Re: bft#14 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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Aber jetzt von vorne, in Ruhe!

FriedrichHallo gypsy,

ich beschränke mich auf den zweiten Teil des Blindfold Tests. Der geht mit besser ins Ohr als Teil 1. Beide BFTs zusammen sind mir zu viel.

Wenn Du magst, Deine Meinung zu #11 würd mich noch interessieren, der geht ja auch in die Richtung der zweiten Hälfte und ist nicht sonderlich beliebt … (oder gleich zu #9-11 – aber wirklich nur, wenn Du magst!)

FriedrichMusste mir diesen bft zweimal aufmerksam anhören. So ganz erschließt sich mir die Logik darin nicht. Ich erkenne, dass ein paar Stücke jeweils zusammenhängen (Calypso, New Orleans, ein bisschen Funk, manchmal etwa Persiflage), bin mir aber eher nicht sicher, ob das Deine Absicht war. Du schriebst ja sogar, das es Dir hier schwerpunktmäßig um das Tenor Sax ging? Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen.

Favoriten: #13, #17, #21, #23.

Ich kenne kein einziges der Stücke und habe nicht einen der Musiker erkannt. Besten Dank. Bin gespannt.

Ich ziehe das mal vor … eine Logik war nicht geplant, die Stücke kamen recht zufällig zusammen, ich habe dann bloss versucht, sie in eine einigermassen stringente Abfolge zu bringen. Der Schwerpunkt Tenorsax ergab sich dabei von selbst, was mich aber nicht weiter wundert, da es für mich das zentrale Instrument des Jazz ist. Da gehe ich dann eben auch den Leuten nach, die man weniger gut kennt, und einige von ihnen sind hier zu hören (#3, 8, 10, 11, 14, 15, 17, 20 … und eigentlich auch die in #1, 13, 16, 18 und 19 … die Frage ist ja immer, wie man das mit der Bekanntheit denn genau messen soll, mir sind v.a. die Herren von #3, 16 und 19 sehr gut bekannt).

# 13

FriedrichDa ist dieser typische Sound der Jazzgitarre, gedämpft, etwas samtig rau, sehr reich, sehr schön. Hört man so oder so ähnlich immer wieder mal. Woher kommt der eigentlich? Ist das ein bestimmtes Gitarrenmodell? Eine Halbakustische, vermute ich, mit einem bestimmten Verstärkertyp? Eine Trompete, die sich mit ihrem melancholischen Klang sehr schön einfügt, oder besser gesagt die Führung übernimmt. Auch das Sax schlägt den gleichen Ton an. Klasse, dass die Gitarre aussetzt, dann aber immer wieder zum gleichen Thema zurückkehrt. Das schafft Spannung. Klar strukturierte Sache, das, alles an seinem Platz und zwischendurch können Trompete und Sax fein solieren. Das Sax kommentiert eigentlich bloß, aber auch das sehr schön. Der Leader ist wohl der Trompeter, oder? Schöner Klang, tolles Stück!

Der Leader spielt selbst nicht mit … den Trompeter hört man anderswo im BFT schon, den Gitarristen kennt man wohl nicht (mir sagt sein Name jedenfalls gar nichts und zur Frage, was er genau spielt, kann ich leider nichts beitragen). Woher der Sound kommt … vermutlich aus der Billy Bauer/Tal Farlow/Jimmy Raney-Linie, in die sich auch Leute wie Jimmy Gourley oder René Thomas stellten (also nicht die Hardbop-Linie Burrell, Montgomery und so … aber am Ende geht ja eh alles immer auf Charlie Christian zurück, Herb Ellis hat halt den Twang stärker übernommen Burrell die eleganten Linien, bei einem Bauer wurde das alles kühler, noch linearer – Tristano eben – und bei Smith kam dann in diese Linie wieder mehr Wärme rein …. und bei Farlow/Raney war einfach alles nur perfekt ;-))

# 14

FriedrichDas ist dann schon mehr eine Show-Einlage. Die rhythm section / das Orchester im Hintergrund hört sich an wie ein sauber gewarteter Automat, der mit der Regelmäßigkeit einer Nähmaschine im ¾- Takt läuft. Das Sax hingegen tut eigentlich das Gegenteil. Ordentlich Vibrato, sehr sentimental und ein bisschen schmierig. Ein bisschen Operette. Ein Showman alter Schule würde ich sagen. Cabaret. Könnte mir dazu einen Striptease vorstellen. Kann mir gefallen.

Cabaret, klar … Rock’n’Roll! Aber für mich ist das hier eine beinah-religiöse Erfahrung!

# 15

FriedrichEs wird flott! Soul Jazz? Ein sehr einfaches Thema, mehrfach unisono wiederholt und dann lässt der Saxophonist die Zügel los und die rhythm section hört sich für mich ein wenig so an als gerate sie aus dem Tritt. Irgendwas passt da rhythmisch nicht ganz zusammen, oder? Vielleicht ist es die etwas locker spielende latin rhythm section gegen den handfest spielenden Saxofonisten? Den finde ich eigentlich ganz gut. Jetzt höre ich erst das E-Piano. Ich finde die Themenvorstellung ziemlich stringent, wenn auch etwas simpel, bei den Soli fängt das für mich dann etwas an zu zerfallen. Vielleicht wünsche ich mir das aber bloß selber etwas tighter. Freue mich, wenn die Band zum Thema zurückkommt.

Rhythmisch passt das für mich sehr gut … aber der Saxophonist dreht wohl den Beat manchmal ein wenig oder nimmt es mit der Phrasierung nicht sehr genau, kann sich diese Lockerheit aber erlauben, weil der Beat durchläuft – selbst wenn das E-Piano irgendwie auch mal dagegen anzuspielen scheint.

Auch hier Frage ich mal ins Rund: von wann stammt das?

Es gibt eine Art „Schwestertrack“ zu dem hier … die Lockerheit bei gleichzeitig sehr klar aufgezogener Musik – ich weiss es nicht, aber mich dünkt das ein Zeitphänomen zu sein, daher die Frage.

#16

FriedrichHat mit seinem einfachen, sich immer wiederholenden Thema und seiner Instrumentierung ein bisschen was von einem Kinderlied. Klingt etwas naiv, ich gehe aber davon aus, dass das gewollt ist. Ein Späßchen der Musiker?

Hm … ich hatte oben ja schon gesagt, dass ich dem Mann hier wohl einen Bärendienst erwiesen habe, was ich sehr bedaure, gehört er doch zu den mir wichtigen Leuten. Warum etwas nicht auch mal ohne allzuviel ernst auskommen darf und man es dennoch ernstnehmen kann, erschliesst sich mir nicht – aber ohne die Augenbinde hörend, ist die Situation auch schwer zu vergleichen, ich höre wohl selbst auch „härter“, urteile schärfer, wenn ich nicht weiss, wovon die Rede ist (und genau in diesem unterschiedlichen Hören liegt ja das, was diese BFTs interessant macht).

#17

FriedrichJetzt aber wirklich Soul Jazz bzw. Schweineorgel. Es wird funky. Es gibt hunderte gute Aufnahme aus den späten 60ern / frühen 70ern, die in die gleiche Kerbe schlagen. Sax, Hammond B3, Gitarre, funky drummer. Finde ich gut und in Ordnung, weiß aber nicht so recht, was dieses Stück von anderen ähnlich gelagerten Stücken abhebt. Gegen Ende geht es allerdings mehr und mehr ab, die Zügel werden lockerer gehalten und das Ding läuft ziemlich heiß, jedenfalls die Orgel. Dann auch das Sax. Funktionert für mich besser als bei #15. Vielleicht liegt’s an dem auf der einen Seite stur durchgehaltenem beat, der auf der anderen Seite viel Freiheit zulässt. Dabei ist der Drummer gar nicht mal besonders herausragend. Vielleicht reicht manchmal aber einfach auch Sturheit. Heiß!

Warum muss es sich denn abheben? Dazu schrieb ich auch schon ein paar Mal etwas, aber auch das könnte an der unterschiedlichen Hör-Haltung liegen. Der Drummer ist schon ziemlich toll übrigens … vielleicht liegt das Geheimnis auch darin, dass man nicht immer alles muss, was man kann :-)

#18

FriedrichNew Orleans? Auf jeden Fall bezieht sich das mit dem schnellen Marschrhythmus und dem Trompeten Wah-Wah auf irgend sowas wie Marching Bands aus der Frühzeit des Jazz. Oder den jungle style von Ellington. Das Trompeten-Wah Wah ist jedenfalls auch da. Wahrscheinlich eine Mischung aus vielem. Finde ich witzig. Könnte fast von Lester Bowie sein. Aber da gibt es keinen entsprechenden Solisten. Oder The Dirty Dozen Brass Band? Aber die wären rustikaler. Oder irgendwelche Neo-Traditionalisten aus dem Umfeld von Marsalis? Vielleicht aber zu witzig für die. Jemandem wie mir, der auch auf die Ellington/Scott – Bearbeitungen von Don Byron steht, gefällt das.

Ellington eher als Marching Bands, denke ich … der Drummer kommt eigentlich nochmal aus einer andere Ecke … das sind keine Neos, der Tenorsaxophonist, der für mich hier den Höhepunkt beisteuert, und der tolle Trompeter haben beide in den letzten Jahren das Zeitliche gesegnet.

#19

FriedrichVon New Orleans in die Karibik. Ist ja auch gar nicht so weit. Calypso? Da fällt mir als Referenz sofort Sonny Rollins ein. Aber der ist zupackender, derber. Bei dem ist dieser Hard Bop-Hintergrund immer da. Das hier ist subtiler, aber in meinen Ohren nicht unbedingt besser.

Calypso, ja … welcher der Herren subtiler sei, ist eine Frage, die mich nie umtrieb, jedenfalls ist Rollins ein anderes Kaliber, aber ich schätze diesen hier enorm und freue mich auch, dass es über dieses nächste kitschige Liedchen keinen Protest wie bei #16 gibt! Der hier ist oft auch für mich, der ich weite Teile seines Werkes kenne, sehr schwer zu greifen, aber ich finde seine Aufnahmen einfach verdammt gut. Diese hier stammt von einer schwer zu kriegenden Scheibe, ich wollte es gewissen Teilnehmern (eigentlich einem gewissen Teilnehmer) nicht zu einfach machen.

#20

FriedrichWir bleiben also in der Karibik. Eigenartig nach vorne gemischter Bass. Etwas rustikaler als #19. Gefällt mir auch ein Stückchen besser. Und spätestens hier merke ich endlich, dass Du in diesem Teil Deines BFTs das Tenor Sax in den Vordergrund rückst. Aber auch das Vibraphon finde ich ganz lustig.

Mir gefällt der Groove hier insgesamt besser als beim Stück davor, der Tenorist hat einen unglaublichen Sound, seine Phrasierung ist all over the place, aber ohne dass daraus je eine Problem würde. Es gibt hier Passagen (0:55-1:04, 1:22-1:30 – danach kommt ein fast „All God’s Chillun“-Zitat – 1:40-1:56), die mich sehr an die südafrikansiche Saxophon-Tradition erinnern, was wohl nicht ganz zufällig ist.

#21

FriedrichUnd wieder New Orleans. Oder eine Blaskapelle vom Balkan? Hat auf jeden Fall Humor. Klingt ein bisschen so, als seien die auf dem Rückweg vom Friedhof. Erst eine behäbige Tuba, dann wird’s schrittweise agiler mit Posaunen und Percussion bis sich alles in Bewegung setzt und tanzt. Schmetternde Trompeten! Heißa! Jeder darf mal. Ich höre da auch claves oder? Es ist also ein kleiner karibischer Einschlag mit drin. Entweder man ist mit dieser Musik aufgewachsen (aber wer ist das schon?) oder man muss etwas Humor mitbringen, um Gefallen daran zu finden. Ich kann mich darauf einlassen und amüsiere mich. Das Leben ist zu kurz um traurig zu sein. Oder zu lang. Je nachdem.

New Orleans, Karibik, Mexiko, Spanien, Balkan … aber alles auf diversen Umwegen (Äthiopien etwa) … die Mischung aus dem Stottergroove des tiefen Blechs, den Latin-Beats, den Mariachi-Trompeten, die sich zwischendurch erheben, der schamlosen Melodieseligkeit, dem cantabile … mich macht das einfach glücklich. Und die Trauer ist hier doch mit drin, sie lauert hinter jeder weissgetünchten Hausecke in der prallen Mittagssonne. Vita brevis, ars longa ;-)

#22

FriedrichVon der Musik aus der Guten Alten Zeit zu Musik aus der Jetzt-Zeit, die ein paar Schlaumeier völlig zerlegen. Könnte lustig sein, aber – in diesem Fall – nicht für mich. Man könnte das als eine Parodie auf Jazz verstehen.

Die Zeiten sind doch hier längst durcheinenander … #21 ist (wie wohl auch #18) eine Art globale Dorfmusik, das hier lässt sich zuordnen, vorgarten hat das ja erfolgreich getan – eine kleine Hommage an James Brown. Ich finde den Groove hier unglaublich ansteckend. Wenn ich tanzen würde, dann würde ich mich freuen, wenn dort, wo ich es täte, #20-22 liefen …

#23

FriedrichUiih, der Gitarrist zerspielt seinen Part hier aber ganz schön. Postmoderner Blues? Immerhin ganz funky. Ich glaube, ich würde aber die Musik, die hier wohl persifliert wird, lieber im Original hören. Die Sängerin klingt zwar schön lasziv, ist mir aber nicht präsent genug. Die singt ja nur so nebenher. Da wünsche ich mir mehr Saft. „Hey now baby / get into my big black car / I want to show you …“ Na ja, immerhin werden hier die Geschlechterrollen umgedreht. Vielleicht ist das aber auch einfach aufreizend lässig? Das finde ich dann schon wieder kess und es gefällt mir. Ich überlege es mir also anders und beschließe, das Stück entschieden zu mögen! Sind das alles Frauen? Müssten eigentlich … Ich will die Sängerin unbedingt kennenlernen! Ist das am Ende ein Witz über Miles und Teo?

Das hat sich ja aufgelöst … im verlinkten Artikel stolpere ich aber über einen bösen Fehler: „disco star Sylvester adding some vocals“ – 1971, hallo? Davor ist ja die Rede von „funk, down and dirty funk“ – das stimmt natürlich und das konnte man 1971 wohl auch schon so benennen, aber eigentlich war in der Zeit ja der Funk erst grad so richtig im Kommen und der Disco noch ziemlich weit weg, aber egal, um den Artikel geht es hier ja nicht.
Betty Davis kicks ass!

Mag jemand den Gitarristen im linken Kanal erraten?

#24

FriedrichHuch, das ist ja schon vorbei, bevor ich es überhaupt richtig zur Kenntnis genommen habe. So ein kleines funky groovendes Ding, nur eine Skizze. Die gleiche Band wie #23? Netter Nachklang.

Nein, eine andere Band, New Orleans wieder … eine kleine congregation, in der Vieles nochmal rasch zusammenkommt, bevor es auch schon wieder verklingt (es handelt sich hier um eine kleine Reprise eines ausgewachsenen Stückes, mit der die LP endet … aber wie #23 ist auch das hier kein Jazz).

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba