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Der Verstörer
Sehnsuchtsbarde Dagobert veröffentlicht ein Debüt-Album zwischen Schlager und Synthie-Pop
Schnulzensänger aus den Bergen nennt er sich, der Dagobert. Und genau das ist der in Berlin lebende Schweizer, der gerade sein zwischen Schlager und Synthie-Pop oszillierendes Debüt-Album veröffentlicht hat – und doch irgendwie nicht. Oder zumindest: Irgendwie anders. Das fängt bei seiner Vita an, die einfach echt sein muss, weil sie sich für ausgedacht viel zu verrückt anhört.
Angeblich hat er nach der Schule als Penner gelebt, ist im Probenraum bei Freunden auf die Musik gekommen und hat erste Songs geschrieben. Für eines dieser Lieder bekam er einen Preis, hat das Geld aber in Berlin kurzerhand versoffen. Enttäuscht von der der Welt im Allgemeinen und der Liebe im Speziellen zog er dann für fünf Jahre in eine schweizer Berghütte fernab der Zivilisation. Dort ernährte er sich den Erzählungen nach nur von Reis und schrieb fast im Wahn mehr als 100 Lieder. Dann schickte er eine Promo-CD an Universal und plötzlich fuhren Plattenfirmen-Menschen in großen Autos auf den Berg, um ihn zu besuchen – und fuhren unverrichteter Dinge wieder runter von dem Berg. Doch irgendwann fühlte er sich dann bereit für irgendetwas, ging zurück nach Berlin und hat nun schließlich sein Debüt-Album rausgebracht. Und das ist, machen wir es kurz, das beste Schlageralbum seit „Old Nobody“ von Blumfeld.
Da stehen herzzerreißende Balladen wie „In unserem Garten“ oder „Raumpilot“ neben dem Pet-Shop-Boys-Pop von „Ich bin zu jung“ oder dem halluzinogenen Abgesang „Morgens um halb vier“. Und dann gibt es da noch Poltigeres wie „Ich mag deine Freunde nicht“. Und auch wenn man sich in der Post-Brüderle-Correctness wahrscheinlich dem Rassismus-Verdacht aussetzt, solche Stücke können einfach nur in diesem, nennen wir es mal, Schweizer Schmäh, gesungen werden, von dem es nur ein Kanton bis zum Taubenvergiften ist: „Ich mag all deine Freunde nicht, sie sind auch alle hässlich, sie sind langweilig und lästig.“
Doch es sind nicht nur die Songs und die unglaubliche Lebensgeschichte (wahrscheinlich doch ausgedacht wie bei Dylan), die den Reiz des Schweizer Sehnsuchtsbarden ausmachen und ihn wie einen popkulturellen Schwippschwager von Croonermädchen Lana Del Ray wirken lassen. Es ist auch dieser dauernde Widerspruch, in dem Dagobert in seinem von der Schwägerin genähten Gehrock daherstolziert. Seine Musik ist glücklicherweise komplett unironisch – aber die Inszenierung der Kunstfigur als solche nicht, wie auch sein gestriger Auftritt im ZDF-Fernsehgarten zeigte. Doch er ist eben kein neuer Guildo Horn, Alexander Marcus oder wie all diese Flitzpiepen für die Hossa-Meute und die Remmi-Demmi-Generation hießen. Gleichzeitig verstört er mit Trash-Aussagen, dass er die biederen Scorpions genauso liebt wie den legendären Country-Schmerzensmann Hank Williams.
Und vielleicht ist dies das größte Erfolgsgeheimnis von Dagobert. Dass er in einer Welt, die anscheinend schon alles gesehen hat und in der die nächste Perversion nur ein Facebook-Freund entfernt scheint, es doch noch schafft, zu verstören. Dass er sich nicht einfach in eine Schublade ablegen lassen lässt, sondern den Hörer herausfordert. Dass er seine Kunst ernst nimmt, sich selbst aber vielleicht nicht so sehr. Ein Schnulzensänger, ja – aber manchmal braucht es genau das. Zum Beispiel morgens um halb vier.
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