam. (was würde sich ändern, wenn ich das nicht glaubte?)
und gurus wie sri chinmoy oder swami satchidananda haben ja nicht nur räucherstäbchen angezündet oder anzünden lassen, sondern krankenhäuser gebaut, einfluss auf politiker gehabt und sind von uno u.a. hoch dekoriert worden. aber natürlich gab es kitsch und träume und kollektive bedürfnisse und märkte.
Mars bringt verbrauchte Energie sofort zurück, soviel steht fest.
Es würde allerdings einen Unterschied machen, ob Du glaubst, dass Sun Ra tatsächlich vom Saturn stammt oder nicht. Im ersten Fall würdest Du es nämlich als Realität anerkennen und auch andere seiner Aussagen als bare Münze nehmen und ihn damit wenn nicht als Messias, so doch als Propheten einer höheren nämlich außer- bzw. überirdischen Macht anerkennen. Im zweiten Fall würdest Du die Figur Sun Ra als ein selbst geschaffenes alter ego betrachten, als eine angenommene Rolle, ein künstlerisches Idealbild. Eine Erfindung.
Ich sag’s mal so: Wenn Sun Ra sich mit der Rakete Nr. 9 auf den Weg zum Planeten Venus macht, dann klingt das utopisch, phantastisch und hat Witz. Da komme ich gerne mit! Jedenfalls in meiner Vorstellung, denn es ist doch völlig klar, dass Sun Ra in Wirklichkeit gar keine Rakete hat, oder?
Aber wenn Alice Coltrane von spiritueller Ewigkeit, ewiger Endlosigkeit und endloser Spiritualität pipapo spricht, dann klingt das nicht nur pathetisch, prätentiös und nach heiligem Ernst, sondern auch hohl. Sorry, aber was für eine Art von Erleuchtung soll das denn bitte sein? Da bleibe ich doch lieber zuhause! Alice Coltrane überfrachtet ihre Musik mit Bedeutungen. Ich brauche das nicht und ich finde die Musik braucht es auch nicht. Im Gegenteil: Alice Coltrane verbindet ihre Musik mit Titeln, die einem unvoreingenommen Hören eher hinderlich sind. Lassen wir das alles also einfach mal beiseite. Wisch und weg!
PTAH THE EL DAOUD hat jedenfalls durchaus seine rein musikalischen Qualitäten. Hier kann ich dem vorgarten nur zustimmen: TURIYA AND RAMAKRISHNA klingt wie ein wunderbar träumerischer Blues, ruhig und elegant fließend, auf- und abschwellend, hier und da mal verzögert um sich dann wieder zu lösen. Alice Coltranes Piano hat etwas fein perlend sprudelndes, die Töne strömen nur so heraus. Auch wenn das nur ein Trio ist, klingt das Stück dadurch sehr dicht. Auch etwas sentimental, aber hier bin ich gerne bereit mich darauf einzulassen. Da bekomme ich einen ganz verklärten Blick.
BLUE NILE bleibt in einer ähnlichen Stimmungslage, auch wenn der Klang des Stückes durch die beiden Flöten und die Harfe tatsächlich ganz anders ist. Ich weiß zwar nicht, wie blau der Nil wirklich ist, aber die Atmosphäre von BLUE NILE erzeugt in meiner Vorstellung das Bild eines majestätisch dahinfließenden Stromes, in dessen Wellen sich das Sonnenlicht glitzernd spiegelt. Und in diesem Falle finde ich den Titel des Stückes auch sehr passend und schön.
Für mich ganz klar die beiden Höhepunkte der Platte, weil am geschlossensten, atmosphärisch dichtesten und klarsten. Das Titelstück und MANTRA wirken dagegen viel lockerer gestrickt, weniger stringent, mehr suchend und tastend.
PS.: Gerade erst festgestellt: der Blaue Nil ist eher ein Nebenfluss des Nils und nicht wirklich blau. Aber natürlich ist BLUE NILE trotzdem ein toller Titel, auch wegen der Doppelbedeutung des Wortes „blue“ im Englischen.
Gegen den Bau von Krankenhäusern ist natürlich nichts einzuwenden.
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)