Re: bft#13 – vorgarten

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vorgarten

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so, hier ist die luft raus. also fange ich mal an mit der auflösung, so nach und nach und offen für einsprengsel.
beginnend mit der sektion der gepflegten unterhaltungsmusik.

#1

raymond scott: egyptian barn dance (rehearsal). aus: “the music of raymond scott – reckless nights and turkish twilights” (columbia 1992).
aufgenommen zwischen 1937 und 1940. keine credits.
wahrscheinlich: raymond scott (ld, p, cel), chubby Jackson o. fred whiting o. lou shoobe o. ted harkins (b), andy picard o. johnny williams (dm), art ryerson o. vince maffei (g), bernie leighton o. walter gross (p), benny lagasse o. hugo winterhalter o. pete pumiglio o. slats long o. stan webb (cl), benny lagasse o. reggie merrill o. slats long (as), art drelinger o. charles mc camish o. dave harris o. hugo winterhalter o. stan webb o. wendell de lory (ts), irving sontag o.joe vargas (tb), bert la mar o. gordon griffin o. dave wade o. lawrence stearns o. mike meola o. russ case o. stephen market o. willie kelley (tp).

die längsten credits für das kürzeste stück. ist auch ein bisschen gemein, den inbegriff makelloser skurrilitäten mit einem verspieler vorzustellen. andererseits dürften die bands von raymond scott wohl diejenigen der jazzgeschichte sein, die die meiste zeit mit proben verbracht haben und da passt vielleicht ein einblick in die werkstatt.
scott, der eigentlich anders hieß und sich nach einem flüchtigen blick ins telefonbuch neuerfunden hat und zeitlebens eine schillernde figur blieb, war im strengeren sinne wohl kein jazz-fan – raum für individualität, solistische entfaltung, fehler waren ihm angeblich ein graus. kein wunder, dass er frühzeitig anfing, menschen durch elektronische apparaturen zu ersetzen. andererseits haben seine sachen eine lebendigkeit und spielfreude, die außergewöhnlich ist – kein wunder, dass sich die produzenten von animationsfilmen von bugs bunny bis simpsons bei ihm bedient haben.
dieses stück auf dem wohl allseits bekannten sampler ist ein bonustrack ohne credits – es existiert keine vollständige aufnahme des ägyptischen scheunentanzes. wie diese tolle melodie weitergegangen wäre, kann man in einer aufnahme der holländischen retroband beau hunks hören.

#2

terry gibbs: papirossen (cigarettes). aus: terry gibbs plays jewish melodies in swingtime. mercury 1963.
terry gibbs (mar), alice hagood bzw. mcleod bzw. coltrane (p), herman wright (b), bobby pike o. sol gage (dm), ramon muskier (cl), sam kutcher (tb). produced by quincy jones.

wir bleiben in der jüdischen neighborhood in Brooklyn, eine knappe generation später, aus der heraus ein bebop-vibraphonist erwächst, nachdem sein vater und sein bruder ihn zur begleitung von religiösen feierlichkeiten herangezogen haben.
ich kenne, wie gesagt, wenig von gibbs, dessen karriere unter eigenem namen wohl erst in den 50ern in los angeles so richtig losging und der hier ein wenig wurzelsuche betreibt bzw. ein amalgam aus herkunft und leidenschaft versucht. soweit ich die einträge im netz richtig deute, waren die musikerkollegen immer voll des lobes über ihn. mit #1 und #3 verbindet ihn die soundtrackfähigkeit, jedenfalls war er regelmäßiger musikalischer gast in einer tv-show.

was mich hier natürlich besonders interessierte, war die dame auf dem klavierstuhl. hier noch alice hagood, weil sie mit einem sänger gleichen namens verheiratet war, der sie nach paris zu bud powell brachte, wo unter anderem diese tollen aufnamen entstanden.
hier, in der band, in der john coltrane sie kennen lernte und für seine weitere musikalischen entdeckungsreisen verpflichtete, klingt sie schon ziemlich prä-coltranesk, wie ich finde.
später lernte sie ihm zu liebe harfe, brachte mit ihrem wurlitzer orgone häuser zum kochen (z.b. auf der unglaublich faszinierenden TRANSFIGURATION zu hören, die ich gerade im dauereinsatz habe), arrangierte mit ornette coleman streichersätze, nahm eine reihe hindu-gesänge auf und führte das alles mit dem gospel ihrer jugend auf ihrer letzten cd TRANSLINEAR LIGHT wunderbar zusammen. (damit sein nur ihre musikalische karriere umrissen, über die spirituelle und nachlassverwaltende mag ich mich nicht auslassen).

#3

philippe sarde / orchestre hubert rostaing: la radicale. aus : barocco (original soundtrack), 1976. besetzung unbekannt.

jetzt mal ein originalsoundtrack. BAROCCO, den ersten, heillos überfrachtetem und völlig artifiziellen film meines lieblingsregisseurs andré téchiné, wird hier wohl kaum jemand kennen. aber wie einige andere filmemacher hat téchiné von beginn an eine enge beziehung zum filmkomponisten philippe sarde gepflegt, den ich auch sehr verehre. universal hat mittlerweile begonnen, die filmmusiken von sarde nach regisseuren zusammenzustellen.

BAROCCO ist ein komplex geplotteter und atmosphärisch schwülstiger fieberfilm (ausschnitt), mit viel schweren streichern und ein paar gefakten cocktail-musiken unterlegt. etwas bekannter als LA RADICALE ist vielleicht „on se voit se voir“, das von marie-france gesungene chanson darin – die band, die man da sieht, dürfte aber kaum das orchester von hubert rostaing sein.

letzterer ist ein interessanter griff hier – ein französischer swingmusiker (klarinette und altsaxophon), der stéphane grapelli im quintet des pariser hot clubs ablöste, um dort mit django reinhardt große erfolge zu feiern. aufnamen mit dem hier im forum verehrten bernard pfeiffer gibt es auch von ihm. anfang der 60er erfolgte schließlich der wechsel in das filmmusikfach. wer zu dieser zeit (1976) im orchester mitglied war, wer also hier genau zu hören ist und ob rostaing sogar selbst das tolle saxsolo spielt, weiß ich leider nicht.

zum gitarristenblock dann heute abend.

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