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otisTime Passes Slowly und Dogs Run Free z.B. waren in der jetzt zu hörenden Versionen solide Versionen, nicht aneckend und auch nicht wirklich gut, auf New Morning aber waren sie für das durchschnittliche Dylan-Publikum damals sehr wohl ungewönlich und auf ihre Weise womöglich genauso verstörend wie All The Tired Horses.
Wenn ich so drüber nachdenke, muss ich Dir zustimmen: Sowohl Time passes slowly als auch If Dogs run free gehört nicht zu den besten Aufnahmen auf ASP, sie sind in ihrem NM-Gewand viel markanter, intensiver, verblüffender. Auch Went to see the Gypsy ist in der NM-Version am besten. Und für das Bläser-Arrangement bei „New Morning“ gilt in meinen Ohren das Gleiche wie für die Harfen/Streicher-Ergänzung bei Sign on the window: interessant, charmant, nicht ohne Witz, aber nicht wirklich zwingend. Und so komme ich zum Ergebnis: Bei der Track-Auswahl für New Morning hat Dylan zur Abwechslung mal alles aber sowas von richtig gemacht. Die Platte liebe ich sehr – der absolute Joker auf dieser Scheibe ist für mich Dylans extrem dolles Klavierspiel: so eigenwillig und unorthodox, The Man in me, Day of the Locusts, Sign, Gypsy, Time passes, Father of night … einen derart unverwechselbaren Klavierbegleitungsstil muss ein „richtiger“ Pianist erstmal hinkriegen.
Was die Wirkung von NM bei Erscheinen betrifft, kann ich mit authentischer Erfahrung mangels Alter nicht dienen. Soweit ich gelesen habe, wurde es aber damals überhaupt nicht als verstörend gewertet, sondern als Rückkehr zur Form gewürdigt und löste in Rezensionen so eine Art „Gottseidank, Dylan ist wieder Dylan“-Stoßseufzer aus. Hast Du da irgendwelche näheren Erinnerungen, ob das „durchschnittliche Dylan-Publikum“ in Deinem Umfeld NM ungewöhnlich oder gar verstörend fand?
Im Grunde fände ich das ja durchaus einleuchtend: Jazz-Gescatte, ein Winterwalzer, das vorweihnachtliche Raunen auf „Three Angels“, dazu ein ausgewachsenes Gebet am Ende, wie’s Franz von Assisi nicht besser rausknattern hätte können … wenn man’s näher bedenkt, findet sich da wahrlich allerhand an Abenteuerlichem (und im übrigen durchaus auch an Passagen, die man womöglich süßlich hätte nennen können).
Und so drängt sich mir die historische Frage auf: Warum eigentlich wurde NM seinerzeit als Gegenentwurf und Korrektur von Self Portrait empfunden und nicht als weitere Provokation/Irritation?
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